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  • · Fachbeitrag · Mandatsverhältnis

    Fremdgeld: Dann überschreitet der Anwalt die Grenze zur strafrechtlichen Untreue

    von OStA a.D. Raimund Weyand, St. Ingbert

    | Erhält der Rechtsanwalt mehrfach Geldbeträge, die für einen Mandanten bestimmt sind, und nutzt er diese zu eigenen Zwecken, ist nach dem BGH jede dieser eigennützigen Handlungen als strafbare Untreue nach § 266 StGB zu werten. |

     

    Sachverhalt und Entscheidungsgründe

    Nachdem sie in einer Erbstreitigkeit unterlegen war, überwies die Verurteilte die Klagesumme in mehreren Teilbeträgen an den klägerischen Anwalt. Doch dieser leitete das Geld nicht an seinen Mandanten weiter, sondern verwandte es für sich. Der BGH bestätigte die Verurteilung dem Grunde nach, wertete aber ‒ anders als das LG ‒ jede einzelne vom Angeklagten privat veranlasste Überweisung als eigenständige Untreuehandlung (BGH 3.5.22, 1 StR 10/22, Abruf-Nr. 229919).

     

    Relevanz für die Praxis

    Für zweckwidrige Handlungen im Zusammenhang mit Mandantengeld hat die Rechtsprechung detaillierte Grundsätze entwickelt, die in der folgenden Tabelle zusammengefasst sind.

     

    Übersicht / Diese Handlungen mit Mandantengeld sind zweckwidrig

    Was gilt allgemein für den Umgang mit Fremdgeld?

    Nach § 43a Abs. 7 BRAO muss der Anwalt ihm anvertraute Vermögenswerte sorgfältig behandeln und ihm übergebenes Fremdgeld unverzüglich weiterleiten oder auf ein Anderkonto* einzahlen. Er ist außerdem verpflichtet, über Fremdgeld unverzüglich Rechenschaft abzulegen, spätestens mit Beendigung des ihm erteilten Mandats (§ 4 Abs. 2 S. 6 BORA).

    Muss der Anwalt für jeden Mandant ein Anderkonto unterhalten?

    Der Anwalt hat nach § 4 Abs. 2 BORA die Wahl, entweder für jeden Mandanten ein gesondertes Anderkonto zu führen oder ein Sammelanderkonto* einzurichten. Auf einem solchen Sammelanderkonto* darf er einem Mandanten zustehende Beträge von mehr als 15.000 EUR jedoch nur einen Monat lang vorhalten.

    Sind diese Regelungen zwingend?

    Der Anwalt darf mit seinem Mandanten von der Gesetzeslage abweichende Regelungen vereinbaren und z. B. auch einen Treuhandvertrag abschließen. Hierfür ist aber zwingend Textform erforderlich (§ 4 Abs. 2 S. 5 BORA).

    Führen Verstöße gegen diese Grundsätze automatisch zur Strafbarkeit?

    Beachtet der Anwalt die Regelungen der BRAO bzw. der BORA nicht, handelt er zwar berufsrechtswidrig. Unmittelbare strafrechtliche Konsequenzen hat dies aber nicht, sofern aus seinem Tun kein Vermögensnachteil für den Mandanten entsteht. Bloße objektive Pflichtwidrigkeiten sind für sich genommen noch nicht strafbar, weil § 266 StGB nur tangiert ist, wenn alle Tatbestandsmerkmale der Norm erfüllt sind („Verschleifungsverbot“, vgl. grundlegend BVerfG 23.6.10, 2 BvR 2589/08).

    Wann ist die Grenze zum Strafrecht überschritten?

    Maßgeblich ist, ob die Vermögenssituation des Mandanten durch die Pflichtverletzung tatsächlich gemindert oder zumindest gefährdet wird. Hier sind verschiedene Möglichkeiten denkbar:

     

    • Ein Rechtsanwalt macht sich wegen Untreue strafbar, wenn er Fremdgeld für eigene Zwecke, insbesondere zur Erfüllung bestehender persönlicher Verbindlichkeiten, verwendet (BGH 30.10.85, 2 StR 383/85).
    • Gleiches gilt, wenn er von vornherein nicht den Willen hat, eingegangenes Fremdgeld bestimmungsgemäß weiterzuleiten (OLG Karlsruhe 30.8.89, 1 Ws 60/89). Dieser mangelnde Erfüllungswille ist stets einzelfallbezogen sorgfältig aufzuklären und zu beurteilen (BGH 27.1.88, 3 StR 61/87).

    Was gilt bei nicht eindeutigen Sachverhalten?

    • Ist das Konto des Anwalts nicht überzogen, sind dort aber keine ausreichenden Geldmittel vorhanden, um den eingegangenen Fremdgeldbetrag unverzüglich und vollständig auszukehren, liegt hierin i. d. R. eine schon strafbare Vermögensgefährdung. Dies gilt vor allem, wenn von dem Konto auch anderweitige Verbindlichkeiten bedient werden, z. B. Miet- oder Gehaltszahlungen (BGH 26.11.19, 2 StR 588/18).
    • Gleiches gilt, wenn auf dem Konto zwar Mittel in einer den eingezahlten Fremdgeldbetrag übersteigenden Höhe vorhanden sind, aber wegen (konkret) drohender Vollstreckungsmaßnahmen mit Zugriffen von dritter Seite zeitnah zu rechnen ist (OLG Hamm 14.7.09, 2 Ss 197/09).

    Kann die Strafbarkeit dennoch ausgeschlossen sein?

    Eine Vermögensgefährdung scheidet aus, wenn der Rechtsanwalt über anderweitige Geldmittel verfügt, die er zur Gewährleistung einer vollständigen Weiterleitung der vereinnahmten Fremdgelder bereithält und im Bedarfsfall zu diesem Zweck auch verwenden will (BGH 29.1.15, 1 StR 587/14).

    Genügt hierzu auch ein nicht ausgeschöpfter Dispositionskredit?

    Ein vorhandener nicht ausgeschöpfter Dispositionskreditrahmen schließt die Strafbarkeit nicht aus. Der Anwalt muss eigene flüssige Mittel vorhalten. Die Aufnahme eines Kredits genügt nicht (BGH 6.4.82, 5 StR 8/82).

    Kann die Strafbarkeit aus anderen Gründen entfallen?

    Hat der Täter einen Geldanspruch gegen das von ihm verwaltete Vermögen, fehlt es an einem untreuerelevanten Schaden, wenn er über das Vermögen in entsprechender Höhe zu eigenen Gunsten verfügt. Es gilt das Prinzip der Gesamtsaldierung, weil die Tathandlung selbst zugleich einen den Verlust aufwiegenden Vermögenszuwachs begründet. Honoraransprüche eines Rechtsanwalts können im Zusammenhang mit der zweckwidrigen Verwendung von Mandantengeld daher grundsätzlich einen von § 266 StGB erfassten Nachteil ausschließen (st. Rspr., s. etwa BGH 29.1.15, 1 StR 587/14; 24.7.14, 2 StR 221/14; 26.11.19, 2 StR 588/18).

     

    Wichtig: Dies gilt auch, bevor der Anwalt dem Mandanten eine Rechnung erteilt hat, weil der Honoraranspruch schon mit Beendigung der Angelegenheit entsteht (§ 8 RVG). Die Abrechnung selbst ist nur Voraussetzung für eine spätere Durchsetzung (§ 10 RVG).

    Drohen standesrechtliche Konsequenzen?

    Macht sich der Rechtsanwalt einer Untreue schuldig, ist dies zweifelsfrei standesrechtlich relevant. Aber auch zutage tretende Verstöße gegen die allgemeinen Regeln zum Umgang mit Fremdgeld, wie sie in § 43a BRAO bzw. § 4 BORA verankert sind, führen unabhängig von fehlenden strafrechtlichen Folgen zu berufsrechtlichen Konsequenzen.

     

    * Aktuelle Besonderheiten bei Sammelanderkonten: Manche Kreditinstitute wollen Sammelanderkonten unter Hinweis auf aktuelle Äußerungen der BaFin nicht mehr führen, weil sie hierin Verstöße gegen das GwG sehen (s. dazu das Editorial von Huff in AK 3/2022). Kommt es deswegen zu Kündigungen, bleibt dem Anwalt nur die Möglichkeit, für jedes Mandat ein Anderkonto zu führen. Es ist aber damit zu rechnen, dass die Bedenken kurzfristig wieder ausgeräumt werden können. Die BRAK führt hierzu aktuell Gespräche mit den zuständigen Stellen.

     

    MERKE | Veruntreut ein Rechtsanwalt Mandantengeld, führt dies bei ihm nicht zu steuerpflichtigen Einnahmen. Denn die so erlangten Beträge fließen ihm weder als Gegenleistung für eine Leistung im Rahmen der freiberuflichen Tätigkeit noch innerhalb einer gewerblichen Betätigung zu (BFH 16.12.14, VIII R 19/12; 29.9.20, VIII R 14/17). Dies führt auch nicht zu steuerbaren Umsätzen, sodass in solchen Fällen weder Einkommen- noch Umsatzsteuer anfallen. Im Streitfall hatte das LG dies verkannt. Der BGH hob deshalb die insoweit gleichfalls erfolgte Verurteilung auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung über den von der Staatsanwaltschaft noch erhobenen Vorwurf der Steuerhinterziehung sowie zur Bemessung des insgesamt gebotenen Strafmaßes zurück.

     
    Quelle: Ausgabe 09 / 2022 | Seite 149 | ID 48432169