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  • · Fachbeitrag · Haftungsfreistellung

    Familienprivileg für nichtehelichen Lebensgefährten

    Unter Aufgabe der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ist § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X analog auch auf Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft anwendbar. Aus dem Familienprivileg wird damit ein Haushaltsprivileg (BGH 5.2.13, VI ZR 274/12, Abruf-Nr. 130861).

     

    Sachverhalt

    Die Klägerin begehrt als Trägerin der gesetzlichen Rentenversicherung vom beklagten Haftpflicht-VR aus gemäß § 116 Abs. 1 SGB X übergegangenem Recht die Erstattung von Aufwendungen, die sie für ihre VN (R) erbracht hat. Die R erlitt einen Verkehrsunfall, bei dem sie schwer verletzt wurde. R befand sich als Beifahrerin im Pkw des VN (J) der Beklagten, als dieser wegen Übermüdung von der Fahrbahn abkam. Die volle Haftung der Beklagten ist unstreitig. Die Beklagte ist der Auffassung, einem Anspruchsübergang auf die Klägerin stehe das Familienprivileg (§ 116 Abs. 6 S. 1 SGB X) entgegen, denn R und J seien Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft gewesen und hätten in häuslicher Gemeinschaft gelebt. LG und OLG sind dem gefolgt.

     

    Entscheidungsgründe/Praxishinweis

    Der BGH hat nun bestätigt, dass § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X analog auch auf Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft anwendbar ist. Sie stehen insoweit „Familienangehörigen“ i.S. dieser Vorschrift gleich. An der gegenteiligen Auffassung (BGH NJW 88, 1091) wird nicht mehr festgehalten.

     

    Die Anwendung des Familienprivilegs bei der Geltendmachung von Regressansprüchen aufgrund erbrachter VR-Leistungen beruht auf einem allgemeinen Rechtsgedanken. Trotz fehlender gesetzlicher Regelung hat der BGH schon früh entschieden, dass der Forderungsübergang bei Schädigungen unter Familienangehörigen, die in häuslicher Gemeinschaft mit dem Versicherten leben, durch den Schutzzweck der Versicherungsleistung in der Art des § 67 Abs. 2 VVG a.F. ausgeschlossen ist, und dass dieser Ausschluss für alle Zweige der Sozialversicherung gilt (BGH NJW 64, 860; 70, 1844). So soll verhindert werden, dass der VN durch einen Rückgriff gegen einen in seiner häuslichen Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen selbst in Mitleidenschaft gezogen wird. Im Interesse der Erhaltung des häuslichen Familienfriedens soll verhindert werden, dass Streitigkeiten über die Verantwortung von Schadenszufügungen gegen Familienangehörige ausgetragen werden (BGH VersR 86, 333; BVerfGE 127, 263, 281).

     

    § 116 Abs. 6 SGB X, der erst für Schadensfälle ab dem 30.6.83 gilt, normiert diese Rechtsprechung für den Bereich des Sozialgesetzbuchs. Der Gesetzgeber wollte die Rechtsgrundsätze des BGH zur Geltung bringen, nach denen der Forderungsübergang gemäß § 1542 RVO a.F. bei fahrlässigen Schädigungen durch Familienangehörige, die mit dem Versicherten in häuslicher Gemeinschaft leben, entsprechend der Regelung des § 67 Abs. 2 VVG a.F. ausgeschlossen ist. Die Interessenlage, die beim Anspruchsübergang nach § 67 Abs. 2 VVG a.F. (§ 86 Abs. 3 VVG n.F.) die Anwendung des Familienprivilegs rechtfertigt, besteht in vergleichbarer Weise bei dem Anspruchsübergang gemäß § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X. Die Vorschrift des § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X ist insofern inhaltsgleich mit § 67 Abs. 2 VVG a.F.

     

    Für das Versicherungsvertragsrecht ist das Familienprivileg inzwischen erweitert worden. Es erfasst nun auch nichteheliche Lebenspartner, sofern diese bei Eintritt des Schadens in häuslicher Gemeinschaft leben. Mit der Neuregelung des VVG zum 1.1.08 wurde bestimmt, dass der Ersatzanspruch des geschädigten VN gegen einen Dritten gemäß § 86 Abs. 1 VVG n.F. stets auf den VR übergeht, soweit dieser den Schaden ersetzt. Allerdings kann der Übergang nicht geltend gemacht werden, wenn sich der Ersatzanspruch des VN gegen eine Person richtet, mit der er bei Eintritt des Schadens in häuslicher Gemeinschaft lebt, es sei denn, diese Person hat den Schaden vorsätzlich verursacht (§ 86 Abs. 3 VVG). Mit dieser Gesetzesreform hat sich das Familienangehörigenprivileg zu einem Haushaltsangehörigenprivileg gewandelt (Jahnke, Unfalltod und Schadenersatz, 2. Aufl., § 2 Rn. 431).

     

    In der Folgezeit hat der BGH dem gesellschaftlichen Wandel rechtsfortbildend im Bereich des VVG auch für Schadensereignisse vor dem 1.1.09 Rechnung getragen (vgl. Art. 1 Abs. 2 EGVVG). Er ist der Auffassung gefolgt, dass die Einbeziehung von Partnern nichtehelicher Lebensgemeinschaften in den Schutzbereich des § 67 Abs. 2 VVG a.F. geboten sei (BGH NJW 09, 2062). Zwar blieb offen, ob Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft als Familienangehörige i.S. dieser Vorschrift begriffen werden können. Allerdings erfordere die Vergleichbarkeit der Schutzwürdigkeit zumindest ihre analoge Anwendung. In einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft treffe die Inanspruchnahme des Partners den VN wirtschaftlich nicht minder als in einer Ehe. Der häusliche Friede zwischen Partnern nichtehelicher Lebensgemeinschaften könne durch zwischen diesen auszutragende Streitigkeiten über die Verantwortung für Schadenszufügungen ebenso gestört werden wie bei Ehegatten.

     

    Diese Grundsätze überträgt der BGH, dem OLG folgend, nunmehr zwanglos auf § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X. Hat er dies mit Urteil vom 1.12.87 (BGH NJW 88, 1091) zwar bereits erwogen, jedoch aus Gründen der Rechtssicherheit letztlich abgelehnt, sieht er jetzt keinen Anlass mehr, die rechtliche Gleichstellung der Fälle herbeizuführen. Die seinerzeit geäußerten Zweifel hätten angesichts des seitdem weiter fortgeschrittenen gesellschaftlichen Wandels und der diesen tatsächlichen Veränderungen Rechnung tragenden rechtlichen Fortentwicklung (vgl. BVerfG 82, 6, 12) inzwischen an Gewicht verloren und können nach heutiger Beurteilung der Einbeziehung von Partnern nichtehelicher Lebensgemeinschaften in den Schutzbereich des § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X nicht länger entgegenstehen.

     

    In Konsequenz der Entscheidung ist nun wieder eine Gleichstellung von privatem Versicherungsrecht und Sozialversicherungsrecht erreicht. Der Bevollmächtigte des VN wie des in Anspruch genommenen nichtehelichen Lebensgefährten, muss die Entscheidung kennen und in der Rechtsberatung und Rechtsverteidigung nutzen. Ggf. muss auch geprüft werden, inwieweit Inanspruchnahmen aus der Vergangenheit nach § 812 BGB wirtschaftlich rückgängig gemacht werden können.

    Quelle: Ausgabe 06 / 2013 | Seite 99 | ID 39559860