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  • 01.12.2020 · IWW-Abrufnummer 219240

    Oberlandesgericht Dresden: Beschluss vom 18.09.2020 – 4 U 1059/20

    1. Gesundheitsbeeinträchtigungen sind jedenfalls dann nicht mehr als offenkundig belanglos anzusehen, wenn sie zu einer längeren Krankschreibung und mehrwöchigen Behandlung mit Physiotherapie führen. Sie sind daher in einem Versicherungsantrag auch dann anzugeben, wenn der Antragsteller sie selbst für geringfügig hält.

    2. Fragt der Versicherer nach Beschwerden bzw. Krankheiten der Wirbelsäule, sind Rückenschmerzen auch dann anzugeben, wenn ihnen muskuläre Probleme zugrunde liegen.




    Der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden hat in dem Verfahren 4 U 1059/20 am 18. September 2020
    beschlossen:
    Tenor:

        1.

        Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.
        2.

        Der Kläger hat Gelegenheit, innerhalb von drei Wochen Stellung zu nehmen. Er sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.
        3.

        Der Termin zur mündlichen Verhandlung vom 06.10.2020 wird aufgehoben.

    Gründe

    Der Senat beabsichtigt, die zulässige Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch - einstimmig gefassten - Beschluss zurückzuweisen. Die zulässige Berufung des Klägers bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.

    Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Berufsunfähigkeitszusatzversicherungsvertrag des Klägers bei der Beklagten ist gemäß § 142 Abs. 1 BGB von Anfang an nichtig.

    Die Beklagte, die mit Schreiben vom 20.08.2015 (Anl. K3) die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung erklärt hat (§ 143 Abs. 1 BGB), war hierzu auch gemäß § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB, § 22 VVG berechtigt. Der Kläger hat bei Antragstellung am 26.11.2010 offenbarungspflichtige Beschwerden nicht angegeben, nach denen die Beklagte gefragt hatte, und sie hierdurch vorsätzlich und arglistig getäuscht.

    Die Möglichkeit der Anfechtung ist dem Versicherer nach § 22 VVG i.V.m. § 123 f. BGB eröffnet, wenn der Versicherungsnehmer seine Offenbarungspflicht arglistig verletzt. Voraussetzung für das Vorliegen von Falschangaben ist, dass der Versicherungsnehmer gefahrerhebliche Umstände kennt, sie dem Versicherer wissentlich verschweigt und dabei billigend in Kauf nimmt, dass der Versicherer sich eine unzutreffende Vorstellung über das Risiko bildet und dadurch in seiner Entscheidung über den Abschluss des Versicherungsvertrages beeinflusst werden kann (vgl. Senat, Urteil vom 08.09.2015 - 4 U 764/15; Urteil vom 19.05.2016 - 4 U 1524/15). Der künftige Versicherungsnehmer hat die in einem Versicherungsformular gestellten Gesundheitsfragen grundsätzlich erschöpfend zu beantworten (vgl. BGH, Urteil vom 19.03.2003 - IV ZR 67/02). Er darf sich daher bei seiner Antwort weder auf Krankheiten oder Schäden von erheblichem Gewicht beschränken noch sonst eine wertende Auswahl treffen und vermeintlich weniger gewichtige Gesundheitsbeeinträchtigungen verschweigen (so BGH, aaO.). Es sind daher auch solche Beeinträchtigungen anzugeben, die noch keinen Krankheitswert haben, denn die Bewertung der Gesundheitsbeeinträchtigung ist Sache des Versicherers (vgl. BGH, Urteil vom 20.09.2000 - IV ZR 203/9). Diese weit gefasste Pflicht zur Offenbarung findet ihre Grenze nur bei Gesundheitsbeeinträchtigungen, die offenkundig belanglos sind oder alsbald vergehen (BGH, aaO.). Ob eine bei Antragstellung anzuzeigende Gesundheitsstörung oder eine nicht anzeigepflichtige Befindlichkeitsstörung vorliegt, ist unter Berücksichtigung aller Gesamtumstände zu beurteilen (vgl. Voit/Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 2. Aufl., Kap. M Rn. 23). Abzustellen ist auf das Gesamtbild, das die Erkrankungen über den Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers vermittelt.

    Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger bei der Beantwortung der Gesundheitsfragen ihm obliegende Offenbarungspflichten verletzt. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, beantwortete er die unter Ziff. 6 e), h), j) und k) sowie Ziff. 7 und 9 gestellten Fragen objektiv falsch mit "nein". Ohne Erfolg macht die Berufung dagegen geltend, die dargestellten Beschwerden seien nicht angabepflichtig gewesen, da sie nicht vom Gesundheitsfragenkatalog der Beklagten umfasst gewesen seien und im übrigen auch keinen Krankheitswert gehabt hätten.

    Die im Januar 2010 mittels Physiotherapie behandelten Beschwerden des rechten Handgelenks fallen unter die Gesundheitsfrage Ziff. 6 e), bei der - unter anderem - nach Beschwerden der Gelenke gefragt wird. Sämtlichen Gesundheitsfragen ist der Hinweis vorangestellt, es sollten "sämtliche Beschwerden und Krankheiten" angegeben werden und die angeführten Beispiele würden "nur der Veranschaulichung" dienen. Zudem wird in unter Ziff. 6 ausdrücklich und allgemein nach "Krankheiten, Störungen und Beschwerden" im Zeitraum von fünf Jahren vor Antragstellung gefragt. Schon aus diesem Grund kommt es nicht darauf an, ob die vom Kläger selbst als "Überlastungsbeschwerden" des rechten Handgelenks bezeichneten Beschwerden, die immerhin so erheblich waren, dass eine 15-tägige Krankschreibung und eine mehrwöchige Behandlung mit Physiotherapie erforderlich wurden, nach Ansicht des Klägers mit den unter Ziff. 6 e) als Veranschaulichung zitierten Beispielen vergleichbar sind. Ebenso wenig ist entscheidend, ob die Diagnose einer Monarthritis zutreffend gewesen ist, oder ob es sich um eine aufgrund der versicherten Berufstätigkeit des Klägers eingetretene Überlastung seines Handgelenks gehandelt hat, denn die Anzeigepflicht bestand aufgrund der Fragestellung der Beklagten in beiden Fällen. Aufgrund der tatsächlich erfolgten Behandlung der aufgetretenen Handgelenksbeschwerden und der daraus folgenden Arbeitsunfähigkeit über einen Zeitraum vom 08. bis zum 25. bzw. 22.01.2010 kann auch nicht von lediglich vorbeugenden Maßnahmen ausgegangen werden. Schließlich hat der Kläger mit der unterlassenen Angabe des 15-tägigen Arbeitsunfähigkeitszeitraums, der nur rund 10 Monate vor Antragstellung lag, auch die unter Ziff. 9 gestellte Frage objektiv falsch beantwortet. Angesichts dessen konnte der Kläger nicht davon ausgehen, dass es sich um unerhebliche Beschwerden gehandelt hat, die er nicht hätte offenbaren müssen. Es hätte sich ihm vielmehr aufdrängen müssen, dass zu einer Arbeitsunfähigkeit führende Beschwerden im rechten Handgelenk bei der zu versichernden Berufstätigkeit als Elektromonteur für die von der Beklagten vorzunehmende Vertragsprüfung von Bedeutung sind.

    Die vorstehenden Erwägungen gelten entsprechend auch für die vom Kläger unterlassene Angabe seiner vom 02.-21.04.2009 aufgetretenen und behandelten Beschwerden in der rechten Schulter.

    Zu Recht ist das Landgericht auch hinsichtlich der im Jahr 2006 erfolgten Behandlung von Rückenschmerzen von einer Falschbeantwortung der unter Ziff. 6 j) gestellten Gesundheitsfrage ausgegangen. Aus Sicht eines verständigen Versicherungsnehmers sind Rückenschmerzen von der allgemein gehaltenen Frage nach Beschwerden bzw. Krankheiten der Wirbelsäule mit umfasst, unabhängig von der Diagnose oder davon, ob letztlich muskuläre Probleme Ursache der Rückenschmerzen sind. Die Rückenschmerzen sind auch nicht nur prophylaktisch behandelt worden, denn sie waren immerhin so erheblich, dass sich der Kläger damit bei einem Arzt vorstellte, der eine Behandlung mittels Physiotherapie als erforderlich ansah.

    Der Kläger hat auch die unter Ziff. 6 h) gestellte Frage nach Beschwerden der Psyche falsch beantwortet. Unabhängig davon, ob er dies selbst als depressive Episode eingeordnet hat, war er nach eigenen Angaben wegen der Pflege seiner todkranken Ehefrau im Zeitraum vom 01.10.2007 bis zum 06.11.2007 psychisch und physisch nicht zur Berufsausübung imstande. Es hätte sich ihm daher aufdrängen müssen, die Frage zu bejahen, da sich um eine über einen längeren Zeitraum bestehende, ihn psychisch sehr belastende Situation handelte, die immerhin zu einer Arbeitsunfähigkeit von 37 Tagen Dauer führte. Hinzu kommt, dass die Beklagte nach sämtlichen Beschwerden und im Zusammenhang mit der Psyche auch allgemein nach Erschöpfungszuständen gefragt hat. Ein solcher Erschöpfungszustand lag aber zum damaligen Zeitpunkt vor, wie sich aus den Angaben des Klägers selbst ergibt. Diese Falschangabe ist als erheblich anzusehen, denn die Abfrage von gesundheitlichen Beschwerden dient aus Sicht des Versicherers dem Zweck, etwaige Risikoerhöhungen zu ermitteln, die für die Entscheidung über die Vertragsannahme von Bedeutung sind. Hierzu gehört auch die wahrheitsgemäße Angabe des vormaligen Auftretens eines solchen psychischen Belastungszustandes, zumal sich hier - da der Kläger nunmehr Versicherungsschutz in erster Linie wegen eines behaupteten "Burn-Out-Syndroms" begehrt - ein Zusammenhang mit der früheren Belastungssituation aufdrängt.

    Schließlich hat der Kläger auch die Frage nach dem Bestehen einer Stoffwechselerkrankung (Ziff. 6 e) zu Unrecht verneint, da er bereits bei Antragstellung an einer Störung der Schilddrüse litt und sich deshalb regelmäßig ärztlich behandeln lassen musste.

    Das Landgericht ist mit zutreffenden Erwägungen auch vom Vorliegen einer dem Kläger anzulastenden arglistigen Täuschung ausgegangen.

    Erforderlich hierfür ist nicht nur das objektive Verschweigen offenbarungspflichtiger Umstände, sondern auch ein Täuschungsvorsatz. Dieser setzt neben der Kenntnis der Gefahrerheblichkeit des betreffenden Umstandes die Billigung der Erkenntnis voraus, dass der Versicherer, der den Antrag in Kenntnis des wahren Sachverhalts entweder gar nicht oder nur zu anderen Konditionen angenommen hätte, durch das Vorgehen getäuscht und dadurch in der Entscheidung über den Abschluss des Versicherungsvertrages beeinflusst wird (vgl. BGH, Urteil vom 14.07.2004 - IV ZR 161/03; Senatsurteile vom 17.11.2015 - 4 U 1044/15 und vom 19.05.2016 - 4 U 1524/15, Beschluss vom 28. November 2018 - 4 U 927/18 -, Rn. 23, juris). Einen allgemeinen Satz der Lebenserfahrung des Inhalts, dass eine unrichtige Beantwortung von Fragen nach dem Gesundheitszustand und früheren Behandlungen immer oder nur in der Absicht abgegeben wird, auf den Willen des Versicherers Einfluss zu nehmen, gibt es zwar nicht (BGH, Urteil vom 24.11.2010 - IV ZR 252/08 und Senatsurteil vom 19.05.2015 - 4 U 1524/15). Denn häufig werden unrichtige Angaben über den Gesundheitszustand aus falsch verstandener Scham, aus Gleichgültigkeit, aus Trägheit oder einfach in der Annahme gemacht, dass die erlittenen Krankheiten bedeutungslos seien. Umgekehrt gilt aber auch, dass es sich bei der Arglist und dem Arglistvorsatz um eine innere Tatsache handelt, so dass der Beweis nur durch Indizien geführt werden kann. Dabei ist auf die konkreten Umstände und insbesondere auf die Art, Schwere und Zweckrichtung der Falschangaben, der Umfang der verschwiegenen Tatsachen, die Dauer der Störungen, die Auswahl der genannten und nicht genannten Befunde sowie die zeitliche Nähe zur Antragstellung abzustellen (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 11. Dezember 2018 - 11 U 72/16 -, Rn. 161 - 19, m.w.N., - juris; OLG München, Urteil vom 30.03.2012 - 25 U 5453/09; Senatsurteil vom 08.09.2015 - 4 U 764/15, nicht veröffentlicht). Steht fest, dass Angaben beim Vertragsabschluss objektiv falsch gewesen sind, trifft den Versicherungsnehmer eine sekundäre Darlegungslast, in deren Rahmen er substantiiert und nachvollziehbar vortragen muss, wie und weshalb es dazu gekommen ist (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht a.a.O.).

    Der Kläger ist in dem für die Gesundheitsfragen unter Ziff. 6 und 7 maßgeblichen Zeitraum von fünf Jahren vor Antragstellung am 26.11.2010 - unabhängig von der Schilddrüsenerkrankung - insgesamt sechsmal in ärztlicher Behandlung gewesen, davon dreimal wegen Beschwerden an Rücken, Schulter und Hand, die jeweils Physiotherapie erforderlich machten und teilweise über mehrere Wochen andauerten, zweimal wegen Durchblutungsstörungen bzw. Kälte und Taubheitsgefühlen in den Händen sowie einmal wegen psychischer Überforderung bzw. Depression mit in diesem Zusammenhang teilweise erforderlichen erheblichen Arbeitsunfähigkeitszeiten. Für ein arglistiges Verhalten des Versicherungsnehmers spricht in diesem Zusammenhang insbesondere, dass er es unterlassen hat, die zuletzt erfolgte ärztliche Intervention wegen Beschwerden des rechten Handgelenks anzugeben, die erst im Frühjahr vor der Antragstellung im November erfolgt ist. Deren Angabe hätte sich ihm schon wegen der Rücksprache mit der Hausärztin im Zusammenhang mit der Antragstellung aufdrängen müssen. Hinzu kommt, dass er auch die Frage Ziff. 7, in der nach ambulanten Behandlungen durch Ärzte, Heilbehandler, Therapeuten oder Angehörigen sonstiger Heilberufe gefragt wurde - hier wurden auch ausdrücklich Physiotherapeuten genannt - verneint hat, was auch dann unzutreffend ist, wenn er die aufgetretenen Hand-, Schulter- und Rückenbeschwerden im Rahmen der Frage Ziff. 6 als vorbeugende Maßnahme bzw. ohne Krankheitswert angesehen hätte. Selbst wenn er die depressive Episode als einmaliges Ereignis angesehen haben mag, fehlt eine plausible Erklärung dafür, warum er die Schilddrüsenerkrankung, die regelmäßige Arztbesuche erforderlich machte, nicht bei der entsprechenden Frage angegeben und nur auf die Tabletteneinnahme verwiesen hat. Zudem gab es Probleme mit den Händen (Überlastungsschaden, Taubheits- und Kältemissempfindungen) sowie der Schulter und dem Rücken, die nicht angegeben wurden, obwohl es auf Hand lag, dass derartige Beschwerden gerade die berufliche Leistungsfähigkeit eines handwerklich tätigen Elektromonteurs beeinträchtigen. In der Gesamtwürdigung der Umstände ist daher die Feststellung des Landgerichts nicht zu beanstanden, der Kläger habe sich bei Antragstellung bewusst als gesund dargestellt und daher aufgetretene Beschwerden heruntergespielt, um so Versicherungsschutz zu erhalten. In diesem Zusammenhang stellt das Landgericht zu Recht auf darauf ab, dieser Eindruck werde auch durch die Angabe des Klägers belegt, es würden jährliche Untersuchungen "ohne Befund" erfolgen. Dies reicht für die Annahme einer arglistigen Täuschung aus, auch wenn die Beschwerden in der Wahrnehmung des Klägers nicht schwerwiegend gewesen sind, da er hätte erkennen können und müssen, dass sie für die Entscheidung der Beklagten über die Annahme des Versicherungsantrages erheblich waren und die Beklagte bei wahrheitsgemäßer Angabe den Vertrag nicht bzw. nicht ohne Ausschlussklauseln abgeschlossen hätte.

    Der Senat rät daher zur Rücknahme der Berufung, die zwei Gerichtsgebühren spart.

    RechtsgebietMinderungVorschriften§ 536 BGB