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  • 20.04.2023 · IWW-Abrufnummer 234847

    Bundesgerichtshof: Beschluss vom 15.03.2023 – VII ZB 68/21

    a) Der Schuldner, der einem dem pfändenden Gläubiger gleichstehenden minderjährigen Kind keinen Barunterhalt, sondern Naturalunterhalt leistet, kann wie ein Barunterhalt leistender Schuldner die Heraufsetzung des ihm pfandfrei zu belassenden Betrags nach § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO verlangen.

    b) Das den notwendigen Unterhalt des Schuldners übersteigende Einkommen ist zum Zwecke der Bestimmung des pfandfreien Betrags gemäß § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO im Verhältnis der Höhe der gesetzlichen Unterhaltsansprüche der Unterhaltsberechtigten in der gleichen Rangstufe zueinander zu quoteln.


    Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. März 2023 durch den Vorsitzenden Richter Pamp, die Richter Halfmeier und Prof. Dr. Jurgeleit sowie die Richterinnen Graßnack und Borris
    beschlossen:

    Tenor:

    Dem Gläubiger wird gemäß § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ratenfreie Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt bewilligt.

    Auf die Rechtsbeschwerde des Gläubigers wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bremen vom 16. November 2021 aufgehoben.

    Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.



    Gründe



    I.

    1


    Der im Laufe des Rechtsbeschwerdeverfahrens volljährig gewordene Gläubiger betreibt auf der Grundlage eines Beschlusses des Oberlandesgerichts Bremen vom 2. April 2019 wegen Unterhaltsrückstands für die Zeit vom 1. Juli 2020 bis zum 18. Juni 2021 sowie wegen laufenden Unterhalts ab dem 1. Juli 2021 die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner, seinen Vater. Auf den Antrag des Gläubigers vom 18. Juni 2021 ist am 16. Juli 2021 ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erlassen worden, mit dem Ansprüche des Schuldners gegen den Drittschuldner gepfändet worden sind. Der dem Schuldner zu belassende pfandfreie Betrag ist auf 1.100 € je Monat festgesetzt worden.


    2


    Der Schuldner hat beantragt, den ihm pfandfrei zu belassenden Betrag unter Berücksichtigung seiner Unterhaltspflichten gegenüber seiner im Jahr 2011 geborenen Tochter M. , der er Naturalunterhalt leistet, heraufzusetzen. Das Amtsgericht - Vollstreckungsgericht - hat daraufhin den pfandfrei zu belassenden Betrag wie folgt neu festgesetzt: "Dem Schuldner dürfen von dem errechneten Nettoeinkommen bis zur Deckung des Gläubigeranspruchs für seinen eigenen notwendigen Unterhalt 1.100,00 € monatlich verbleiben sowie zur gleichmäßigen Befriedigung der Unterhaltsansprüche der berechtigten minderjährigen Person, die dem Gläubiger gleichsteht,1/2Anteile des Nettoeinkommens, das nach Abzug des notwendigen Unterhalts des Schuldners verbleibt." Das Beschwerdegericht hat die dagegen gerichtete Beschwerde des Gläubigers zurückgewiesen.


    3


    Hiergegen wendet sich der Gläubiger mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.




    II.

    4


    Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde des Gläubigers führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht.


    5


    1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Gläubiger habe gegenüber dem Schuldner Anspruch auf Unterhalt. Der Schuldner sei ebenfalls seiner Tochter M. gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet. Sowohl der Gläubiger als auch die Tochter M. seien minderjährige Kinder des Gläubigers. Innerhalb einer Gruppe ständen die Unterhaltsberechtigten einander gleich. Soweit der Gläubiger darauf abstelle, dass der Anspruch auf Herabsetzung der pfändbaren Einkünfte daran scheitere, dass der Schuldner seiner Tochter M. "nur" Naturalunterhalt, nicht aber Barunterhalt leiste, verfange dieser Ansatz nicht. Je nach Unterhaltsberechtigtem erhöhe sich der Pfändungsfreibetrag. Keine Rolle spiele es, ob der Unterhalt, der zu erbringen sei und auch tatsächlich erbracht werde, dem jeweiligen Pauschalbetrag entspreche oder ihn unter- oder überschreite. Aber Unterhalt müsse tatsächlich geleistet werden. Es sei aber nicht entscheidend, ob die Unterhaltsverpflichtung in voller Höhe erfüllt werde, weil über die konkrete Höhe der Unterhaltsverpflichtung im Vollstreckungsverfahren nicht gestritten werden solle.


    6


    Im vorliegenden Fall wohne die unterhaltsberechtigte Tochter M. beim Schuldner. Die Leistung des Schuldners von Unterhalt bemesse sich daher nicht allein anhand der unmittelbaren geldlichen Zahlungen an diese Tochter, sondern erfasse sämtliche Aufwendungen, die erforderlich seien, um den täglichen Lebensbedarf zu decken. Dies fange bei der Stellung von Wohnraum und Versorgungsleistungen an, gehe über die Ausstattung mit Kleidung bis hin zur Versorgung mit Lebensmitteln. Dass dieser Aufwand so geringfügig wäre, dass diese Unterhaltsleistung nicht zu berücksichtigen wäre, sei nicht ersichtlich.


    7


    2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.


    8


    a) Zutreffend geht das Beschwerdegericht allerdings davon aus, dass der Gläubiger und die minderjährige Tochter M. des Schuldners nach § 850d Abs. 2 ZPO , § 1609 Nr. 1 BGB als auf gleicher Stufe stehende Unterhaltsberechtigte im Sinne des § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO anzusehen sind. Die titulierte Unterhaltsforderung, wegen derer der Gläubiger vollstreckt, betrifft wie bei der Tochter M. den ihm als minderjährigem Kind vom Schuldner zu gewährenden Unterhalt. Dies zieht auch die Rechtsbeschwerde nicht in Zweifel.


    9


    b) Der Schuldner, der einem dem pfändenden Gläubiger gleichstehenden minderjährigen Kind keinen Barunterhalt, sondern Naturalunterhalt leistet, kann wie ein Barunterhalt leistender Schuldner die Heraufsetzung des ihm pfandfrei zu belassenden Betrags nach § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO verlangen.


    10


    aa) Betreibt der Gläubiger gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung wegen Unterhaltsansprüchen im Sinne des § 850d ZPO , ist dem Schuldner gemäß § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO so viel zu belassen, als er für seinen notwendigen Unterhalt und zur Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten gegenüber den dem Gläubiger vorgehenden Berechtigten oder zur gleichmäßigen Befriedigung der dem Gläubiger gleichstehenden Berechtigten bedarf. § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO ist dahin auszulegen, dass bei der Bestimmung des pfandfreien Betrags die laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten des Schuldners gegenüber den dem Gläubiger vorgehenden oder gleichstehenden Unterhaltsberechtigten nur in dem Umfang zu berücksichtigen sind, in dem der Schuldner seine gesetzlichen Unterhaltspflichten den weiteren Unterhaltsberechtigten gegenüber erfüllt oder in dem er von den weiteren Unterhaltsberechtigten im Wege der Zwangsvollstreckung in Anspruch genommen wird ( BGH, Beschluss vom 18. Januar 2023 - VII ZB 35/20 Rn. 14, juris). Gleiches hat zu gelten, wenn der Schuldner - wie hier - dem weiteren Unterhaltsberechtigten, der dem Gläubiger im Rang gleichsteht, Naturalunterhalt gewährt (vgl. MünchKommZPO/Smid, 6. Aufl., § 850d Rn. 24; Stein/Jonas/Würdinger, ZPO, 23. Aufl., § 850d Rn. 24; Stöber/Rellermeyer, Forderungspfändung, 17. Aufl., Rn. C.307).


    11


    bb) Der Elternteil, der ein minderjähriges Kind in seinem Haushalt betreut, erfüllt seine Verpflichtung, zum Unterhalt des Kindes beizutragen, gemäß § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB in der Regel durch die Pflege und Erziehung des Kindes. Die Gewährung von Naturalunterhalt ist gegenüber der Gewährung von Barunterhalt grundsätzlich gleichwertig. Die Unterhaltspflicht wird durch die Gewährung von Naturalunterhalt vollständig erfüllt (vgl. BGH, Urteil vom 8. April 1981 - IVb ZR 587/80 , MDR 1981, 832, juris Rn. 8; Urteil vom 2. Juli 1980 - IVb ZR 519/80 , NJW 1980, 2306, juris Rn. 5). Dem entspricht es, dass der einem minderjährigen Kind gewährte Naturalunterhalt als Einkommen bei der Bemessung des pfändungsfreien Betrags gemäß § 850c Abs. 6 ZPO zu berücksichtigen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2019 - IX ZB 83/18 Rn. 11, MDR 2020, 370; Beschluss vom 16. April 2015 - IX ZB 41/14 Rn. 6, MDR 2015, 797). In einem Mangelfall ist der Naturalunterhalt in einen fiktiven Barunterhaltsanspruch umzurechnen. Dabei ist es sachgerecht, den Naturalunterhalt nicht niedriger anzusetzen als einen in vergleichbaren Verhältnissen zu zahlenden Barunterhalt (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 1. Juli 1993 - 12 WF 61/93 ,FamRZ 1993, 1453, 1455).


    12


    cc) Das Beschwerdegericht hat den dem Schuldner über den eigenen notwendigen Unterhalt hinaus pfandfrei zu belassenden Betrag im Sinne des § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO jedoch fehlerhaft nach Kopfteilen der auf einer Rangstufe stehenden Unterhaltsberechtigten bemessen.


    13


    (1) Der dem Schuldner über den eigenen notwendigen Unterhalt hinaus pfandfrei zu belassende Betrag im Sinne des § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO hat der gleichmäßigen Befriedigung aller gleichstehenden Berechtigten zu dienen. Dies bedeutet, dass bei der Bemessung dieses Betrags die Berechtigten entsprechend dem Verhältnis der ihnen jeweils gegen den Schuldner zustehenden Unterhaltsansprüche zu berücksichtigen sind. Insoweit ist von den gesetzlichen Unterhaltsansprüchen auszugehen. Das den notwendigen Unterhalt des Schuldners übersteigende Einkommen ist zum Zwecke der Bestimmung des pfandfreien Betrags gemäß § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO im Verhältnis der Höhe der gesetzlichen Unterhaltsansprüche der Unterhaltsberechtigten in der gleichen Rangstufe zueinander zu quoteln (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 13. Juli 1999 - 26 W 52/99 , NJW-RR 2000, 220, juris Rn. 43;Zöller/Herget, ZPO, 34. Aufl., § 850d Rn. 11a; MünchKommZPO/Smid, 6. Aufl., § 850d Rn. 24; Stein/Jonas/Würdinger, ZPO, 23. Aufl., § 850d Rn. 23; Wieczorek/Schütze/Lüke, ZPO, 4. Aufl., § 850d Rn. 38a; Stöber/Rellermeyer, Forderungspfändung, 17. Aufl., Rn. C.320 m.w.N.).


    14


    (2) Das Beschwerdegericht hat keine Feststellungen zur Höhe des jeweiligen Unterhaltsbedarfs der beiden gleichstehenden Unterhaltsberechtigten im Hinblick auf deren unterschiedliches Lebensalter getroffen. Die Rechtsbeschwerde beanstandet zu Recht, dass das Beschwerdegericht bei der Bemessung des dem Schuldner pfandfrei zu belassenden Betrags im Sinne des § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO das Vorbringen des Gläubigers unberücksichtigt gelassen hat, wonach ihm hinsichtlich der titulierten Unterhaltsforderung ein Unterhaltsbetrag in Höhe von monatlich 528 € zugestanden habe, während für die im Jahr 2011 geborene Tochter M. ein Unterhaltsbedarf in Höhe von 451 € zu berücksichtigen gewesen sei. Trifft dieses Vorbringen zu, ist der dem Schuldner über seinen notwendigen Unterhalt hinausgehende pfandfrei zu belassende Betrag mit einer gegenüber der vom Beschwerdegericht angenommenen Quote von 50 % abweichenden Quote zu bemessen.


    15


    c) Die angefochtene Entscheidung kann danach keinen Bestand haben und ist aufzuheben. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden ( § 577 Abs. 5 ZPO ), weil das Beschwerdegericht keine Feststellungen dazu getroffen hat, in welcher Höhe der vom Gläubiger und der minderjährigen Tochter M. des Schuldners jeweils zu beanspruchende Unterhalt besteht und welche Quote sich zugunsten des Gläubigers hinsichtlich des nach § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO dem Schuldner pfandfrei zu belassenden Betrags danach ergibt.


    Pamp
    Halfmeier
    Jurgeleit
    Graßnack
    Borris

    Vorschriften§ 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO, § 850d Abs. 2 ZPO, § 1609 Nr. 1 BGB, § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO, § 850d ZPO, § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB, § 850c Abs. 6 ZPO, § 577 Abs. 5 ZPO