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  • 02.11.2010

    Finanzgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 09.07.2009 – 9 K 9161/08

    1. Für den Umfang der Haftungsinanspruchnahme des Geschäftsführers einer GmbH gem. § 69 i. V. m. § 34 AO für Umsatzsteuerschulden der GmbH, die nach pflichtwidriger Nichtabgabe von Umsatzsteuererklärungen auf Schätzungsbescheiden beruhen, ist der Grundsatz der anteiligen Tilgung zu beachten.

    2. Dabei ist für die Bestimmung des Umfangs der Möglichkeit der GmbH zur Gläubigerbefriedigung, der Tilgungsquote nicht auf den Zeitpunkt der tatsächlichen, sondern der – bei unterstellter ordnungsgemäßer Erklärungsabgabe – fiktiven Fälligkeit der Umsatzsteuerschulden und die Zeit danach abzustellen.


    IM NAMEN DES VOLKES

    URTEIL

    In dem Rechtsstreit

    hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg – 9. Senat – aufgrund mündlicher Verhandlung vom 9. Juli 2009 durch Richter am Finanzgericht … als Einzelrichter für Recht erkannt:

    Die Klage wird abgewiesen.

    Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.

    Tatbestand:

    Die Beteiligten streiten um die Frage, ob das Finanzamt A den Kläger als ehemaligen Geschäftsführer einer … GmbH mit Sitz in C (künftig: GmbH) für rückständige Umsatzsteuerverbindlichkeiten dieser Gesellschaft persönlich in Haftung nehmen kann.

    Der … geborene Kläger, von Beruf …, war seit der Gründung der GmbH am … 1991 bis zu seiner Abberufung am … Oktober 2005 durch die Gesellschafterversammlung (vgl. UR-Nr. … des Notars … aus …) alleiniger Geschäftsführer der GmbH. Deren Unternehmensgegenstand war der „…”. Sie hatte zunächst ihren Sitz in D und wurde beim Amtsgericht E in das Handelsregister eingetragen.

    Mit Vertrag vom … 1994 (UR-Nr. … der Notarin … aus …) trat die M als bisherige Alleingesellschafterin ihren kompletten Geschäftsanteil im Nennbetrag von 50 000 DM an den Kläger ab, der fortan auch Alleingesellschafter war. Mit Vertrag vom … 2005 (UR-Nr. … des Notars … aus …) trat der Kläger sämtliche Geschäftsanteile an der GmbH mit Änderung des Gewinnbezugsrechts bereits ab 1. Januar 2003 gegen Zahlung eines Kaufpreises in Höhe von 1 EUR an die N – GmbH mit Sitz in F ab.

    Die GmbH erzielte folgende Umsätze und Betriebsergebnisse:

    UmsatzBetriebsergebnisNicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag
    2002:288 741 EUR34 836 EUR50 650 EUR
    2003:239 071 EUR1 483 EUR49 131 EUR
    2004:200 091 EUR./. 21 944 EUR71 075 EUR
    2005 und 2006: Es liegen keine Jahresabschlüsse oder Steuererklärungen der GmbH vor.

    Mit Beschluss der Gesellschafterversammlung vom … Oktober 2005 (UR-Nr. … des Notars … aus …) wurde die … geborene O aus C zur alleinigen Geschäftsführerin der GmbH bestellt und zugleich wurde der Sitz nach C verlegt.

    Mangels Einreichung von Umsatzsteuerjahreserklärungen durch die GmbH ermittelte das zunächst für die Besteuerung der GmbH zuständige Finanzamt E die Besteuerungsgrundlagen für die Umsatzsteuer 2002 bis 2004 im Schätzungswege (§ 162 Abs. 1 der Abgabenordnung – AO 1977 –) und setzte die Umsatzsteuer wie folgt fest:

    2002:7 174,00 EUR (Bescheid vom 5. August 2005)
    2003:9 404,70 EUR (Bescheid vom 5. August 2005)
    2004:9 170,16 EUR (Bescheid vom 6. März 2006)
    Mit Bescheid vom 18. Oktober 2006 erhöhte das nunmehr örtlich zuständige Finanzamt A aufgrund nachträglich eingereichter Unterlagen die Umsatzsteuer 2002 unter Berufung auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 auf 25 770,40 EUR. Mit Bescheid vom 14. November 2006 wurde die Umsatzsteuer 2003 unter Berufung auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 im Hinblick auf die Angaben der GmbH in ihrer im Juli 2006 eingereichten Steuererklärung auf 22 015,96 EUR heraufgesetzt. Mit Bescheid vom 3. November 2006 wurde die Umsatzsteuer 2004 unter Berufung auf § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 im Hinblick auf den von der GmbH gegen den Schätzungsbescheid eingelegten Einspruch und die gleichfalls im Juli 2006 eingereichte Steuererklärung auf 18 400,07 EUR erhöht.

    Auf Antrag des Finanzamts A vom … Januar 2007 beschloss das Amtsgericht G am … September 2007 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH (Az.: …). Mit Beschluss vom … März 2007 hatte das Amtsgericht Rechtsanwalt P aus H bereits zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt.

    Im Gutachten von Rechtsanwalt P im Rahmen des Insolvenzantragsverfahrens vom September 2007 heißt es u. a.:

    „C. Rechtliche und wirtschaftliche Verhältnisse der Schuldnerin



    II. Wirtschaftliche Verhältnisse

    … Im Rahmen des ursprünglichen Geschäftsgegenstandes ist die Schuldnerin seit Ende 2005 nicht mehr aktiv tätig. Zur wirtschaftlichen Entwicklung der Schuldnerin lassen sich nur eingeschränkte Aussagen treffen. Es liegen lediglich Jahresabschlüsse für die Geschäftsjahre 2003 und 2004 vor. Der Verbleib sämtlicher Geschäftsunterlagen für die Geschäftsjahre 1991 bis 2005 konnte trotz intensiver Bemühungen nicht ermittelt werden. ….

    III. Ursachen der Insolvenz

    Das gesamte liquide Vermögen der Schuldnerin wurde vor Übertragung der Geschäftsführung an Frau O zur Rückführung von Verbindlichkeiten aufgezehrt. Die Schuldnerin war daher nicht mehr in der Lage, die erst später fällig gewordenen Steuerverbindlichkeiten auszugleichen. …

    D. Bericht über die vorläufige Insolvenzverwaltung



    Im IV. Quartal des Geschäftsjahres 2005 wurde ein schuldnerisches Festgeldkonto mit einem Guthaben von ca. 26 000 EUR sowie der Rückkaufswert aus einer schuldnerischen Lebensversicherung in Höhe von ca. 82 000 EUR genutzt, um Verbindlichkeiten bei verschiedenen Gläubigern zurückzuführen. Dies erfolgte im konkreten Fall des Rückkaufswertes aus der Lebensversicherung über ein Anderkonto des schuldnerischen Rechtsanwalts Q aus F, der die Zahlungen an die Gläubiger über Kontoauszüge des Anderkontos nachgewiesen hat. Hinsichtlich der Auflösung des Guthabens vom Festgeldkonto der Schuldnerin konnten keine konkreten Zahlungsnachweise vorgelegt werden, da, wie bereits berichtet, die komplette Buchhaltung der Schuldnerin für 2005 nicht auffindbar ist. Meine intensiven Ermittlungen zum Verbleib der Geschäftsunterlagen sowohl bei den ehemaligen Geschäftsführern als auch den ehemaligen Gesellschaftern der Schuldnerin und dem Steuerberater gingen gänzlich ins Leere.

    4. Die Schuldnerin schloss am … Oktober 2005 einen Grundstückskaufvertrag … über die Immobilie, eingetragen im Grundbuch von …. Der Kaufpreis in Höhe von 14 300 EUR soll ausweislich des Grundstückskaufvertrages bereits vor Vertragsschluss gezahlt worden sein. …. Meine Ermittlungen zum tatsächlichen Wert des Grundstücks bei der zuständigen Liegenschaftsverwaltung ergaben, dass es sich hierbei um Rasenfläche handelt, für die seitens der Stadt H generell lediglich 5 EUR pro qm gezahlt würde. Mithin ergibt sich lediglich ein Wert von 650 EUR, der in keinem Verhältnis zum angeblich gezahlten Kaufpreis von 14 300 EUR steht. …”

    Rechtsanwalt P führt in seinen Gutachten weiter aus, dass die GmbH über ein Aktivvermögen in Höhe von nur noch 9 984,75 EUR verfüge, dem Verbindlichkeiten in Höhe von 53 254,75 EUR gegenüberstünden. Diese Schulden bestünden ausschließlich aus Abgabenverbindlichkeiten gegenüber dem Finanzamt A.

    Mit auf § 69 i. V. m. § 34 AO 1977 gestütztem Bescheid vom … 2007 nahm das Finanzamt A den Kläger wegen rückständiger Umsatzsteuer 2002 bis 2004 in Höhe von insgesamt 47 482,75 EUR in Haftung. Hiergegen legte der Kläger fristgerecht Einspruch ein, der jedoch erfolglos blieb und mit Einspruchsentscheidung des Finanzamtes A vom … als unbegründet zurückgewiesen wurde.

    Zur Begründung seiner Entscheidung führte das o. g. Finanzamt im Wesentlichen aus, dass der Kläger grob fahrlässig nicht dafür gesorgt habe, dass die GmbH fristgerecht Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 2002 bis 2004 eingereicht habe. Mangels Rücksendung des ihm im sog. Haftungsanhörungsverfahren zugesandten „Berechnungsbogen zur Ermittlung der Haftungssumme” seien ihm, dem Finanzamt A, die Liquiditätsverhältnisse der GmbH im sog. Haftungszeitraum nicht bekannt. Der Kläger hafte – unabhängig von einer sog. Tilgungsquote im Sinne der Kriterien der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs – BFH – zu 100 v. H. für die streitgegenständlichen Umsatzsteuerverbindlichkeiten, weil er sich durch Vorwegbefriedigung anderer Gläubiger vorsätzlich oder zumindest grob fahrlässig außerstande gesetzt habe, bereits entstandene, aber erst künftig fällig werdende Umsatzsteuerverbindlichkeiten der GmbH zu tilgen. Verbindlichkeiten anderer Gläubiger in Höhe von 108 000 EUR seien durch Auflösung eines Festgeldkontos der GmbH sowie Rückkauf einer Lebensversicherung getilgt worden. Das gesamte liquide Vermögen der GmbH sei vor Bestellung von Frau O zur Geschäftsführerin zur Rückführung von Verbindlichkeiten verwendet worden, so dass anschließend keine liquiden Mittel mehr vorhanden gewesen seien.

    Mit Bescheid vom selben Tag wurde auch Frau O unter Berufung auf § 69 i. V. m. § 34 AO 1977 wegen derselben Verbindlichkeiten sowie weiterer Abgabenschulden u. a. (Umsatzsteuer 2005 nebst Zinsen hierzu) unter Zugrundlegung einer geringen Tilgungsquote in Höhe von 2 000 EUR in Haftung genommen. …

    Im Rahmen seiner Klage macht der Kläger im Wesentlichen geltend, dass er die steuerlichen Pflichten eines GmbH-Geschäftsführers nicht grob fahrlässig verletzt habe. Er sei schon seit Beginn des Jahres 2002 an einer depressiven Verstimmung erkrankt gewesen, die derart schwerwiegend gewesen sei, dass er sich nach vorheriger ambulanter Behandlung im Zeitraum 30. August bis 20. September 2002 in stationäre Behandlung (…klinikum E) habe begeben müssen, was mit der beigefügten Bescheinigung dieses Krankenhauses vom … Juli 2008 bestätigt werde.

    Ferner sei er ab 1. September 2005 ausschließlich für eine andere Gesellschaft, die R – GmbH, beruflich tätig gewesen (Hinweis auf Arbeitsvertrag vom …), weil ihm die streitgegenständliche GmbH zum 31. August 2005 gekündigt habe. Diesbezügliche Beweise könne er allerdings nicht vorlegen.

    Der Kläger beantragt,

    den Haftungsbescheid vom … 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom … aufzuheben.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Er verweist im Wesentlichen auf die Ausführungen in der angefochtenen Einspruchsentscheidung.

    Dem Gericht haben bei seiner Entscheidung sechs Steuer- und Haftungsakten sowie zwei Heftungen mit den Rechtsbehelfsvorgängen (StNr.: …) vorgelegen, auf deren Inhalt wegen der Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Beteiligtenvorbringens Bezug genommen wird.

    Entscheidungsgründe:

    Die Klage ist unbegründet. Der Haftungsbescheid vom … 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom … ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –).

    a.) Der Kläger hat den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 69 i. V. m. § 34 AO 1977 hinsichtlich der streitgegenständlichen Abgabenverbindlichkeiten dadurch verwirklicht, dass er als alleiniger Gesellschafter-Geschäftsführer der GmbH grob fahrlässig nicht dafür gesorgt hat, dass die GmbH fristgerecht Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Jahre 2002 bis 2004 beim Finanzamt A eingereicht und die sich daraus ergebenden Umsatzsteuernachzahlungsbeträge für die Jahre 2002 und 2003 zeitnah entrichtet hat.

    Die durch Angehörige der steuerberatenden Berufe vertretene GmbH hätte die Umsatzsteuererklärung 2002 aufgrund vom Finanzamt E gewährter Fristverlängerung bis zum 31. März 2004 bei diesem einreichen müssen. Die Umsatzsteuererklärungen 2003 und 2004 hätten wegen individuell durch das Finanzamt A abgelehnter Fristverlängerungsanträgen spätestens am 30. September 2004 bzw. am 30. September 2005 dort eingehen müssen (vgl. § 18 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes – UStG – i. V. m. § 149 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 und den dazu jährlich ergehenden gleichlautenden Erlassen der obersten Finanzbehörden der Länder zum Modus von Fristverlängerungen zum Abgabetermin 31. Mai sowie Beschluss des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 4. September 2002 I B 145/01, Bundessteuerblatt – BStBl – II 2003, 223). Die sich aus den Steuererklärungen ergebenden Steuernachentrichtungsbeträge wären jeweils einen Monat nach Ablauf der Frist für die Einreichung der Steuererklärungen zur Zahlung fällig geworden, also im vorliegenden Fall am 30. April 2004 (USt 2002), bzw. am 30. Oktober 2004 (USt 2003) und am 30. Oktober 2005 (USt 2004, vgl. dazu § 18 Abs. 4 Satz 1 UStG). Hinsichtlich der per 30. Oktober 2005 fälligen Umsatzsteuernachzahlungsverpflichtung für das Jahr 2004 hat der Kläger grob fahrlässig gegen die nach mittlerweile ständiger BFH-Rechtsprechung bestehende sog. Vorsorge- und Mittelverwaltungspflicht verstossen, die sich aufgrund des Inhalts der per 30. September abzugebenden Umsatzsteuererklärung 2005 mit Ausweis eines Nachzahlungsbetrages ergab (vgl. dazu die zahlreichen Rechtsprechungsnachweise bei Jatzke, in: Beermann/Gosch, Steuerliches Verfahrensrecht, § 69 AO Rz. 27 f.).

    Allein der Hinweis auf einen am … mit einer anderen GmbH, der R – GmbH, geschlossenen Arbeitsvertrag über eine Vollzeittätigkeit (40 Stunden pro Woche) für jenes Unternehmen genügt nicht für eine schlüssige Darlegung vom Kläger zu beweisende Tatsache, dass er sein Geschäftsführeramt in der hier streitgegenständlichen GmbH bereits zum 31. August 2005 verloren hat: Dagegen spricht nicht zuletzt der notariell beurkundete Beschluss der Gesellschafterversammlung der hiesigen GmbH über die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer und Bestellung von Frau O als neuer Geschäftsführerin erst mit Wirkung ab … Oktober 2005.

    Ein objektiv und subjektiv pflichtwidriges Verhalten des Klägers entfällt im Streitfall auch nicht im Hinblick darauf, dass er zwischenzeitlich erkrankt gewesen ist. Zum einen hat der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bei dieser Sachlage darlegungspflichtige Kläger Art und zeitliche Dauer seiner Erkrankung bislang nicht ausreichend dargetan. Die einzige in diesem Zusammenhang eingereichte Bescheinigung, die Bestätigung des …klinikums E vom …, enthält keinerlei Angaben zur Art der Krankheit, sondern nur zur Dauer der stationären Behandlung im Jahre 2002. Zum anderen wird von einem GmbH-Geschäftsführer nach ständiger BFH-Rechtsprechung erwartet, dass er sein Amt sofort niederlegt, wenn er für einen längeren Zeitraum an der Ausübung der Geschäftsführung – aus welchen Gründen auch immer (z. B. aufgrund einer schweren Erkrankung) – gehindert ist (vgl. speziell zum Fall der Erkrankung: BFH-Beschluss vom 18. August 1999 VII B 106/99, Sammlung der amtlich nicht veröffentlichten Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 2000, 541 m. w. N.; Jatzke, a.a.O., § 69 AO Rz. 61).

    b.) Einwendungen des Klägers gegen die seiner Haftungsinanspruchnahme zugrunde liegenden sog. Primärschulden der GmbH sind im Streitfall nicht durch § 166 AO 1977 präkludiert, da alle streitgegenständlichen Umsatzsteuerbescheide erst nach seiner Abberufung als Geschäftsführer der Gesellschaft ergangen sind. Die bestandskräftigen Steuerfestsetzungen beruhen jedoch entweder auf Eigenangaben der GmbH in den abgegebenen Steuererklärungen oder inzwischen unstreitigen Besteuerungsgrundlagen, die auch vom Kläger im hiesigen Verfahren nicht angegriffen worden sind. Es bestehen daher keine Anhaltspunkte für eine Rechtswidrigkeit der Umsatzsteuerbescheide.

    c.) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH beschränkt sich die Haftung des Geschäftsführers einer GmbH für auch rückständige Umsatzsteuer im Umfang auf den Betrag, mit dem die Gesellschaft bei unzureichender Liquidität im Zeitpunkt der (ggf. fiktiven) Fälligkeit der Steuerforderungen das Finanzamt gegenüber anderen Gläubigern benachteiligt hat („anteilige Tilgungsquote”). Das Finanzamt muss deshalb von dem Geschäftsführer einer GmbH, den es als Haftungsschuldner wegen nicht entrichteter Umsatzsteuer in Haftung nehmen will, die zur Feststellung des Haftungsumfangs notwendigen Auskünfte über die anteilige Gläubigerbefriedigung im Haftungszeitraum verlangen, um die anteilige Umsatzsteuer, für die der Geschäftsführer in Haftung genommen werden kann, zu ermitteln. Hierfür müssen Feststellungen zur Höhe der Gesamtverbindlichkeiten der Gesellschaft im Zeitpunkt der (fiktiven) Fälligkeit der Steuerschulden, der Höhe der Steuerschulden sowie der an sämtliche Gläubiger geleisteten Zahlungen getroffen werden. Hierbei ist das Finanzamt im Rahmen der Amtsermittlung auf die Mitwirkung der Beteiligten angewiesen (§§ 88 Abs.1, 90 Abs. 1 AO 1977; § 76 Abs. 1 FGO). Danach ist der Beteiligte verpflichtet, sich über alle tatsächlich bedeutsamen Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß zu erklären (§ 76 Abs. 1 Satz 3 FGO) und dabei dem Gericht auf Verlangen in seinem Besitz befindliche Urkunden und sonstige Unterlagen zur Einsicht und Prüfung vorzulegen (§ 76 Abs. 1 Satz 4 FGO i. V. m. § 97 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 3AO 1977).

    Entgegen der Darstellung des Beklagten im Haftungsbescheid vom … ist daher Anknüpfungspunkt für die Ermittlung der Kausalität der oben erörterten Pflichtverletzungen des Klägers für den eingetretenen Steuerausfall nicht die finanzielle Situation der GmbH im Zeitpunkt der tatsächlichen Fälligkeit der streitgegenständlichen Umsatzsteuerverbindlichkeiten, sondern im Zeitpunkt ihrer fiktiven Fälligkeit (vgl. oben: 30. April 2004 für die Umsatzsteuer 2002 bzw. 30. September 2004/2005 für die Umsatzsteuer 2003 bzw. 2004) und in der Zeit danach (hier: bis zur Abberufung des Klägers als Geschäftsführer am 27. Oktober 2005; sog. Haftungszeitraum, vgl. dazu allgemein BFH-Urteil vom 12. Juli 1988 VII R 4/88, BStBl II 1988, 980).

    Der Grundsatz der anteiligen Tilgung erfährt insoweit eine Einschränkung, als eine Berufung darauf ausscheidet, wenn bei ordnungsgemäßer Abgabe der Steuererklärungen der Steuerausfall vermieden worden wäre. Dies kann nach ständiger BFH-Rechtsprechung dann angenommen werden, wenn bei ordnungsgemäßer Abgabe der Steuererklärungen die Steuern hätten tatsächlich bezahlt werden oder beigetrieben werden können (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 20. Februar 2001 VII B 111/00, BFH/NV 2001, 1097 m.w.N.; Rüsken, in: Klein, Abgabenordnung, 9. Aufl., § 69 Rz. 25, Jatzke, a.a.O., § 69 AO Rz. 41).

    Hiervon ausgehend ist nicht zu beanstanden, dass das Finanzamt A die sog. Tilgungsrate im Schätzungswege (§ 162 Abs. 1 AO 1977) auf 100 v. H. der Steuerrückstände bemessen hat.

    Im Streitfall hat sich das Finanzamt A bereits vor dem Erlass des streitgegenständlichen Haftungsbescheids um die Aufklärung des Sachverhalts bemüht. Es hat mit in etwa gleichlautenden Schreiben vom … bzw. … 2007 einerseits den Antragsteller und andererseits auch die Nachfolgegeschäftsführerin Frau O unter Angabe der Abgabenrückstände, Erteilung einer rechtlichen Belehrung über die Voraussetzungen der Haftungsinanspruchnahme und die Maßgeblichkeit der in etwa gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung für den Umfang der Haftung bei Betriebssteuern aufgefordert, in einen beigefügten Berechnungsbogen Angaben zu den Verbindlichkeiten und dem Zahlungsverkehr der GmbH für einen bestimmten Zeitraum (sog. Haftungszeitraum) zu machen. Dieser Aufforderung ist weder der Kläger noch Frau O trotz wiederholter Fristsetzungen in den beiden Verwaltungsverfahren nachgekommen (Frau O hat in den Berechnungsbogen nur 0-EUR-Beträge eingetragen und hat den gegen sie gerichteten Haftungsbescheid bestandskräftig werden lassen).

    Ferner ist zu beachten, dass den am Besteuerungsverfahren bezüglich der GmbH beteiligten Finanzämtern und auch dem Beklagten bis heute keine Jahresabschlüsse der GmbH für die Jahre ab 2005 vorliegen und dass die GmbH im Zeitraum 30. April 2004 (= fiktive Fälligkeit der Umsatzsteuer 2002) bis September 2007 (Erstellung des Gutachtens im Insolvenzantragsverfahren) sämtliche Privatgläubiger zu 100 v. H., das Finanzamt A dagegen zu 0 v. H. befriedigt hat.

    2. Form- und Ermessensfehler des Haftungsbescheids vom … 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom … liegen ebenfalls nicht vor.

    3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    VorschriftenAO § 69, AO § 34, AO § 149 Abs. 2 S. 1, AO § 162 Abs. 1, AO § 90 Abs. 1, AO § 88, FGO § 76 Abs. 1, UStG § 18 Abs. 3