14.06.2016 · IWW-Abrufnummer 186498
Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 02.02.2016 – 14 Sa 1074/15
1. Der Anspruch auf Fahrtkostenabgeltung nach § 7 Nr. 3.1 des Bundesrahmentarifvertrages für das Bauhauptgewerbe (BRTV) vom 4. Juli 2002 in der bis zum 31. Dezember 2014 sowie der ab 1. Januar 2015 gültigen Fassung besteht für die Fahrt zum Betrieb auch dann, wenn der Betrieb Sammelstelle für die kostenlose Beförderung zur Arbeitsstelle mit einem vom Arbeitgeber gestellten Fahrzeug ist.
2. Wenn der Arbeitnehmer mit einem von ihm gestellten Fahrzeug von seiner mindestens 10 Kilometer sowohl von der Sammelstelle als auch der Arbeitsstelle entfernten Wohnung direkt zur Arbeitsstelle fährt, weil die Strecke dorthin kürzer ist als diejenige zur Sammelstelle, besteht hierfür ebenfalls ein tariflicher Anspruch auf Fahrtkostenabgeltung.
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 17. Juni 2015 (5 Ca 185/15) wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch über die Abgeltung von Fahrkosten gemäß § 7 Nr. 3.1. Bundesrahmentarifvertrag für das Bauhauptgewerbe (im Folgenden BRTV-Bau).
Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 8. Juni 2005 beschäftigt. Die Beklagte betreibt in I ein Unternehmen des Erd- und Straßenbaus. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft Allgemeinverbindlichkeit der BRTV-Bau Anwendung.
Die Beklagte unterhält mehrere Baustellen im Nahbereich. Den Mitarbeitern wird eine kostenlose Beförderung vom Betriebssitz der Beklagten in I zu den jeweiligen Baustellen mit betriebseigenen Fahrzeugen angeboten. Soweit Arbeitnehmer morgens zum Betriebssitz kommen, steigen diese in die Fahrzeuge und fahren los. Die Arbeitszeit beginnt und endet auf der Baustelle. Arbeitsanweisungen oder weitere vorbereitende Arbeiten werden vor Fahrtantritt am Betriebssitz nicht durchgeführt.
Der Wohnort des Klägers liegt 30 Kilometer vom Betriebssitz der Beklagten entfernt. In den Monaten September 2014 bis Dezember 2014 fuhr er mit seinem Privatfahrzeug von seiner Wohnung zu den ihm zugewiesenen Baustellen, ohne die von der Beklagten angebotene Beförderungsmöglichkeit zu nutzen. Ebenso wenig gab es eine näher zum Wohnort des Klägers gelegene Sammelstelle zur Nutzung der Transportmöglichkeit der Beklagten bis zur Baustelle. Im Einzelnen fielen folgende Fahrten an:
Mit seiner Klage hat der Kläger neben anderen Ansprüchen eine Fahrtkostenabgeltung gemäß § 7 Nr. 3.1 BRTV-Bau für die vorstehend genannten Fahrten mit seinem Privatfahrzeug zur Einsatzbaustelle verlangt. Das Arbeitsgericht hat durch die hier angefochtene Entscheidung dem Kläger hierfür 282,42 Euro auf der Grundlage eines Kilometergeldes von 0,30 Euro zuerkannt. Das Urteil wurde der Beklagten am 14. Juli 2015 zugestellt. Hiergegen richtet sich die am 27. Juli 2015 eingelegte und mit dem am 8. September 2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründete Berufung der Beklagten.
Die Beklagte ist weiterhin der Auffassung, dass ein Anspruch auf Fahrkostenabgeltung gemäß § 7 Nr. 3.1. Abs. 3 BRTV-Bau stets dann nicht besteht, wenn die Möglichkeit einer kostenlosen Beförderung vom Arbeitgeber angeboten wird. Dies sei vorliegend der Fall. Die Auffassung des Arbeitsgerichts habe zur Folge, dass automatisch ein Fahrkostenabgeltungsanspruch entstehe, wenn der Arbeitnehmer mit dem eigenen Fahrzeug auf die Baustelle fahre. Dies würde Arbeitgeber wirtschaftlich völlig unzumutbar belasten.
Die Beklagte beantragt,
Der Kläger beantragt,
Der Kläger verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens zur Sach- und Rechtslage die angefochtene Entscheidung als zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien zur Sach- und Rechtslage wird auf den von ihnen in Bezug genommenen Inhalt der in beiden Instanzen zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle der Sitzungen des Arbeitsgerichts vom 6. März 2015 und 17. Juni 2015 sowie des Landesarbeitsgerichts vom 2. Februar 2016 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.
Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger für die Monate September 2014 bis Dezember 2014 eine Fahrtkostenabgeltung gemäß § 7 Nr. 3.1 BRTV-Bau vom 4. Juli 2002 in der bis zum 31. Dezember 2014 gültigen Fassung in - rechnerisch unstreitiger - Höhe von 282,42 Euro nebst Zinsen wie vom Arbeitsgericht ausgeurteilt zu zahlen.
1. Für den hier maßgeblichen Zeitraum von September 2014 bis Dezember 2014 hatte die maßgebliche Regelung zur Fahrkostenabgeltung in § 7 Nr. 3 BRTV-Bau für Arbeitsstellen mit täglicher Heimfahrt folgenden Wortlaut:
2. Für die Vorläuferregelung des § 7 Nr. 2.1 BRTV-Bau in der Fassung vom 19. April 1979 ergibt sich nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG, 9. März 1983, 4 AZR 312/80 AP TVG § 1 Tarifverträge Bau Nr. 48) aus dem Gesamtzusammenhang der dort vorgesehenen Regelungen zunächst, dass die Tarifvertragsparteien keine Fahrkostenabgeltung für die Fahrt des Arbeitnehmers von seiner Wohnung zum Betrieb oder zu einer weniger als (damals) sechs Kilometer vom Betrieb entfernten Baustelle vorgesehen haben. Damit haben sie zu erkennen gegeben, dass es den Arbeitnehmern zumutbar ist, diese Kosten zu tragen. Bei einer weiteren Entfernung der Baustelle haben sie eine pauschale Fahrtkostenabgeltung vorgesehen, wenn der Arbeitnehmer auf eigene Kosten zur Baustelle fährt, oder die Möglichkeit einer kostenlosen Beförderung, die dann den Anspruch auf pauschale Fahrtkostenabgeltung ausschließt. Hierbei haben die Tarifvertragsparteien dem Arbeitnehmer kein Wahlrecht eingeräumt, ob er auf eigene Kosten zur Baustalle fahren und dann die pauschale Fahrtkostenabgeltung geltend machen oder die Möglichkeit einer kostenlosen Beförderung durch den Arbeitgeber nutzen will. Vielmehr haben sie nur dem Arbeitgeber ein solches Wahlrecht eingeräumt. Da nämlich der Anspruch auf pauschale Fahrtkostenabgeltung bereits dann ausgeschlossen wird, wenn die kostenlose Beförderung gegeben wird, hat es der Arbeitgeber in der Hand diese Möglichkeit zu schaffen und dadurch einen Anspruch des Arbeitnehmers auf pauschale Fahrtkostenabgeltung auszuschließen. Damit hat die kostenlose Beförderung Vorrang vor der pauschalen Fahrtkostenabgeltung. Der Sinn des Ausschlusses der pauschalen Fahrtkostenabgeltung für diesen Fall liegt erkennbar darin, dass für eine Kostenabgeltung kein Raum ist, wenn keine Kosten anfallen, und dies auch gelten soll, wenn dem Arbeitnehmer dadurch Fahrtkosten entstehen, dass er von der Möglichkeit der kostenlosen Beförderung keinen Gebrauch macht. Diese Fahrtkosten des Arbeitnehmers sind dann nicht notwendig. Deshalb ist es durchaus sinnvoll, dass der Arbeitnehmer nicht erforderliche Kosten auch selbst trägt (vgl. BAG, a. a. O.).
Nach diesem Sinn und Zweck der tariflichen Regelung ist es aber unerheblich, ob der Arbeitgeber für die gesamte Strecke bis zur Baustelle eine kostenlose Beförderung anbietet oder nur von einer Sammelstelle aus, d.h. nur für einen Teil der Strecke. Soweit die Möglichkeit einer kostenlosen Beförderung besteht, verursacht der Arbeitnehmer nicht erforderliche Kosten, wenn er gleichwohl mit seinem eigenen Fahrzeug und damit auf eigene Kosten zur Baustelle fährt. Diese nicht erforderlichen Kosten muss er dann auch selbst tragen. Andererseits entstehen dem Arbeitnehmer durch die Fahrt zur Sammelstelle dieselben Kosten wie zu einer entsprechend entfernten Baustelle außerhalb des Betriebes. Deshalb steht ihm nach dem Sinn der tariflichen Regelung für die Fahrt von seiner Wohnung zur Sammelstelle eine pauschale Fahrkostenabgeltung zu. Die Sammelstelle steht dann einer Baustelle im Sinne der tariflichen Bestimmungen in gleich (vgl. BAG, 9. März 1983, 4 AZR 312/80, AP TVG § 1 Tarifverträge Bau Nr. 48). Ein Fahrtkostenabgeltungsanspruch ist bei einer Fahrt zu einer Sammelstelle aber auch dann ausgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer dort bereits Arbeitsanweisungen erhält, vorbereitende Arbeiten ausführt (z. B. Fahrzeuge mit Werkzeugen und Material bestücken) und die Arbeitszeit ab diesem Zeitpunkt gerechnet und vergütet wird. Dann handelt es sich bei der Sammelstelle um die erste Arbeitsstelle im tariflichen Sinne, wo die Arbeitszeit gemäß § 3 Nr. 4 BRTV-Bau beginnt und endet. Fahrten zu weiteren Arbeitsstellen begründen keinen Fahrtkostenabgeltungsanspruch (vgl. BAG, 18. Januar 1984, 4 AZR 261/82, [...], Rn. 14 f). An diesem Ergebnis ändert sich auch dann nichts, wenn man annimmt, dass auch der Betrieb als Sammelstelle für die Arbeitnehmer dienen kann, so dass Fahrtkostenabgeltung für die Fahrt zwischen Wohnung und Betrieb als Sammelstelle in Betracht kommen kann. Sammelstelle kann der Betrieb nur sein, wenn von dort aus lediglich den betreffenden Arbeitnehmern eine kostenlose Beförderung zu den einzelnen Baustellen angeboten wird. Werden im Betrieb jedoch auch Arbeitsanweisungen erteilt, dann ist der Betrieb nicht nur Sammel-, sondern auch Arbeitsstelle (vgl. BAG, 18. Januar 1984, a.a.O.).
3. Im vorliegenden Fall ist der Betrieb der Beklagten eine Sammelstelle. Wenn die Arbeitnehmer morgens zum Betriebssitz kommen, steigen diese in die Fahrzeuge, die für diesen Transportzweck schon seit Jahren nach Vortrag der Beklagten zur Verfügung stehen, ein und fahren los. Die Arbeitszeit beginnt erst und endet schon auf der Baustelle. Arbeitsanweisungen oder weitere vorbereitende Arbeiten werden vor Fahrtantritt im Betrieb nicht durchgeführt. Nach Sinn und Zweck der tariflichen Regelung steht damit dem Kläger für die Fahrt zum Betriebssitz als Sammelstelle eine Fahrtkostenabgeltung zu, wenn diese mindestens zehn Kilometer von seiner Wohnung entfernt ist. Der Kläger wohnt 30 Kilometer vom Betriebssitz der Beklagten in I entfernt. Zwar ist der Kläger von seinem Wohnort aus nicht zum Betriebssitz der Beklagten gefahren, sondern direkt zur Baustelle. Dies lag jedoch darin begründet, dass die Entfernung zur Baustelle deutlich geringer war, diese jedoch weiterhin mehr als zehn Kilometer von seiner Wohnung entfernt waren. Ist aber die Entfernung zur Sammelstelle am Betriebssitz größer als die Entfernung zwischen Wohnung und Baustelle, auf der der Arbeitnehmer eingesetzt wird, kann er für diese Fahrt mit seinem Privatfahrzeug die Fahrtkostenabgeltung nach § 7 Nr. 3.1 BRTV-Bau in Anspruch nehmen, ohne dass dieser durch das Angebot der kostenlosen Beförderungsmöglichkeit vom Betriebssitz bzw. der Sammelstelle aus deswegen ausgeschlossen ist. Denn durch die Direktfahrt zur Arbeitsstelle erspart der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber zusätzliche Kosten, die wegen der weiteren Entfernung zur Sammelstelle ansonsten für die Fahrtkostenabgeltung anfallen würden. Es ist nicht ersichtlich, dass auch für diesen Fall die Tarifvertragsparteien eine Kostenerstattung nach § 7 Nr. 3.1 BRTV-Bau durch die kostenlose Beförderungsmöglichkeit ausschließen wollten.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtfrage, ob in einem Fall wie dem vorliegenden ein Anspruch auf Fahrtkostenabgeltung nach § 7 Nr. 3.1 BRTV-Bau besteht, gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.