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  • · Fachbeitrag · Verordnung

    Der korrekte Umgang mit dem Aut-idem-Kreuz

    von Rechtsanwalt Philip Christmann, Fachanwalt für Medizinrecht, Berlin/Heidelberg, www.christmann-law.de

    | Auf den ersten Blick ist es für den Arzt schwierig zu entscheiden, ob er eine Substitution eines Arzneimittels zulassen soll (durch Nichtsetzen des Aut-idem-Kreuzes auf der Verordnung) oder ob er die Substitution ausschließen soll (indem er im Feld bei „aut idem“ ein Kreuz setzt). Setzt er das Kreuz nicht, können haftungsrechtliche Risiken entstehen, setzt er es, können Regresse die Folge sein. |

    In der Regel ist die Substitution zu erlauben (kein Kreuz)

    Seit Inkrafttreten des Arzneimittelausgabenbegrenzungsgesetzes (AABG) vom 15. Februar 2002 ist die Aut-idem-Substitution (die dem Apotheker die Abgabe eines wirkstoffgleichen, aber preisgünstigeren Arzneimittels erlaubt) zum Regelfall geworden (vgl. Bundesgerichtshof [BGH], Beschluss vom 29.3.2012, Az. GSSt 2/11). Es ist also möglichst zu substituieren. Das Setzen des Aut-idem-Kreuzes (sprich das Verbot einer Substitution) ist damit der Ausnahmefall. Will der Arzt aus medizinischen Gründen eine Substitution ausschließen, muss er dies aktiv durch Ankreuzen des Aut-idem-Feldes tun (§ 29 Abs. 2 Bundesmantelvertrag-Ärzte [BMV-Ä]). Dies hat er gesondert zu begründen (§ 73 Abs. 5 SGB V).

     

    Mithin sollte der Arzt regelmäßig die Substitution erlauben. Es ist dann Sache des Apothekers, das abzugebende Arzneimittel auszuwählen (vgl. BGH, Beschluss vom 29.3.2012, Az. GSSt 2/11). Aut idem ist damit in der Regel eher für den Apotheker ein (Retaxations-)Problem, als ein rechtliches Problem für den Arzt. Es gibt auch keine gesetzliche Regelung, die dem Arzt explizit vorgibt, wann er ein Aut-idem-Kreuz setzen darf oder muss. Eine Sanktionierung für eine Verordnung mit Aut-idem-Kreuz ist pauschal nicht möglich.

     

    Bei der erforderlichen wertenden Gesamtbetrachtung steht diese Bindung an das Interesse des Patienten im Vordergrund; das Wirtschaftlichkeitsgebot tritt dahinter zurück (vgl. BGH, Beschluss vom 29.3.2012, Az. GSSt 2/11). Damit gilt, dass eine Verordnung, die aus ärztlicher Sicht medizinisch vertretbar ist, immer erlaubt ist. Positive Voraussetzungen für die Substitution sind:

     

    • Identische(r) Wirkstoff/Wirkstärke
    • Gleiche bzw. austauschbare Darreichungsform
    • Gleiches Anwendungsgebiet
    • Gleiches Packungsgrößenkennzeichen

     

    Für den Arzt ist es im Praxisbetrieb oftmals kaum möglich, diese positiven Voraussetzungen im Einzelnen durchzuprüfen. Es kann mittlerweile ein neues Generikum auf dem Markt erschienen sein, dass dem Arzt noch nicht bekannt ist oder über das er noch keine detaillierten Kenntnisse besitzt (Wirkstoff, Darreichungsform etc.). Er kann und sollte es daher, wenn keine medizinischen Gründe gegen eine Substitution vorliegen, dem Apotheker überlassen, ob er substituiert oder nicht. Die Aufgabe des Arztes beschränkt sich damit de facto darauf, zu prüfen, ob medizinische Gründe gegen eine Substitution sprechen. Medizinische Gründe gegen eine Substitution können sein:

     

    • Bekannte oder zu befürchtende allergische Reaktionen des Patienten auf Trägerstoff, Hilfsstoff oder Zusatzstoff des Substituts.
    • Bei Präparaten mit geringer therapeutischer Breite und empfindlicher Resorption (Wirkstoffe kritischer Dosierung, zum Beispiel Schilddrüsenhormone, Immunsuppressiva, Herzglykoside und Phenprocoumon) kann es bereits durch geringfügige Unterschiede der Bioverfügbarkeit zu mitunter gefährlichen Dosierungsproblemen kommen.
    • Substitut ist nicht in der notwendigen Darreichungsform oder Tablettengröße vorhanden (zum Beispiel: Tabletten sind nicht auf Dosis des Patienten teilbar/dosierbar).
    • Patient kommt mit Darreichungsform oder Darreichung des Substitutes nicht klar oder es besteht die Gefahr, dass multimorbide, alte oder verwirrte Patienten das Substitut falsch oder nicht einnehmen oder es mit anderen einzunehmenden Arzneimitteln, die ähnlich aussehen wie das Substitut, verwechseln etc. (mangelnde Compliance).
    • Uneinsichtiger Patient lehnt Substitut schlicht ab oder es ist zu befürchten, dass er es nicht einnehmen wird, ohne dies dem Arzt zu offenbaren (Non-Compliance).
    • Negative Wechselwirkungen des Substituts mit anderen einzunehmenden Arzneimitteln.

     

    Bei der Non-Compliance muss der Arzt besonders vorsichtig sein: Im Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) hat der Gesetzgeber zum 1. Januar 2011 mit der sogenannten Mehrkostenregelung eine Wahlmöglichkeit für den Versicherten geschaffen: Dieser kann nunmehr in der Apotheke statt des rabattierten oder eines der drei preisgünstigsten ein anderes Arzneimittel erhalten, sofern die oben genannten positiven Substitutionsvoraussetzungen erfüllt sind (§ 129 Abs. 1 S. 5 SGB V). Verträgt der Patient also das Substitut und verweigert dies lediglich, so kann er in der Apotheke auf sein gewohntes Medikament „upgraden“, wobei er die Mehrkosten aus eigener Tasche zahlen muss. Darauf ist der Patient vom Arzt hinzuweisen (§ 29 Abs. 5 BMV-Ä). Es gibt aber Patienten, denen dies nicht zu vermitteln ist. In solchen Fällen sollte wegen der drohenden Gefahr der Nichteinnahme der notwendigen Medikamente Aut idem ausgeschlossen werden, wobei dies besonders eingehend in der Behandlungsakte zu begründen ist. Besteht der Patient dann weiter auf seinem gewünschten Medikament, ist dies grundsätzlich sein eigenes Problem (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21.1.2013, Az. L 9 KR 333/12 B ER).

    Der Ausschluss von Aut idem ist besonders zu begründen

    Die medizinischen Gründe, die (ausnahmsweise) gegen eine Substitution sprechen, sind von zentraler Bedeutung. Der Arzt hat die Ausnahmevoraussetzung schlüssig und umfassend zu dokumentieren. Dies kann stichwortartig geschehen (zum Beispiel Non-Compliance bei älteren Patienten).

     

    Zur Dokumentation der Praxisbesonderheiten ist es empfehlenswert, die Patientenstruktur und die Struktur der Verordnungen statistisch aufzubereiten. Viele der in den Praxen eingesetzten EDV-Programme erlauben eine statistische Aufbereitung der Praxisstruktur nach Anzahl der Patienten, gestellten Diagnosen, Listen der kostenintensivsten Patienten, Listen der durchgeführten Therapiemaßnahmen und der dadurch verursachten Kosten, Berechnung der verursachten Kosten bei einzelnen Patienten pro Quartal etc.

     

    PRAXISHINWEIS | Als Mindestanforderung für die Dokumentation der Praxisbesonderheiten sind folgende Angaben nötig:

    • Stammdaten des Patienten einschließlich Kassenzugehörigkeit.
    • Primärdiagnose, die die Kosten ausgelöst hat (nach ICD-10-GM).
    • Soweit möglich, die tatsächlich entstandenen Kosten der Arzneitherapie, denn nicht jede schwere Diagnose zieht automatisch höhere Arzneikosten nach sich.
    • Weitere medizinische Daten wie Begleiterkrankungen, Allgemeinzustand, Gewicht etc. sind gemäß ICD-10-GM Klassifizierung in Codes anzugeben.
    • Begründung für Ausschluss Aut idem.
     

    Aut-idem-Ausschluss: Wenn schon denn schon

    Will der Arzt ein Aut idem sicher ausschließen, muss er nicht nur das Kreuz setzen, sondern auch das Medikament klar und verwechslungssicher bezeichnen. Das heißt, er muss den Handelsnamen, Wirkstoff, Wirkstoffmenge und Packungsgröße auf dem Rezept angeben.

    Probleme mit Aut idem

    Aut idem kann in drei Fällen für den Arzt problematisch werden: Wenn der Arzt Aut idem zulässt und das Substitut zu gesundheitlichen Schäden des Patienten führt (Haftungsproblem), wenn er Aut idem in Einzelfällen verbietet und dadurch insgesamt zu hohe Arzneimittelkosten anhäuft (Regressproblem) und wenn der Arzt Aut idem flächendeckend verbietet (Quotenproblem).

     

    Haftungsproblem

    Hat der Arzt lediglich den Wirkstoff verordnet und dem Apotheker den Austausch erlaubt, und kommt es dann zu einer gesundheitlichen Schädigung des Patienten durch das tatsächlich abgegebene Arzneimittel (zum Beispiel aufgrund einer allergischen Reaktion auf einen Trägerstoff, der im individuell gebotenen Arzneimittel nicht enthalten ist), kann der Vertragsarzt zum Ersatz des daraus entstandenen (Gesundheits-)Schadens verpflichtet sein (Arzthaftung).

     

    Das Haftungsproblem wird sich nach meiner Erfahrung aber nur in Ausnahmefällen stellen. Eine Haftung ist nur denkbar, wenn der Arzt wusste oder wissen musste, dass der Patient das Substitut nicht verträgt. Außerhalb dieser Sonderfälle ist die Rechtsprechung mit den Ärzten recht gnädig und entbindet den Arzt von einer Haftung für Medikamentenschäden, soweit dessen Verordnung medizinisch vertretbar war.

     

    Regressproblem

    Es ist dem Arzt nicht erlaubt, aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus einem Patienten das von diesem benötigte Medikament zu verweigern bzw. dem Patienten ein Substitut zuzumuten, dass dieser nicht verträgt. Er muss in diesem Fall in Kauf nehmen, ins Visier der Wirtschaftlichkeitsprüfung zu geraten - einem Regress kann er ja durch Geltendmachung der sorgsam dokumentierten medizinischen Gründe gegen eine Substitution im Einzelfall entgehen.

     

    Die Grenze der faktischen Verordnungsfreiheit des Arztes ist dann erreicht, wenn ein Arzt durch das Verordnen teurerer (Original-)Arzneimittel in der Summe die Richtgröße um mehr als 15 Prozent überschreitet (Disziplinierung per Regress). Entscheidet sich der Arzt aus im Einzelfall vorliegenden medizinischen Gründen gegen eine Substitution, so darf ihm dies nicht zum Nachteil gereichen. Die Kosten derartiger Ausnahmefälle können daher aus der Wirtschaftlichkeitsprüfung „herausgerechnet“ werden (§ 106 Abs. 5a SGB V). Ein Ausnahmefall liegt dagegen nicht vor, wenn ein Arzt sich lediglich aus Gewohnheit gegen eine Substitution entscheidet, quasi nach dem Motto „Mit dem Originalmittel habe ich bisher die besten Erfahrungen gemacht“. Nur eine einzelfallbezogene Begründung kann einen Regress vermeiden. Diese kann der Arzt aber nur geben, wenn er sie im Einzelfall dokumentiert hat und im Nachhinein ohne großen Aufwand aus der Patientenakte exzerpieren kann.

     

    Quotenproblem

    Es gibt keine Quoten, bis zu welcher Zahl der Rezepte der Arzt Aut-idem ausschließen darf. Eine solche Quote ließe sich nicht mit dem Patientenschutz vereinbaren. Denn wenn der Arzt in medizinisch vertretbarer Weise der Meinung ist, sein Patient benötige ein bestimmtes (Original-)Arzneimittel, so hat er es unter Substitutionsausschluss zu verordnen, auch wenn dies im Ergebnis dazu führt, dass er bei vielen seiner Patienten die Substitution ausschließt. Es gibt allerdings bestimmte Grenzen, ab denen die KVen stutzig werden und die Vorgänge überprüfen. Wenn in bestimmten Praxen bis zu 50 oder mehr Prozent die Substitution ausgeschlossen wird, schreibt die KV den Arzt an und belehrt ihn. So ist es Mitte 2014 in Bremen geschehen. Dort schloss der Durchschnitt aller Bremer Ärzte in 21 Prozent der Fälle eine Substitution aus. Einige Ärzte schlossen die Substitution aber in fast allen Fällen aus, weshalb die KV eine Manipulation der Praxissoftware vermutete.

     

    MERKE | Die KV hat keine gesetzliche Handhabe, dem Arzt eine bestimmte Verordnungsweise vorzuschreiben. Der Arzt entscheidet, was er verordnet.

     

    • Er darf die Substitution zulassen, wenn auf den ersten Blick die positiven Voraussetzungen dafür vorliegen und keine medizinischen Gründe dagegen sprechen.
    • Wenn die positiven Voraussetzungen einer Substitution gegeben sind, medizinische Gründe aber im Einzelfall gegen eine Substitution sprechen, muss er die Substitution ausschließen. Entscheidend ist, dass der Arzt diese medizinischen Gründe sicher dokumentiert.
    • Wenn medizinische Gründe gegen eine Substitution vorliegen, hat der Arzt keine Wahl - er muss die Substitution ausschließen. Ansonsten droht Arzthaftung.

     

    Ein standardmäßiges Setzen des Aut-idem-Kreuzes ist ein klarer berufsrechtlicher sowie ein Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot und zieht disziplinarische Maßnahmen nach sich.

     
    Quelle: Ausgabe 12 / 2015 | Seite 17 | ID 43721260