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  • · Fachbeitrag · Kfz-Kaskoversicherung

    Wann liegt bei Verursachung mehrerer Schäden ein einheitlicher Versicherungsfall vor?

    von VRiOLG a.D. Hellmut Münstermann, Aachen

    Beschädigt der VN seinen Pkw beim Ausparken rückwärtsfahrend an einer Säule und bei nochmaligem Rückwärtsfahren dort ein zweites Mal, liegt ein einheitlicher Versicherungsfall vor (AG Traunstein 27.11.13, 311 C 1104/13, Abruf-Nr. 140089.)

     

    Sachverhalt

    Die VN verlangt vom VR Versicherungsleistungen aus der Kaskoversicherung für ihren Pkw. Sie versuchte, mit dem Wagen aus einem Carport auszuparken. Beim Rückwärtsfahren geriet sie mit dem Stoßfänger hinten links an eine Stahlsäule, fuhr dann nach vorne, um besser aus dem Carport herauszukommen. Als sie ein weiteres Mal zurücksetzte, schlug sie die Lenkung zu früh ein und blieb mit dem vorderen linken Kotflügel an der Stahlsäule hängen. Am Fahrzeug entstand ein Schaden i.H.v. 3.326,72 EUR.

     

    Bei der Regulierung zog der VR die vereinbarte Selbstbeteiligung i.H.v. 300 EUR zweimal ab. Daneben erfolgte eine zweifache Rückstufung des Vertrags in der Schadenfreiheitsklasse. Nach Auffassung der VN handelt es sich nicht um zwei getrennte Unfälle, sondern um einen einheitlichen Ausparkvorgang.

     

    Das AG hat der Klage auf Zahlung von 300 EUR und auf Neuberechnung des Versicherungsbeitrags gemäß einem Verkehrsunfall stattgegeben.

     

    Entscheidungsgründe

    Das Gericht teilt die Auffassung der VN, wonach ein einheitlicher Ausparkvorgang vorliegt, der nicht willkürlich in zwei getrennte Schadenereignisse zerlegt werden kann. Da die VN die Parkbox noch nicht verlassen hatte, handelt es sich um ein Ausparken.

     

    • Zutreffend wäre die Auffassung des VR nur, wenn die VN die Parkbox ganz verlassen hätte, sich sodann entfernt hätte, ein weiteres Mal in die Parkbox eingefahren wäre und dabei ihr Fahrzeug beschädigt hätte. Dann läge eine Zäsur vor, die es rechtfertigen würde, von zwei getrennten Parkvorgängen auszugehen.

     

    • Nicht richtig sein kann es, einen letztlich noch nicht abgeschlossenen Vorgang nur deshalb in zwei Geschehnisse zu zerlegen, weil zwei natürliche Willensentschlüsse (Betätigen des Schaltgetriebes, der Kupplung, des Gas- und Bremspedals) zu zwei Anstößen geführt haben. Es sind keine Anhaltspunkte erkennbar, hier von zwei getrennten Versicherungsfällen auszugehen. Die VN hat ihr Fahrzeug nicht einmal verlassen. Vielmehr hat sie infolge Ungeschicklichkeit bei dem zweiten sich unmittelbar anschließenden Rückwärtsfahrmanöver wiederum „eingefädelt“.

     

    Bei einem derartig engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang innerhalb ein und desselben Ausparkvorgangs wäre es lebensfremd, zwei getrennte versicherungsrechtliche Tatbestände anzunehmen.

     

    Praxishinweis

    Das AG hatte zu entscheiden, ob der VR von zwei Versicherungsfällen ausgehen und die Selbstbeteiligung zweimal abziehen konnte, weil die VN die Schäden an ihrem Pkw in zwei „Anläufen“ verursacht hatte.

     

    Versicherungsfall ist jedes Schadenereignis, das zu einer Leistung des VR führen kann (vgl. E.1.1 AKB). Dies gilt nicht nur für die Kasko-, sondern auch für die Kfz-Haftpflichtversicherung. Dabei wird auf das Ereignis als solches abgestellt. Daraus kann gefolgert werden, dass bei mehreren Schäden jeder Schaden jeweils Teil eines einheitlichen Schadenereignisses und damit eines einzigen Versicherungsfalls sein kann.

     

    Wann liegt nun bei mehreren Schäden ein einheitliches Schadenereignis vor und wann handelt es sich um mehrere Versicherungsfälle?

     

    • Einheitlichkeit des Schadenereignisses setzt einen einheitlichen Geschehensablauf voraus. Ob ein solcher vorliegt, ist nach der Verkehrsauffassung bei natürlicher Betrachtungsweise zu entscheiden. Es mag sicher griffigere Abgrenzungsparameter geben. Letztlich ist eine Wertung im Einzelfall vorzunehmen. Diese hat das AG m.E. zutreffend vorgenommen.

     

    • Ein einziger Versicherungsfall liegt auch vor, wenn ein versichertes Ereignis zu einem weiteren versicherten Ereignis führt, sodass der Gesamtvorgang als einheitliches Schadenereignis anzusehen ist.

     

    • Andererseits ist grundsätzlich davon auszugehen, dass mehrere Versicherungsfälle vorliegen, wenn zu unterschiedlichen Zeitpunkten Rechtsgüter unterschiedlicher Personen geschädigt werden (KH-Versicherung).

     

    • Beispiele
    • Wird ein Fahrzeug durch Hineinfahren in ein Gewässer beschädigt und am nächsten Tag geborgen, wobei weitere Schäden am Fahrzeug entstehen, ist der Gesamtvorgang bei natürlicher Betrachtung ein einheitliches Schadenereignis. Die Selbstbeteiligung ist nur einmal abzuziehen (OLG Hamm VK 13, 10).

     

    • Beschädigt der VN mit seinem Pkw um 20.30 Uhr und sodann um 21.00 Uhr am Straßenrand geparkte Fahrzeuge, wobei er den Unfallort jeweils verlässt, handelt es sich um zwei selbstständige Versicherungsfälle (BGH VersR 06, 108 = r+s 06, 99).

     

    • Kommt ein Pkw-Fahrer ins Schleudern, verletzt nacheinander eine Person, beschädigt mehrere Kraftfahrzeuge und fährt dann gegen einen Baum, handelt es sich um einen einheitlichen Geschehensablauf und um einen einzigen Versicherungsfall.
    Quelle: Ausgabe 03 / 2014 | Seite 48 | ID 42513757