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  • · Fachbeitrag · Steuerrecht

    BFH zur Ertragsbesteuerung von Zytostatika

    von RAin Gabriele Ritter, FAin für Steuer- und Sozialrecht,BDO AG, Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Köln

    | Ungewöhnlich lange dauerte die schriftliche Abfassung der Urteilsgründe zu den vom BFH zurückgewiesenen Revisionen der betroffenen Finanzämter zur Frage der Ertragsbesteuerung von Zytostatikalieferungen. Nun liegen die Gründe der bereits am 31.7.13 gefällten Urteile vor. Sie mögen den ein oder anderen vor dem Hintergrund der wettbewerbsrechtlichen Feststellungen des obersten Gerichts überraschen. |

    1. Die Kernaussagen

    Streitig war die ertragsteuerliche Beurteilung von Zytostatikabelieferungen durch ein Krankenhaus. Der BFH hatte in zwei ähnlich gelagerten Verfahren zu prüfen, ob Gewinne aus der Lieferung von Zytostatika für ambulante Patienten von der Körperschaft- und Gewerbesteuer zu befreien waren. Dabei wurden unterschiedliche Sachverhalte realisiert.

     

    • Einmal ging es um die Lieferung der Arzneimittel für Patienten, die durch das Krankenhaus selbst ambulant im Rahmen einer sogenannten Institutsermächtigung behandelt wurden (BFH 31.7.13, I R 82/12, Abruf-Nr. 134047).

     

    • Im anderen Fall erfolgte zusätzlich die Belieferung für Patienten von im Krankenhaus angestellten Ärzten, die im Rahmen einer persönlichen Ermächtigung ambulant ärztlich behandeln (BFH 31.7.13, I R 31/12, Abruf-Nr. 140289).

     

    Der BFH gab in beiden Fällen den Klagen der Krankenhäuser statt. Dabei orientierte er sich am Normzweck des § 67 AO (in der für die Streitjahre geltenden Fassung), der die Sozialversicherungsträger als Kostenträger für ihre Versicherten steuerlich entlasten soll.

     

    1.1 Typische Krankenhausleistung

    Nach der Auffassung des BFH handelt es sich bei der Abgabe von Zytostatika an im Krankenhaus ambulant zu behandelnde Patienten solange um eine typischerweise gegenüber dem Patienten erbrachte Leistung, als

    • das Krankenhaus zur Sicherstellung seines Versorgungsauftrages von Gesetzes wegen hierzu befugt ist und
    • der Sozialversicherungsträger als Kostenträger für seine Versicherten deshalb grundsätzlich zahlen muss.

     

    Die Finanzverwaltung vertrat die Auffassung, dass die Abgabe von Zytostatika an ambulant behandelte Patienten eine selbstständige Leistung ist, die nicht dem Zweckbetrieb Krankenhaus (§ 67 AO) zugeordnet werden kann. Diese überzeugt den BFH nicht, da sie auf einer unzutreffenden Übertragung spezifisch umsatzsteuerlicher Grundsätze zu § 4 Nr. 16b UStG (2005) beruht. Dem Umsatzsteuerrecht ist wegen der Beschränkung der Steuerfreiheit auf eng verbundene Umsätze eine tatbestandliche Verengung der Steuerbefreiung immanent, die für die Körperschaft- und Gewerbesteuer nicht relevant ist.

     

    Anders als die Lieferung von Medikamenten an Dritte, das Personal des Krankenhauses sowie an andere Kliniken und Apotheken ist die Abgabe der Zytostatika an ambulant behandelte Patienten eine von einem Krankenhaus typischerweise gegenüber den Patienten erbrachte Leistung. Sie erfolgt allein, um eine effektive ambulante onkologische Behandlung im Krankenhaus zu gewährleisten, die - wie auch die Zytostatikaabgabe - grundsätzlich zulasten der Krankenkassen erfolgt.

     

    § 39 Abs. 1 S. 1 SGB V - so der BFH - geht davon aus, dass neben stationären, teilstationären und vor- und nachstationären Behandlungen ebenso ambulante Behandlungen im Krankenhaus möglich sind. Ferner hat der Gesetzgeber durch § 116 SGB V die Möglichkeit geschaffen, dass Krankenhausärzte zur ambulanten vertragsärztlichen Versorgung der Patienten ermächtigt werden können. Nicht zuletzt aus dem Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung vom 14.11.03 (BGBl I 03, 2190) wird der gesetzgeberische Wille deutlich, die weitgehende Trennung der Versorgungsbereiche ambulant/ stationär zu überwinden.

     

    1.2 Begriff des Krankenhauses unterliegt Wandlungen

    Der BFH erteilt darüber hinaus der Auffassung der Finanzverwaltung eine Absage, dass der Zweckbetrieb Krankenhaus so zu definieren sei, wie er bei Inkrafttreten der AO 1977 verstanden worden ist. Bei der Definition Zweckbetrieb Krankenhaus muss laut BFH vielmehr die seitdem erfolgte Wandlung des Tätigkeitsbilds, insbesondere die Öffnung für ambulante Behandlungen, im Rahmen der Zurechnung zum Zweckbetrieb nach § 67 Abs. 1 AO berücksichtigt werden. Die Begriffe der ärztlichen und pflegerischen Leistungen sind somit nicht statisch in dem Sinne zu verstehen, dass auf das Tätigkeitsbild des Krankenhauses bei Inkrafttreten der AO am 1.1.77 abzustellen ist. Für die Interpretation der Finanzverwaltung lässt der Wortlaut des § 67 Abs. 1 AO jedweden Anhaltspunkt vermissen. Es ist insbesondere kein Grund ersichtlich, warum der Gesetzgeber dann auf die jeweils aktuellen Vorschriften des Krankenhausentgeltgesetzes und der Bundespflegesatzverordnung verweist und hierdurch einen Bezug zu den sozialrechtlichen Legaldefinitionen des Krankenhausbegriffes herstellt. Auch angesichts des gesetzgeberischen Zwecks des § 67 Abs. 1 AO wäre es nicht nachvollziehbar, auf das Betätigungsfeld eines Krankenhauses zum 1.1.77 abzustellen.

     

    Bezweckt der Gesetzgeber die steuerliche Entlastung der Sozialversicherungsträger, kann dies in dem von ihm umfassend gewollten Sinn nur erreicht werden, wenn auf den jeweils aktuellen Versorgungsauftrag des Krankenhauses abgestellt wird.

     

    1.3 Keine weiteren Differenzierungen

    In seiner Entscheidung differenziert der BFH nicht danach, ob eine Belieferung mit Zytostatika im Rahmen einer Institutsermächtigung oder im Rahmen einer persönlichen Ermächtigung vorliegt. Der Zurechnungszusammenhang der ambulanten Behandlungen zum Krankenhaus wird nach Auffassung der Richter nicht dadurch unterbrochen, dass sie im Rahmen einer persönlichen Ermächtigung erfolgen. Der ermächtigte Arzt wird gemäß § 116 SGB V als Krankenhausarzt und nicht als ein außerhalb des Krankenhausbetriebs praktizierender niedergelassener Arzt tätig. Zur weiteren Untermauerung seiner Auffassung weist der BFH auf den im entschiedenen Fall vorliegenden Umstand hin, dass der Arzt in jenem Fall die Leistung als Dienstaufgabe im Rahmen seines Dienstvertrags ausführe.

     

    Ferner sieht das Gericht es als unschädlich an, dass bei formaler Betrachtung die Abgabe der Zytostatika nicht an den ermächtigten Krankenhausarzt, sondern an die ambulant behandelten Patienten zwecks unmittelbarer Verabreichung erfolgt. Die Abgabe erfolgt auf Veranlassung des ermächtigten Arztes. Dieser Fall muss nach Sinn und Zweck des Apothekengesetzes (§ 14 Abs. 4 S. 3 Alt. 6 ApoG 2002 bzw. des § 14 Abs. 7 S. 2 Alt. 6 ApoG 2005) erfasst sein, da der Gesetzgeber das Aufgabenfeld der Krankenhausapotheken nicht nur in den Fällen einer unmittelbaren Abgabe an ermächtigte Ambulanzen des Krankenhauses erweitern wollte. Ziel war vielmehr in einem umfassenderen Sinn, die gesamte ambulante Versorgung in den Ambulanzen von Krankenhäusern zu ermöglichen (BT-Drucksache 14/756, S. 5). Die Voraussetzungen des ApoG sind darüber hinaus auch erfüllt, soweit die Abgabe der Zytostatika nicht gegenüber Privatpatienten erfolgt ist. Dem ApoG ist grundsätzlich eine Differenzierung zwischen der Versorgung von gesetzlich und privat Versicherten fremd.

     

    Zum Thema Wettbewerb bestätigt der BFH erneut seine Auffassung, dass ein tatsächlicher oder nur potenzieller Wettbewerb zwar für den allgemeinen Zweckbetrieb (§ 65 Nr. 3 AO) relevant sei, nicht jedoch im Rahmen des § 67 AO.

    2. Das Überraschende an den Entscheidungen des BFH

    Gebührenden Raum gibt der BFH in seinen Entscheidungen der Erörterung des europäischen Wettbewerbsrechts in Gestalt des Beihilfeverbots im Zusammenhang mit der streitigen Steuerbefreiung. Diese könnte nach Auffassung des Gerichts eine unzulässige Beihilfe i.S. von Art. 87 Abs. 1 EG-Vertrag (jetzt Art. 107 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)) sein. Danach sind - soweit in den Verträgen nicht etwas anderes bestimmt ist - staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.

     

    2.1 Vereinbarkeit der Beihilfen mit dem Binnenmarkt

    Nach Auffassung des BFH obliegt es allerdings nicht den mitgliedstaatlichen Gerichten, darüber zu entscheiden, ob eine staatliche Beihilfe mit dem Binnenmarkt vereinbar ist. Hierzu ist vielmehr die Kommission für die Beurteilung der Vereinbarkeit von Beihilfemaßnahmen oder einer Beihilferegelung mit dem Gemeinsamen Markt berufen, die dabei ihrerseits der gerichtlichen Kontrolle unterliegt.

    2.2 Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Durchführungsverbot

    Das Durchführungsverbot des EU-Beihilferechts kann nach Auffassung des BFH allerdings von den mitgliedstaatlichen Gerichten bei seinen Entscheidungen berücksichtigt werden. Nach Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV darf ein Mitgliedstaat eine Beihilfe nicht durchführen - also einführen oder auch umgestalten - bevor die Kommission einen abschließenden Beschluss erlassen hat.

     

    Für die vorliegenden Fälle ergab sich jedoch hieraus keine Möglichkeit, die vorinstanzliche Entscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen. Denn das Durchführungsverbot ist nur auf neue Beihilfen anzuwenden, nicht jedoch auf bestehende Beihilfen. Dies sind insbesondere solche, die vor Inkrafttreten des EG Vertrags eingeführt worden und auch nach dessen Inkrafttreten noch anwendbar sind. Bei den streitigen Steuerbefreiungen der §§ 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG und 3 Nr. 6 GewStG, jeweils i.V. mit § 67 AO, handelt es sich jedoch um bestehende Beihilfen, sodass das Durchführungsverbot nicht gilt.

     

    Auch liegt nach Auffassung des BFH keine Neubeihilfe durch Umgestaltung vor, etwa weil sich das Aufgabenfeld der Krankenhäuser stark gewandelt hat. Maßstab für die Einstufung einer Beihilfe als neue oder umgewandelte Beihilfe sind allein die Bestimmungen, in denen sie vorgesehen ist, sowie die dort vorgesehenen Modalitäten und Einschränkungen. Dass sich sozialrechtliche und apothekenrechtliche Bestimmungen geändert haben und sich hierdurch der Umfang der Steuerbefreiung verändert hat, ist nicht von Belang. Der Senat hat die von ihm vorgenommene Auslegung des Unionsrechts für derart offenkundig gehalten, dass es nach seiner Ansicht einer Vorlage bei dem EuGH nicht bedurfte.

     

    FAZIT | Die Entscheidungsgründe der besprochenen Verfahren machen deutlich, dass Steuerbefreiungen im gemeinnützigen Bereich grundsätzlich wettbewerbsneutral zu sein haben. Insbesondere das europäische Wettbewerbsrecht hat einen zunehmenden Einfluss auf gesetzliche Vergünstigungen, auch durch Steuerbefreiungen (siehe hierzu auch die europarechtlichen Feststellungen in Bezug auf die Befreiung von Unternehmen von der EEG-Umlage). Die hier vorliegende Streitfrage konnte nur deshalb zugunsten der gemeinnützigen Krankenhäuser entschieden werden, weil es sich bei der Steuerbefreiung um eine bestehende Beihilfe gehandelt hat. Der BFH hat jedoch klar zum Ausdruck gebracht, dass die EU-Kommission berufen wäre, die Steuerbefreiungen auf ihre Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht zu prüfen und den Gesetzgeber gegebenenfalls zu einer Anpassung der deutschen Rechtslage aufzufordern.

     

    Weiter ist darauf hinzuweisen, dass der Entscheidung keine Aussage zu der vergleichbaren umsatzsteuerrechtlichen Problematik entnommen werden kann. Der BFH hat in dem dazu anhängigen Revisionsverfahren (V R 19/11) das Verfahren ausgesetzt und die Frage der Steuerbefreiung dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt (C-366/12). Der Ausgang jenes Verfahrens bleibt abzuwarten.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Grundsätzlich zur Problematik Ritter, Aktuelles zur Umsatzbesteuerung von Zytostatika, SB 13, 70
    Quelle: Ausgabe 02 / 2014 | Seite 27 | ID 42491396