08.01.2010
Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 31.03.1999 – 5 K 64/98
Hatte das FA bei der Änderung eines unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Einkommensteuerbescheids innerhalb der vierjährigen Festsetzungsfrist einen nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Steuerbescheid erlassen und dabei übersehen, Beteiligungseinkünfte entsprechend einem ihm vorliegenden geänderten Grundlagenbescheid anzusetzen, kann der geänderte Einkommensteuerbescheid innerhalb der Jahresfrist des § 171 Abs. 2 AO insoweit nach § 129 AO auch dann berichtigt werden, wenn bei Erlass des Änderungsbescheids die Jahresfrist des § 171 Abs. 10 AO bereits abgelaufen war.
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Finanzrechtsstreit
wegen Einkommensteuer 1991
hat der 5. Senat des Finanzgerichts Baden-Württemberg – aufgrund der mündlichen Verhandlung – in der Sitzung vom 31. März 1999 durch
Vorsitzenden Richter am Finanzgericht …
Richter am Finanzgericht …
Ehrenamtliche Richter …
für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger (Kl) ist als Testamentsvollstrecker für den Nachlaß der am … 1992 verstorbenen Frau … tätig (Testamentsvollstrecker-Zeugnis vom 7. Dezember 1992). Frau … führte als Einzelunternehmerin einen … und war daneben mitunternehmerisch an der … (künftig: Verw.KG) sowie an der … (künftig: … KG) beteiligt.
Die Einkommensteuer(ESt)-Erklärung 1991 ging am 8. Dezember 1992 beim Beklagten (Bekl) ein. Dieser führte die Veranlagung entsprechend den Angaben in dieser Erklärung durch und setzte im Erstbescheid vom 18. Mai 1993 die ESt 1991 mit 1.131.946 DM gemäß § 164 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest.
Im Oktober 1993 fand beim o.g. Einzelunternehmen eine Außenprüfung statt, die zu dem Bericht vom 24. März 1994 führte. Unter dessen Ziffer 1.02 wurde der Gewinn der … für den Veranlagungszeitraum (VZ) 1991 mit … DM ausgewiesen. Auf der Seite 11 dieses Berichts lauten die Tz. 1.10 und 1.11 wie folgt:
„1.10 | Einkünfte aus Mitunternehmerschaft |
1.10.1 | Verw.KG für 1991 |
Vor Bp | … DM |
lt. Bp. | … DM |
1.10.2 | … KG im VZ 1991 |
Vor Bp | … DM |
lt. Bp. | … DM |
1.11 | Einkünfte aus Kapitalvermögen |
Bei der Bp der Fa. … KG wurden Zinserträge von Festgeldern und Bestände dem Betriebsvermögen zugeordnet. Dabei handelt es sich um folgende Beträge:
Zinsen… | … DM in 1991 |
Bestände am 31.12.1991 | … DM |
Während der Bp wurde eine detaillierte Aufschlüsselung der erklärten Kapitaleinkünfte von Frau … mehrmals angefordert. Nachdem bis heute keine Aufstellung eingereicht wurde und die erklärten Beträge lt. Anlage KSO nicht mit den vom FA … festgestellten Einkünften übereinstimmen, kann die Kürzung wegen eventueller Doppelerfassung nicht erfolgen.”
Bei der für die verstorbene Frau … zuständigen Veranlagungsdienststelle war am 21. Dezember 1993 eine Mitteilung des Finanzamts (FA) … „ESt 4B” eingegangen, wonach der Gewinnanteil der Letztgenannten an der … KG laut Feststellungsbescheid vom 16. Dezember 1993 im VZ 1991 DM … DM beträgt. Auf diesem jetzt als Blatt 18 der ESt-Akte … (Sektion 1991) abgehefteten Beleg befindet sich folgender mit einem Datumstempel versehener Vermerk:
„10. Mai 1994 – mit BP-Bericht auswerten – Fr”
Als folgendes Blatt 19 (Sektion 1991) ist die Mitteilung des FA … vom 30. Juni 1994 abgeheftet, wonach der Gewinnanteil der Frau … an der Verw.KG im VZ 1991 DM … beträgt (Hinweis auf den Feststellungsbescheid vom 30. Juni 1994).
Der Kl erhob gegen den o.g. Bericht vom 24. März 1994 mittels Schriftsatz vom 14. Juni 1994 diverse Einwendungen und rügte – unter der dortigen Ziffer 3 – u. a., die von Frau … für den VZ 1991 im Formular „Anlage KSO – 1991” erklärten Zinseinnahmen seien als Betriebseinnahmen der … KG erfaßt worden und müßten deshalb bei der Veranlagung außer Ansatz bleiben (Bl. 89 der Bp-Akten mit …). Der sich anschließende Schriftwechsel endete im Schriftsatz des Kl vom 10. August 1994 mit folgender Feststellung (Bl. 78 der Bp-Akten):
„Zu 3. bestätigen wir Ihnen, daß Frau … wenn man ihr Kapitalvermögen dem Betriebsvermögen zurechnet und die Zinsen dort als Gewinn erfaßt, in der Tat kein Kapitalvermögen mehr hat.”
Am 6. Oktober 1994 übersandte die Bp-Hauptstelle … an den Kl geänderte Berichtsauszüge, in denen für den VZ 1991 u. a. der Gewinn aus dem Einzelunternehmen auf … DM (gegenüber … DM im Erstbericht vom 24. März 1994) und die „Einkünfte aus Sparguthaben von Frau … mit … DM festgesetzt” worden sind (Bl. 76 sowie Bl. 94 ff. der Bp-Akten). An den Bekl (Veranlagungsstelle SG X/107) wurde am 6. Oktober 1994 ein gleichartiges Schreiben versandt, dem „geänderte Berichtsauszüge” sowie das oben auszugsweise zitierte „Schreiben des Steuerberaters vom 10. August 1994” beilag (Bl. 93 ff der Bp-Akten).
Mit Bescheid vom 16. August 1996 setzte der Bekl die ESt 1991 für die verstorbene Frau … auf … DM fest und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Bei diesem Verwaltungsakt wurden die Einnahmen aus Kapitalvermögen entsprechend dem oben zitierten Schriftwechsel auf … DM ermäßigt (von … DM im Erstbescheid) und die Einkünfte aus Gewerbebetrieb auf … DM erhöht (gegenüber … DM im Erstbescheid) gemäß folgender Berechnung:
Einkünfte aus Gewerbebetrieb | |
a) als Einzelunternehmer | … DM |
b) aus Beteiligungen | … DM |
insgesamt | … DM |
Diesem Verwaltungsakt, der zusammen mit ändernden ESt-Bescheiden für die VZ 1987 bis 1990 und 1992 versandt wurde, fügte der Bekl eine Anlage bei, die folgenden Wortlaut hat (Bl. 26 ESt-Akten 1991):
„Die Bescheide sind nach § 164 (2) AO geändert und der Vorbehalt der Nachprüfung wird aufgehoben. Die Änderung erfolgte aufgrund der durchgeführten Betriebsprüfung für diese Jahre.”
Aufgrund einer Nachfrage der Bp zur Höhe des Mehrergebnisses bemerkte die Veranlagungsdienststelle „SG X/107”, daß im ESt-Bescheid vom 16. August 1996 die gewerblichen Einkünfte aus Beteiligungen – wie im Erstbescheid vom 18. Mai 1993 – nur mit insgesamt … DM enthalten sind und daß somit die durch die beiden Formulare „ESt B 4” im Dezember 1993 und Anfang Juli 1994 mitgeteilten anteiligen geänderten Gewinne der Frau … an der … KG sowie an der Verw.KG, die jeweils gegenüber den Angaben in der ESt-Erklärung 1991 (so auch die ersten Mitteilungen vom Dezember 1992/Januar 1993 – Bl. 4 f der ESt-Akte 1991) erheblich höher liegen, noch nicht verwertet wurden. Das beklagte FA erließ deshalb am 15. August 1997 einen ändernden ESt-Bescheid 1991, in welchem unter Hinweis auf § 129 AO die Einkünfte der Frau … aus gewerblichen Beteiligungen auf … DM erhöht und die ESt 1991 entsprechend auf … DM angehoben würden. Hiergegen legte der Kl nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage ein.
Zur Begründung des Rechtsmittels wird im wesentlichen vorgetragen, die Korrektur der ESt-Festsetzung 1991 durch den Bescheid vom 15. August 1997 sei unzulässig, da bereits Ende 1996 Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Die Festsetzungsfrist habe nach Abgabe der ESt-Erklärung 1991 im Dezember 1992 gemäß § 170 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AO mit Ablauf des Jahres 1992 begonnen und mit Ablauf des Kalenderjahres 1996 geendet.
Auch durch die Außenprüfung für das Streitjahr 1991 sei keine Ablaufhemmung eingetreten, da die „Bescheide lt. Bp” am 16. August 1996 – somit noch innerhalb der regulären Festsetzungsfrist – erlassen worden seien.
Die zuständigen Betriebsfinanzämter für die … KG und die Verw.KG hätten am 16. Dezember 1993 und 30. Juni 1994 geänderte Feststellungsbescheide erlassen, welche als Grundlagenbescheide für den ESt-Bescheid 1991 anzusehen seien. Da bei den Feststellungsbescheiden die Jahresfrist gemäß § 171 Abs. 10 AO innerhalb der regulären Festsetzungsfrist liege, ergebe sich auch durch diese Grundlagenbescheide keine weitere Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist. Somit verbleibe es für die ESt-Veranlagung 1991 letztendlich beim Ablauf der Festsetzungsfrist zum Ende des Kalenderjahres 1996.
Die geänderte Steuerfestsetzung im angefochtenen ESt-Bescheid 1991 vom 15. August 1997 beruhe zum einen auf der Verwaltungsmeinung, daß eine Berücksichtigung der Grundlagenbescheide über den 31. Dezember 1996 hinaus zulässig sei, und zum anderen darauf, daß eine Korrektur gemäß § 129 AO wegen unvollständiger Auswertung der Beteiligungserträge gemäß Bp-Bericht möglich sei. Entgegen der Auffassung des beklagten FA sei der ändernde ESt-Bescheid 1991 vom 16. August 1996, der die erhöhten Beteiligungseinkünfte aus den geänderten Grundlagenbescheiden nicht berücksichtige, nicht offenbar unrichtig. § 129 AO sei vorliegend nicht anwendbar, da nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 14. Juni 1991 III R 64/89 (Bundessteurblatt –BStBl– II 1992, 52) das Übersehen eines Grundlagenbescheids keine offenbare Unrichtigkeit im Sinne dieser Bestimmung bedeute.
Das Übersehen der Mitteilungen der Betriebsstättenfinanzämter … und … mache den ESt-Bescheid 1991 vom 16. August 1996 nicht fehlerhaft. Vielmehr bleibe der Bekl lediglich verpflichtet, die Berücksichtigung dieser Grundlagenbescheide gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO durch einen erneuten Änderungsbescheid nachzuholen. Dies sei aber mangels Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 4 bzw. Abs. 10 AO nur im Rahmen der Festsetzungsfrist des § 169 AO – somit nur bis zum 31. Dezember 1996 – möglich.
Darüber hinaus habe der BFH im Urteil vom 14. Juni 1991 (a.a.O.) entschieden, daß eine Korrektur selbst beim Vorliegen einer offenbaren Unrichtigkeit im Sinne des § 129 AO nur insoweit möglich sei, wie es nicht den Bereich der nicht berücksichtigten Grundlagenbescheide betreffe. Dies bedeute, daß ein nicht beachteter Grundlagenbescheid gerade nicht – auch nicht mittelbar – über § 129 AO korrigiert werden könne.
Auf den hier vorliegenden Sachverhalt bezogen bedeute dieses Urteil, daß eine Korrekturmöglichkeit über § 129 AO nicht gegeben sei, selbst wenn man in der teilweisen Nichtauswertung des Bp-Berichts eine offenbare Unrichtigkeit sehe; denn diese Korrektur betreffe in vollem Umfang den Bereich der nicht berücksichtigten Grundlagenbescheide.
Das in der Einspruchsentscheidung zitierte BFH-Urteil vom 12. Januar 1995 (BFH/NV 1995, 755) sei auf den hier vorliegenden Fall deshalb nicht anwendbar, weil im Urteilsfall gerade keine Konkurrenz zwischen Grundlagenbescheid und § 129 AO vorgelegen habe.
Der Kl beantragt,
den ESt-Bescheid 1991 vom 15. August 1997 betreffend Frau Emma … sowie die Einspruchsentscheidung vom 26. Januar 1998 (Rbl.Nr.: 338/96-97) aufzuheben,
die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären,
hilfsweise die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
Der Bekl beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
Er verweist auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung vom 26. Januar 1998 und führt ergänzend aus, der dem BFH-Urteil III R 64/89 zugrundeliegende Sachverhalt unterscheide sich wesentlich von dem vorliegenden, da sich dort die Feststellungen der Bp überhaupt nicht auf die Beteiligungseinkünfte bezogen hätten. Deshalb habe der BFH entscheidend auf die Selbständigkeit der Änderungsvorschriften aufgrund der Bp-Feststellungen einerseits und aufgrund von Grundlagenbescheiden andererseits abgestellt.
Während im Urteilsfall keinerlei zwingende Veranlassung bestanden habe, die vorliegenden Grundlagenbescheide bei Berichtsauswertung mit zu berücksichtigen, da sie im Bp-Bericht nicht ausgeführt worden seien, sei vorliegend genau dieses gegeben. Im Rahmen der Bp bei der Firmengruppe … hätten die streitigen Beteiligungseinkünfte eine Änderung erfahren; daher seien diese in den Bp-Bericht aufgenommen worden. Wie sich aus den Akten ergebe (vgl. Vermerk auf Bl. 18 der ESt-Akte 1991), hätten die geänderten Gewinnanteile nicht gesondert, sondern anläßlich der Auswertung der Bp-Feststellungen bei der Einzelfirma … veranlagt werden sollen. Hätte die Veranlagungsbeamtin die vollständige Berichtsausfertigung herangezogen, so hätte kein Grund bestanden, vom Bp-Bericht abzuweichen und die dort unter Tz. 1.10 aufgeführten Beteiligungseinkünfte einfach unberücksichtigt zu lassen. Hierin liege vorliegend die offenbare Unrichtigkeit des ESt-Bescheids vom 16. August 1996, also nicht im Übersehen der beiden Mitteilungen vom 16. Dezember 1993 bzw. 30. Juni 1994 (Bl. 18 und 19 der ESt-Akte 1991).
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der ESt-Bescheid 1991 vom 16. August 1996, durch welchen die erstmalige – gemäß § 164 Abs. 1 AO ergangene – ESt-Veranlagung vom 18. Mai 1993 geändert wurde, war fehlerhaft im Sinne des § 129 AO. Bei Erlaß dieses Korrekturbescheids war die Jahresfrist des § 171 Abs. 10 AO in der bis 1996 geltenden Fassung bezüglich der beiden Feststellungsbescheide vom Dezember 1993 (für die … KG) und vom Juni 1994 (für die Verw-KG) zwar jeweils abgelaufen, so daß die auf die verstorbene Frau … entfallenden – gegenüber entsprechenden Erstbescheiden erhöhten – Gewinnanteile im August 1996 zwar nicht mehr gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO berücksichtigt werden konnten (1). Der Bekl durfte aber die streitbefangene Veranlagung nach § 164 Abs. 2 AO ändern, da der Bescheid vom 18. Mai 1993 gemäß § 164 Abs. 1 AO ergangen war. Die vierjährige Normalverjährung des § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO endete für den VZ 1991 erst am 31. Dezember 1996 (2). Bei der somit zulässigen Berichtigung der ESt 1991 ist dem Bekl im August 1996 ein Fehler im Sinne des § 129 AO unterlaufen (3). Das BFH-Urteil vom 14. Juni 1991 III R 64/89 (BStBl II 1992, 52 ff und BFHE 165, 438 ff) steht dieser Korrekturmöglichkeit nur scheinbar entgegen, da der zitierten Entscheidung ein Sachverhalt zugrundegelegen hat, der sich in wesentlichen Punkten von dem hier vorliegenden unterscheidet (4). Der Bekl hat die Korrektur des fehlerhaften Verwaltungsakts vom 16. August 1996 noch innerhalb der Jahresfrist des § 171 Abs. 2 AO vorgenommen (5).
1. Das FA … hatte dem Bekl im Dezember 1993 eine ESt-4-Mitteilung zugesandt, wonach der Gewinnanteil der Frau … an der … KG im VZ 1991 DM … betragen hat und nicht – wie früher gemeldet – nur … DM. Die – hier aufgrund einer Ap bei der … KG – vorgenommene Änderung des Grundlagenbescheids berechtigt das Wohnsitz-FA (Bekl) grundsätzlich, die ESt-Veranlagung durch einen Folgebescheid gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO insoweit (d. h. hinsichtlich der Erhöhung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb um die Differenz von … DM) zu ändern. Diese Korrekturbefugnis war nach § 171 Abs. 10 Satz 1 AO in der im Streitjahr geltenden Fassung zeitlich auf ein Jahr „nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheids” begrenzt gewesen. Da der Bekl diese (vom Gesetzgeber jetzt auf 2 Jahre verlängerte) Frist tatsächlich nicht genutzt hatte, konnte die o.g. Erhöhung des Gewinnanteils im August 1996 nicht mehr mittels § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO in einen Folgebescheid umgesetzt werden.
Entsprechendes gilt bezüglich der Korrektur der Gewinnbeteiligung der Frau … an der Verw-KG. Für diese Personengesellschaft hatte das FA … im Juni 1994 einen ändernden Grundlagenbescheid erlassen und dem Bekl eine ESt-4-Mitteilung übersandt, wonach der Gewinnanteil der Frau … im VZ 1991 von ursprünglich … DM – nach einer Ap – auf … DM erhöht worden war. Auch hinsichtlich dieser Differenz von … DM konnte der Bekl (Wohnsitz-FA) im August 1996 keinen Folgebescheid mehr gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO erlassen, da auch insoweit die gemäß § 171 Abs. 10 AO auf damals ein Jahr begrenzte Ablaufhemmung längst geendet hatte.
2. Im fehlerhaften ESt-Bescheid vom 16. August 1996, den der Bekl knapp ein Jahr später gemäß § 129 AO geändert hat, war als Berichtigungsnorm zutreffend § 164 Abs. 2 AO angegeben worden. Denn der Erst-Bescheid vom 18. Mai 1993 war gemäß § 164 Abs. 1 AO ergangen. Da dieser Verwaltungsakt nur formell bestandskräftig geworden war, war er „allseitig offen für tatsächliche und rechtliche Korrekturen” (Tipke/Kruse, Kommentar zur AO und FGO, Rz. 17 zu § 164 AO). Es konnten deshalb auch noch Erhöhungen von Gewinnanteilen berücksichtigt werden, die bei Frau … nach den Ap bei der … KG und der Verw-KG aufgrund entsprechend geänderter Grundlagenbescheide angefallen waren. Denn § 164 Abs. 1 AO ermöglicht grundsätzlich eine vollständige Überprüfung des ganzen Falles in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht, solange noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten ist.
Die in § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO geregelte Festsetzungsfrist war für die ESt-Veranlagung von Frau … für den VZ 1991 im August 1996 noch nicht abgelaufen. Denn diese Frist hatte am 1. Januar 1993 begonnen, da die ESt-Erklärung 1991 am 8. Dezember 1992 beim Bekl eingegangen war; sie endete somit erst mit Ablauf von vier Jahren am 31. Dezember 1996. Dementsprechend hätte der Bekl beim (ersten) Korrekturbescheid vom 16. August 1996 außer der Gewinnerhöhung bei der Einzelfirma der Frau … auch noch die Erhöhungen ihrer Gewinnanteile an den beiden o.g. Personengesellschaften berücksichtigen können, obwohl insoweit eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO wegen § 171 Abs. 10 AO nicht mehr zulässig gewesen wäre. Aus der zitierten Bestimmung kann nicht abgeleitet werden, daß die dort enthaltene damals einjährige Ablaufhemmung die in § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO für die ESt geregelte Normalverjährung von vier Jahren abkürzen soll. Beide Fristen laufen vielmehr parallel nebeneinander, wobei wohl üblicherweise die für die Korrektur nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO maßgebende „besondere Feststellungsverjährung” (Ruban in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur AO und FGO, Rz. 101 zu § 171 AO) später enden wird als die o.g. Normal-Verjährung, insbesondere nach der ab 1997 geltenden Verlängerung auf 2 Jahre.
3. Da der Bekl beim Erlaß des ersten Korrekturbescheids vom 16. August 1996 lediglich die Anhebung des Gewinns der Einzelfirma von Frau … berücksichtigt und die Erhöhungen ihrer Gewinnanteile an der … KG und Verw-KG trotz der ESt-4-Mitteilungen vom Dezember 1993 und Juni 1994 seinerzeit übersehen hatte, war der Behörde eine „ähnliche offenbare Unrichtigkeit” im Sinne des § 129 AO unterlaufen.
Im vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt kann ein Fehler in der Rechtsanwendung ausgeschlossen werden. Denn der zuständige Bedienstete des beklagten FA hatte bei der zweiten Bearbeitung der streitbefangenen Veranlagung 1991 im August 1996 übersehen, daß nach Bekanntgabe der ESt-Veranlagung vom 18. Mai 1993 zwei ESt-4-Mitteilungen eingegangen waren. In diesen werden die Gewinnanteile der Frau … – nach inzwischen abgeschlossenen Ap – höher ausgewiesen als in den früheren Mitteilungen der beiden Betriebsstätten-FA für den VZ 1991, welche bei der Erstveranlagung vom 18. Mai 1993 beim Bekl vorgelegen hatten. Die Übernahme der in ESt-4-Mitteilungen enthaltenen, in Grundlagenbescheiden bereits festgesetzten Werte in die ESt-Veranlagung (Folgebescheid) erfolgt gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO, wobei der Veranlagungsbeamte die geänderten Gewinnanteile betragsmäßig ohne weitere Prüfungsmöglichkeit lediglich abschreiben muß (vgl. zur Bindungswirkung u. a. das BFH-Urteil vom 17. Februar 1993 – II R 15/91, BFH/NV 1994, 2). Deshalb ist insoweit kein Raum für ein Überlegen, Denken oder Schlußfolgern. Dementsprechend hat die bisherige Rechtsprechung ein Übersehen von Grundlagenbescheiden als eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 129 AO gewertet (Fundstellen u. a. in Tipke/Kruse, Rz. 17 zu § 129 AO).
Im vorliegenden Rechtsstreit ist noch zu beachten, daß auf der ESt-4-Mitteilung des FA … vom 16. Dezember 1993, in welcher diese Behörde den Gewinnanteil der Frau … an der … KG mit … DM angegeben hat, folgender Vermerk steht: „10. Mai 1994 (Stempel) – mit BP-Bericht auswerten – Fr (handschriftlich)”. Hiermit hatte ein Mitarbeiter des beklagten FA bereits zwei Jahre vor dem Erlaß des ersten Korrekturbescheids deutlich gemacht, daß bei der geplanten Korrektur des ESt-Bescheids 1991 wegen Gewinnänderung bei der Einzelfirma … auch noch die in § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO vorgeschriebene Anpassung des nach einer Ap vom FA … geänderten Gewinnanteils an der … KG erforderlich ist. Diese „Regieanweisung” verdeutlicht im Streitfall, daß die Übernahme der o.g. … DM ohne weitere Prüfungsmöglichkeit geplant und bei der Bearbeitung des Änderungsbescheids vom 16. August 1996 nur vergessen worden war. Ergänzend ist noch auf die unverändert gebliebene Tz. 1.10 des Bp-Berichts vom 24. März 1994 hinzuweisen, in der die Einkünfte der Frau … Baus ihren Mitunternehmerschaften an der … KG und Verw-KG mit den für den Vz 1991 maßgebenden Werten „vor Bp” und „nach Bp” aufgeführt sind. Wenn der Veranlagungsbeamte des Wohnsitz-FA die dort übersichtlich zusammengestellten Änderungen der Gewinnanteile entgegen § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO nicht in die ESt-Veranlagung 1991 vom 16. August 1996 übernommen hat, kann es sich nur um ein bloßes Übersehen gehandelt haben, so daß insoweit Rechtsfehler bei der Bearbeitung dieses Änderungsbescheids auszuschließen sind.
4. Das BFH-Urteil III R 64/89 (a.a.O.) steht den obigen Ausführungen nur scheinbar entgegen, auch wenn der dieser Entscheidung vorangestellte, im Ergebnis wohl zu weit gefaßte Leitsatz Nr. 1 etwas anders vermuten läßt. Dem zitierten Urteil hatte ein Sachverhalt zugrundegelegen, der sich von dem hier zu beurteilenden in wesentlichen Punkten unterscheidet. Während im BFH-Fall am 31. Dezember 1982 grundsätzlich Festsetzungsverjährung eingetreten war und bei den späteren – damals zu prüfenden – Verwaltungsakten vom 3. Juni 1983 und 12. März 1984 bereits der Umfang einer bereits eingetretenen Teilverjährung beachtet werden mußte (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO i.V.m. § 171 Abs. 10 sowie § 171 Abs. 4 AO), konnte der Bekl im vorliegenden Rechtsstreit den für den ersten Korrekturbescheid vom 16. August 1996 maßgebenden Sachverhalt noch in vollem Umfang – also ohne jegliche Einschränkung – berücksichtigen. Denn der Erst-Bescheid vom 18. Mai 1993 war – wie oben unter Ziffer 2 ausgeführt – gemäß § 164 Abs. 1 AO ergangen und die vierjährige Verjährungsfrist für die ESt 1991 (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO) lief erst am 31. Dezember 1996 ab. Wegen dieser entscheidungserheblichen Unterschiede hat es bei der streitbefangenen Veranlagung vom 16. August 1996 keine Änderungsmöglichkeit mehr nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO gegeben (vgl. hierzu oben Ziffer 1.), während im BFH-Fall gerade diese Berichtigungs-Norm im Vordergrund gestanden hatte und deshalb deren Konkurrenz zu § 129 AO zu beurteilen gewesen war (vgl. insoweit insbesondere Abschn. 1b der Urteilsgründe im BFH-Urteil III R 64/89).
Darüber hinaus sind die Aussagen dieser Entscheidung zum angeblich wechselseitigen Ausschluß der Berichtigungen nach § 129 AO einerseits und nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO andererseits durchaus umstritten, wie u. a. Gosch in seiner Anmerkung zu diesem Urteil ausführt (veröffentlicht in: Die Steuerliche Betriebsprüfung 1992, Seite 74 f. unter Hinweis auf weitere Kritiker). Nach seiner Meinung „stellt sich spätestens dann – mit Ablauf der in § 171 Abs. 10 AO gesetzten Jahresfrist (wie im vorliegenden Rechtsstreit) – aber doch wieder die Frage danach, ob das Übersehen des Grundlagenbescheids (wie bisher in der Judikatur angenommen weiterhin) als offenbare Unrichtigkeit begriffen werden kann.” Nach der Auffassung von Gosch werden im BFH-Urteil III R 64/89 die auf unterschiedlichen Ebenen liegenden Fragen der Rechtswidrigkeit und der Ablaufhemmung wegen eines Zirkelschlusses unberechtigt miteinander vermengt.
Letztlich ist noch darauf hinzuweisen, daß der BFH auch im zitierten Urteil eine Korrektur des damaligen Änderungsbescheids vom 12. März 1984 insoweit nach § 129 AO für zulässig gehalten hatte, als dieser – seinerzeit auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO gestützte – Verwaltungsakt wegen doppelter Erfassung des Verlustes fehlerhaft war (verursacht durch eine falsche Eintragung im Eingabewertbogen). Auch in dem in seiner Auswirkung, umstrittenen Urteil III R 64/89 hatte der BFH somit eine Änderung eines auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO gestützten Berichtigungsbescheids gemäß § 129 AO grundsätzlich für zulässig gehalten.
5. Der Bekl hat den vom Kl angegriffenen ESt-Bescheid 1991 vom 15. August 1997, durch welchen der fehlerhafte Verwaltungsakt vom 16. August 1996 geändert worden ist, somit zutreffend auf § 129 AO gestützt. Da der Bekl die Korrektur noch innerhalb der hierbei geltenden Jahresfrist des § 171 Abs. 2 AO (vgl. hierzu u. a. das BFH-Urteil vom 9. November 1994 – XI R 12/94, BFH/NV 1995, 563 f und Tipke/Kruse, Rz. 7 zu § 171 AO) vorgenommen hat, konnte die Behörde die ursprünglich vergessenen Erhöhungen der Gewinnanteile an der Werner KG und der Verw-KG noch zuungunsten des Kl berücksichtigen.
6. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.
7. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).