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  • 26.10.2012 · IWW-Abrufnummer 123230

    Landgericht Düsseldorf: Urteil vom 01.06.2011 – 9 O 26/08

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.



    Tenor:

    Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 17.513,95 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 11.193,95 Euro seit dem 29.2.2008 und aus 6.320,00 Euro seit dem 14.2.2008 zu zahlen.

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

    Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

    Dieses Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des insgesamt beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
    Tatbestand

    Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem Versicherungsvertrag.

    Der Kläger unterhält bei der Beklagten für sein Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen XXX eine Vollkasko- und eine Haftpflichtversicherung.

    Seit 1996 befindet sich der Kläger wegen einer paranoiden Psychose in ambulanter und auch stationärer Behandlung. Die Therapie erfolgt dabei u. a. mit Psychopharmaka.

    Am 12.1.2007 verursachte der Kläger nachmittags einen Verkehrsunfall, als er mit diesem Fahrzeug ungebremst frontal in die Mauer des Geländes der XXX fuhr. Einer hinzugekommenen Passantin gegenüber sagte der Kläger nach dem Unfall, er habe sich umbringen wollen und halte sie für einen Engel. Das Verfahren der Staatsanwaltschaft Duisburg wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr wurde gemäß § 153 II StPO eingestellt.

    Der XXX entstand durch den Unfall ein Sachschaden von 10.490,15 Euro zzgl. von deren Anwalt geltend gemachter Gebühren in Höhe von 703,80 Euro, also insgesamt 11.193,95 Euro.

    Neben diesem Betrag macht der Kläger mit der vorliegenden Klage den Schaden an seinem Fahrzeug in Höhe von 6.320,00 Euro geltend.

    Die Beklagte lehnte die Schadensregulierung mit der Begründung ab, der Kläger habe den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt, da er in der Absicht, seinem Leben ein Ende zu setzen, in die Mauer hineingefahren sei.

    Der Kläger behauptet, er habe am Tag vor dem und am Morgen des Verkehrsunfalls unter einem Magen-Darm-Infekt mit Erbrechen gelitten, der dazu geführt habe, dass seine Medikamente nicht gewirkt hätten und er zum Zeitpunkt des Unfalls nicht zurechnungsfähig gewesen sei.

    Hierzu trägt der Kläger im Einzelnen vor, am 11.1.2007 gegen 18.00 Uhr seine eingenommen und sich unmittelbar übergeben zu haben. Auch seine Nachtmedikation habe er am 11.1.2007 gegen 20.00 Uhr eingenommen und unmittelbar danach erbrochen. Darüber hinaus habe er sowohl am 12.1.2007 gegen 7.30 Uhr seine Morgenmedikation als auch gegen 12.00 Uhr seine Mittagsmedikation eingenommen und sich danach unmittelbar übergeben.

    Die Wirkung der Medikamente sei aufgrund des Erbrechens ausgeblieben, weshalb er aufgrund seiner Psychose zum Unfallzeitpunkt unzurechnungsfähig gewesen sei.

    Der Kläger beantragt,

    1.

    die Beklagte zu verurteilen, an ihn 17.513,95 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 11.193,95 Euro seit dem 25.10.2007 und aus 6.320,00 Euro seit dem 31.3.2007 zu zahlen;
    2.

    die Beklagte zu verurteilen, an ihn nicht streitwerterhöhende 1.530,70 Euro an vorgerichtlichen Kosten zu zahlen.

    Die Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Das Gericht hat Beweis erhoben aufgrund des Beweisbeschlusses vom 23. Dezember 2008 durch die Vernehmung von Zeugen und die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens sowie die Anhörung des Sachverständigen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschriften vom 24.3.2009 und 2.3.2011 sowie auf das Gutachten verwiesen.

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
    Entscheidungsgründe

    Die Klage ist bis auf einen Teil der Nebenforderungen begründet.

    I.

    Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von 11.193,95 Euro für den der XXX entstandenen Sachschaden sowie von 6.320,00 Euro für den an seinem Fahrzeug entstandenen Schaden aus §§ 1, 49 VVG a. F. in Verbindung mit §§ 10 Ziff. 1 lit. b, 12 Ziff. 1 Abs. 2 lit. e) AKB und dem zwischen den Parteien geschlossenen Haftpflicht- und Vollkaskoversicherungsvertrag.

    Ein wirksamer Versicherungsvertrag besteht zwischen den Parteien. Auch ist durch den Unfall vom 12.1.2007, als der Kläger mit seinem Fahrzeug in die Mauer des Geländes der Königs Brauerei GmbH in Duisburg fuhr, ein Versicherungsfall eingetreten.

    Obwohl der Kläger unstreitig zielgerichtet in die Mauer hinein gefahren ist, ist der Anspruch gleichwohl nicht nach § 61 VVG a. F. ausgeschlossen, weil der Kläger den Unfall vorsätzlich herbeigeführt hätte. Von einem Vorsatz im Sinne dieser Vorschrift kann indes nicht ausgegangen werden, da der Kläger zum Zeitpunkt des Unfallgeschehens unzurechnungsfähig gewesen ist.

    Dies steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur hinreichenden Überzeugung des Gerichts fest:

    Die Zeugen XXX konnten bestätigen, dass der Kläger am Nachmittag und Abend des 11.1.2007 und am Morgen und Mittag des 12.1.2007 unter Übelkeit litt und mehrmals davon berichtet hat, sich übergeben zu haben. Der XXX konnte dabei aussagen, dass sich der Kläger am Abend des 11.1.2007 bei ihm zuhause im elterlichen Haus befunden und auch dort übernachtet habe, so dass er - zumal er Arzt ist - die Übelkeit seines Sohnes selbst miterlebt habe. Zudem konnte der Zeuge bestätigen, dass der Kläger stets sehr sorgfältig auf die Einnahme seiner Medikamente achte und darüber gesprochen worden sei, dass das Erbrechen jeweils nach der Einnahme der Medikamente erfolgt sei.

    Damit im Einklang steht auch die Aussage des Zeugen XXX, der als unmittelbarer Arbeitskollege des Klägers sowohl detailliert über die Medikamenteneinnahme als auch die Übelkeit berichten und den klägerischen Vortrag bestätigen konnte. Er konnte zudem auch bekunden, dass der Kläger sorgfältig auf seine Medikamenteneinnahme achtete, indem er sich sein Handy stellte und dieses zur Zeit der erforderlichen Einnahme klingelte, woraufhin der Kläger dann die Medikamente zu sich nahm. So sei es auch am Tag des Unfalls gewesen.

    Beide Aussagen sind glaubhaft; die Angaben der Zeugen sind in sich schlüssig und widerspruchsfrei.

    Des Weiteren steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme aufgrund des Sachverständigengutachtens fest, dass die Wirkung der Medikamente aufgrund des Erbrechens am Unfalltag ausgeblieben ist und sich der Kläger in einem Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden hat, als der Unfall geschah, er somit also unzurechnungsfähig war:

    Der Sachverständige XXX hat in seinem überzeugenden Gutachten plausibel und nachvollziehbar dargestellt, dass ein unzureichender antipsychotischer Schutz aufgrund des wegen des Erbrechens zu niedrigen Plasmaspiegels vorgelegen haben kann, das vom Kläger geschilderte Erleben am Unfalltag jedoch eindeutig psychotisch gewesen sei und damit eindeutig für einen psychopathologischen Befund spreche. Deshalb sei davon auszugehen, dass sich der Kläger aufgrund des psychopathologischen Befundes in einem Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden habe, der die freie Willensbildung ausgeschlossen habe.

    Auf die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen, die sich das Gericht zur Vermeidung von Wiederholungen zu Eigen macht, wird insoweit Bezug genommen.

    Das Gutachten des Sachverständigen ist insgesamt überzeugend; der Sachverständige ist erkennbar vom richtigen Sachverhalt ausgegangen, seine Folgerungen und Wertungen sind verständlich und plausibel und stehen im Einklang mit Denkgesetzen und Erfahrungssätzen.

    Insbesondere hat sich der Sachverständige in seinem Ergänzungsgutachten und im Rahmen der mündlichen Anhörung nochmals ausführlich mit den Einwendungen der Beklagten gegen das Gutachten auseinandergesetzt und erläutert, aufgrund welcher genauer Umstände ein psychotisches Erleben des Klägers objektivierbar ist.

    So hat der Gutachter plausibel dargetan, dass sich der Unfall im Zeitraum einer schweren psychotischen Episode ereignet hat und die vom Kläger nach dem Unfall bekundeten Wahrnehmungen ein psychotisches Erleben dokumentierten, was damit zu erklären sei, dass es aufgrund des Erbrechens und des damit verbundenen Absinkens oder Schwankens des Plasmaspiegels zu einem Verlust der durch die Medikamente grundsätzlich gegeben antipsychotischen Wirkung gekommen sei.

    Dabei ist im Rahmen der mündlichen Anhörung von Seiten des Sachverständigen nochmals ausdrücklich klargestellt worden, dass aufgrund dieser Zusammenhänge ein bewusster, also auf freier und selbstbestimmter Willensbildung beruhender Selbsttötungsversuch des Klägers nicht möglich gewesen sei.

    Ein vorsätzliches Herbeiführen des Versicherungsfalls durch den Kläger kann demzufolge nicht festgestellt werden, die Beklagte ist nicht leistungsfrei geworden.

    Durch diesen Unfall ist ein erstattungsfähiger Schaden in Höhe von insgesamt 17.513,95 entstanden, der sich daraus zusammensetzt, dass der XXX durch das Beschädigen der Mauer Kosten in Höhe von 11.193,95 Euro verursacht worden sind, die die Beklagte im Rahmen des Haftpflichtversicherungsvertrages zu erstatten hat, und dem Kläger an seinem Fahrzeug ein Schaden von 6.320,00 Euro entstanden ist, für den die Beklagte als Vollkaskoversicherer einstandspflichtig ist.

    II.

    Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 BGB, jedoch erst ab Rechtshängigkeit, da der Kläger einen früheren Zinsbeginn nicht substantiiert vorgetragen hat. Ein Teil der geltend gemachten Zinsforderung war damit zurückzuweisen.

    Darüber hinaus steht dem Kläger auch kein Anspruch auf Zahlung von 1.530,70 Euro vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten aus § 280 BGB zu, da der Kläger insoweit weder den Verzug dargetan, noch vorgetragen hat, dass er selbst diese Kosten bereits bezahlt hat.

    III.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

    Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

    Streitwert:

    17.513,95 Euro

    Vorschriften § 1 VVG a.F. § 61 VVG a.F. § 49 VVG a.F.