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  • 08.09.2021 · IWW-Abrufnummer 224564

    Oberlandesgericht Karlsruhe: Urteil vom 06.05.2021 – 9 U 30/18

    1. Eine unzutreffende (zu hohe) Rentenauskunft einer Zusatzversorgungskasse des öffentlichen Dienstes begründet keinen Erfüllungsanspruch des Versicherungsnehmers. Die Rentenauskunft ist weder ein Verwaltungsakt mit Bindungswirkung noch eine zivilrechtliche Willenserklärung im Sinne eines Anerkenntnisses.

    2. Eine unzutreffende Rentenauskunft einer Zusatzversorgungskasse ist eine Pflichtverletzung im Sinne von § 280 Abs. 1 BGB. Sie kann einen Schadensersatzanspruch des Versicherungsnehmers auslösen, wenn die Auskunft ursächlich für eine wirtschaftlich nachteilige Entscheidung des Versicherungsnehmers ist, beispielsweise wenn sich der Versicherungsnehmer auf Grund der fehlerhaften Auskunft für ein Altersteilzeitmodell oder für eine vorgezogene Altersrente ab 63 entscheidet.

    3. Für einen Schadensersatzanspruch nach einer fehlerhaften Rentenauskunft kommt es darauf an, wie sich der Versicherungsnehmer bei einer zutreffenden Auskunft verhalten hätte. Die Darlegungs- und Beweislast für seine fiktive Entscheidung bei korrekter Auskunft obliegt dem Versicherungsnehmer, jedoch mit der Beweiserleichterung gemäß § 287 ZPO (überwiegende Wahrscheinlichkeit).


    Oberlandesgericht Karlsruhe

    Urteil vom 06.05.2021


    In dem Rechtsstreit

    - Kläger und Berufungskläger -
    Prozessbevollmächtigte:
    gegen
    1)
    - Beklagte und Berufungsbeklagte -
    Prozessbevollmächtigte:
    2)
    - Beklagte und Berufungsbeklagte -
    Prozessbevollmächtigte:

    wegen Forderung

    hat das Oberlandesgericht Karlsruhe - 9. Zivilsenat - durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Dr. xxx, den Richter am Landgericht xxx und den Richter am Oberlandesgericht xxx im schriftlichen Verfahren nach Schriftsatzfrist bis zum 08.04.2021 für Recht erkannt:

    Tenor:

    1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Offenburg vom 18.05.2018 - 2 O 167/17 - wird zurückgewiesen.
    2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
    3. Das Urteil des Senats und das Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung.
    4. Die Revision wird nicht zugelassen.

    Gründe

    I.

    Der Kläger macht gegen die Beklagten Erfüllungs- und Schadensersatzansprüche aus einer Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes geltend.

    Der am 22.07.1953 geborene Kläger war im öffentlichen Dienst tätig, und zwar zuletzt beim Evangelischen Kirchenbezirk X.. Am 26.11.2009 schloss der Kläger mit seinem Arbeitgeber einen Änderungsarbeitsvertrag ab, mit welchem eine Altersteilzeit im Blockmodell vereinbart wurde. Das bedeutete, dass der Kläger vom 01.12.2009 bis zum 31.03.2013 während der Arbeitsphase weiterhin in Vollzeit tätig war; in der Zeit vom 01.04.2013 bis zum 31.07.2016 schloss sich die Freistellungsphase an. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Vertrag (Anlage K 40) verwiesen. Während des Arbeitsverhältnisses führte der Arbeitgeber des Klägers Beiträge an die Beklagte Ziffer 1 (Kirchliche Zusatzversorgungskasse Y.) ab. Diese wurde im Juli 2016 aufgelöst. Mit einem Bestandsübertragungsvertrag übernahm die Beklagte Ziffer 2 (Evangelische Zusatzversorgungskasse in Z.) die Rechte und Pflichten der Beklagten Ziffer 1 gegenüber den versicherten Personen.

    Vor seiner Entscheidung für die Altersteilzeit hatte sich der Kläger darüber informiert, welche Renten er aus der gesetzlichen Rentenversicherung einerseits und aus der Zusatzversorgung andererseits zu erwarten hatte. Dem Kläger lagen bei seiner Entscheidung schriftliche Auskünfte der Beklagten Ziffer 1 über seine Versorgungsanwartschaften vom 16.07.2008 (Anlage K 13) und vom 16.11.2009 (Anlage K 14) vor. Diese beiden Auskünfte waren unstreitig fehlerhaft. Die Beklagte Ziffer 1 hatte bei ihren Auskünften eine sogenannte Startgutschrift in Höhe von 69,77 Versorgungspunkten, mit welcher Versicherungszeiten für die Zeit vor 2002 berücksichtigt wurden, versehentlich doppelt berücksichtigt. Dem Kläger war mithin eine zu hohe Rentenanwartschaft mitgeteilt worden; bei richtiger Berechnung hätte die angegebene Rentenanwartschaft niedriger ausfallen müssen. Nach Vollendung des 63. Lebensjahres bezog der Kläger ab dem 01.08.2016 eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und außerdem eine Zusatzrente, die von der Beklagten Ziffer 2 gezahlt wurde. Die Zusatzrente betrug 632,33 € monatlich brutto, beziehungsweise - nach Abzug von Beiträgen für Krankenversicherung und Pflegeversicherung - 516,30 € monatlich netto (vgl. das Schreiben der Beklagten Ziffer 2 vom 03.02.2017, Anlage K 36). Bei der Berechnung dieser Rente hatte die Beklagte Ziffer 2 den Fehler der Beklagten Ziffer 1 in den Auskünften vom 16.07.2008 und vom 16.11.2009 korrigiert, so dass die sogenannte Startgutschrift nur einmal berücksichtigt wurde.

    Der Kläger hat geltend gemacht, er habe sich nur aufgrund der unzutreffenden Auskünfte der Beklagten Ziffer 1 zur Inanspruchnahme der Altersteilzeit entschlossen. Denn aufgrund dieser Auskünfte sei er davon ausgegangen, dass er mit Vollendung des 63. Lebensjahres unter Berücksichtigung der gesetzlichen Rente einerseits und der Zusatzversorgung andererseits eine auskömmliche Altersversorgung habe. Wenn er gewusst hätte, dass die bis Beginn der Altersteilzeit erwirtschafteten Ansprüche aus der Zusatzversorgung deutlich geringer waren, dann hätte er sich nicht für die Altersteilzeit entschieden, sondern hätte bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres im Juli 2016 in Vollzeit weitergearbeitet. Denn auf diese Weise hätte er entsprechend höhere Renten in der gesetzlichen Rentenversicherung und Zusatzversorgung erwirtschaften können, die ihm durch das Altersteilzeitmodell entgangen seien.

    Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die fehlerhaften Auskünfte der Beklagten Ziffer 1 in den Jahren 2008 und 2009 seien rechtlich ihm gegenüber verbindlich. Die Beklagten seien daher gesamtschuldnerisch verpflichtet, ihm ab dem 01.08.2016 eine monatliche Rente zu zahlen, die sich aus einer Hochrechnung aufgrund der fehlerhaften Auskünfte ergebe. Diese Rente hat der Kläger mit 830,86 € beziffert. Außerdem seien die Beklagten verpflichtet, ihm weitere Schäden zu ersetzen, die ihm durch die Inanspruchnahme der Altersteilzeit auf Grund der fehlerhaften Auskünfte der Beklagten Ziffer 1 entstanden seien. Im Übrigen hat der Kläger die Feststellung begehrt, dass die Beklagten zu einer Neuberechnung der Rente zu einem späteren Zeitpunkt verpflichtet seien - unabhängig von der Problematik der fehlerhaften Auskünfte -, da der Bundesgerichtshof in anderen Verfahren die Rechtswidrigkeit bestimmter Satzungsbestimmungen der Beklagten Ziffer 2 zur Rentenberechnung festgestellt habe. Die Neuberechnung müsse erfolgen, sobald die Beklagte Ziffer 2 ihre Satzung der Rechtslage entsprechend angepasst habe.

    Die Beklagten sind der Klage mit verschiedenen Einwendungen entgegengetreten. Insbesondere könne der Kläger aus den fehlerhaften Auskünften keine Erfüllungsansprüche herleiten. Die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch seien nicht gegeben.

    Mit Urteil vom 18.05.2018 hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Die Beklagte Ziffer 1 sei nicht passivlegitimiert, nachdem die Beklagte Ziffer 2 die Rechte und Pflichten der Beklagten Ziffer 1 durch die Bestandsübertragung im Jahr 2016 übernommen habe. Aus Rechtsgründen könne der Kläger auf die fehlerhaften Auskünfte in den Jahren 2008 und 2009 keine Erfüllungsansprüche gegen die Beklagte Ziffer 2 stützen. Die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch seien nicht gegeben. Denn es sei nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit festzustellen, dass die Fehler in den Auskünften ursächlich für die Entscheidung des Klägers zur Altersteilzeit gewesen seien. Vielmehr habe sich aus der Anhörung des Klägers durch die Kammer des Landgerichts ergeben, dass für ihn damals persönliche Gründe im Vordergrund gestanden hätten. Daher sei anzunehmen, dass er sich auch dann für die Altersteilzeit entschieden hätte, wenn er vor seiner Entscheidung von der geringeren Anwartschaft in der Zusatzversorgung Kenntnis gehabt hätte. Der Feststellungsantrag des Klägers sei unzulässig, da ein Feststellungsinteresse nicht gegeben sei.

    Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers. Er hält an seinen erstinstanzlichen Anträgen fest. Die Beklagte Ziffer 1 sei ebenso passivlegitimiert wie die Beklagte Ziffer 2, da die Bestandsübertragung aus Rechtsgründen die Mithaftung der Beklagten Ziffer 1 nicht beseitigt habe. Mit den fehlerhaften Auskünften der Beklagten Ziffer 1 in den Jahre 2008 und 2009 sei eine rechtliche Bindung im Verhältnis zum Kläger entstanden. Daher könne er einen Erfüllungsanspruch gegen die Beklagten auf diese Auskünfte stützen. Die Erwägungen des Landgerichts zum Schadensersatz seien fehlerhaft. Wenn er die Versorgungslücke ab dem Zeitpunkt des Bezugs der Rente im August 2016 vorher gekannt hätte, dann hätte er bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres in Vollzeit weitergearbeitet. Denn die vom Landgericht in den Vordergrund gestellten persönlichen Gründe für eine vorzeitige Beendigung seiner Arbeitstätigkeit seien keineswegs vordringlich gewesen. Entgegen der Auffassung des Landgerichts sei der Feststellungsantrag zulässig; denn der Kläger müsse berechtigt sein, eine nachträgliche Neuberechnung der Rente nach der zu erwartenden Satzungsänderung der Beklagten Ziffer 2 durch die begehrte Feststellung zu ermöglichen.

    In einer Verfügung vom 06.02.2020 hat die Senatsvorsitzende darauf hingewiesen, dass der Kläger bei einer Vollzeittätigkeit bis zum 31.07.2016 - anstelle der Altersteilzeit - wohl keine nennenswert höhere Altersversorgung erlangt hätte, weil die Rentenbeiträge auch während der Freistellungsphase sowohl für die gesetzliche Rente als auch für die Zusatzversorgung weitgehend weitergezahlt wurden; hingegen habe sich eine nicht unerhebliche Verminderung der Renten dadurch ergeben, dass der Kläger nicht bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze weitergearbeitet habe, sondern sich für eine vorgezogene Rente zum Ende 63. Lebensjahres entschieden habe. Der Kläger erklärt daraufhin ergänzend, bei korrekten Auskünften der Beklagten Ziffer 1 hätte er sich nicht nur gegen die Altersteilzeit entschieden, sondern er hätte außerdem bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (28.02.2019) in Vollzeit weiter gearbeitet. Diese Konsequenz ergebe sich im Übrigen bereits aus dem erstinstanzlichen klägerischen Vorbringen.

    Der Kläger beantragt:

    1.
    Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Offenburg vom 18.05.2018, Aktenzeichen 2 O 167/17 werden die Beklagten gesamtschuldnerisch dazu verurteilt, an den Kläger ab 01.08.2016 eine monatliche Rente (Pflichtversicherung und freiwillige Versicherung) in Höhe von 830,86 € zu bezahlen.

    2.
    Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Offenburg vom 18.05.2018, Aktenzeichen 2 O 167/17 wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, dem Kläger den durch die streitgegenständliche Falschberatung vor Antritt der Altersteilzeit entstandenen und zukünftig entstehenden Schaden zu ersetzen.

    3.
    Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Offenburg vom 18.05.2018, Aktenzeichen 2 O 167/17, wird festgestellt, dass die von den Beklagten vorgenommene Bestimmung der Rentenhöhe rechtswidrig ist und dass die Rentenhöhe nach einer abschließenden Satzungsregelung neu bestimmt werden muss.

    Die Beklagten beantragen,

    die Berufung zurückzuweisen.

    Die Beklagten verteidigen die Entscheidung des Landgerichts. Sie ergänzen und erläutern ihr erstinstanzliches Vorbringen.

    Nach verschiedenen Gerichtsentscheidungen wurde die Satzung der Beklagten Ziffer 2 im Jahr 2019 - während des anhängigen Rechtsstreits - geändert. Aufgrund dieser Satzungsänderung steht nunmehr unstreitig fest, dass dem Kläger für Versicherungszeiten vor 2002 eine sogenannte Startgutschrift in Höhe von 88,24 Versorgungspunkten zusteht. Die Rentenzahlungen an den Kläger erfolgten bereits seit 2016 unter Berücksichtigung dieser korrigierten Startgutschrift.

    Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

    II.

    Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

    1. Der Feststellungsantrag des Klägers (Antrag Ziffer 3) ist unzulässig. Es fehlt ein Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO. Zwischen den Parteien bestand zu keinem Zeitpunkt ein Dissens darüber, dass die an den Kläger zu zahlende Rente nach der zu erwartenden Satzungsänderung von der Beklagten Ziffer 2 neu zu berechnen war. Aus der Rentenmitteilung im Schreiben der Beklagten Ziffer 2 vom 03.02.2017 (Anlage K 36) ergab sich kein rechtliches Hindernis für diese Neuberechnung, welches einen Feststellungsantrag des Klägers hätte rechtfertigen können. Im Übrigen ist die Neuberechnung nach der Satzungsänderung während des Berufungsverfahrens von der Beklagten Ziffer 2 inzwischen vorgenommen worden. Einwendungen gegen die Berechnung der Beklagten Ziffer 2 hat der Kläger nicht erhoben.

    2. Der Kläger hat gegen die Beklagte Ziffer 1 weder einen Erfüllungsanspruch (Antrag Ziffer 1) noch einen Schadensersatzanspruch (Antrag Ziffer 2). Denn die Beklagte Ziffer 1 ist nicht passivlegitimiert. Durch die Bestandsübertragung im Jahr 2016 auf die Beklagte Ziffer 2 sind die Pflichten der Beklagten Ziffer 1 gegenüber dem Kläger gemäß § 2 Abs. 1 Hessisches Versicherungsaufsichts- und Kostenerstattungsgesetz i. V. m. § 13 Abs. 5 VAG auf die Beklagte Ziffer 2 übergegangen, so dass der Kläger Ansprüche aus dem Versicherungsverhältnis nur noch gegen diese und nicht mehr gegen die Beklagte Ziffer 1 geltend machen kann. "Rechte und Pflichten ... aus den Versicherungsverträgen" im Sinne von § 13 Abs. 5 VAG sind nicht nur Erfüllungsansprüche, sondern auch vertragliche Schadensersatzansprüche, welche der Kläger geltend macht.

    3. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte Ziffer 2 auf Zahlung einer Rente in Höhe von 830,86 € ab dem 01.08.2016. Die (fehlerhaften) Auskünfte der Beklagten Ziffer 1 in den Jahre 2008 und 2009 sind keine Rechtsgrundlage für einen solchen Anspruch.

    Bei den fehlerhaften Auskünften handelt es sich um "Versicherungsnachweise" im Sinne von § 51 der Versorgungsordnung der Beklagten Ziffer 1 (Anlage BK 1). Versicherungsnachweise im Sinne der Versorgungsordnung enthalten weder einen Verwaltungsakt mit Bindungswirkung, noch eine zivilrechtliche Willenserklärung im Sinne eines Anerkenntnisses. Vielmehr unterscheiden sich die Versicherungsnachweise in ihren rechtlichen Wirkungen nicht von schriftlichen Auskünften anderer Vertragspartner im Zivilrecht, wie beispielsweise bei den Auskünften einer Bank, oder bei den Auskünften einer privatrechtlich organisierten Versicherung. Aus der Versorgungsordnung der Beklagten Ziffer 1 ergibt sich entgegen der Auffassung des Klägers nichts für eine Verbindlichkeit einer (fehlerhaften) Auskunft. Die in § 51 Abs. 2 der Versorgungsordnung geregelte Ausschlussfrist von sechs Monaten für Beanstandungen von Beschäftigten bezieht sich nicht auf Berechnungsfehler der Zusatzversorgungskasse, sondern nur auf Beanstandungen gegenüber dem Arbeitgeber, wenn dieser Beiträge an die Zusatzversorgungskasse nicht abgeführt oder nicht vollständig gemeldet hat. (Vgl. zum rechtlichen Charakter der Auskünfte von Zusatzversorgungskassen OLG Karlsruhe - 12. Zivilsenat -, NJW 2005, 77 [OLG Karlsruhe 28.10.2004 - 12 U 199/04]; OLG Karlsruhe - 12. Zivilsenat -, OLGR 2005, 459.)

    4. Auch die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte Ziffer 2 liegen nicht vor. Denn der Senat kann nicht feststellen, dass die Beklagte Ziffer 1 durch die fehlerhaften Auskünfte in den Jahren 2008 und 2009 eine für seine Versorgungssituation ungünstige Entscheidung des Klägers verursacht hat.

    a) Sowohl in der gesetzlichen Rentenversicherung als auch im Bereich der Zusatzversorgungskassen spielen Auskünfte der Versorgungsträger für die Versicherungsnehmer eine wesentliche Rolle. Das gilt vor allem bei einem fortgeschrittenen Alter der Versicherungsnehmer. Denn jeder Versicherungsnehmer muss sich Gedanken machen, wie seine wirtschaftliche Zukunft nach dem Ende seines Arbeitslebens aussehen wird. Versorgungsauskünfte sind für Versicherungsnehmer eine wichtige Entscheidungsgrundlage, wenn es darum geht, ob ein Versicherungsnehmer ein Altersteilzeitmodell in Anspruch nimmt, oder ob er vorzeitig in den Ruhestand geht, um vorzeitig eine Rente zu beziehen. Daraus folgt die Verpflichtung der Versorgungsträger, Auskünfte sorgfältig und zutreffend zu erteilen. In der Rechtsprechung ist - sowohl im Bereich der Zusatzversorgungskassen als auch in der gesetzlichen Rentenversicherung - anerkannt, dass ein Versorgungsträger zum Schadensersatz verpflichtet sein kann, wenn ein Versicherter aufgrund einer fehlerhaften Auskunft eine für ihn wirtschaftlich nachteilige Entscheidung trifft (vgl. BGH, NJW 2003, 3049; OLG Karlsruhe - 12. Zivilsenat -, NJW 2005, 77 [OLG Karlsruhe 28.10.2004 - 12 U 199/04]). Im Bereich der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes beruht diese Schadensersatzpflicht auf § 280 Abs. 1 BGB (vgl. BGH, RuS 2016, 552). Bei der Frage der Kausalität kommen dem Versicherten in diesem Zusammenhang die Beweiserleichterungen gemäß § 287 ZPO zugute (vgl. BGH, NJW 2003, 3049).

    b) Die Beklagte Ziffer 1 hat bei den Auskünften vom 16.07.2008 und vom 16.11.2009 Pflichten gegenüber dem Kläger verletzt, für welche die Beklagte Ziffer 2 aufgrund der Bestandsübertragung zwar dem Grunde nach einstandspflichtig ist; es ist jedoch kein ersatzpflichtiger Schaden entstanden.

    aa) Die sogenannte Startgutschrift für Versicherungszeiten vor 2002 in Höhe von 69,77 Versorgungspunkten war in den Auskünften versehentlich doppelt berücksichtigt. Nach den Bestimmungen der Beklagten Ziffer 1 errechnet sich die Versorgungsanwartschaft durch eine Multiplikation der Versorgungspunkte mit dem Faktor vier. Die angegebenen Versorgungsanwartschaften in den beiden Auskünften waren mithin - auf der Grundlage der damals geltenden Rechtslage - jeweils um 279,08 € monatlich zu hoch. Eine Berücksichtigung des Abschlags wegen vorzeitiger Inanspruchnahme der Rente in Höhe von 9,3 % reduziert diesen Betrag auf 253,13 € monatliche Bruttorente. Nach Abzug von 18,3 % für Krankenversicherung und Pflegeversicherung hätte der Kläger mit einer um 206,90 € monatlich höheren Nettorente rechnen können, wenn die Auskünfte in den Jahren 2008 und 2009 zutreffend gewesen wären. (Dass die Startgutschrift nach einer Satzungsänderung der Beklagten Ziffer 2 später auf 88,24 Versorgungspunkte korrigiert wurde, war 2009 nicht bekannt und nicht absehbar.)

    bb) Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass dieser Fehler für die Entscheidung des Klägers zur Altersteilzeit ursächlich war. Bei seiner Entscheidung hatte der Kläger zu vergleichen, mit welcher Versorgung er einerseits im Jahr 2016 rechnen konnte, wenn er die Altersteilzeit in Anspruch nahm, und andererseits, welche Versorgung sich ergeben würde, wenn er bis zum 31.07.2016 in Vollzeit weiterarbeiten würde. Entgegen der Auffassung des Klägers ist nicht ersichtlich, dass ein Weiterarbeiten in Vollzeit bis Juli 2016 für den Kläger aus Versorgungsgründen wirtschaftlich sinnvoll gewesen wäre. Denn auch bei einer vollen Weiterarbeit hätte der Kläger im August 2016 keine nennenswert höheren Versorgungsansprüche gehabt; seine Entscheidung für die Altersteilzeit war unter Versorgungsgesichtspunkten für ihn nicht nachteilig. Die unzutreffenden Auskünfte in den Jahren 2008 und 2009 haben sich für den Kläger nur geringfügig ausgewirkt.

    - In der Zusatzversorgung wurden die Beiträge im Alterszeitmodell auch während der Freistellungsphase überwiegend weiter gezahlt. Im Berufungsverfahren ist unstreitig, dass sich die Zusatzrente durch die Inanspruchnahme der Altersteilzeit um lediglich 8,00 € monatlich netto vermindert hat.

    - In der gesetzlichen Rentenversicherung hätte der Kläger ohne Teilzeit ab dem 01.08.2016 nur eine geringfügig höhere Rente erhalten. Aus dem Änderungsarbeitsvertrag für die Altersteilzeit (Anlage K 40) ergibt sich, dass der Arbeitgeber des Klägers während der Altersteilzeit Aufstockungsleistungen zur Rentenversicherung entrichtete, so dass die Beiträge sich nach fiktiven Bezügen in Höhe von 90 % der Vergütung für die bisherige wöchentliche Arbeitszeit richteten. Nach den vorliegenden Unterlagen lässt sich abschätzen, dass die durch die Altersteilzeit nur geringfügig verminderten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung lediglich zu einer Minderung der gesetzlichen Rente in Höhe von etwa 20,00 € monatlich ab dem 01.08.2016 führten. Dies ist im Berufungsverfahren unstreitig.

    - Die geringe Verminderung der gesetzlichen Rente durch die Altersteilzeit wird kompensiert durch die Abfindung, welche der Kläger aufgrund der Altersteilzeit-Vereinbarung erhielt. Diese betrug 7.180,45 € brutto, also nach der Schätzung des Senats mindestens 5.000,00 € netto.

    Da die Altersteilzeitregelung nicht zu einer relevanten Verschlechterung der Versorgung des Klägers ab dem 01.08.2016 geführt hat, ist nicht anzunehmen, dass der Kläger bei zutreffenden Auskünften der Beklagten Ziffer 1 in den Jahren 2008 und 2009 die Altersteilzeit nicht in Anspruch genommen hätte.

    c) Auch andere wirtschaftliche Nachteile, die der Kläger erlitten hat, können einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte Ziffer 2 nicht rechtfertigen.

    aa) Mit Beginn der Altersteilzeit haben sich die Einkünfte des Klägers in der Zeit bis zum 31.07.2016 deutlich vermindert. Mit der von seinem Arbeitgeber zugesagten Aufstockung seiner Bezüge wurden nicht mehr als 83 % des früheren Nettobetrags der Bezüge erreicht (vgl. die Einzelheiten zum Altersteilzeitarbeitsverhältnis in der Anlage K 41). Der Kläger verdiente mithin in der Zeit bis Ende Juli 2016 circa 400,00 € netto weniger als vorher. Dafür waren die fehlerhaften Auskünfte der Beklagten Ziffer 1 in den Jahren 2008 und 2009 allerdings nicht ursächlich. Bei seiner Entscheidung für die Altersteilzeit kannte der Kläger die Verminderung seiner Bezüge. Die Bezüge hatten nichts mit der für den Kläger maßgeblichen Frage zu tun, welche Versorgung er ab August 2016 zu erwarten hatte.

    bb) Der Kläger hätte seine Versorgung deutlich steigern können, wenn er keine vorzeitige Rente gewählt hätte, sondern, wenn er bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze weitergearbeitet hätte. Dies wäre bei dem 1953 geborenen Kläger der 28.02.2019 gewesen. Bei einer Weiterarbeit wären die Abschläge in Höhe von jeweils 9,3 % sowohl für die gesetzliche Rente als auch für die Zusatzrente entfallen.

    Der Kläger hat im Jahr 2009 zwei verschiedene Entscheidungen getroffen, nämlich zum einen die Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente mit Ablauf des 63. Lebensjahres, und zum anderen die Inanspruchnahme einer Altersteilzeit im Blockmodell. Der Senat kann im Rahmen von § 287 ZPO nicht feststellen, dass der Kläger - bei richtigen Auskünften der Beklagten Ziffer 1 in den Jahren 2008 und 2009 - sich nicht nur gegen das Altersteilzeitmodell, sondern gleichzeitig für ein Weiterarbeiten in Vollzeit bis zur Regelaltersgrenze, also bis zum 28.02.2019, entschieden hätte. Damit wäre eine weitere zusätzliche Belastung für den Kläger durch eine Verlängerung seines aktiven Arbeitslebens um 2 1/2 Jahre verbunden gewesen, also zum Zeitpunkt der Entscheidung des Klägers im Jahr 2009 ein Weiterarbeiten in Vollzeit für fast 10 Jahre. Die finanziellen Auswirkungen einer anderen Entscheidung (keine Verminderung der Altersrente und der Rente aus der Zusatzversorgung um jeweils 9,3 %) reichen nicht aus, um nach dem Maßstab gemäß § 287 ZPO eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine solche Entscheidung im Jahr 2009 anzunehmen.

    Der Kläger hatte in seiner damaligen Arbeitssituation erhebliche persönliche Gründe für eine Verkürzung seines Arbeitslebens. Aus der Anhörung des Klägers vor dem Landgericht im Termin vom 06.04.2018 ist zu entnehmen, dass der Kläger vor der Frage stand, ob er bis zum 31.07.2016 (Vollendung des 63. Lebensjahres) in Vollzeit weiterarbeiten würde, oder ob er das Altersteilzeitmodell in Anspruch nehmen wollte. Von einer Entscheidungsalternative, eventuell bis zum Erreichen der Regelalterszeit (28.02.2019) weiter zu arbeiten, hat er bei seiner Anhörung nichts erwähnt. Dementsprechend hat auch das Landgericht das erstinstanzliche Vorbringen des Klägers (nur) dahingehend verstanden, dass es dem Kläger bei seiner Entscheidung um die Frage der Altersteilzeit ging, nicht jedoch um ein mögliches Weiterarbeiten bis Ende Februar 2019. Die Wiedergabe seines Sachvortrags im Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils hat der Kläger nicht angegriffen. Die Berufungsbegründung stützt sich ausdrücklich (nur) auf eine mögliche Inanspruchnahme der Altersteilzeit bei richtigen Auskünften der Beklagten Ziffer 1. Der Kläger macht in der Berufungsbegründung (vgl. Seite 14, 15 der Berufungsbegründung vom 17.07.2018) ausdrücklich geltend, er hätte bei richtigen Auskünften der Beklagten Ziffer 1 bis Ende Juli 2016 weiter gearbeitet. Unter diesen Umständen erscheint es dem Senat nicht wahrscheinlich, dass der Kläger - entgegen den Angaben bei seiner erstinstanzlichen Anhörung und entgegen der Darstellung in der Berufungsbegründung - unter Umständen (wegen eines Abschlags der Rente von 9,3 %) auch bereit gewesen wäre bis einschließlich Februar 2019 weiter zu arbeiten.

    5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziffer 10, 713 ZPO.

    6. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 1 ZPO) liegen nicht vor.

    RechtsgebieteBGB, ZPOVorschriften§ 280 Abs. 1 BGB; § 287 ZPO