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  • · Fachbeitrag · Vertragsarztrecht

    Compliance in der Arztpraxis: Rundumschlag des BSG zur Abrechnungsprüfung

    von RA, FA MedR Dr. Thomas Willaschek, D+B Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Berlin, db-law.de

    | Das Bundessozialgericht (BSG) hat in einer aktuellen Entscheidung zur Plausibilitätsprüfung allerlei Pflöcke eingerammt: und zwar in Richtung des klagenden Arztes sowie auch der KV (BSG, Urteil vom 24.10.2018, Az. B 6 KA 44/17 R). |

    Sachverhalt

    Gestritten wurde um die sachlich-rechnerische Berichtigung der Honorarabrechnungen eines schleswig-holsteinischen Orthopäden für die Quartale I/2006 bis IV/2007. Ein „Klassiker“ in der Plausibilitätsprüfung: Neben dem damaligen orthopädischen Ordinationskomplex (nach Anhang 3 zum EBM nicht Tagesprofil-relevant) war sehr häufig die Beratungsziffer (im Tagesprofil: zehn Minuten) angesetzt worden.

     

    Die Praxis-EDV des Orthopäden hatte allein die Anhang-3-Zeiten berechnet und weitere EBM-Abrechnungsvorgaben ignoriert. Und die hatten es in sich: Die amtliche Anmerkung zur Gesprächsziffer im EBM sah vor, dass „bei der Nebeneinanderberechnung der Leistungen […] eine Arzt-Patienten-Kontaktzeit von mindestens 20 Minuten Voraussetzung für die Berechnung“ der Gesprächsleistung war.

     

    Die KV leitete ein Prüfverfahren ein. Bei jeder taggleichen Abrechnung von Ordinationskomplex und Gespräch setzte sie eine Prüfzeit von 20 Minuten an. So gerechnet lag an zahlreichen Tagen eine Überschreitung der Tagesprofilsgrenze von zwölf Stunden vor, die maximale Belastung lag bei über 18 Stunden. Der Arzt war der Auffassung, er habe nicht damit rechnen müssen, dass er die maßgeblichen Zeitprofile durch die Abrechnungskombination überschreite, weil seine Software keine Zeitüberschreitungen anzeigte. Die KV zeigte sich unbeeindruckt und berichtigte die Abrechnung um alle Beratungsziffern, die taggleich mit dem Ordinationskomplex angesetzt worden waren. Die Rückforderung betrug knapp 75.000 Euro.

     

    Schon beim Landessozialgericht (LSG) war der Arzt mit seinem Vortrag gescheitert, die KV habe in ihrer Zeitschrift missverständlich über die Abrechnungskombination informiert. Das LSG argumentierte formalistisch: Informationen einer KV ‒ fehlerhaft oder nicht ‒ können die Geltung der im EBM selbst geregelten Voraussetzungen nicht entkräften.

    Entscheidungsgründe

    Das BSG wies nun die Revision des Arztes zurück. Einige Aussagen des Urteils sind dabei bemerkenswert:

     

    • 1. Eine möglicherweise unzureichende Praxissoftware schützt Vertragsärzte im Ernstfall nicht vor Honorarrückforderungen, denn die Verantwortung für die Abrechnung gegenüber der KV bleibt immer allein beim Arzt.

     

    • 2. Die KV darf in derartigen Fällen jede Beratungsleistung kürzen, die am selben Tag wie der Ordinationskomplex angesetzt worden ist. Damit erfasse sie den „Kern der Unrichtigkeit der Abrechnungen“, nämlich die Nichtbeachtung der Zeitvorgabe (20 Minuten Kontaktzeit) bei taggleicher Erbringung beider Leistungen. Das gilt auch, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Arzt die Mindestzeitvorgabe in einzelnen Fällen eingehalten hat.
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    • PRAXISTIPP | Wie so oft ‒ Dokumentation schützt: Das BSG hätte bei exakter Dokumentation der Arzt-Patienten-Kontaktzeiten und damit dem Nachweis einer rechtmäßigen Kombinationsabrechnung wohl anders geurteilt.

       
    • 3. Das BSG setzt mit diesem Urteil (und anderen aktuellen Entscheidungen) einen neuen Akzent in der Rechtsprechung zur Abrechnungsprüfung: Es fordert Qualität über die im EBM und etwaigen Qualitätssicherheitsregelungen geregelten Anforderungen hinaus. Konkret argumentiert es, die Überschreitung der Grenze eines zwölfstündigen Arbeitstags sei so deutlich erfolgt, dass dann, wenn der Arzt die 20 Minuten-Kombinationszeit beachtet und eingehalten hätte, „andere Leistungen an dem jeweiligen Tag schwerlich in der gebotenen Form und Qualität erbracht worden sein können“. Das ist der richterliche r„Hammer“: Die „gebotene Form und Qualität“ wird dabei nicht konkretisiert. Es erscheint so, als unterstelle das BSG pauschal bei Leistungserbringung oberhalb der Zeitprofilsgrenzen ein Qualitätsdefizit.

     

    • 4. Dann bekommt die KV ihr Fett weg: Das BSG hält es für fraglich, ob es mit der sog. Gewährleistungspflicht einer KV vereinbar sei, „in (vermeintlich) lockerer Form den Vertragsärzten Hinweise zur Abrechnungsoptimierung zu geben“. Die KV habe ‒ „vordergründig zu Recht“, so das BSG ‒ darauf hingewiesen, dass eine Mindestzeit von 20 Minuten nicht erforderlich ist, wenn Ordinationskomplex und Beratung an verschiedenen Tagen berechnet werden. Ob sie damit eine Verteilung der Behandlung oder (nur) der Abrechnung auf verschiedene Tage habe empfehlen wollen, ließ das BSG dann aber offen. Jedenfalls könne sich ein Arzt auf Veröffentlichungen im journalistischen Teil einer KV-Zeitschrift nicht berufen.

     

    • 5. Das BSG stellt klar, dass eine Honorarkürzung wegen unrichtiger Abrechnung keine „Bestrafung“ sei, sondern nur die Korrektur eines rechtswidrigen Zustands. Natürlich müssten Ärzte, die falsch abrechnen, darüber hinaus mit strafrechtlichen und zulassungsrechtlichen Konsequenzen rechnen. Im Übrigen betont das BSG, es habe (in einem anderen Fall) eine Disziplinarmaßnahme gegen einen Arzt gebilligt, der einen „deutlich geringeren Schaden“ als die hier streitigen 75.000 Euro verursacht habe.
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    FAZIT | Weder KVen noch EDV-Hersteller haften für ihre Hinweise. Wenn es wichtig ist, fragen Sie deshalb einen Rechtsanwalt.

     
    Quelle: Ausgabe 05 / 2019 | Seite 12 | ID 45871509