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  • · Fachbeitrag · Fahrtkosten

    So kann der unpfändbare Betrag wegen Fahrtkosten geändert werden

    von RA Jan Dorell, FA Erb- und Insolvenzrecht, Stockach

    | Mit Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer natürlichen Person nimmt der Schuldner regelmäßig eine Abtretung seiner pfändbaren Bezüge an den vom Gericht zu bestimmenden Treuhänder vor (§ 287 Abs. 2 InsO). Nach § 850 Abs. 1 ZPO errechnet sich das abzuführende (pfändbare) Arbeitseinkommen auf Grundlage der Pfändungsgrenzen des § 850c ZPO. § 850f ZPO räumt dem Schuldner die Möglichkeit ein, den pfändbaren Betrag zu ändern. Eine häufig gestellte Frage in diesem Zusammenhang: Können Fahrtkosten den pfändungsfreien Betrag erhöhen? Der folgende Beitrag gibt Antwort. |

    1. Ausgangsfall

    Über das Vermögen des Schuldners wurde das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet. Zwischenzeitlich wurde es aufgehoben und in das Restschuldbefreiungsverfahren übergeleitet. Aufgrund der Abtretung wird das pfändbare Arbeitseinkommen des Schuldners an den Treuhänder abgeführt. Der Schuldner macht nun geltend, dass ihm durch die weite Anfahrt (25 Kilometer) zur Arbeitsstätte zusätzliche Kosten entstehen. An 15 Tagen im Monat fahre er zur Arbeit. Diese außergewöhnlichen Belastungen rechtfertigen aus seiner Sicht, den Pfändungsfreibetrag nach § 850f Abs. 1 ZPO anzuheben. Zu Recht?

    2. Lösung

    Betriebskosten eines Kfz können den pfändungsfreien Betrag erhöhen, wenn der Pkw benötigt wird, um die Arbeitsstelle zu erreichen, also berufliche Gründe bestehen. § 850 f Abs. 1 ZPO soll Härtefälle abfedern und dem Schuldner die Möglichkeit geben, beim Vollstreckungsgericht zu beantragen, dass ihm ein Teil des nach §§ 850c, 850d und 850i ZPO pfändbaren Teils seines Arbeitseinkommens belassen wird. Im eröffneten Insolvenzverfahren ist der Antrag beim Insolvenzgericht zu stellen.

     

    MERKE | Fahrten zum Arbeitsplatz können besondere berufliche Gründe darstellen, die zu einer Belastung des Schuldners führen. Berücksichtigungsfähig sind sie aber nur, wenn sie bei den meisten Menschen in vergleichbarer Lage nicht auftreten (LG Mühlhausen 3.6.16, 1 T 37/16).

     

    Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass nicht schlechterdings alle Fahrtkosten zur Arbeitsstelle eine außergewöhnliche Belastung darstellen. Zu begründen ist dies damit, dass ein Großteil der Berufstätigen täglich zwischen Wohn- und Arbeitsort pendelt. Laut Untersuchungen des Statistischen Bundesamts liegt in Ballungsräumen die Quote derer, die im Nahbereich ihrer Wohnung arbeiten, nur bei gerundet 30 Prozent. Ca. 70 Prozent der Berufstätigen müssen also täglich Strecken über den Nahbereich hinaus zurücklegen, um an den jeweiligen Arbeitsplatz zu gelangen.

     

    Auf Grundlage dieser Erkenntnisse sind Fahrtkosten erst ab einer gewissen Grenze als außergewöhnliche Belastung anzusehen. Bei Bemessung dieser Grenze ist die Rechtsprechung jedoch uneinheitlich:

     

    • So sieht z. B. das LG Stuttgart Fahrtkosten zur Arbeitsstelle erst ab einer Entfernung von über 30 km als außergewöhnliche Belastung des berufstätigen Arbeitnehmers an. Denn für den Großteil der Arbeitnehmer fallen regelmäßig Fahrtkosten zur Arbeitsstelle mit Strecken von 30 km und mehr an, sodass diese Kosten heute als gewöhnliche Belastung eines erwerbstätigen Arbeitnehmers anzusehen sind (2.7.18, 19 T 167/17).

     

    • Teilweise wird aber auch schon ab einer Entfernung von 20 km zwischen Wohnort und Arbeitsstelle von einer außergewöhnlichen Belastung ausgegangen (AG Konstanz 9.11.17, Ü 42 IK 38/17).

     

    Beachten Sie | Der Annahme einer Grenze, gleich ob nun 20 oder 30 km, steht auch nicht entgegen, dass im Rahmen der Bestimmung des auf Arbeitslosengeld II anrechenbaren Einkommens nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 b ALG-II-V die Fahrtkosten für die gesamte Fahrtstrecke zur Arbeit berücksichtigungsfähig sind. Eine Übertragung des dortigen Rechtsgedankens ist vorliegend nicht möglich, da der Ausgangspunkt der Regelung ein anderer ist. Im Rahmen der Bestimmung des pfändungsfreien Teils des Arbeitseinkommens in § 850c ZPO sind bereits die üblicherweise anfallenden Ausgaben im Rahmen einer Berufstätigkeit berücksichtigt. Hierunter fallen auch Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Diese Berücksichtigung ist beim wesentlich geringeren Arbeitslosengeld II, dessen Empfänger in der Regel nicht arbeiten, nicht der Fall, weshalb auch der Gedanke des § 6 Abs. 1 Nr. 3 b ALG-II-V nicht ohne Weiteres übertragen werden kann (LG Stuttgart, a. a. O.).

     

    Weiter ist zu prüfen, welcher Satz pro Kilometer in Ansatz gebracht werden kann. Da nur die beruflichen Aufwendungen berücksichtigt werden können und Kosten für Anschaffung, Steuer und Versicherung ohnehin anfallen, ist ein Betrag von 0,20 EUR/km berücksichtigungsfähig (AG Konstanz, a. a. O.).

     

    Für den Ausgangsfall bedeutet dies:

     

    • Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des AG Konstanz (a. a. O.) kann der Schuldner eine Anhebung des monatlich unpfändbaren Betrags um 30 EUR erreichen (10 km/Tag × 0,20 EUR = 2 EUR/Tag × 15 Arbeitstage).

     

    • Nach der Rechtsprechung des LG Stuttgart (a. a. O.) wird sein Antrag erfolglos sein.
    Quelle: Ausgabe 03 / 2021 | Seite 55 | ID 47383803