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  • · Fachbeitrag · Editorial AK 03/23

    Rechtliches Gehör: Die Überprüfung in einer weiteren Instanz kann notwendig sein

    | Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, dass Massenverfahren ‒ wie solche rund um den Dieselskandal ‒ die Justiz belasten, ist unstreitig. Deshalb kann man Verständnis dafür aufbringen, dass Gerichte ab und an die Schlüssigkeit des Vortrags in Frage stellen und daher Klagen abweisen, wenn Massenverfahren führende Kanzleien nur noch mit Textbausteinen arbeiten. Doch das LG Koblenz ist insofern in einem aktuellen Fall m. E. deutlich zu weit gegangen: |

     

    Das war geschehen: In einem Dieselfall arbeitete eine Kanzlei in den Schriftsätzen mit zum Teil nicht passenden Textbausteinen. Und dann erschien auch noch ein wohl relativ unvorbereiteter Rechtsanwalt als Terminvertreter zum Termin (was in solchen Fällen durchaus üblich ist). Dies war der Kammer zu viel. Sie verlangte von dem Rechtsanwalt gemäß § 137 Abs. 3 S. 1 ZPO, das Klagevorbringen in freier Rede vorzutragen, und untersagte den Verweis auf die bisher gewechselten Schriftsätze. Denn diese prozessuale Möglichkeit gäbe es nun einmal. Der Terminvertreter mühte sich redlich, doch die Kammer sah den Vortrag als unschlüssig an und wies die Klage ab.

     

    Auch wenn die Justiz selbst einen großen Anteil daran hat, dass die Möglichkeit des § 137 Abs. 3 S. 1 ZPO weitgehend in Vergessenheit geraten ist und viele Anwälte gern mehr mündlich verhandeln würden, fand das mit der Berufung angerufene OLG Koblenz dazu mehr als deutliche Worte (18.10.22, 3 U 758/22): Das LG habe das Grundrecht auf rechtliches Gehör verletzt, als es von dem Bevollmächtigen nur einen mündlichen Vortrag sowohl zum Sachverhalt als auch zur rechtlichen Würdigung akzeptieren wollte. Dieser Weg sei zwar grundsätzlich gangbar. Wegen § 139 ZPO sei das Gericht aber verpflichtet, diese Vorgehensweise vorher anzukündigen, damit die Parteien nicht überrumpelt werden. Denn das Regel-Ausnahme-Verhältnis in § 137 ZPO habe sich in der zivilgerichtlichen Praxis bereits seit Jahrzehnten umgekehrt. Die Bezugnahme auf Schriftsätze stelle die Regel und der Vortrag in freier Rede die absolute Ausnahme dar. Wenn davon abgewichen werden solle, müssten sich die Parteien darauf einstellen können.

     

    Dies, so meine ich, betrifft nicht nur einen Dieselfall, sondern auch den Fall, dass der prozessführende Rechtsanwalt selbst in der mündlichen Verhandlung anwesend ist. Denn ohne eine Vorbereitung und die Anfertigung von Notizen ist in vielen Verfahren gerade die Sachverhaltsdarstellung nicht möglich. Der Hinweis auf den Grundsatz des rechtlichen Gehörs und § 139 ZPO ist also völlig richtig und angemessen. Das OLG Koblenz hat daher folgerichtig entschieden und die Klage als unbegründet abgewiesen. Dieser Fall zeigt wieder einmal, wie notwendig die Überprüfung in einer weiteren Instanz sein kann.

     

    Mit besten kollegialen Grüßen

     

    Ihr Martin W. Huff

    Quelle: Ausgabe 03 / 2023 | Seite 2 | ID 49041425