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  • 29.10.2014 · IWW-Abrufnummer 143164

    Oberlandesgericht Saarbrücken: Urteil vom 30.07.2014 – 5 U 73/13

    Die Legitimationswirkung des Versicherungsscheins setzt sich auch zu Lasten geschäftsunfähiger Versicherungsnehmer durch.


    Oberlandesgericht Saarbrücken

    Urt. v. 30.07.2014

    Az.: 5 U 73/13

    In dem Rechtsstreit

    S.H., ..., gesetzlich vertreten durch M.H.,

    und H.-P.H., ...,

    Klägerin und Berufungsklägerin,

    Prozessbevollmächtigte:

    Rechtsanwälte

    gegen

    D. versicherungs a.G., vertreten durch den Vorstand U.L. (Vorsitzender), F.W., B. und Dr. G., ...,

    Beklagte und Berufungsbeklagte,

    Prozessbevollmächtigte:

    Rechtsanwälte

    hat der 5. Zivilsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Prof. Dr. Rixecker, den Richter am Oberlandesgericht Reichel und die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Eckstein-Puhl auf die mündliche Verhandlung vom 21.5.2014

    für Recht erkannt:
    Tenor:

    Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 05.09.2013 - 14 O 21/13 - wird zurückgewiesen.

    Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen eine Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, solange die Beklagte nicht Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

    Die Revision wird zugelassen.
    Gründe

    I.

    Gegenstand des Rechtsstreits sind vermeintliche Ansprüche der Klägerin auf Feststellung des Fortbestandes eines Kapitallebensversicherungsvertrages mit der Beklagten, hilfsweise auf Rückzahlung der zu seiner Erfüllung von ihr geleisteten Beiträge.

    Die am XX.XX.1984 geborene Klägerin leidet seit ihrer frühen Kindheit an einer Verzögerung der kognitiven Entwicklung mit Störungen der Schilddrüsenfunktion, die vermutlich unter der Geburt durch einen Sauerstoffmangel entstanden war. Sie soll - nach einem psychiatrischen Urteil - zu einem chronischen endogenen Psychosyndrom bei Hyperthyreose geführt haben. Die Klägerin steht - seit einer Entscheidung des Amtsgerichts Homburg, Zweigstelle Blieskastel, vom 18.3.2011 - unter der Betreuung ihrer Mutter mit den Aufgabenkreisen Vermögenssorge, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post, Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten.

    Die Klägerin schloss - in Anwesenheit ihrer Eltern - des Kapitallebensversicherungsvertrag mit der Beklagten im Jahr 2006 mit Beginn vom 01.03.2006 auf die Dauer von 50 Jahren ab. Dem Vertrag lagen die Allgemeinen Bedingungen für die kapitalbildende Lebensversicherung der Beklagten (ABL 2005, Bl. 16 ff.) zugrunde.

    Mit einer "Abtretungsvereinbarung" vom 28.05.2010 "verkaufte" sie der Firma S.B. in G. diesen Vertrag und trat alle sich aus ihm ergebenden Ansprüche an die Erwerberin ab mit dem Ziel, dass die Rechte aus dem Versicherungsvertrag von der Erwerberin "gekündigt, aufgelöst und verwertet" werden dürften. Die Firma S.B. in G. bevollmächtigte daraufhin am selben Tag die Firma P.L. GmbH in I. mit der Vertretung ihrer Interessen aus dieser "Vermögensanlage", insbesondere zur Abgabe und Entgegennahme von Willenserklärungen und zur Kündigung von Verträgen.

    Daraufhin kündigte die Firma P.L. GmbH am 14.06.2010 im Namen der Firma S.B. den Versicherungsvertrag und bat um Auszahlung des Rückkaufswerts auf ein unter ihrem Namen geführtes Konto. Auf Anforderung der Beklagten übersandte sie dieser am 15.07.2010 auch den Originalversicherungsschein. Die Beklagte zahlte der Firma P.L. GmbH den Rückkaufswert in Höhe von 1.301,43 € - die Klägerin hatte Beiträge in Höhe von 4.268,58 € eingezahlt - aus.

    Die Klägerin meint, die Auflösung des Versicherungsvertrages und die Auszahlung des Rückkaufswertes seien unwirksam gewesen, weil sie zum Zeitpunkt der Abtretungsvereinbarung - anders als zum Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrages, zu dem dies unklar sei - geschäftsunfähig gewesen sei. Die Beklagte beruft sich auf die Legitimationswirkung des Versicherungsscheins.

    Das Landgericht Saarbrücken hat durch Urteil vom 05.09.2013 - 14 O 21/13 - die auf Feststellung des Fortbestands des Versicherungsvertrages sowie auf Erstattung außergerichtlicher Kosten abgewiesen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer - rechtzeitig eingelegten und begründeten - Berufung, mit der sie beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils

    festzustellen, dass der Lebensversicherungsvertrag Versicherungsnummer XXX, welchen die Klägerin bei der Beklagten unterhielt, nicht durch die Kündigungserklärung vom 28.04.2010 beendet worden ist,

    hilfsweise

    die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 4.268,56 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit.

    Die Beklagte beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.

    Sie beruft sich auf die Legitimationswirkung des Versicherungsscheins.

    II.

    Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag über eine kapitalbildende Lebensversicherung ist durch die Kündigung vom 14.06.2010 aufgehoben und der Rückkaufswert mit die Beklagte befreiender Wirkung an die Firma S.B. GmbH oder ihre Stellvertreterin, die Firma P.L. GmbH ausgezahlt worden.

    Die Firma S.B. GmbH, für die die Firma P.L. GmbH als ordnungsgemäß bevollmächtigte Stellvertreterin handelte, war als Inhaberin des von der Beklagten ausgestellten und ihr von der Firma P.L. GmbH vorgelegten Versicherungsscheins zur Kündigung berechtigt. Das gilt unabhängig davon, ob - worüber andernfalls Beweis zu erheben wäre - die Klägerin zum Zeitpunkt des Abschlusses der Abtretungsvereinbarung vom 28.05.2010 geschäftsunfähig und somit die Übertragung der Rechte aus dem Versicherungsvertrag als solche nach § 104 Nr. 2, § 105 Abs. 1 BGB unwirksam war.

    1.

    Allerdings gilt nach § 13 Abs. 4 ABL 2005, dass eine Abtretung von Ansprüchen aus dem Versicherungsvertrag dem Versicherer gegenüber nur und erst dann wirksam wird, wenn sie dem Versicherer vom bisherigen Berechtigten schriftlich angezeigt worden ist. Jedoch bestimmt § 12 Abs. 1 Satz 1 ABL 2005, dessen Wirksamkeit anerkannt ist (BGH Urt.v. 22.03.2000 - IV ZR 23/99 - VersR 2000, 709), dass der Versicherer den Inhaber des Versicherungsscheins als berechtigt ansehen kann, über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag zu verfügen, insbesondere Leistungen in Empfang zu nehmen. Das entspricht § 4 Abs. 1 VVG, der für einen - wie hier - als Urkunde auf den Inhaber ausgestellten Versicherungsschein § 808 BGB für entsprechend anwendbar erklärt. Nach § 808 Abs. 1 Satz 1 BGB gilt aber, dass, wenn eine Urkunde, in welcher der Gläubiger benannt ist, mit der Bestimmung ausgegeben worden ist, dass die in der Urkunde versprochene Leistung an jeden Inhaber bewirkt werden kann (§ 12 Abs. 1 Satz 1 ABL 2005), der Schuldner durch die Leistung an den Inhaber der Urkunde befreit wird.

    Die so konzipierte Legitimationswirkung des Versicherungsscheins umfasst auch das - übertragene - Kündigungsrecht zur Erlangung des Rückkaufswerts (BGH Urt.v. 18.11.2009 - IV ZR 134/08; v. 22.03.2000 - IV ZR 23/99 - VersR 2000,709).

    Folglich ist die im Namen der Zessionarin der Rechte aus dem Versicherungsvertrag ausgesprochene Kündigung grundsätzlich als wirksam zu betrachten. Ferner sind die gegen die Beklagte bestehenden Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag durch die Auszahlung des Rückkaufswerts als der für den Fall der Kündigung versprochenen Leistung des Versicherers erfüllt worden.

    2.

    Allerdings herrscht Einigkeit darüber, dass die Legitimationswirkung des § 808 BGB - und folgerichtig auch jene des § 4 VVG - Grenzen hat. Ist ein Schuldner bösgläubig, kennt er also die Nichtberechtigung des die Urkunde Vorlegenden oder hat er sich dieser Kenntnis grob fahrlässig verschlossen, tritt keine Befreiung ein (vgl. nur u.a. BGH Urt.v. 20.05.2009 - IV ZR 16/08 VersR 2009, 1061; MünchKommBGB- Habersack, 6.Aufl., § 808 Rdn 28 ff. m.w.N.). Von einer solchen Bösgläubigkeit der Beklagten könnte aber - allenfalls - dann ausgegangen werden, wenn sie aufgrund äußerer Umstände oder interner Informationen Bedenken gegen das Geschäftsgebaren der Firma P.L. GmbH oder der Firma S.B. GmbH hegen musste. Das käme nicht nur dann in Betracht, wenn die Beklagte Kenntnis von der Betreuung der Klägerin gehabt hätte - was nicht der Fall war - oder wenn in anderen Fällen des der Beklagten erkennbaren "Handels mit Policen" durch die Zessionarin Beschwerden an die Beklagte zur Redlichkeit des Erwerbs herangetragen worden wären, die sich als berechtigt oder jedenfalls als nicht nachweislich unberechtigt herausgestellt hätten, und die der Beklagten als dem ihrem Versicherungsnehmer Fürsorge schuldenden Versicherer Anlass gegeben haben könnten, im Falle der Klägerin von ihrer Befugnis zur Nachprüfung der Berechtigung (§ 12 Abs. 1 Satz 2 ABL 2005) Gebrauch zu machen. Ähnliches könnte erwogen werden, wenn die Firma S.B. GmbH in den Vertrieb der Beklagten eingegliedert wäre und durch ihre Beschäftigten Kenntnis von den - in der Anhörung der Klägerin zu Tage getretenen - kognitiven Einschränkungen der Versicherungsnehmerin erhalten hätte.

    Die Klägerin hat solche Gründe des Argwohns nicht behauptet, der Senat hat sie in seiner Anhörung des Bevollmächtigten der Beklagten - in den ihm von § 139 ZPO gesetzten Grenzen - nicht festzustellen vermocht. Die Firma S.B. ist auch zu keinem Zeitpunkt als Versicherungsvermittlerin der Beklagten in Erscheinung getreten.

    3.

    Von Rechtsprechung und Rechtslehre bislang uneinheitlich wird die Frage beantwortet, ob sich die Legitimationswirkung des Versicherungsscheins auch gegenüber einer - wie hier möglicherweise - geschäftsunfähigen Person durchsetzt.

    Der Bundesgerichtshof hat die Beantwortung der Frage bislang offen gelassen (BGH Urt. v. 20.11.1958 - VII ZR 4/58 - BGHZ 28, 368, 374; zur Rechtslage nach dem bayerischen AGBGB BayObLG NJW 1968, 600). Gewichtige Stimmen der Rechtslehre verneinen sie, weil das Innehalten der Urkunde nicht den Rechtsschein der Geschäftsfähigkeit ihres Besitzers bei ihrem Erwerb erzeugt (vgl. vor allem Canaris, Bankvertragsrecht, 1975, S. 610; Staudinger/Marburger, 2008, § 808 Rdn. 6, § 793 Rdn. 29; eingehend Nitsche JuS 1968, 541, 546). Der Schuldner einer derart verbrieften Forderung sei in keiner Weise schutzwürdiger als der Schuldner einer jeden Forderung, der an eine geschäftsunfähige Person leiste (Nitsche aaO.). Das entspricht der Wertung, die einen gutgläubigen Erwerb einer beweglichen Sache - anders als bei dem gutgläubigen Erwerbs eines im Grundbuch eingetragenen Rechts, der nur an der Kenntnis der Geschäftsunfähigkeit des Rechtsvorgängers des Veräußerers scheitern kann (MünchKommBGB/Kohler, 6. Aiufl., § 892 Rdn. 51) - ausschließt, wenn sie dem wahren Eigentümer abhanden gekommen ist: Abhanden gekommen ist sie ihm auch dann, wenn er bei ihrer Weggabe geschäftsunfähig war (OLG München NJW 1991, 2571 [OLG München 21.03.1991 - 29 U 6420/90]).

    Der Senat hält es dennoch für richtig, der Legitimationswirkung des Versicherungsscheins Vorrang auch vor dem Schutz (unerkannt) geschäftsunfähiger Personen zuzusprechen. Dafür spricht zunächst der Wortlaut des § 808 BGB, auf den § 4 VVG Bezug nimmt. Er verspricht einem Schuldner, der an den Inhaber eines Namenspapiers mit Inhaberklausel - wie den Versicherungsschein im konkreten Fall - die in der Urkunde versprochene Leistung erbringt, einschränkungslos Befreiung von der Leistungspflicht. In einem systematischen Zusammenhang damit steht § 793 Abs. 1 Satz 2 BGB. Danach wird der Schuldner einer Forderung, die in einer Schuldverschreibung auf den Inhaber verbrieft ist, auch durch eine Leistung an den nicht zur Verfügung berechtigten Inhaber der Urkunde befreit. Nicht zur Verfügung berechtigter Inhaber eines solchen Wertpapiers ist aber auch ein Inhaber, der die dort verbrieften Rechte und das Papier selbst von einer geschäftsunfähigen Person erworben hat. Folgerichtig wird auch im Wechsel- und Scheckrecht überwiegend angenommen, dass der Schuldner einer durch Wechsel oder Scheck verbrieften Forderung befreiend an diejenige Person leisten kann, die ihm den Wechsel oder den Scheck vorlegt, unabhängig davon, ob sie von einer geschäftsunfähigen Person erworben wurden, es sei denn, er hat arglistig oder grob fahrlässig von der Geschäftsunfähigkeit keine Kenntnis gehabt (Baumbach/Hefermehl/Casper, WG, 23. Aufl. 2008, Art. 40 Rdn. 8 m.w.N.).

    Sinn und Zweck der von § 808 BGB angeordneten befreienden Wirkung einer Leistung an den Inhaber des vorgelegten Namenspapiers mit Inhaberklausel ist das Vertrauen des Rechtsverkehrs auf die Legitimation einer Person, die es vorlegen kann, wie immer und wodurch immer dessen Erwerb infiziert ist: Der Aussteller des die gegen ihn gerichteten Ansprüche verbriefenden Dokuments soll sich "um Internes nicht kümmern" müssen (MünchKommBGB/Habersack, 6.Aufl., § 808 Rdn. 16) und allein auf den Besitz des Papiers verlassen dürfen, wenn er seine Schuld begleicht (OLG Düsseldorf WM 1971, 231; MünchKommBGB/Habersack aaO.; MünchKommVVG/Armbrüster, § 4 Rdn. 15; Bamberger/Roth/Gehrlein, BGB, 3. Aufl. 2012, § 808 Rdn. 3; Palandt/Sprau, 73. Aufl. 2014, § 808 Rdn. 4, § 793 Rdn. 12; DunzJuS 1962, 139).

    Allerdings hat das OLG Karlsruhe (VersR 1999, 1529) entschieden, die Leistung des Versicherers an den Vormund eines Mündels befreie ihn auch dann nicht, wenn der Vormund den Versicherungsscheins vorlegen könne, die nach § 1812 Abs. 1, 3 BGB erforderliche familiengerichtliche Genehmigung aber nicht vorliege, weil der Schutz des Mündels dem Schutz des Versicherers vorgehe. Das steht der Rechtsauffassung des Senats schon deshalb nicht entgegen, weil ein Versicherer, von dessen Rechtskunde auszugehen ist, in Fällen, in denen ein Vormund Leistungen aus einem Versicherungsvertrag für sein Mündel verlangt, allen Anlass hat, die Berechtigung des Vormunds nachzuprüfen. Ähnliches würde ohne Weiteres dann gelten, wenn sich aus dem Versicherungsschein ergibt, dass der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person minderjährig ist und unter Vorlage des Versicherungsscheins ein Dritter Leistung an sich verlangt.

    Würde man aber generell den Versicherer das Risiko der unerkannten Geschäftsunfähigkeit einer volljährigen Person bei Abtretung der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag und Aushändigung des Versicherungsscheins an einen Zessionar tragen lassen, müssten Versicherer - vor allem in einer alternden Gesellschaft, in denen vermehrt demenzielle Entwicklungen in versicherter Zeit eintreten und Geschäftsunfähigkeit begründen können, ohne dass dies ohne Weiteres sogleich zu bemerken ist und ohne dass betreuungsrechtliche Konsequenzen gezogen worden sein müssen - an sich Vorsorge treffen. Sie müssten - unter Umständen in einer Vielzahl von Fällen und auch dann, wenn der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person selbst unter Vorlage der Police Auszahlung der versprochenen Leistung in höherem Alter verlangen, die Geschäftsfähigkeit ohne konkreten Anlass prüfen dürfen. Das wird ihnen in aller Regel gar nicht möglich, in aller Regel beiden Vertragsparteien auch gar nicht zumutbar sein. Veranschaulicht: Hätte die Beklagte auf die Kündigung des Versicherungsvertrages durch die Firma S.B. und die Vorlage des Versicherungsscheins bei der Klägerin nachgefragt, ob sie ihre Rechte abgetreten habe, hätte sie auch nur die Auskunft erhalten können, dass dies der Fall sei. Jede weitere Recherche wäre anlasslos und unangebracht gewesen. Daher könnte es lediglich um die generelle Zuweisung des Risikos an den Versicherer gehen, dass die den Versicherungsschein vorlegende und Leistung begehrende Person geschäftsunfähig ist oder sie die geltend gemachten Ansprüche und den Versicherungsschein von einer geschäftsunfähigen Person erworben hat.

    Das Risiko trifft zwar grundsätzlich jeden Schuldner, der seine Verpflichtung einer geschäftsunfähigen Person gegenüber erfüllt. Mit dem Versicherungsschein - oder anderen Urkunden nach § 808 BGB - soll aber dem Schutzbedürfnis des Ausstellers einer solchen, im Rechtsverkehr besonderes Vertrauen genießenden Urkunde entsprochen werden, sich jedweder Nachforschungen über die Berechtigung der vorlegenden Person enthalten zu können.

    Die Beklagte hat die gegen sie gerichteten Ansprüche folglich erfüllt.

    4.

    Ob die Legitimationswirkung des Versicherungsscheins auch bereicherungsrechtlichen Ansprüchen auf Rückzahlung der Prämien entgegen stünde, wenn sich nach sachverständiger Beratung herausstellen sollte, dass die Klägerin schon bei Abschluss des Versicherungsvertrages geschäftsunfähig war, kann dahinstehen. Dahinstehen kann auch, ob die Mutter der Klägerin nach ihrer Bestellung zur Betreuerin im Falle einer bereits im Jahr 2006 bestehenden Geschäftsunfähigkeit der Klägerin den Versicherungsvertrag mit Wirkung ex-nunc "bestätigt" hätte (§ 141 BGB i.V.m. § 1902 BGB) und ob das angesichts der aufgrund der Legitimationswirkung des Versicherungsscheins anzunehmenden wirksamen Kündigung des Versicherungsvertrages überhaupt noch möglich gewesen wäre; dahinstehen kann auch, welche Folgen dies für die zuvor gezahlten Prämien hätte. Die Klägerin hat nämlich gar nicht - konkret - behauptet, sie sei schon zum Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrages geschäftsunfähig gewesen sondern hat dies für offen erachtet. Soweit ihrem Berufungsantrag und ihrer Berufungsbegründung entnommen werden könnte, sie wolle "hilfsweise" ihre Geschäftsunfähigkeit bei Abschluss des Versicherungsvertrages einwenden, ist dieses Vorbringen verspätet (§ 531 Abs. 2 ZPO).

    III.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, 711 ZPO.

    Die Revision wird zugelassen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung. Die Frage, ob die Legitimationswirkung des Versicherungsscheins sich gegenüber geschäftsunfähigen Personen durchsetzt, ist höchstrichterlich und obergerichtlich ungeklärt und wird in der Rechtslehre streitig behandelt. Sie kann sich einer unbestimmten Vielzahl von Fällen von auch wirtschaftlichem Gewicht stellen.

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