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  • 31.01.2013 · IWW-Abrufnummer 130328

    Landgericht Dortmund: Urteil vom 22.08.2012 – 2 O 454/10

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Landgericht Dortmund

    2 O 454/10

    Tenor:

    Die Klage wird abgewiesen.

    Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.

    Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

    T a t b e s t a n d

    Der am 00.00.1921 geborene Kläger unterhält seit 1939 bei der Beklagten eine Unfallversicherung.

    Er stürzte am 12.09.2007 mit einer kleinen Leiter aus einem Apfelbaum. Hierbei erlitt er Brüche an der Lendenwirbelsäule (LWK 1, 3 und 4) sowie an Handgelenk und Handwurzel links. Vom 12.09.2007 bis zum 22.10.2007 wurde er stationär im Stadtkrankenhaus T behandelt. Im Anschluss fand eine Reha-Maßnahme statt.

    Die Beklagte trat in die Anspruchsprüfung ein und veranlasst die Einholung eines Gutachtens der Sachverständigen Q (Praxis für medizinische Begutachtung). In dem Gutachten vom 03.11.2008 wird die Funktionsbeeinträchtigung der linken Hand auf ½ geschätzt und die Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit mit 15 % angegeben.

    Die Parteien konnten sich in der Folgezeit nicht über die Höhe des zu regulierenden Betrages für die Invalidität einigen.

    Der Kläger hat ein selbstständiges Beweisverfahren eingeleitet (2 OH 6/09 Landgericht Dortmund). Der Sachverständige L hat dort den Handwert mit 2/3 und die allgemeine Invalidität wegen der Schädigung der Lendenwirbelsäule mit 20 % angegeben. Das Gericht hat dann noch – in dem vorliegenden Verfahren –Beweis erhoben aufgrund des Beweisbeschlusses vom 08.04.2011, Blatt 31 der Akten, durch Einholung eines weiteren Gutachtens des Sachverständigen L vom 18.01.2012. Der Sachverständige nimmt hierin den Handwert unverändert mit 2/3 an; das Handgelenk selbst sieht er zu 70 % gebrauchsunfähig.

    Die Beklagte nahm nach Abschluss des selbstständigen Beweisverfahrens eine Regulierung auf Basis eines Gesamtinvaliditätsgrades in Höhe von 60 % ohne Berücksichtigung einer Progression vor.

    Dies erscheint dem Kläger nicht als ausreichend.

    Er hat zunächst die Abrechnung nach einem Gesamtinvaliditätsgrad von 75 % unter Berücksichtigung der Progression verlangt. Er hat die vollständige Funktionsunfähigkeit des linken Handgelenkes behauptet und unter Berufung auf die „Gelenksrechtsprechung des Bundesgerichtshofes“ zunächst die Berücksichtigung des vollen Handwertes (55 %) verlangt. Seine Ansprüche hat er daher wie folgt berechnet:

    Der sich mit den weiteren 20 % für die allgemeine Invalidität ergebende Gesamtinvaliditätsgrad in Höhe von 75 % führe zunächst zu einem Betrag in Höhe von 89.088,00 € (75 % der Versicherungssumme von 118.784,00 €). Der Betrag von 89.088,00 € sei aufgrund der Progression zu vervierfachen (= 356.352,00 €). Daraus folge hier aufgrund des Alters des Klägers eine Rentenzahlung in Höhe von 47.811,75 € p.A. Unter Berücksichtigung erbrachter Zahlungen ergäben sich für die Jahre 2008 bis 2010 Rückstände in Höhe von 88.274,63 €. Daneben hat der Kläger zunächst die Zahlung von restlichem Tagegeld in Höhe von 2.253,89 € auf der Basis eines Invaliditätsgrades in Höhe von 75 % verlangt. Wegen der weiteren Einzelheiten der Berechnung wird auf Seite 4 ff. der Klageschrift Bezug genommen. Nach Vorliegen des Gutachtens des L vom 18.01.2012 hat der Kläger seine Ansprüche neu berechnet. Er verlangt vor dem Hintergrund, dass der Sachverständige eine vollständige Funktionsunfähigkeit des Handgelenks nicht bejaht, nunmehr nur noch eine Regulierung auf der Grundlage einer Gesamtinvalidität in Höhe von 60 % (insoweit übereinstimmend mit der Beklagten), will jedoch weiterhin die Progression berücksichtigt wissen. Die geltend gemachten Renten verlangt er nunmehr für den Zeitraum 2008 bis Mitte 2012. Wegen der Einzelheiten der Berechnung wird auf den Schriftsatz vom 24.03.2012, Blatt 49 ff. der Akten, Bezug genommen.

    Der Kläger hat zunächst beantragt,

    1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine (weitere) Invaliditätslei-

    stung/Invaliditätsentschädigung für den Zeitraum vom 11.09.2008 bis 31.12.2010 in Höhe von 88.274,63 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.07.2010 sowie ab dem 01.01.2011 eine Quartalsrente in Höhe von 11.952,94 € zu zahlen,

    2. die Beklagte ferner zu verurteilen, an ihn ein (weiteres) Tagegeld

    nach einer Minderung der Arbeitsfähigkeit von 75 % für den Zeitraum vom 16.11.2007 bis 11.09.2008 (301 Tage) in Höhe von 2.253,89 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.07.2010 zu zahlen.

    Der Kläger beantragt, unter teilweiser Klagerücknahme hinsichtlich des vorstehenden Antrags zu 2., nunmehr,

    die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine (weitere) Invaliditätsleistung/Invaliditätsentschädigung für den Zeitraum vom 11.09.2008 bis 30.06.2012 in Höhe von 123.589,51 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.07.2010 sowie ab dem 01.07.2012 eine Quartalsrente in Höhe von 9.562,35 € zu zahlen.

    Die Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Sie ist der Auffassung, die Progression käme aufgrund des Altersvorbehaltes nicht zum Zuge.

    E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

    Die zulässige Klage ist insgesamt unbegründet.

    Dem Kläger steht ein Anspruch aus § 1 VVG a.F. i.V.m. § 8 AUB auf Zahlung wegen höherer Invaliditätsleistungen nicht zu. Ein Gesamtinvaliditätsgrad, welcher 60 % (wie von der Beklagten mit Schreiben vom 23.7.2010 anerkannt) übersteigt, ist nicht gegeben (hierzu im Folgenden 1.). Die Invaliditätsleistung erhöht sich nicht durch ein Eingreifen der Progression (2.).

    1.

    Ein höherer Gesamtinvaliditätsgrad als 60 % liegt nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht vor. Nach § 8 II (2.) a) AUB/Signal wird für den Verlust einer Hand im Handgelenk ein Invaliditätsgrad von 55 % angenommen. Stellt man mit dem Sachverständigen L hier unter Berücksichtigung der „Gelenksrechtsprechung“ des Bundesgerichtshofes ( VersR 2003,1163) auf das Gelenk allein ab, so berechnet sich der Invaliditätsgrad der Hand hier mit 38,5 % (70 % von 55 %). Die Prüfung der Frage, inwieweit das Handgelenk an sich bei isolierter Bewertung geschädigt ist, war Gegenstand des Gutachtens des Sachverständigen vom 18.01.2012. Der Sachverständige hat hierin ausgeführt, dass die Restfunktion des linken Handgelenkes mit 30 % zu bemessen ist. Die Feststellungen des Gutachters, dessen Sachkunde dem Gericht seit vielen Jahren bekannt ist, hat der Kläger nicht mehr angegriffen. Er hat vielmehr ausdrücklich erklärt, dass er die Feststellungen des Sachverständigen hinnehme.

    Hinzu kommen weitere 20% für die allgemeine Invalidität.

    2.

    Weitergehende Leistungsansprüche folgen nicht aus einem Eingreifen der Progression. Hierzu liegen folgende Unterlagen vor:

    Nach dem Versicherungsschein vom 03.05.2007 (Nachtrag wegen einer Dynamisierung von Versicherungssummen und Beiträgen), Anlage zur Antragsschrift in dem selbstständigen Beweisverfahren, wurde die Leistungsart

    „Invalidität

    Progression 50 %“

    vereinbart. Als versicherte Person ist der Kläger mit seinem Geburtsdatum bezeichnet. Der Versicherungsschein enthält noch „Vertragshinweise“ folgenden Inhalts:

    „Der Umfang des Versicherungsschutzes richtet sich nach den diesem Vertrag zugrundeliegenden Tarifen, dem Versicherungsantrag sowie den Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB/Signal), zuletzt geändert und genehmigt am 28.08.1984, den Besonderen Bedingungen und den Zusatzbedingungen.

    ….“

    § 8 II. (8) der von dem Kläger in Bezug genommenen AUB/Signal lautet, soweit hier von Interesse:

    „a)

    Führt ein Unfall, der sich vor Vollendung des 65. Lebensjahres des Versicherten ereignet, ohne Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen (§ 10) nach den Bemessungsgrundsätzen der Ziff. (2) bis (5) zu einer dauernden Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit, so wird für den 50 % übersteigenden Teil des Invaliditätsgrades die dreifache Invaliditätssumme für die Berechnung der Entschädigung zugrundegelegt.

    ….“

    Bei den von dem Kläger mit der Klageschrift eingereichten Versicherungsunterlagen finden sich noch verschiedene Besondere Bedingungen. Soweit sie eine Progression betreffen, haben sie folgenden Wortlaut:

    „Besondere Bedingungen für die Unfallversicherung mit erhöhter progressiver Invaliditätsstaffel

    Für die Berechnung der Entschädigung werden in Abänderung von § 8 II. (8.) a) AUB/Signal folgende Versicherungssummen zugrundegelegt:

    a)

    für den 20 % nicht übersteigenden Teil des Invaliditätsgrades die im Versicherungsschein festgelegte Invaliditätssumme;

    b)

    für den 20 %, nicht aber 50 % übersteigenden Teil des Invaliditätsgrades die zweifache Invaliditätssumme;

    c)

    für den 50 %, nicht aber 75 % übersteigenden Teil des Invaliditätsgrades die vierfache Invaliditätssumme;

    d)

    für den 75 % übersteigenden Teil des Invaliditätsgrades die sechsfache Invaliditätssumme.“

    Letztlich hat der Kläger noch „Erläuterungen und Hinweise zur Unfallversicherung“ eingereicht (Anlage zur Klageschrift). Diese lauten, soweit sie sich auf die Progression beziehen:

    „….

    Mehrleistung durch progressive Invaliditätsstaffel bis zu einer 1 Mio. DM.

    Sie haben die Wahl zwischen nachstehenden Progressionsstaffeln:

    1. Mehrleistung ab einem Invaliditätsgrad von mehr als 50 %

    Führt ein Unfall, der sich vor dem 65. Lebensjahr des Versicherten ereignet hat, zu einer Invalidität, wird für den 50 % übersteigenden Teil des Invaliditätsgrades die

    dreifache Invaliditätssumme

    bei der Berechnung der Entschädigung zugrundegelegt.

    2. Mehrleistung ab einem Invaliditätsgrad von mehr als 20 %

    Führt ein Unfall, der sich vor dem 65. Lebensjahr des Versicherten ereignet hat, zu einer Invalidität, wird für den

    20 %, nicht aber 50 % übersteigenden Teil des Invaliditätsgrades die zweifache Invaliditätssumme,

    50 %, nicht aber 75 % übersteigenden Teil des Invaliditätsgrades die vierfache Invaliditätssumme,

    75 % übersteigenden Teil des Invaliditätsgrades die sechsfache Invaliditätssumme

    bei der Berechnung der Entschädigung zugrundegelegt.

    „Die Regelung in § 8 II. (8.) a) AUB/Signal, wonach die Progression nur bei einem Unfall greift, „der sich vor Vollendung des 65. Lebensjahres des Versicherten ereignet“ hat, ist für sich genommen eindeutig und klar. Danach greift die Progression nicht ein. Denn der Kläger hat den Unfall erst weit nach Vollendung des 65. Lebensjahres erlitten.

    a)

    Eine vorrangige Individualabrede, § 305 b BGB, des Inhalts, dass die Progression auch bei einem Unfall nach Vollendung des 65. Lebensjahres eingreifen soll, ist nicht gegeben. Dabei hat eine Individualabrede gegenüber einer Klausel in allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht nur dann den Vorrang, wenn ein direkter Widerspruch zwischen den jeweiligen Regelungen besteht. Es genügt vielmehr ein mittelbarer Widerspruch in der Weise, dass eine Klausel allgemeiner Geschäftsbedingungen ihrem Inhalt nach von der Regelung einer Individualvereinbarung zum Nachteil des Vertragspartners des Verwenders der allgemeinen Geschäftsbedingungen abweicht (Palandt, BGB, 71. Aufl., § 305 b, Rn. 4; OLG Karlsruhe, VersR 1984, 830 = Beck rs 2010, 07050 bb). Eine solche Individualvereinbarung lässt sich nicht aus dem Versicherungsschein vom 03.05.2007 herleiten, welcher dem Kläger anlässlich der Dynamisierung übersandt wurde. Ein Versicherungsschein muss den gesamten Inhalt des konkreten Versicherungsvertrages erschöpfend wiedergeben. Erforderlich sind insbesondere Angaben über die Parteien, die Leistungen des Versicherers, die Beiträge des Versicherungsnehmers, die versicherten Interessen und Gefahren sowie die Laufzeit. Er erfüllt damit eine Informations- ,Legitimations- und Beweisfunktion (Brömmelmeyer in Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG, 2. Aufl., § 3 VVG, Rn. 18; vgl. auch Beckmann/Matusche-Beckmann, VVG, 2. Aufl., § 8, Rn. 26). Die Beweisfunktion ist insbesondere bedeutsam für die Festlegung der Vertragsparteien und den Umfang der von ihnen übernommenen Pflichten (vgl. Armbrüster in Münchener Kommentar zum VVG, 1. Aufl., § 3, Rn. 37). In diesem Sinne dokumentiert der Versicherungsschein vom 03.05.2007, dass die Parteien die Leistungsart Invalidität mit einer „Progression 50 %“ vereinbart haben.

    Erfolgte die Vereinbarung der Progression vor Vollendung des 65. Lebensjahres des Klägers, so durfte dieser die Vereinbarung der Progression nicht dahin verstehen, dass diese auch bei Unfällen nach Vollendung seines 65. Lebensjahres noch eingreifen sollte. Ein solcher Erklärungswert kann der ursprünglichen Vereinbarung der Progression dann nicht beigemessen werden. Die Parteien vereinbarten für die Leistungsart Invalidität erhöhte Leistungen, wobei hierfür Voraussetzung war, dass der Unfall sich vor Vollendung des 65. Lebensjahres ereignete. Mehr lässt sich der Vereinbarung der Progression zunächst nicht entnehmen. Der Kläger konnte zu diesem Zeitpunkt nicht erwarten, dass die Beklagte die Progression entgegen des eindeutigen Wortlautes auch über das 65. Lebensjahr hinaus eingreifen lassen wollte.

    Anderes könnte nur dann gelten, wenn die Vereinbarung der Progression der Vollendung des 65. Lebensjahres des Klägers nachfolgte. Die Vereinbarung eines bestimmten Tarifes, welcher nach den auch für den Versicherer auf der Hand liegenden Umständen wegen eines Ausschlusses in den AVB oder einer primären Risikobegrenzung von vornherein niemals eingreifen könnte, dürfte ein Versicherungsnehmer dahin verstehen können, dass der Ausschluss oder die Risikobegrenzung nicht gelten soll (vgl. zu der ähnlichen Problematik des Fehlens der Versicherungsfähigkeit bei Abschluss des Versicherungsvertrages in der Krankentagegeldversicherung: Beckmann/Matusche-Beckmann, a.a.O., § 45 Rn. 18). Für die Vereinbarung der Progression erst nach Vollendung des 65. Lebensjahres des Klägers ist vorliegend jedoch nichts ersichtlich oder vorgetragen.

    Auch vermag das Gericht in der Übersendung der jeweiligen Dynamiknachträge nicht ein Angebot der Beklagten sehen, die Progression nunmehr auch bei Unfällen nach Vollendung des 65. Lebensjahres eingreifen zu lassen. Hiergegen sprechen mehrere Gesichtspunkte:

    Wie bereits oben dargelegt, soll mit dem Versicherungsschein das dokumentiert werden, was die Parteien (bereits) vereinbart haben. Damit liegt die Annahme, der Versicherer gebe ein Angebot ab, gerichtet auf Abänderung des Vertrages hinsichtlich der Progression , eher fern. Dies gilt hier in besonderem Maße, weil Anlass der Übersendung des Versicherungsscheins vom 03.05.2007 der Dynamiknachtrag war, mithin eine Änderung ausdrücklich nur in Bezug auf Prämie und Versicherungssumme erfolgen sollte.

    Gegen die Annahme eines für den Kläger erkennbaren Änderungswillens spricht auch, dass die Erteilung eines die Dynamisierung der Versicherungsleistung beurkundenden Nachtrags zum Versicherungsschein einen formelhaften, automatisierten Vorgang darstellt, der regelhaft abläuft („elektronische Routine“, OLG Saarbrücken, r+s 2004, 206). Hiermit steht im Einklang, dass auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (VersR 1968, 1129) es grundsätzlich einer ausdrücklichen Bestimmung im Versicherungsschein bedarf, um in den AVB enthaltene Ausschlüsse außer Kraft zu setzen.

    Auch § 305 c BGB führt nicht zu einer Vertragsauslegung mit dem Ergebnis der Einbeziehung der Progression auch für Unfälle nach Vollendung des 65. Lebensjahres. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH sind AVB so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch – auf seine Interessen an (BGH NJW 2006, 513). Bei der Gestaltung von AVB ist der Versicherer aufgrund des Transparenzgebotes gehalten, Rechte und Pflichten des Versicherungsnehmers, seines Vertragspartners, möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Der Gesamtregelungsgehalt darf nicht dadurch verdunkelt werden, dass die Regelungen auf verschiedene Stellen in dem (Gesamt-) Bedingungswerk verteilt wird. Dabei kann dem Versicherungsnehmer bei der Lektüre der AVB nicht jedes eigene Nachdenken erspart werden (BGH NJW-RR 2005, 902). Der Versicherungsnehmer wird hier bei der Lektüre des § 8 II. (8.) a) AUB/Signal leicht erkennen, dass die Progression nur dann eingreift, wenn der Unfall vor Vollendung des 65. Lebensjahres geschah. Selbst wenn er zunächst die Besonderen Bedingungen für die Unfallversicherung mit erhöhter progressiver Invaliditätsstaffel zur Kenntnis nimmt (dazu mehr unter b)), so wird er dort auf § 8 II. (8.) a) AUB/Signal verwiesen, da die Besonderen Bedingungen sich nur auf eine abgeänderte Berechnung beziehen.

    Die eindeutige Regelung in § 8 II. (8.) a) AUB/Signal konnte nicht im Nachhinein dadurch verunklart werden, dass der Kläger das 65. Lebensjahr vollendete.

    Das Gericht verkennt dabei nicht, dass es unbillig erscheinen mag, dass der Kläger über Jahrzehnte eine Prämie entrichtete, die Anteile für die vereinbarte Progression enthalten haben wird. Es erscheint jedoch ausreichend, wenn dem Versicherungsnehmer in einer solchen Situation hinsichtlich der gezahlten Prämien anteilige Rückzahlungsansprüche oder – möglicherweise, bei der Annahme einer Hinweispflicht – Schadensersatzansprüche zustehen (vgl. für den ähnlichen Fall der fehlenden Versicherungsfähigkeit in der Unfallversicherung: Knappmann in Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., Nr. 4 AUB 2008, Rn. 8).

    b)

    Abweichendes folgt auch nicht aus den Besonderen Bedingungen für die Unfallversicherung mit erhöhter progressiver Invaliditätsstaffel.

    Zum einen verweisen diese – wie bereits dargelegt – auf § 8 II. (8.) a) AUB/Signal und damit auf die darin enthaltene Beschränkung der Leistungspflicht auf Unfälle bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres.

    Zum anderen sind die besonderen Bedingungen für die Unfallversicherung mit erhöhter progressiver Invaliditätsstaffel schon nicht Inhalt des Versicherungsvertrages geworden. In der Unfallversicherung wird eine im Versicherungsschein nicht ausdrücklich genannte Leistungsart nicht schon dadurch Vertragsinhalt, dass der Versicherungsschein auf das Gesamtbedingungswerk mit seinen vielfältigen Leistungsarten verweist (Brömmelmeyer, a.a.O.; LG Hamburg, VersR 2009, 389 = Beck RS 2009, 08828 mit ausführlicher Begründung; Prölss in Prölss/Martin, a.a.O., § 3, Rn. 1). Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass hier die erhöhte Progression vereinbart werden sollte, lassen sich dem Versicherungsschein nicht entnehmen. Vielmehr deutet die Angabe „50 %“ gerade darauf hin, dass nicht die Besonderen Bedingungen mit einer erhöhten Progressionsleistung ab einem Invaliditätsgrad von 20 % greifen sollten, sondern die „Grundregelung“ in § 8 AUB/Signal. Die Kenntnisnahme der AUB insgesamt kann dabei vom Versicherungsnehmer durchaus verlangt werden (BGH Urteil vom 20.6.2012, Az IV ZR 39/11). Dass nicht alle Besonderen Bedingungen, welche dem Kläger übergeben worden waren, Vertragsinhalt werden sollten, folgt im Übrigen daraus, dass ein Teil der sonstigen Besonderen Bedingungen ersichtlich auf den Kläger nicht zutraf. So waren die „Zusatzbedingungen für die Kinder-Unfallversicherung“ für den Kläger ersichtlich ohne Belang.

    Nach alledem steht dem Kläger die Abrechnung nur wie von der Beklagten anerkannt nach einem Invaliditätsgrad von 60 % ohne Berücksichtigung der Progression zu.

    Die Parteien sind in der mündlichen Verhandlung davon ausgegangen, dass die Beklagte die sich daraus ergebenden Rentenzahlungen entsprechend dem Anerkenntnis aus dem Schreiben vom 23.07.2010 (Anlage zur Klageschrift) vollständig erbracht hat. Abweichendes hierzu ist in der der mündlichen Verhandlung nachfolgenden Schriftsatzfrist nicht vorgetragen worden.

    Nach alledem war zu erkennen wie geschehen.

    Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 269, 709 ZPO.

    RechtsgebieteUnfallversicherung, Progression, Vereinbarung