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  • 19.08.2022 · IWW-Abrufnummer 230853

    Landgericht Hamburg: Beschluss vom 30.05.2022 – 304 T 12/22

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    LG Hamburg 4. Zivilkammer

    30.05.2022


    Tenor

    1. Die sofortige Beschwerde des Gläubigers vom 08.02.2022 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hamburg-Harburg vom 27.01.2022 (Az. 615f M 17/22) wird zurückgewiesen.
    2. Der Gläubiger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
    3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

    Gründe

    I.

    1
    Der Gläubiger begehrt den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, den das Amtsgericht Hamburg-Harburg abgelehnt hat.

    2
    Der Gläubiger hatte unter dem Aktenzeichen 650 C 52/20 am 15.05.2020 ein Versäumnisurteil und am 16.06.2020 einen Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Hamburg-Harburg erwirkt.

    3
    Mit Antrag seines prozessführungsbevollmächtigten Rechtsanwalts vom 30.12.2021 (Bl. 1 ff. d.A.), der am 04.01.2022 in Papierform bei Gericht eingegangen ist, begehrt der Gläubiger zur Zwangsvollstreckung über eine Summe von 7.042,85 € den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses. Nachdem das Gericht unter dem 18.01.2022 (Bl. 11 d.A.) die Rücknahme des Antrags angeregt hatte, da dieser in elektronischer Form einzureichen gewesen und daher zurückzuweisen sei, hat der Gläubiger die Rücknahme seines Antrags mit Schriftsatz vom 26.01.2022 (Bl. 14 d.A.) abgelehnt. Zur Begründung hat er vorgetragen, dass der Gesetzgeber für die Gerichtsvollziehervollstreckung in § 753 Abs. 5 ZPO ausdrücklich auf § 130d ZPO verwiesen habe. Nicht nur fehle für den Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses ein derartiger Verweis, vielmehr werde die elektronische Einreichung von Vollstreckungsanträgen durch die Regelungen in §§ 754a, 829 ZPO sogar eingeschränkt.

    4
    Mit Beschluss vom 27.01.2022 (615f M 17/22, Bl. 16 ff. d.A.), der den Bevollmächtigten des Gläubigers am 31.02.2022 (Bl. 22 d.A.) zugestellt wurde, hat das Amtsgericht den Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses zurückgewiesen. Zur Begründung heißt es, dass die in § 130d ZPO statuierte Pflicht zur elektronischen Übermittlung von Anträgen aus dem allgemeinen Teil der ZPO im Zusammenspiel mit § 130a ZPO für alle bei Gericht einzureichenden Anträge gelte, sodass es für Anträge an das Vollstreckungsgericht - im Gegensatz zum Gerichtsvollzieher - keiner Verweisungsnorm bedürfe. Auch der Verweis auf § 829 ZPO, mit dem der Gläubiger wohl eigentlich die Vereinfachungsnorm aus § 829a ZPO in Bezug nehmen wolle, lasse nicht den Schluss zu, dass nur in diesen Fällen der vereinfachten Vollstreckung bei Beträgen unter 5.000 € Anträge an das Vollstreckungsgericht elektronisch zu übermitteln seien.

    5
    Gegen diese Entscheidung hat der Gläubiger mit Schriftsatz vom 08.02.2022 (Bl. 25 d.A.), taggleich bei Gericht eingegangen (Bl. 24 d.A.), sofortige Beschwerde eingelegt. Zur Begründung hat er mit Schriftsatz vom 04.03.2022 (Bl. 29 d.A.) im Wesentlichen angeführt, dass mangels Verweisung auf § 130d ZPO die Einschränkungen der §§ 754a, 829a ZPO bei der Beantragung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses weiterhin gelten, zumal die außerhalb des Anwendungsbereichs von § 829a ZPO weiterhin in Papierform einzureichenden Titel dem Antrag anderenfalls händisch zugeordnet werden müssten. Gläubiger von Forderungen, die den Betrag von 5.000 € übersteigen, würden durch die hiermit verbundene Mehrbelastung der Gerichte und drohende Verfahrensverzögerung in nicht gerechtfertigter Weise ungleich behandelt und der Vorteil der elektronischen Antragseinreichung in das Gegenteil verkehrt. Überdies ziehe die Regelung eine Benachteiligung der Rechtsanwaltschaft gegenüber Inkassounternehmen nach sich, für welche § 130d ZPO nicht gelte.

    6
    Das Amtsgericht Hamburg-Harburg hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Landgericht Hamburg zur Entscheidung vorgelegt (Beschluss vom 09.03.2022 Az. 615f M 17/22, Bl. 32 ff. d.A.). Seine Entscheidung hat das Amtsgericht darauf gestützt, dass sich eine eingeschränkte Anwendbarkeit der §§ 130a, 130d ZPO aus den §§ 754a und 829a ZPO nicht ergebe. Die mit der Einreichung elektronischer Titel verbundene Mehrbelastung sei als Folge der gesetzgeberischen Entscheidung zur Beschleunigung des elektronischen Rechtsverkehrs hinzunehmen und der Nachteil dadurch gemindert, dass in der Regel ohnehin erst der Gerichtskostenvorschusses anzufordern und einzuzahlen sei (§ 12 Abs. 6 GKG). Für eine teleologische Reduktion des § 130d ZPO sei kein Raum, weil der Gesetzgeber den elektronischen Rechtsverkehr nicht lediglich unter der Bedingung fördern wollte, dass dieser keinen Mehraufwand der Gerichte verursacht. Ein etwaiges Vollzugsdefizit bei der Vollstreckung von Forderungen über 5.000 € sei wegen der gesetzgeberischen Entscheidung hinzunehmen und die Benachteiligung der in § 130d ZPO benannten Berufsträger durch ebenjene Vorschrift Kehrseite des in der ZPO an anderer Stelle zum Ausdruck kommenden Vertrauensvorschusses diesen gegenüber.

    7
    Der Gläubiger hatte auch insoweit Gelegenheit zur Stellungnahme (Bl. 38 d.A.).

    II.

    8
    Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie Form und fristgerecht eingelegt worden.

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    Sie ist aber unbegründet. Das Amtsgericht hat den Erlass des beantragten Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses zu Recht abgelehnt.

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    Der Antrag des Gläubigers ist unwirksam und daher unzulässig, denn er wurde nicht in der nach §§ 130a, 130d ZPO vorgeschriebenen elektronischen Form übermittelt.

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    1. Zurecht ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass die §§ 130a, 130d ZPO auch ohne expliziten Verweis auf die Anträge nach §§ 828 ff. ZPO unmittelbar anwendbar sind.

    12
    Gern. § 130a Abs. 1, § 130d S. 1 ZPO sind u.a. schriftlich einzureichende Anträge als elektronische Dokumente bei Gericht einzureichen. Nur soweit die elektronische Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig (§ 130d S. 2 und 3 ZPO).

    13
    Die Einreichung ist eine Frage der Zulässigkeit und daher von Amts wegen zu beachten. Bei Nichteinhaltung ist die Prozesserklärung nicht wirksam. Im Falle der Klage erfolgt eine Abweisung durch Prozessurteil (BT-Drs. 17/12634, S. 27; LG Frankfurt a. M. Versäumnisurteil vom 19.01.2022 - 2-13 O 60/21 m.w.N.).

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    Dabei gilt § 130d S. 1 ZPO grundsätzlich für alle anwaltlichen schriftlichen Anträge und Erklärungen nach der ZPO (BT-Drs. 17/12634, S. 28). Hierunter fällt auch der Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, denn dieser ist gern. § 2 ZVFV auf einem Formular eigenhändig zu unterschreiben oder mit qualifizierter Signatur zu versehen (Riedel, in: BeckOK ZPO, 44. Ed. 1.3.2022, § 829 ZPO Rn. 18a f.; Flockenhaus in: MusielakA/oit, 19. Aufl. 2022, § 829 ZPO Rn. 2a). Einer gesonderten Verweisungsnorm nach dem Vorbild des Klarstellungszwecken dienenden § 753 Abs. 5 ZPO (vgl. Seibel in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 753 ZPO Rn. 16) für Anträge, die zur Vollstreckung an den Gerichtsvollzieher zu richten sind, bedarf es vor diesem Hintergrund nicht.

    15
    2. Anderes folgt nicht aus der Regelung in § 829a ZPO, nach der bei Pfändung und Überweisung einer Geldforderung die Übermittlung der Ausfertigung des Vollstreckungsbescheids entbehrlich ist. Voraussetzung ist u.a., dass die sich daraus ergebende Forderung einschließlich titulierter Nebenforderungen und Kosten nicht mehr als 5.000 € beträgt.

    16
    § 829a ZPO dient der Vereinfachung und Beschleunigung des Zwangsvollstreckungsverfahrens unter bestimmten Voraussetzungen. Die Vorschrift hat keine Einschränkung des Anwendungsbereichs von § 130d ZPO zum Gegenstand (Flockenhaus in: Musielak/Voit, 19. Aufl. 2022, § 829a ZPO Rn. 1; Riedel in: BeckOK ZPO, 44. Ed. 1.3.2022, § 829a ZPO Rn. 8, Herget in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 829a ZPO Rn. 2), was sich bereits aus dem Wortlaut der Norm ergibt: „Im Fall eines elektronischen Antrags zur Zwangsvollstreckung aus einem Vollstreckungsbescheid“.

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    Soweit der Gläubiger geltend macht, dass § 829a ZPO Gläubiger in der Zwangsvollstreckung ungleich behandelt, trifft dies zu. Indes ist diese Ungleichbehandlung gerechtfertigt. Mit der Regelung geht neben dem Entfallen der Vorschusspflicht (§ 12 Ab. 6 S. 2 GKG) eine beschränkte Überprüfung der Vollstreckungsvoraussetzungen einher, sodass der Gesetzgeber den Anwendungsbereich zum Schutz der Schuldner wertmäßig begrenzt hat (siehe BT-Drucks. 16/10069, S. 34; Flockenhaus in: Musielak/Voit, 19. Aufl. 2022, § 829a ZPO Rn. 2). Soweit der Gesetzgeber diese Grenze bei dem Betrag von 5.000 € gezogen hat, ist weder vorgebracht noch sonst ersichtlich, dass dieser Betrag verfehlt ist.

    18
    3. Ebensowenig ist die Pflicht zur elektronischen Antragsübermittlung aus § 130d ZPO wegen des mit der Zuordnung des papierförmigen Titels bei Gericht verbundenen Mehraufwands teleologisch zu reduzieren.

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    Es fehlt schon an der hierfür erforderlichen planwidrigen Regelungslücke. Ausweislich der Gesetzesbegründung gilt § 130d nicht nur für das Erkenntnisverfahren im ersten Rechtszug, sondern grundsätzlich für alle anwaltlichen schriftlichen Anträge und Erklärungen nach der ZPO (BT-Drs. 17/12634, S. 28). Dass die Einführung der elektronischen Dokumentenführung innerhalb einer - ggf. auch längeren - Übergangszeit durch die Parallelität papierförmiger und elektronischer Dokumente Mehraufwand bei der Verfahrensbearbeitung nach sich ziehen werde, lag dabei offen zu Tage und war dem Gesetzgeber bewusst. Zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten hat er sich jedoch entschieden, dies in Kauf zu nehmen. Soweit dieser Mehraufwand auch eine Verzögerung der Zwangsvollstreckung nach sich zieht, hat das Amtsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass nach § 12 Abs. 6 GKG ohnehin der Gerichtskostenvorschuss zunächst anzufordern oder dem Antrag zuzuordnen ist. Nach dem in § 12 Abs. 6 S. 2 ZPO normierten Verzicht auf den Vorschuss im Anwendungsbereich der Vereinfachungsvorschrift in § 829a ZPO spricht auch die Gesetzessystematik gegen die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke.

    20
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    4. Schließlich ist eine teleologische Reduktion nicht zur verfassungskonformen Auslegung der Vorschrift dahingehend geboten. Zwar können Gläubiger, die von einem Rechtsanwalt vertreten werden, nach § 130d ZPO seit dem 01.01.2022 keine Vollstreckungsanträge in Papierform einreichen während Gläubiger, die von einem Inkassodienstleister vertreten werden dies weiterhin können.

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    Hieraus folgt jedoch kein ungerechtfertigter Eingriff in die Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1, Art. 12 GG. Dabei hat die Kammer schon Zweifel daran, dass § 130d ZPO wesentlich Gleiches ungleich behandelt. Dass die Vorschrift nur Rechtsanwälte, nicht aber Inkassodienstleister verpflichtet, lässt sich auf deren Funktion als Organe der Rechtspflege zurückführen, die mit besonderen Rechten und Pflichten ausgestattet sind. So sind Rechtsanwälte, nicht aber Inkassodienstleister, an die sicheren Übermittlungswege des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs angebunden. Die ZPO bringt der Rechtsanwaltschaft bereits auf normativer Ebene erhebliches Vertrauen entgegen (vgl. § 88 Abs. 2 ZPO), mit dem im Gegenzug auch Vorteile einhergehen. So steht nur Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten die Nutzung des vereinfachten Vollstreckungsverfahrens nach § 829a ZPO offen.

    23
    Eine mit § 130d ZPO einhergehende Ungleichbehandlung der Anwaltschaft wäre - auch im Lichte des verfassungsrechtlich verankerten Grundrechts auf Berufsfreiheit aus Art. 12 GG - aber jedenfalls verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Die weitreichende Nutzungspflicht für elektronische Dokumentenübermittlung soll der einheitlichen Umstellung auf den elektronischen Rechtsverkehr Vorschub leisten. Insoweit ist zunächst die weitreichende Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers zu berücksichtigen. Dass mit der Nutzungspflicht unter gewissen Umständen auch Nachteile verbunden sein, führt damit noch nicht unmittelbar zu einem verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigenden Grundrechtsverstoß. Es ist zudem nicht ersichtlich, dass über die Verzögerung, die mit Zuordnung oder Anforderung des Gerichtskostenvorschusses hinaus mit der Parallelität elektronischer und papierförmiger Einreichung tatsächlich schwerwiegende Verzögerungen oder sonstige Benachteiligung des Gläubigers eintreten, wegen der die mit der Vorschrift angestrebte Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs gegenüber der mit ihr verbundenen Benachteiligung nicht mehr angemessen ist.

    III

    24
    Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

    25
    Nach § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 ZPO war die Rechtsbeschwerde zuzulassen. Danach ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Das ist vorliegend der Fall. Es ist bislang nicht höchstrichterlich geklärt, ob die mit der Einführung von § 130d ZPO verbundene Ungleichbehandlung von Rechtsanwälten gegenüber Inkassodienstleistern eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift im oben erörterten Sinne gebietet. Auch eingedenk der Vielzahl potentiell betroffener Vollstreckungsanträge, ist die Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung.

    RechtsgebietVollstreckungsanträgeVorschriften§ 753 ZPO