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  • 24.01.2019 · IWW-Abrufnummer 206771

    Oberlandesgericht Düsseldorf: Beschluss vom 22.10.2018 – I-24 U 4/18

    Ein gelernter Dachdeckergeselle kann auf den Beruf eines Rettungsassistenten verwiesen werden, denn dieser ist seiner bisherigen Lebensstellung vergleichbar gem. § 2 Abs. 1 BUZ. Unter "Beruf" ist die Erwerbstätigkeit des Versicherten in eben der konkreten Ausgestaltung zu verstehen, durch die der Versicherte sein Einkommen bei Eintritt des Versicherungsfalles erzielt hat und die Grundlage seiner Lebensstellung bis dahin gewesen ist. Bei der Beurteilung der Vergleichbarkeit der Vergütung sind Zulagen zu berücksichtigen, wenn sie regelmäßig und verlässlich gezahlt werden und dadurch die Einkommenssituation und somit auch die Lebensstellung prägen. Geringe Einkommensverluste und Abweichungen bei der Arbeitszeit und deren Verteilung sind in zumutbarem Umfang vom Versicherungsnehmer hinzunehmen.


    Oberlandesgericht Düsseldorf


    Tenor:

    Der Senat beabsichtigt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Dem Kläger wird Gelegenheit gegeben, binnen z w e i W o c h e n ab Zustellung dieses Beschlusses hierzu Stellung zu nehmen.

    Der auf den 6. November 2018 bestimmte Termin zur mündlichen Verhandlung wird aufgehoben.

    Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf EUR 16.988,66 festgesetzt.

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    Gründe:

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    I.

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    Die Berufung des Klägers hat nach einstimmiger Auffassung des Senats offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Die Sache hat keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung; auch erfordert weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung durch Urteil des Berufungsgerichts. Schließlich ist nach den Umständen des Falls auch sonst keine mündliche Verhandlung geboten (§ 522 Abs. 2 Nr. 2 bis 4 ZPO).

    4

    Die Berufung kann gemäß §§ 513 Abs. 1, 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder nach § 529 ZPO zu Grunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Solche Umstände zeigt die Berufungsbegründung nicht in verfahrensrechtlich erheblicher Weise auf. Vielmehr hat das Landgericht die Klage zu Recht abgewiesen.

    5

    1.

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    Zwischen den Parteien steht allein im Streit, ob die vom Kläger nunmehr ausgeübte Tätigkeit als seit Juli 2008 beim Kreis K. angestellter Rettungsassistent seiner bei Eintritt der Berufsunfähigkeit ausgeübten Tätigkeit als Dachdeckergeselle in Bezug auf seine „bisherige Lebensstellung“ entspricht. Denn die Beklagte, die bis zum März 2016 Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung erbracht hatte, hatte nach Anerkennung ihrer Leistungspflicht sowie der Zahlung einer monatlichen Rente iHv EUR 348,08 unter gleichzeitiger Befreiung von der Pflicht zur Zahlung der monatlichen Prämien iHv EUR 70,36 seit dem Jahr 2006 ihre Leistungen zum 1. April 2016 eingestellt und sich im Zuge einer Nachprüfung gemäß § 7 Abs. 1 BUZ-BB (GA 30) darauf berufen, dass der Kläger eine andere Tätigkeit gemäß § 2 Abs. 1 BUZ-BB ausübt.

    7

    2.

    8

    Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der vom Kläger nun ausgeübte Beruf des Rettungsassistenten der bisherigen Lebensstellung als Dachdeckergeselle entspricht. Dem schließt der Senat sich an.

    9

    a.

    10

    Eine Verweisung des Versicherten auf eine andere Tätigkeit kommt nach § 2 Abs. 1 der Bedingungen der Beklagten nur dann in Betracht, wenn die andere Tätigkeit der bisherigen Lebensstellung des Versicherungsnehmers entspricht. Die bisherige Lebensstellung wird vor allem durch die zuletzt ausgeübte Tätigkeit geprägt. Ihre Berücksichtigung sondert Tätigkeiten aus, deren Ausübung deutlich geringere Fähigkeiten und Erfahrung erfordert als der bisherige Beruf (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 2017 – IV ZR 11/16, Rz. 10 mwN; vom 21. April 2010 – IV ZR 8/08). Die Lebensstellung des Versicherten wird also von der Qualifikation seiner Erwerbstätigkeit bestimmt, die sich wiederum daran orientiert, welche Kenntnisse und Erfahrungen die ordnungsgemäße und sachgerechte Ausübung der Tätigkeit voraussetzt. Eine Vergleichstätigkeit ist dann gefunden, wenn die neue Erwerbstätigkeit keine deutlich geringeren Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert und in ihrer Vergütung sowie in ihrer sozialen Wertschätzung nicht spürbar unter das Niveau des bislang ausgeübten Berufs absinkt (BGH, Urteil vom 20. Dezember 2017, aaO).

    11

    aa.

    12

    Zwischen den Parteien steht nicht im Streit, dass eine Tätigkeit als Rettungsassistent keine geringeren Kenntnisse und Fähigkeiten als die eines Dachdeckergesellen erfordert, denn beide Berufe bedingen eine qualifizierte Ausbildung. Zu Recht hat das Landgericht weiter darauf hingewiesen, dass die soziale Wertschätzung eines Rettungsassistenten jedenfalls nicht unter der eines Dachdeckergesellen liegen dürfte. Dem ist der Kläger in der Berufungsbegründung nicht entgegengetreten.

    13

    bb.

    14

    Unterschiedliche Auffassungen vertreten die Parteien hinsichtlich der Berechnung der Vergütung (ob einerseits ein Gehalt als Dachdeckerfachgeselle und ob andererseits bei der Vergütung des Klägers als Rettungsassistent die an ihn gezahlten Zulagen zu berücksichtigen sind) und wie die vom Kläger nun zu leistenden Arbeitszeiten zu berücksichtigen sind und möglicherweise einer Verweisung entgegenstehen. Diese Streitfragen sind jedoch im Sinne der Beklagten zu beantworten.

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    (1)

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    Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass das vom Kläger zuletzt als Dachdeckergeselle erzielte Gehalt der Vergleichsberechnung zugrunde zu legen ist und nicht die Vergütung eines Dachdeckerfachgesellen. Eine solche hat der Kläger zu keinem Zeitpunkt erzielt, denn er war unstreitig zum Zeitpunkt des Eintritts der Berufsunfähigkeit im Jahr 2006 noch keine 3 Jahre als Dachdecker tätig gewesen. Der von ihm behauptete „Automatismus“ einer Bezahlung als Dachdeckerfachgeselle nach Ablauf der drei Jahre liegt nicht vor. Denn die Beklagte hat unwidersprochen unter Berufung auf den Rahmentarifvertrag für das Dachdecker-Handwerk vorgetragen, dass neben der dreijährigen Tätigkeit weitere Voraussetzungen vorliegen müssen, nämlich die Fähigkeit zur Anleitung nachgeordneter Lohngruppen und die selbständige Ausführung von Arbeiten (Klageerwiderung vom 16. Januar 2017, S. 10, GA 78). Ob diese Voraussetzungen bei einem Dachdeckergesellen vorliegen, unterliegt einer individuellen Entscheidung, weshalb sich die Anerkennung des vom Kläger geltend gemachten „Automatismus“ verbietet. Denn das aus der Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrages folgende zwingende Tarifrecht sieht erst bei Vorliegen dieser individuellen Voraussetzungen eine andere Einstufung vor. Während der Berufsausübung des Klägers lagen diese indes unstreitig zu keinem Zeitpunkt vor.

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    Es ist bei Berufsunfähigkeitsversicherungen auch allgemein üblich, auf den tatsächlich zuletzt ausgeübten Beruf (Hervorhebung durch den Senat) abzustellen und nicht auf einen fingierten Beruf (vgl. BGH, Urteil vom 15. Februar 2017 – IV ZR 91/16, Rz. 16, jetzt und im Folgenden zitiert nach Juris). Denn allein die Berufsausübung vor Eintritt des Versicherungsfalls liefert die Vergleichsmaßstäbe dafür, ob die neue Tätigkeit der bisherigen Lebensstellung entspricht. Deshalb muss bekannt sein, wie sie konkret ausgestaltet war, welche Anforderungen sie an den Versicherten stellte und welche Fähigkeiten sie voraussetzte. Die vom Versicherer zu treffende Entscheidung, ob er die Leistungen wegen Wegfalls der Berufsunfähigkeit einstellen kann, erfordert einen Vergleich des Zustandes, der dem Leistungsanerkenntnis zugrunde liegt, mit dem Zustand zu einem späteren Zeitpunkt (BGH, Urteil vom 21. April 2010 – IV ZR 8/08, Rz. 11 mwN; Beschluss vom 30. Januar 2008 – IV ZR 48/06, Rz. 3). Wenn es um die Leistungseinstellung wegen neu erworbener beruflicher Fähigkeiten geht, kommt es auf einen Vergleich der vor dem Anerkenntnis zuletzt ausgeübten mit der anderen Tätigkeit an, auf die der Versicherungsnehmer verwiesen werden soll. Dies gilt auch bei der Nachprüfung des Fortbestehens der Berufsunfähigkeit gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 B-BUZ (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 2010 – IV ZR 8/08, Rz. 11 mwN und Beschluss vom 30. Januar 2008, aaO, mwN). Deshalb ist unter "Beruf" lediglich die Erwerbstätigkeit des Versicherten in eben der konkreten Ausgestaltung zu verstehen, durch die der Versicherte sein Einkommen bei Eintritt des Versicherungsfalles erzielt hat und die Grundlage seiner Lebensstellung bis dahin gewesen ist (OLG Frankfurt, Urteil vom 21. November 1985 – 15 U 107/84; OLG Hamm, Urteil vom 30. März 1990 – 20 U 143/89; beide im Kurztext bei Juris).

    18

    Demgemäß ist das vom Kläger ursprünglich mit EUR 29.089,-- erzielte und von der Beklagten für das Jahr 2015 auf EUR 33.306,91 indexierte Einkommen der Beurteilung zugrunde zu legen. Dieser Indexberechnung ist der Kläger nicht entgegen getreten.

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    (2)

    20

    Die dem Kläger als Rettungsassistent gezahlten Zulagen sind bei der Berechnung seines derzeitigen Einkommens zu berücksichtigen. Hierbei handelt es sich nämlich nicht um nur sporadisch und somit nicht verlässlich verfügbare Einkommensbestandteile, sondern um eine tarifvertraglich geschuldete Vergütung, die auf den vom Kläger arbeitsvertraglich geschuldeten Wochenend- und Nachtdiensten beruht. Dass er regelmäßig derartige Dienste verrichten muss, ist bereits seinem eigenen Vorbringen zu entnehmen. Denn einerseits will er zwar die deshalb gezahlten Zulagen nicht berücksichtigt wissen, andererseits beruft er sich bezüglich der zu leistenden Arbeitsstunden und der ihm als Freizeit zur Verfügung stehenden Wochentage gerade auf diese (die Zulagen auslösenden) regelmäßig zu leistenden Dienste.

    21

    Werden Zulagen regelmäßig und verlässlich gezahlt, dann prägen sie die Einkommenssituation und somit auch die Lebensstellung, weshalb sie zu berücksichtigen sind (vgl. OLG München, Urteil vom 8. Mai 1991 – 27 U 558/90, VersR 1992, 1339; mit Anmerkung Gehrke, VersR 1992, 1339ff. der darauf verweist, dass der BGH mit Beschluss vom 8. Juli 1992 – IV ZR 262/91 die Revision gegen diese Entscheidung nicht angenommen hat). Maßgebend ist der Verdienst, der über einen längeren, repräsentativen Zeitraum hinweg erwirtschaftet wird, weshalb das vom Kläger als Rettungsassistent erzielte Einkommen iHv EUR 38.777,76 (vgl. Verdienstabrechnung des Kreises Kleve von Dezember 2015, Anl. BLD 6b, GA 128) zugrunde zu legen ist.

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    (3)

    23

    Dem Kläger ist zwar insoweit zu folgen, als die wöchentliche Arbeitszeit als Rettungsassistent von 48 Stunden (vgl. § 1 des Arbeitsvertrags des Kreises K. vom 10. Juni 2008, Anl. BLD 5, GA 118-119) seiner zu berechnenden Stundenvergütung zu Grunde zu legen ist. Denn wenn die für diese Arbeitszeit gezahlten Zulagen Anrechnung finden, dann muss im Gegenzug auch die insgesamt zu leistende Arbeitszeit berücksichtigt werden. Denn nicht nur das Einkommen, sondern auch die dafür aufzuwendende Lebenszeit bestimmen die Prägung einer Lebensstellung. Gleichwohl führt dies nicht zu einer anderen Beurteilung.

    24

    Zwar errechnet sich ein Stundenlohn des Klägers als Rettungsassistent von EUR 15,48 (= EUR 38.777,76 : 12 = EUR 3.231,48 brutto Monatsverdienst; 48 Wochenarbeitsstunden x 4,35 = 208,80 Arbeitsstunden / Monat; EUR 3.231,48 : 208,80 = EUR 15,48), während er als Dachdeckergeselle zwar einen mit EUR 33.306,91 niedrigeren Verdienst erzielte, dieser sich aber auf die tarifvertraglich geschuldeten 39 Wochenarbeitsstunden verteilte. Daraus errechnet sich ein Stundenlohn von EUR 16,36 (= EUR 33.306,91 : 12 = EUR 2.775,58; 39 x 4,35 = 169,65 Arbeitsstunden / Monat; EUR 2.775,58 : 169,65 = EUR 16,36).

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    Hieraus folgt jedoch weiter, dass der Kläger als Rettungsassistent lediglich 5,38 % weniger verdient, als dies bei unveränderter Fortsetzung seiner Tätigkeit als Dachdeckergeselle der Fall gewesen wäre. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen im Rahmen der Vergleichsbetrachtung zur „bisherigen Lebensstellung“ Einkommensverluste in einem zumutbarem Rahmen hingenommen werden (vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 22. Oktober 1997 – IV ZR 259/96, Rz 14; OLG Nürnberg, Urteil vom 30. April 1998 – 8 U 3172/96, Rz. 16; OLG Celle, Urteil vom 22. Mai 2017 – 8 U 59/17, Rz. 32). Zwar hängt deren Höhe hängt auch davon ab, ob der Beurteilung ein hohes oder niedriges Einkommen zugrunde liegt (BGH, Urteil vom 22. Oktober 1997, aaO). Bei einem Einkommensverlust von weniger als 10 % ist jedoch die Zumutbarkeitsgrenze in keinem Fall überschritten, weshalb sie der Beurteilung einer Gleichwertigkeit der Lebensstellung nicht entgegen steht (vgl. OLG Celle, Urteil vom 22. Mai 2017, aaO, mwN).

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    (4)

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    Aus dem Umstand, dass der Kläger nicht mehr regelmäßig die Wochenenden für seine Freizeitgestaltung einplanen kann, sondern seine freien Tage auch unter der Woche liegen können, folgt nichts Abweichendes. Soweit der Bundesgerichtshof ausgeführt hat, dass Freizeit nicht mit Einkommen verrechnet werden dürfe, weil mit vermehrter Freizeit kein Unterhalt zu erzielen sei (vgl. BGH, Urteil vom 7. Dezember 2017, IV ZR 434/15, Rn. 25), stellt sich diese Frage angesichts der oben vorgenommenen stundengenauen Abrechnung nicht. Der Kläger rügt weiter, dass ihm für seine sozialen Kontakte zur Familie und zu Freunden nicht mehr verlässlich die Wochenenden zur Verfügung stünden. Dies vermag indes keine Berücksichtigung zu finden bei der durch den Vergleich von Ausbildung, Einkommen und sozialem Ansehen geprägten Beurteilung. Im Übrigen ist auch der Beruf des Dachdeckers von wechselnden Arbeitszeiten und damit einhergehenden Änderungen der freien Zeit geprägt. Dies ergibt sich bereits aus § 3 Abs. 2 und 3 des Rahmentarifvertrags für das Dachdeckerhandwerk und der dort in § 4 vorgesehenen Umverteilung der wöchentlichen Arbeitszeit nach den betrieblichen Erfordernissen und den jahreszeitlichen Licht- und Witterungsbedingungen (vgl. hierzu Lohnausgleichskasse für das Dachdeckerhandwerk: https://www.soka-dach.de/fileadmin/user_upload/downloads/Tarifvertraege/RTV_fuer_gewerblichen_Arbeitnehmer_im_Dachdeckerhandwerk_08.10.2014.pdf).

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    II.

    29

    Der Senat weist darauf hin, dass die Rücknahme der Berufung vor Erlass einer Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO gemäß GKG KV 1222 S. 1 und 2 kostenrechtlich privilegiert ist; statt vier fallen nur zwei Gerichtsgebühren an (OLG Brandenburg, Beschluss vom 18. Juni 2009 – 6 W 88/09; Senat, Beschluss vom 6. März 2013 – I-24 U 204/12, juris Rz. 19 mwN; KG, Beschluss vom 21. April 2016 - 6 U 141/15, juris Rz. 18; siehe auch Zöller/Heßler, ZPO, 32. Auflage, § 522 Rn. 45 mwN).