Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Interview

    „Vor einem Gerichtstermin als Videositzung brauchen auch Ungeübte keine Angst zu haben!“

    | Rechtsanwalt Axel Denkert aus Lünen bearbeitet u. a. als FA für SozialR zahlreiche Mandate aus dem SGB-II-Bereich. In vielen Verfahren geht es um die Frage der richtigen Anrechnung von Einkommen oder der Berücksichtigung von Vermögen, also in erster Linie um Gesetzesanwendung bei einem feststehenden und unstreitigen Sachverhalt. Im Rahmen eines solchen Verfahrens hat er an einer Berufungsverhandlung vor dem LSG NRW zum ersten Mal per Video teilgenommen. In einem Interview mit der AK-Redaktion berichtet er von seinen (überwiegend positiven) Erfahrungen. |

     

    Frage: Herr Denkert, wie kam es dazu, dass der Berufungstermin online stattgefunden hat?

     

    Antwort: Mit der Ladung zum Termin war die Auflage des persönlichen Erscheinens für meine Mandantin verbunden. Das Gericht informierte jedoch über die Möglichkeit, auch von außerhalb des Gerichtssaals an der Sitzung teilzunehmen. Da ich meine Kanzlei kurz zuvor technisch aufgerüstet hatte, um die Kommunikation mit im Homeoffice befindlichen Kolleginnen und Kollegen ohne Komplikationen aufrechtzuerhalten, habe ich diese Gelegenheit gern wahrgenommen.

     

    Die Videoausstattung in meiner Kanzlei besteht übrigens aus einem 55 Zoll-Monitor mit darüber angebrachter Konferenzraum-Kamera und einem separaten PC, der hinter dem Monitor montiert ist. Da meine Kamera ca. 4 m von mir entfernt steht (und den ganzen Raum erfassen kann), bediene ich diese komfortabel mit einer Fernbedienung.

     

    Frage: Was passierte nach Ihrer Zusage zu einem Online-Gerichtstermin?

     

    Antwort: Mir wurden einfach die Zugangsdaten sowohl für einen Testraum als auch für den Konferenzraum zur mündlichen Verhandlung mitgeteilt. Für den Test und die Teilnahme an der Sitzung musste ich jeweils nur auf den jeweiligen Link klicken und das Passwort eingeben. Technisch verliefen sowohl der Test als auch die Sitzung problemlos. Dies finde ich umso erstaunlicher, als dies nicht nur für mich, sondern auch für den LSG-Senat die erste Sitzung dieser Art war.

     

    Frage: Sie mussten also keine zusätzliche Software installieren?

     

    Antwort: Genau, irgendwelche Computerprogramme waren nicht erforderlich. Mir war vorab mitgeteilt worden, dass die Teilnahme über jeden handelsüblichen Internetbrowser und eine Webcam möglich ist ‒ die gibt es heute eigentlich in jedem Notebook oder Smartphone. Und welche Video- und Veranstaltungstechnik aufseiten des Gerichts eingesetzt wurde, weiß ich gar nicht.

     

    Frage: Wie kann man sich den Ablauf der Online-Sitzung vorstellen?

     

    Antwort: Die gesamte Sitzung lief auf meinem Monitor in einem Browser-Fenster. Auf der einen Hälfte des Monitors war der Sitzungssaal des LSG zu sehen, auf der anderen Hälfte der Beklagtenvertreter. Die Kamera des LSG war mit einer Schwenk- und Zoomfunktion ausgestattet ‒ ein Kameramann im Gerichtssaal sorgte so sogar für eine gewisse Lebendigkeit, indem er diese Funktionen sinnvoll einsetzte.

     

    Meine Mandantin war während der Sitzung bei mir im Büro (lacht: natürlich mit Maske, dem erforderlichen Abstand und offenem Fenster). Auf Knopfdruck konnte ich auch mein Mikrofon ausschalten, um ungestört Rücksprache mit ihr zu halten.

     

    Frage: Gibt es von Ihrer Seite gar keine Kritik? Was fanden Sie an der Online-Sitzung vielleicht doch nicht optimal?

     

    Antwort: Bild und Ton waren eigentlich einwandfrei. Nur vereinzelt war die Übertragung nicht lippensynchron und es gab wenige, ganz kurze Tonaussetzer, die die Verständlichkeit insgesamt jedoch nicht beeinträchtigten. Und beim Abspielen der gestellten Anträge vom Diktiergerät war der Ton „blechern“, was aus meiner Sicht aber eher nur ein kleiner Schönheitsfehler ist.

     

    Einziger Kritikpunkt war der Umstand, dass ich mein eigenes Vorschaubild nur bei der Bewegung mit der Maus oder anderen Einstellungen kurz sehen konnte, dann wurde ich wieder ausgeblendet. Ein permanentes Vorschaubild der eigenen Kamera hätte ich angenehmer gefunden, weil ich so besser die Perspektive kontrollieren kann. Inzwischen habe ich aber herausgefunden, dass ich das Vorschaubild „anheften“ kann! Beim nächsten Termin werde ich also schon „routinierter“ sein und mehr Extras kennen. Vor einem Gerichtstermin als Videositzung brauchen aber auch Ungeübte keine Angst zu haben!

     

    Frage: Würden Sie wieder online an einem Gerichtstermin teilnehmen?

     

    Antwort: Natürlich ist dieses Verfahren nicht für alle Prozesssituationen geeignet! Aber unter dem Strich kann ich die Durchführung von Online-Sitzungen in vergleichbaren Fällen nur begrüßen. Mir blieben dieses Mal immerhin rund zwei Stunden Fahrt plus Parkplatzsuche beim LSG erspart. Auch meine Mandantin hat sich in den Kanzleiräumen wohler gefühlt als im Sitzungssaal bei Gericht.

     

    Eine einseitige Bevormundung durch das Gericht bezüglich der Art und Weise der Sitzung muss man nicht befürchten. Es ist schließlich freigestellt, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen oder nicht.

     

    Herr Denkert, vielen Dank für das Gespräch! L

     

    Weiterführender Hinweis

    • Beitrag im Anwaltsblatt vom 15.12.20: „Gerichtsverhandlung per Videokonferenz: Keine Angst vor § 128a ZPO“ unter www.iww.de/s4690
    Quelle: Ausgabe 04 / 2021 | Seite 66 | ID 47160247