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  • 23.05.2023 · IWW-Abrufnummer 235473

    Oberlandesgericht Dresden: Beschluss vom 01.08.2022 – 4 U 319/22

    1. Richtet sich die Klage gegen die Verurteilung zur Auskunft über zurückliegende Prämienanpassungen in der privaten Krankenversicherung, ist für die Frage, ob die Berufungssumme erreicht ist, auf den mit der Auskunftserteilung verbundenen Aufwand des Versicherers abzustellen.

    2. Auf ein dieses wirtschaftliche Interesse erhöhendes Geheimhaltungsinteresse kann sich ein Krankenversicherer hinsichtlich dieser Angaben nicht berufen.

    3. Aus dem Umstand, dass das Ausgangsgericht trotz der Verurteilung des Versicherer4s zur Auskunft die Kosten des Rechtsstreits dem Versicherungsnehmer auferlegt hat, kann regelmäßig geschlossen werden, dass es die aus der Auskunftsverurteilung resultierende Beschwer als geringfügig angesehen und bewusst vor der Zulassung der Berufung abgesehen hat. Einer Entscheidung über die Zulassung der Berufung durch das Berufungsgericht bedarf es dann nicht.


    Oberlandesgericht Dresden

    Beschluss vom 01.08.2022


    In dem Rechtsstreit
    K... B..., ...
    - Klägerin und Berufungsbeklagte -
    Prozessbevollmächtigte:
    G... Rechtsanwälte ..., ...
    gegen
    ... Krankenversicherung AG, ...
    vertreten durch d. Vorstand
    - Beklagte und Berufungsklägerin -
    Prozessbevollmächtigte:
    Rechtsanwälte R...

    wegen Feststellung, Forderung und Auskunft

    hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden durch
    Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht S......,
    Richterin am Oberlandesgericht Z...... und
    Richterin am Oberlandesgericht P......

    ohne mündliche Verhandlung am 01.08.2022 beschlossen:

    Tenor:

    1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig, Aktenzeichen 03 O 1741/21, vom 27.01.2022 wird als unzulässig verworfen.
    2. Die Beklagte hat die Kosten des zweiten Rechtszuges zu tragen.
    3. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 200,00 EUR festgesetzt.

    Gründe

    I.

    Die Klägerin wendet sich gegen in den Jahren 2013 bis 2021 erfolgte Beitragsanpassungen ihrer bei der Beklagten geführten privaten Krankenversicherung. Sie begehrt die Feststellung der Unwirksamkeit von Prämienneufestsetzungen in den Jahren 2013 bis 2015, Rückzahlung von Prämienanteilen nebst Herausgabe von verzinslichen Nutzungsersatz sowie Auskunft über die jeweilige Höhe der auslösenden Faktoren für die Neukalkulation für Beitragsanpassungen in den Jahren 2013 bis 2021.

    Der Einzelrichter beim Landgericht hat die Beklagte zur Auskunftserteilung hinsichtlich der zum 01.01.2021 erfolgten Prämienanpassung unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt. Die Beklagte trägt zur Begründung ihrer hiergegen gerichteten Berufung vor, die Auskunftsklage sei mangels Rechtsschutzinteresses bereits unzulässig, da die Kenntnis der Höhe der auslösenden Faktoren einem VN auch im Hinblick auf § 8b MB/KK keinen Erkenntnisgewinn bezüglich der Wirksamkeit der Beitragsanpassungen verschaffen würde. Sie sei auch unbegründet, da ein Zahlungsanspruch aufgrund der Auskunft nicht möglich, die Auskunft daher nicht erforderlich und unter Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht geboten sei.

    Die Beklagte beantragt,

    unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Leipzig vom 27.01.2022, Az 3 O 1741/21, die Klage abzuweisen.

    Die Klägerin beantragt,

    die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

    Sie verteidigt das Urteil des Landgerichts.

    Mit Verfügung vom 07.07.2022 hat der Vorsitzende des Senats darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, die Berufung der Beklagten zu verwerfen, da - ausgehend von dem Abwehrinteresse der Beklagten - der Streitwert für das Berufungsverfahren auf 200,- € festzusetzen sei und daher nicht die gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erforderliche Beschwer von mehr als 600,- € erreichen würde. Die Beklagte hat in ihrer Stellungnahme mit Schriftsatz vom 12.07.2022 ausgeführt, der Beschwerdewert sei zumindest in Höhe des aus den Beitragsanpassungen folgenden Rückforderungsanspruch zu bemessen. Das Berufungsgericht sei zudem verpflichtet, die vom Landgericht unterlassene Entscheidung über die Zulassung der Berufung nachzuholen, die im Streitfall zu gewähren sei, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe und überdies die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern würde.

    Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

    II.

    Die Berufung der Beklagten ist unzulässig. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 600,00 € nicht (§ 511 Abs. 2 Ziffer 1 ZPO).

    1. Der Wert der Beschwer für die im Berufungsverfahren anhängige Auskunftserteilung ist auf 200,- € festzusetzen. Der Wert des Beschwerdegegenstandes richtet sich nach dem Interesse der Beklagten, ihre erstinstanzliche Verurteilung zu beseitigen. Das Interesse der Klägerin an einer Aufrechterhaltung der Entscheidung des Landgerichts spielt für den Wert keine Rolle (vgl. Zöller/Heßler, Zivilprozessordnung, 34. Auflage 2022, § 511 ZPO Rn. 20). Entgegen der Ansicht der Berufung ist daher die Höhe der von Klägerseite nach Erteilung der begehrten Auskunft beabsichtigte Beitragsrückforderung für die Streitwertbemessung ohne Belang.

    Werden Auskunftsansprüche geltend gemacht, fallen der Streitwert und die Beschwer des zur Auskunft Verurteilten in aller Regel auseinander. Der Streitwert richtet sich nach dem Interesse des Klägers an der Erteilung der Auskunft. Dieses ist nach einem gemäß § 3 ZPO zu schätzenden Teilwert des Anspruchs zu bemessen, dessen Durchsetzung die verlangte Information dienen soll (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2011 - III ZR 338/09, NJW 2011, 926 [juris Rn. 17] mwN; Beschluss vom 13. Juli 2017 - I ZB 94/16, juris Rn. 26). Demgegenüber richtet sich der Beschwerdewert für das Rechtsmittel der zur Auskunftserteilung verurteilten Partei nach ihrem Interesse, die Auskunft nicht erteilen zu müssen. Dabei ist im Wesentlichen darauf abzustellen, welchen Aufwand an Zeit und Kosten die Erteilung der Auskunft erfordert und ob die verurteilte Partei ein schützenswertes Interesse daran hat, bestimmte Tatsachen vor dem Gegner geheim zu halten (st. Rspr.; vgl. BGH, NJW 2011, 926 - juris Rn. 9; Beschluss vom 1. März 2018 - I ZB 97/17, juris Rn. 6; Beschluss vom 7. April 2022 - I ZR 73/21, juris Rn. 14, Beschluss vom 19. Mai 2022 - I ZR 114/21 -, Rn. 13, juris, jeweils mwN).

    Darlegungen der Beklagten dazu, welcher Zeit- und Kostenaufwand für sie mit der Einsichtsgewährung verbunden ist, fehlen völlig. Eine Erhöhung der Beschwer ist auch nicht im Hinblick auf das Geheimhaltungsinteresse der Beklagten geboten. Soll im Einzelfall ein Geheimhaltungsinteresse der zur Auskunft verurteilten Partei für die Bemessung des Rechtsmittelinteresses erheblich sein, muss diese darlegen und erforderlichenfalls glaubhaft machen, dass ihr durch die Erteilung der Auskunft ein konkreter wirtschaftlicher Nachteil droht (BGH, Beschluss vom 15. Juni 2011 - II ZB 20/10, NJW 2011, 2974 Rn. 8 mwN). Dies kommt etwa in Betracht, wenn in der Person des Auskunftsbegehrenden die Gefahr begründet ist, dieser werde von den ihm offenbarten Tatsachen über den Rechtsstreit hinaus in einer Weise Gebrauch machen, die schützenswerte wirtschaftliche Interessen des zur Auskunft Verpflichteten gefährden könnten (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2010 - III ZB 28/10, juris Rn. 9; Beschluss vom 15. Juni 2011 - II ZB 20/10, NJW 2011, 2974 Rn. 8; Beschluss vom 10. Dezember 2020 - I ZB 23/20, juris Rn. 6). Hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Geheimhaltungsinteresses werden von der Beklagten im Berufungsverfahren nicht vorgetragen und sind auch sonst wie nicht ersichtlich. Der Sachvortrag der Beklagten beschränkt sich vielmehr darauf, ein solches zu behaupten, ohne indes näher darzulegen, welche schützenswerten Geschäftsinteressen der Beklagten durch die Mitteilung der auslösenden Faktoren für die konkrete Beitragsanpassung im Jahr 2021 in einem einzelnen Tarif und bezogen auf einen Versicherungsnehmer betroffen sein sollen. Die von der Berufung zur Begründung herangezogene Entscheidung des KG Berlin vom 10.11.2020, 6 W 1029/20 bezieht sich auf einen gänzlich anderen Sachverhalt. Insbesondere erschließt sich nicht, dass mit der Angabe von einzelnen Auslösenden Faktoren ohne Kenntnis der detaillierten Rechnungsgrundlagen Rückschlüsse auf die Prämienberechnung, das Inanspruchnahmeverhalten der Versichertengruppen und auf die Tragfähigkeit früherer Prognosen ermöglicht, oder dadurch ein Überblick über die Zusammensetzung des Versichertenkollektivs nach allen Tarifen der Beklagten und über den Schadenverlauf innerhalb der Tarife der Beklagten gewährt werden würde, der Rückschlüsse auf das Inanspruchnahmeverhalten der Versichertengruppen und auf die Tragfähigkeit früherer Prognosen zuließe. Erst recht ist der Informationsgehalt der Auskunft für die Klägerin letztlich ohne Relevanz, zumal dies die Beklagte selbst als Begründung des Klageabweisungsbegehrens vorträgt. Es fehlt daher an der Darlegung, inwieweit die Klägerin nach Erteilung der begehrten Auskunft schützenswerte geschäftliche Interessen der Beklagten zu gefährden in der Lage sein soll (vgl. auch BGH, Beschluss vom 8. Juni 2021 - II ZR 166/20 -, Rn. 13, juris).

    2. Die Beklagte kann die Zulässigkeit ihrer Berufung auch nicht auf § 511 Abs. 2 Ziffer 2 ZPO (Zulassung der Berufung durch das Gericht des ersten Rechtszuges) stützen.

    a) Die Entscheidung des Landgerichts enthält weder im Tenor noch in den Entscheidungsgründen eine Zulassung der Berufung.

    b) Auch die Voraussetzungen für eine nachträgliche Zulassung der Berufung durch den Senat liegen nicht vor. Denn aus den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils ergibt sich eine konkludente Nichtzulassungsentscheidung.

    Die Entscheidung über die Zulassung der Berufung ist, wie sich aus § 511 Abs. 4 Satz 1 ZPO ergibt, grundsätzlich dem Gericht des ersten Rechtszugs vorbehalten. Hat - wie im Streitfall - keine Partei die Zulassung beantragt, ist eine ausdrückliche Entscheidung entbehrlich; das Schweigen im Urteil bedeutet zumindest in diesem Fall Nichtzulassung (BGH, Urteil vom 10. Februar 2011 - III ZR 338/09, NJW 2011, 926 Rn. 15). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss allerdings das Berufungsgericht die Entscheidung über die Zulassung der Berufung nachholen, wenn das erstinstanzliche Gericht hierzu keine Veranlassung gesehen hat, weil es den Streitwert auf über 600,- € festgesetzt hat und deswegen von einem entsprechenden Wert der Beschwer der unterlegenen Partei ausgegangen ist, aber das Gericht des zweiten Rechtszugs diesen Wert nicht für erreicht hält (s. nur BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2010 - VI ZB 74/08, NJW 2011, 615 Rn. 12; Beschluss vom 23. März 2011 - XII ZB 436/10, juris Rn. 14, jeweils m.w.N.). In dieser Fallgestaltung kann dem Schweigen des erstinstanzlichen Urteils über die Zulassung des Rechtsmittels nicht entnommen werden, das Gericht habe die Berufung nicht zugelassen, denn es konnte davon ausgehen, diese sei bereits gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO statthaft und somit eine Entscheidung über die Zulassung der Berufung entbehrlich ist. Hieran fehlt es vorliegend. Zwar hat der Einzelrichter am Landgericht den Streitwert auf insgesamt 10.331,27 € festgesetzt und dabei für das Auskunftsbegehren einen in Höhe des Regelstreitwertes analog § 52 Abs. 2 GKG zu bemessenden Betrag i.H.v. 5.000,- € angenommen. Allerdings versagt diese Festsetzung als Anknüpfungspunkt für die Annahme, das erstinstanzliche Gericht sei deswegen von einer entsprechenden Beschwer der Beklagten und mithin vom Vorliegen der Voraussetzung des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ausgegangen. Denn der Streitwert einer Auskunftsklage und die Beschwer des zur Auskunft verurteilten Beklagten fallen in aller Regel so erheblich auseinander, dass der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung nichts zur Bemessung der Beschwer des Beklagten entnommen werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2011 - III ZR 338/09, NJW 2011, 926 Rn. 17; Beschluss vom 26. Oktober 2011 - XII ZB 465/11, NJW 2011, 3790 Rn. 11; Urteil vom 7. März 2012 - IV ZR 277/10, NJW-RR 2012, 633 Rn. 15; BGH, Beschluss vom 25. November 2021 - V ZB 97/20 -, Rn. 9 - 11, juris). Dies gilt erst Recht, wenn anhand der getroffenen prozessualen Nebenentscheidung des Erstgerichts und der ihr zugrundeliegenden Bestimmungen entnommen werden kann, dass das Erstgericht die Voraussetzungen der Berufungszulassung als nicht erfüllt angesehen hat (vgl. BGH a.a.O und Beschluss vom 21. April 2010 - XII ZB 128/09 -, juris). Einen hinreichend sicheren Schluss darauf, dass das Landgericht von der Rechtsmittelfähigkeit seiner Entscheidung ausgegangen ist, lässt auch die von ihm getroffene Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit nach § 709 ZPO nicht zu (BGH, a.a.O., Beschluss vom 25. November 2021 - V ZB 97/20 -, Rn. 9, juris). Denn das Landgericht hat ausweislich der Urteilsgründe unter Ziff. 9 den Aufwand der Beklagten für die ausgeurteilte Auskunftserteilung mit 500,- € geschätzt, so dass auch aus diesem Grund nicht davon ausgegangen werden kann, dass das Landgericht hinsichtlich der Verurteilung zur Auskunft von einer erheblichen Beschwer der Beklagten ausgegangen sei und nur deshalb von der Zulassung der Berufung abgesehen habe. Hiermit korrespondiert der Umstand, dass das Landgericht der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits insgesamt auferlegt hat, da ihr Obsiegen verhältnismäßig geringfügig gewesen sei und keine besonderen Kosten verursacht habe (§ 92 ZPO). Schließlich spricht auch die Tatsache, dass der Einzelrichter den Rechtsstreit entschieden und ihn nicht nach § 348 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO der Zivilkammer zur Entscheidung über eine Übernahme vorgelegt hat, was bei einer grundsätzlichen Bedeutung notwendig gewesen wäre, für eine (konkludente) Entscheidung über die (Nicht-)Zulassung der Berufung nach § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juni 2011 - II ZB 20/10 -, Rn. 13, m.w.N. - juris). Der Einzelrichter hat zudem im Urteil hervorgehoben, dass die Entscheidung den in der Literatur (Franz, VersR 2020, 449ff) und in den Entscheidungen des OLG Stuttgart, Beschluss vom 06.06.2019, Az 7 U 237/18 und des OLG Köln, Urteil vom 28.01.2020, Az 9 U 138/19 angeführten grundsätzlichen Erwägungen entspreche, neue rechtliche Erwägungen sind aus den Entscheidungsgründen nicht ersichtlich. Aus der Perspektive des Landgerichts gab es daher keine neue grundsätzliche Bedeutung, die eine Zulassung gemäß § 511 Abs. 4 Ziffer 1 ZPO hätte rechtfertigen können.

    III.

    Die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, 3 ZPO.

    RechtsgebietZPOVorschriften§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, § 3 ZPO