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  • 29.04.2015 · IWW-Abrufnummer 144364

    Oberlandesgericht Frankfurt/Main: Urteil vom 05.03.2015 – 3 U 131/13

    1. Durch ein Beitragsfreistellungsverlangen des Versicherungsnehmers kommt es gemäß §§ 165 Abs. 1, 169 VVG automatisch zum Erlöschen der Versicherung, wenn die Mindestversicherungsleistung nicht erreicht wurde.

    2. Es liegt kein Beratungsverschulden des Versicherers vor, wenn er den Versicherungsnehmer nach Eingang eines nicht auslegungsfähigen Beitragsfreistellungsverlangens nicht darauf hinweist, dass dies unweigerlich zum Erlöschen der Versicherung führt.

    3. Hat sich der Versicherungsnehmer darüber geirrt, dass durch die Beitragsfreistellung die Versicherung erlischt, kommt grundsätzlich eine Anfechtung seiner Willenserklärung nach § 121 BGB in Betracht.


    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    Urt. v. 05.03.2015

    Az.: 3 U 131/13

    Tenor:

    Auf die Berufung der Beklagten wird das am 24.5.2013 verkündete Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main abgeändert und die Klage (insgesamt) abgewiesen.

    Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

    Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

    Die Revision wird nicht zugelassen.
    Gründe

    I.

    Die Parteien streiten um den Fortbestand einer Lebensversicherung.

    Der Kläger schloss bei der beklagten Versicherung eine Lebensversicherung nebst Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Die Versicherung begann am 1.10.2001 und sollte bis 2026 laufen.

    Mit Schreiben vom 28.7.2010 (Anlage K 2 = Bl. 10 d.A.) bat der Kläger die Beklagte darum, den Vertrag mit sofortiger Wirkung beitragsfrei zu stellen. Da die vereinbarte Mindestversicherungsleistung in Höhe von 5.000,- € nicht erreicht war, teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 26.8.2010 (Anlage K 3 = Bl. 11 f. d.A.) mit, dass die Versicherung in Auswirkung seines Antrages und Auszahlung des Rückkaufwertes erlösche. Hierauf zahlte die Beklagte rund 6.447,- € an den Kläger aus. Zuvor hatte sich die Beklagte unter dem 4.8.2010 (Anlage B 2 = Bl. 75 d.A.) an den Versicherungsmakler gewandt und diesen gebeten, den Kläger ggf. zur Rücknahme seines Antrags auf Beitragsfreistellung zu bewegen, da er "für seine Entscheidung keinen Grund" genannt habe. Hierauf erfolgte allerdings keine Reaktion.

    Mit Anwaltsschreiben vom 5.1.2011 (Anlage K 4 = Bl. 13 f. d.A.) wandte sich der Kläger gegen das Erlöschen des Vertrages und verlangte seine Fortsetzung.

    Mit Schreiben vom 21.1.2011 bot die Beklagte dem Kläger daraufhin an, den Vertrag "im ursprünglichen Zustand fortzuführen", machte allerdings u.a. zur Voraussetzung, dass der Kläger eine neue Gesundheitserklärung abgibt. Hiermit war der Kläger nicht einverstanden, weshalb er die vorliegende Feststellungsklage erhob.

    Wegen des Sachverhalts im Weiteren und des streitigen Vortrags der Parteien in erster Instanz wird auf das angefochtene Urteil verwiesen, mit dem das Landgericht der Klage - bis auf einen Teil der geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten - stattgegeben hat. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe verwiesen.

    Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte sowie begründete Berufung der Beklagten.

    Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor:

    Das angefochtene Urteil sei eine unzulässige Überraschungsentscheidung, da der Einzelrichter den Kläger in der mündlichen Verhandlung explizit auf die II. Instanz zur Durchsetzung seines Anspruchs verwiesen habe. Die Beklagte habe deshalb davon ausgehen können, dass die Klage keine Aussicht auf Erfolg haben würde.

    Das Landgericht habe zunächst rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Versicherungsvertrag aufgrund der Erklärung des Klägers vom 28.7.2010 erloschen sei. Diese Rechtsfolge sei mit Zugang der einseitig empfangsbedürftigen Willenserklärung automatisch eingetreten.

    Die Ausführungen des Landgerichts zum vermeintlichen Beratungsverschulden der Beklagten seien indes rechtsfehlerhaft. § 6 IV VVG verpflichte die Beklagte nicht, die durch einseitige Willenserklärung des Klägers bereits eingetretene Rechtsfolge rückgängig zu machen, indem sie ihm eine Fortsetzung des Vertrages zu unveränderten Bedingungen anzubieten habe. Die vom Landgericht in diesem Zusammenhang herangezogenen Entscheidungen beträfen Fallgestaltungen, in denen das Versicherungsverhältnis jeweils fortbestanden hätte. Vorliegend sei das Versicherungsverhältnis zu dem Zeitpunkt, zu dem das Landgericht ein Beratungsverschulden unterstelle, aber bereits erloschen gewesen. Eine nachvertragliche Beratungspflicht aber statuiere § 6 IV VVG nicht. Ein Beratungsverschulden lasse sich auch nicht im Zusammenhang mit dem Schreiben der Beklagten vom 4.8.2010 an den Makler konstruieren.

    Die Beklagte beantragt,

    das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage (insgesamt) abzuweisen.

    Der Kläger beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.

    Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens.

    II.

    Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Entgegen der Meinung des Landgerichts steht dem Kläger die Feststellung, dass der streitbefangene Versicherungsvertrag fortbesteht, nicht zu.

    Zu folgen ist dem Landgericht allerdings insoweit, als es feststellt, durch das Schreiben des Klägers vom 28.7.2010, mit dem er die Beitragsfreistellung verlangte, sei es zum Erlöschen des Vertrages gekommen. Das ergibt sich - mittelbar - aus § 165 I VVG, wonach der Versicherungsnehmer jederzeit die Umwandlung der Versicherung in eine prämienfreie Versicherung verlangen kann, sofern die dafür vereinbarte Mindestversicherungsleistung erreicht wird. Wird diese nicht erreicht, hat der Versicherer den Rückkaufswert nach § 169 VVG zu zahlen.

    Die herrschende Meinung folgert daraus, dass die Versicherung im Übrigen erlischt. Die Folgen treten automatisch ein. Die Umwandlung ist grundsätzlich endgültig. Der Versicherungsnehmer hat keinen Anspruch auf Wiederherstellung des ursprünglichen Versicherungsvertrages. Es ist nur ein Neuabschuss möglich (zum Ganzen: Prölss/Martin/Reiff VVG § 165 Rn 11 und 19 - mit weiteren Nachweisen).

    Demnach kann der Kläger auch keinen Erfolg damit haben, soweit er erstinstanzlich die Wirksamkeit von § 7 V ALB infrage stellt. Die Klausel konkretisiert § 169 VVG nur insoweit, als sie den Mindestbetrag auf 5.000,- € festsetzt. Dass dieser Betrag in irgendeiner Weise unbillig wäre, macht der Kläger nicht geltend. Dieser Mindestbetrag war im Jahr 2010 noch nicht erreicht. In der Tabelle auf Seite 4 des Versicherungsscheins (Bl. 58 d.A.) ist in der entsprechenden Zeile nur der Rückkaufswert mit 6.022,46 € ausgewiesen, aber keine beitragsfreie Versicherungsleistung. Über 5.000,- € wären erst im September 2016 erreicht worden.

    Soweit das Landgericht im Weiteren ein Beratungsverschulden nach § 6 VVG annimmt, weil die Beklagte den Kläger nicht darauf hinwies bzw. davor warnte, dass sein Verlangen nach Beitragsfreistellung unweigerlich zum Erlöschen des gesamten Vertrages führen würde, vermag der erkennende Senat dem nicht zu folgen.

    Weil der Inhalt des Schreibens eindeutig als Antrag auf Beitragsfreistellung anzusehen ist, hat es nach Eingang bei der Beklagten automatisch die Umwandlung bewirkt. Ist aber das Verlangen selbst nicht auslegungsfähig, bleibt kein Raum für irgendwelche Beratungsleistungen der Beklagten im Sinne von § 6 I, II oder IV VVG. Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass die Beratungspflichten aus § 6 VVG mit Ablauf des Versicherungsverhältnisses entfallen. Auch über § 242 BGB (zur Anwendbarkeit neben § 6 VVG vgl. Prölss/Martin VVG, § 6 Rn 44) gelangt man wegen der "automatischen Rechtsfolgen" zu keinem anderen Ergebnis.

    Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der vom Landgericht in Bezug genommenen Entscheidung des OLG Köln vom 16.5.1991, 5 U 123/90 (r+s 1992, 138). Dort wird die Schadensersatzpflicht des Versicherers bejaht, weil dieser ein Schreiben des Versicherungsnehmers fälschlich als Antrag auf Umwandlung gedeutet hatte, es sich aber nach Ansicht des Gerichts lediglich um einen Antrag auf "Ruhensvereinbarung" handelte. In diesem Fall war also das Versicherungsverhältnis tatsächlich nicht erloschen, als die Beklagte - gegen den wirklichen Willen des Versicherungsnehmers - die Umwandlung vornahm.

    Muss das Schreiben vom 28.7.2010 eindeutig als Beitragsfreistellungsverlangen angesehen werden und der Kläger wollte nicht, dass die Versicherung damit erlosch, wovon nach seinem nicht widerleglichen Vortrag auszugehen ist, hat er sich bei der Abgabe der Erklärungen aus dem Schreiben vom 28.7.2010 in einem Irrtum nach § 119 BGB befunden. Danach hätte der Kläger seine Willenserklärung gemäß § 121 BGB ohne schuldhaftes Zögern anfechten müssen, nachdem er das Schreiben der Beklagten vom 26.8.2010 erhalten hatte, worin ihm die Rechtsfolgen seiner Erklärung - namentlich das Erlöschen der Versicherung - klar vor Augen geführt wurden. Dennoch hat es noch bis zum Januar des Folgejahres gedauert, bis sich der Anwalt des Klägers an die Beklagte wandte. Selbst wenn man dies zugunsten des Klägers als Anfechtung ansehen wollte, wäre diese jedenfalls viel zu spät erklärt worden. Für eine nach den Umständen des Einzelfalls zu bemessenden Prüfungs- und Überlegungsfrist (Palandt/Ellenberger BGB, § 121 Rn 3), ist ein Zeitraum von vier Monaten nach dem Schreiben der Beklagten vom 26.8.2010 nicht mehr zu rechtfertigen.

    Kommt demnach auch einen Anfechtung nicht in Betracht, muss sich der Kläger an den Rechtsfolgen, die sein Schreiben vom 28.7.2010 ausgelöst hat, festhalten lassen.

    Bei dieser Sachlage kann der Vorwurf der Beklagten, bei dem angefochtenen Urteil handele es sich um eine Überraschungsentscheidung, auf sich beruhen, da ein etwaiger Verstoß gegen § 139 ZPO ohne Auswirkungen geblieben ist. Allerdings trägt die Beklagte selbst nicht vor, dass sie im Falle eines Hinweises weitere relevante Tatsachen vorgetragen hätte, die die Entscheidung hätten beeinflussen könnten. Soweit sie einwendet, sie hätte im Falle eines Hinweises weiter zur Rechtslage vorgetragen, ist dies nach dem Grundsatz "iura novit curia" irrelevant.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 I ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat seine Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 108 I ZPO.

    Der Gebührenstreitwert für die Berufung beträgt nach der nicht angegriffenen Festsetzung des Landgerichts 24.282,- €.

    Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 II ZPO nicht vorliegen.

    RechtsgebieteBGB, VVGVorschriftenBGB § 121; VVG § 6; VVG § 165 Abs. 1; VVG § 169