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  • · Fachbeitrag · Steuerrecht

    Ersatzbemessungsgrundlage im Grunderwerbsteuerrecht verfassungswidrig

    von RAin Gabriele Ritter, und FAin für Steuer- und Sozialrecht, Ritter&Partner mbB, Rechtsanwälte und Steuerberater, Wittlich

    | Das BVerfG hat mit Beschluss vom 23.6.15 (1 BvL 13/11, 1 BvL 14/11, Abruf-Nr. 145009 und 145100 ) entschieden, dass die Regelung über die Ersatzbemessungsgrundlage im Grunderwerbsteuerrecht mit dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) unvereinbar ist. Die Ersatzbemessungsgrundlage kommt z.B. zur Anwendung, wenn eine Gegenleistung nicht vorhanden ist. Der Ersatzmaßstab des § 8 Abs. 2 GrEStG führt nach Auffassung des Gerichts zu einer erheblichen und sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung. |

    1. Zum Sachverhalt

    Klägerin des Ausgangsverfahrens zu 1 BvL 13/11 ist laut Pressemitteilung des BVerfG eine Körperschaft US-amerikanischen Rechts. Am 26.4.01 kaufte sie eine GmbH und eine GbR, zu deren Gesellschaftsvermögen zahlreiche unbebaute, bebaute sowie land- und forstwirtschaftliche Grundstücke gehörten.

     

    Klägerin des Ausgangsverfahrens zu 1 BvL 14/11 ist eine GmbH. Sie kaufte am 18.12.02 von ihrer Alleingesellschafterin, einer AG, den einzigen Geschäftsanteil an einer anderen GmbH, die Eigentümerin eines unbebauten und eines bebauten Grundstücks war.

     

    Die Einsprüche der Klägerinnen gegen den jeweiligen Grunderwerbsteuerbescheid und ihre Klagen vor dem FG blieben erfolglos. Der BFH hat die beiden Ausgangsverfahren ausgesetzt und dem BVerfG im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit der Ersatzbemessungsgrundlage vorgelegt.

    2. Erwägungen des BVerfG

    Regelbemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer ist nach § 8 Abs. 1 GrEStG der Wert der Gegenleistung, insbesondere der Kaufpreis. Auf die Ersatzbemessungsgrundlage nach § 8 Abs. 2 GrEStG ist zurückzugreifen bei

    • Fehlen einer Gegenleistung,
    • Erwerbsvorgängen auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage sowie
    • Übertragung von mindestens 95 % der Anteile an Gesellschaften.

     

    Kommt es auf die Ersatzbemessungsgrundlage an, bemisst sich die Grunderwerbsteuer nach den §§ 138 ff. Bewertungsgesetz (BewG).

     

    § 8 Abs. 2 GrEStG ist - so die Feststellungen des BVerfG - mit dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) unvereinbar.

     

    2.1 Ungleichbehandlung

    Wird die Grunderwerbsteuer nach der Ersatzbemessungsgrundlage des § 8 Abs. 2 GrEStG mithilfe der Bewertungsvorschriften (§§ 138 ff. BewG) bestimmt, hat dies eine erhebliche Ungleichbehandlung gegenüber den Steuerschuldnern zur Folge, deren Grunderwerbsteuer auf der Grundlage der Regelbemessungsgrundlage nach § 8 Abs. 1 GrEStG (z.B. der Kaufpreis) berechnet wird. Dazu im Einzelnen folgende Feststellungen des BVerfG:

     

    Die als die Regelbemessungsgrundlage maßgebliche Gegenleistung wird regelmäßig den gemeinen Wert des Grundstücks widerspiegeln. Von diesem gemeinen Wert weichen die bei Anwendung der Ersatzbemessungsgrundlage ermittelten Werte sowohl im Durchschnitt als auch in vielen Einzelfällen gravierend ab.

     

    • Nach § 8 Abs. 1 GrEStG bemisst sich die Grunderwerbsteuer nach dem Wert der Gegenleistung. Das Gesetz gibt nicht vor, dass dies notwendig der Verkehrswert (gemeine Wert) ist, und fingiert ihn auch nicht als solchen. Die Gegenleistung für die steuerpflichtigen Erwerbsvorgänge an Grundstücken (§ 1 GrEStG) ist Ausfluss privatautonomer Vereinbarung. Da die Vertragschließenden jedoch meist gegenläufige Interessen verfolgen, wird die Gegenleistung regelmäßig dem gemeinen Wert (d.h. dem Verkehrswert) des Grundstücks entsprechen.

     

    • Die Anknüpfung an die vereinbarte Gegenleistung in § 8 Abs. 1 GrEStG schließt zwar nicht aus, dass diese im Einzelfall unter oder über dem gemeinen Wert liegen kann. Wird der gemeine Wert durch die Gegenleistung deutlich verfehlt, geht die Rechtspraxis jedoch davon aus, dass eine Schenkung vorliegt, die daher der Schenkungsteuer unterfällt (§ 3 Nr. 2 GrEStG; BFHE 232, 358, Rn. 77). Auch dies bestätigt die Annahme, dass mit der vereinbarten Gegenleistung i.S. des § 8 Abs. 1 GrEStG regelmäßig an den gemeinen Wert des Grundstücks angeknüpft wird.

     

    • Demgegenüber weichen die Werte, die nach den Bewertungsregeln der §§ 138 ff. BewG als Ersatzbemessungsgrundlage ermittelt werden, erheblich vom gemeinen Wert ab. Dies ergibt sich aus den Feststellungen im Beschluss des BVerfG vom 7.11.06 (BVerfGE 117, 1), die auch in diesem Verfahren verwertbar sind. Entscheidend hierfür ist, dass die Anwendung der Bewertungsregeln in beiden Steuerarten letztlich auf das gleiche Ziel gerichtet ist, den gemeinen Wert festzustellen.

     

    • Für bebaute Grundstücke führt das in § 146 Abs. 2 BewG angeordnete, vereinfachte Ertragswertverfahren zu Werten, die im Durchschnitt 50 % unter dem Kaufpreis und damit unter dem gemeinen Wert liegen. Außerdem ist der starre Vervielfältiger von 12,5 zur Bestimmung des Durchschnittsertrags strukturell ungeeignet, um eine gleichheitsgerechte Annäherung an den gemeinen Wert zu erzielen; die Einzelergebnisse differieren zwischen weniger als 20 % und über 100 % des gemeinen Werts.

     

    • Der Wert eines unbebauten Grundstücks bestimmt sich gemäß § 145 Abs. 3 BewG nach dem um 20 % ermäßigten Bodenrichtwert. Berücksichtigt man den vorsichtigen Ansatz der Bodenrichtwerte, wird so durchschnittlich lediglich ein Bewertungsniveau von rund 70 % der Verkehrswerte erreicht. Der land- und forstwirtschaftliche Grundbesitzwert wird nach § 144 BewG aus dem Betriebswert, dem Wert der Betriebswohnungen und dem Wert des Wohnteils gebildet. Für den Wert der Betriebswohnung und des Wohnteils ergeben sich dieselben Ungleichheiten wie bei der Bewertung bebauter Grundstücke. Zudem erreicht der land- und forstwirtschaftliche Grundbesitzwert im Durchschnitt lediglich rund 10 % des Verkehrswerts.

     

    2.2 Kein Rechtfertigungsgrund

    Ein hinreichend gewichtiger Sachgrund zur Rechtfertigung dieser erheblichen Ungleichbehandlung ist nach Auffassung des BVerfG nicht ersichtlich.

     

    • Die mit der Ersatzbemessungsgrundlage regelmäßig verbundenen Abweichungen vom gemeinen Wert können nicht mit etwaigen Lenkungszielen der Bewertungsregeln gerechtfertigt werden. Verfolgt das Gesetz mit der Gegenleistung als Regelbemessungsgrundlage offensichtlich ausschließlich das fiskalische Ziel, die steuerrelevanten Grunderwerbsvorgänge nach dem Verkehrswert zu besteuern, darf es bei der Ersatzbemessungsgrundlage keinem davon abweichenden Ziel nachgehen. Ein allein in der Ersatzbemessungsgrundlage angelegtes Lenkungs- oder Förderziel kann daher eine Ungleichbehandlung gegenüber der Regelbemessungsgrundlage von vornherein nicht rechtfertigen. Es widerspricht dem verfassungsrechtlichen Gebot, Ersatzbemessungsgrundlagen nach Möglichkeit so auszugestalten, dass sie Ergebnisse erzielen, die denen der Regelbemessungsgrundlage weitgehend angenähert sind.

     

    • Auch der Gedanke der Verwaltungsvereinfachung trägt die hier in Rede stehenden Bewertungsmängel nicht. Zwar darf der Gesetzgeber Bewertungsnormen so gestalten, dass sie möglichst einfach und praktikabel zu handhaben sind und dafür auch auf Detailgenauigkeit im Bewertungsergebnis verzichten. Die festgestellten Bewertungsdisparitäten sind jedoch struktureller Natur und nicht von Typisierungs- oder Pauschalierungserwägungen des Gesetzgebers getragen. Entweder zielen die beanstandeten Bewertungsregeln bewusst auf eine erhebliche Unterbewertung des Grundvermögens wie insbesondere beim land- und forstwirtschaftlichen Vermögen, knüpfen systematisch an untaugliche oder wertverfälschende Parameter an oder führen mehr oder minder ungewollt zu Zufallsergebnissen. Nirgendwo sind die Mängel jedoch Folge einer bewussten Typisierungsentscheidung des Gesetzgebers für die Grunderwerbsteuer. Selbst wenn sie es wären, könnten sie aufgrund ihrer Größenordnung nicht mehr als verfassungsrechtlich hinnehmbare Vernachlässigungen der Besonderheiten des Einzelfalls anerkannt werden.

     

    2.3 Regelung ab 2007 beseitigt Ungleichbehandlung nicht

    Der Gesetzgeber hat zwar ab dem 1.1.07 für die Bewertung unbebauter Grundstücke den bis dahin bestehenden Rückbezug auf die Wertverhältnisse zum 1.1.96 und damit eine Fehlerquelle aufgegeben. An der verfassungsrechtlichen Gesamtbewertung der Ungleichbehandlung zwischen Regel- und Ersatzbemessungsgrundlage ändert dies im Ergebnis allerdings nichts, insbesondere im Hinblick auf die generelle Unterbewertung von Grundvermögen sowie von land- und forstwirtschaftlichem Vermögen.

     

    Die Unvereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG ist auf die Regelung über die Ersatzbemessungsgrundlage beschränkt; sie ist ab dem 1.1.09 nicht mehr anwendbar und vom Gesetzgeber durch eine Neuregelung zu ersetzen. Die Tarifnorm des § 11 Abs. 1 GrEStG (Steuersatz) wird davon nicht erfasst. Die Unanwendbarkeit der Ersatzbemessungsgrundlage steht der Steuererhebung in den Fällen der Regelbemessungsgrundlage des § 8 Abs. 1 GrEStG nicht entgegen.

     

    Der Gesetzgeber ist nun verpflichtet, spätestens bis zum 30.6.16 rückwirkend zum 1.1.09 eine Neuregelung zu treffen. Die Fortgeltung von § 8 Abs. 2 GrEStG wird lediglich bis zum 31.12.08 angeordnet.

    3. Auswirkungen in der Praxis bei gemeinnützigen Stiftungen

    Der Status der Gemeinnützigkeit ist für die Grunderwerbsteuer unbeachtlich. Non-Profit-Organisationen unterliegen im Grundsatz genauso der Grunderwerbsteuer wie erwerbswirtschaftliche Unternehmen. Bemessungsgrundlage ist die Gegenleistung, in der Regel also der Kaufpreis, § 8 Abs. 1 GrEStG i.V. mit § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG. Ist ein solcher nicht vereinbart oder auch nicht ermittelbar, kann es zur Anwendung der Ersatzbemessungsgrundlage kommen. Z.B. kann auch die Vereinbarung eines symbolischen Kaufpreises von 1 EUR zur Anwendung der Ersatzbemessungsgrundlage führen. Insofern handelt es sich im Allgemeinen nicht um eine ernsthaft vereinbarte Gegenleistung (BFH 7.12.94, II R 9/92, BStBl II 95, 268), es sei denn, andere Indizien, wie z.B. ein schlechter Gebäudezustand, lassen eine andere Beurteilung zu. Ist eine Gegenleistung nicht vorhanden oder ermittelbar, greift hier (subsidiär) die Regelung des § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 GrEStG.

     

    Bei gemeinnützigen Körperschaften kommt die Ersatzbemessungsgrundlage auch häufiger zur Anwendung, wenn Anteile an Tochtergesellschaften mit Immobilienvermögen übertragen werden oder Übertragungen im Rahmen von Umwandlungsvorgängen oder anderen Erwerbsvorgängen auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage erfolgen.

     

    Nach der bisherigen Gesetzeslage wurden diese Vorgänge nach dem (i.d. Regel günstigeren) Bewertungsverfahren ermittelt. Fortan müssen nun auch gemeinnützige Einrichtungen damit rechnen, dass es zu einer Mehrbelastung mit Grunderwerbsteuer kommt.

     

    Soweit Steuerfälle noch offen sind, kann dies im Grundsatz auch rückwirkend erfolgen, denn nach der Entscheidung des BVerfG sind die betreffenden Vorschriften des GrEStG nur noch bis Ende 2008 anwendbar. Insbesondere betroffen dürften Vorgänge sein, die durch die Finanzverwaltung noch gar nicht aufgegriffen oder beschieden sind. Liegt hingegen ein formell bestandskräftiger (also unanfechtbarer) Bescheid bereits vor, dürfte die Vertrauensschutzregelung in § 176 AO einer nachträglichen Erhöhung der Grunderwerbsteuer entgegenstehen. Dies betrifft vor allem die Steuerfestsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids darf nämlich nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass das Bundesverfassungsgericht die Nichtigkeit eines einschlägigen Gesetzes festgestellt hat bzw. ein oberstes Gericht des Bundes eine Norm, auf die die Steuerfestsetzung beruht, nicht anwendet, weil es sie für verfassungswidrig hält. Das BVerfG hat in seinen Entscheidungsgründen ausdrücklich auf diese Norm hingewiesen.

     

    Die Vorschrift des § 176 AO ist nach Auffassung der Rechtsprechung jedoch nicht im Einspruchsverfahren anwendbar, weil in diesen Fällen die in § 176 AO vorausgesetzte und geschützte Vertrauenssituation nicht gegeben ist. Wer ein Rechtsmittel gegen den Bescheid einlegt, muss damit rechnen, dass sich im Verlaufe des Verfahrens neue Rechtserkenntnisse durchsetzen und sich die bisherige Rechtsprechung ändert (so FG des Saarlands 29.4.04, 1 V 71/04 m.w.N.). Für im Einspruchsverfahren befindliche Fälle hat die Finanzbehörde nach § 367 Abs. 2 S. 2 AO ausdrücklich nicht nur die für den Einspruchsführer belastenden Fehler zu korrigieren, sondern auch ihn begünstigende Fehler richtigzustellen (Möglichkeit der Verböserung im Einspruchsverfahren). Voraussetzung der Verböserung ist, dass der Einspruchsführer auf die Möglichkeit der verbösernden Entscheidung unter Angaben von Gründen hingewiesen und ihm eine Gelegenheit gegeben wird, sich hierzu zu äußern. In diesen Fällen sollte gegebenenfalls über eine Rücknahme des Einspruchs nachgedacht werden.

     

    Soweit bekannt, will sich die Finanzverwaltung in Kürze zu der Umsetzung des Urteils äußern.

     

     
    Quelle: Ausgabe 09 / 2015 | Seite 170 | ID 43561439