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  • · Fachbeitrag · Steuerrecht

    Richtlinienkonforme Auslegung des § 4 Nr. 18 UStG

    von RAin Gabriele Ritter, FAin für Steuer- und Sozialrecht, Ritter&Partner, Rechtsanwälte und Steuerberater

    | Immer mehr Sozialeinrichtungen - insbesondere solche nicht gemeinnütziger Trägern - sind der Auffassung, dass die umsatzsteuerliche Gesetzgebung sie wettbewerbsrechtlich benachteiligt. Dem hat der BFH durch Entscheidung vom 8.8.13, (V R 13/12, Abruf-Nr. 133641 , v.a. 20.11.13) Abhilfe geleistet. Allerdings hatten sich gewerbliche Anbieter wohl mehr erhofft. |

    1. Sachverhalt

    Der Kläger, ein eingetragener Verein und Mitglied eines amtlich anerkannten Verbands der freien Wohlfahrtspflege, betrieb für eine kassenärztliche Vereinigung nachts sowie an Wochenenden und Feiertagen einen ärztlichen Notfalldienst. Dazu unterhielt er mit Funk ausgerüstete Pkw mit je einem Rettungshelfer als Fahrer zur Beförderung von Notärzten sowie eine Leitzentrale, die Notrufe entgegennahm, an die Ärzte weiterleitete und gegebenenfalls Rettungs- oder Krankenfahrzeuge anforderte. Der Arzt wurde in seiner Wohnung oder Praxis abgeholt und zu den Patienten gebracht. Auf Wunsch des Arztes begleitete der Fahrer ihn in die Wohnung des Patienten und assistierte ihm. Das FA unterwarf die Umsätze des Klägers aus dem ärztlichen Notfalldienst aus 1999 der Umsatzsteuer. Das FG gab der Klage des Vereins statt.

    2. Entscheidung des BFH

    Der 5. Senat des BFH bestätigte das Urteil des FG. Der Umsatz war im Streitfall nach Auffassung der Richter als steuerfrei zu betrachten, weil der Verein Mitglied eines amtlich anerkannten Verbands der freien Wohlfahrtspflege ist und auch die übrigen Voraussetzungen des § 4 Nr. 18 UStG erfüllt. Unter dem Gesichtspunkt des Wettbewerbs waren die Ausführungen zu § 4 Nr. 18 UStG in Angrenzung zu § 4 Nr. 14 bzw. § 4 Nr. 16 UStG a.F. von besonderer Bedeutung. Nach § 4 Nr. 18 UStG sind umsatzsteuerfrei die Leistungen der amtlich anerkannten Wohlfahrtsverbände und deren Mitglieder, wenn,

    • diese Unternehmer ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienen,
    • die Leistungen unmittelbar dem nach der Satzung, Stiftung oder sonstigen Verfassung begünstigten Personenkreis zugutekommen und
    • die Entgelte hinter den durchschnittlich für gleichartige Leistungen von Erwerbsunternehmen verlangten Entgelten zurückbleiben.

     

    Die Vorschrift beruht unionsrechtlich auf Art. 13 Teil A Abs. 1g der Richtlinie 77/388/EWG. Steuerfrei sind danach „die eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere vom betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden.u“

    Der BFH behandelte das vom Kläger ausgeführte Leistungsbündel als einen einheitlichen Umsatz. Die hier erforderliche Gesamtbetrachtung ist aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers vorzunehmen. Diese führt - so der BFH - zur Annahme einer einheitlichen Leistung, weil die einzelnen Handlungen so eng mit dem Betrieb eines Notfalldienstes verbunden sind, dass sie objektiv einen einzigen untrennbaren wirtschaftlichen Vorgang bilden, dessen Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre. Mit dieser Leistungserbringung erfüllt der Kläger § 4 Nr. 18 UStG, weil andere, speziellere Steuerbefreiungen nach der Art der im Streitfall erbrachten Leistungen nicht einschlägig sind. Der BFH stellt damit klar, dass der für Wohlfahrtsverbände und deren Mitglieder geltende § 4 Nr. 18 UStG nur eine subsidiär eingreifende Steuerbefreiung ist.

     

    Der BFH bezieht sich dazu auf die Entscheidung des EuGH vom 15.11.12 (C-174/11, „Zimmermann-Urteil“, UR 2013, 35 Rn. 58). Hier hatte der EuGH entschieden, dass das nationale Recht im Rahmen der Steuerbefreiung des § 4 Nr. 16e UStG keine sachlich unterschiedlichen Bedingungen für Einrichtungen mit Gewinnerzielungsabsicht einerseits und für die unter § 4 Nr. 18 UStG fallenden juristischen Personen ohne Gewinnerzielungsabsicht andererseits vorsehen darf. Zur Vermeidung eines Verstoßes gegen den durch das Zimmermann-Urteil präzisierten unionsrechtlichen Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer ist - so der BFH - § 4 Nr. 18 UStG daher teleologisch dahingehend einzuschränken, dass eine andere nationale Regelung des § 4 UStG, die eine steuerbefreite Leistung genau bezeichnet (wie z.B. § 4 Nr. 14 und § 4 Nr. 16 UStG), der Steuerbefreiung in § 4 Nr. 18 UStG als lex specialis vorgeht.

     

    Da der Betrieb des ärztlichen Notfalldienstes unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt unter spezielle Befreiungsvorschriften fallen konnte, war es dem Kläger in dem konkreten Fall möglich, sich auf § 4 Nr. 18 UStG zu berufen, dessen weitere Voraussetzungen der BFH insbesondere deshalb als gegeben angesehen hatte, weil der Verein auch personenbezogene Leistungen erbringt, die den begünstigten Personen unmittelbar zugutekommen.

    3. Was ist das Besondere an diesem Urteil?

    Das Urteil des 5. Senats ist im Kontext mit den Urteilen des 11. Senats zu sehen. Dieser hatte zum einen mit Urteil vom 19.3.13 das zuvor erwähnte Zimmermann-Urteil des EuGH umgesetzt (XI R 47/07, Abruf-Nr. 131591). Mit Urteil gleichen Datums (XI R 45/10, Abruf-Nr. 132023) hatte er zudem zur Umsatzbesteuerung von Pflegeleistungen zu entscheiden. Hier ging es darum, unter welchen Voraussetzungen Leistungen eines durch eine gemeinnützige GmbH betriebenen Altenwohnheims von der Umsatzsteuer befreit werden können. Unter dem Gesichtspunkt des Wettbewerbs zu nicht gemeinnützigen Leistungsanbietern waren ebenfalls die Ausführungen zu § 4 Nr. 18 UStG bedeutsam.

     

    Wie auch bei der Umsetzung des Zimmermann-Urteils des EuGH hob der 11. Senat auch hier hervor, dass diese nationale Regelung im Rahmen der Umsetzung der europarechtlich vorgesehenen Befreiung keine sachlich unterschiedlichen Bedingungen für Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht und für die unter § 4 Nr. 18 UStG fallenden juristischen Personen ohne Gewinnerzielungsabsicht vorsehen dürfen. Für die bisherige Praxis unterschiedlicher Anerkennungsvoraussetzungen sprach in dem zu entscheidenden Fall, dass die Klägerin, nachdem sie dem Paritätischen Wohlfahrtsverband beigetreten war, die Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 18 UStG erreicht hat, obwohl sich an den von ihr erbrachten Leistungen der Art nach nichts geändert hat.

     

    Der 11. Senat des BFH hat durch Hinweis auf den Grundsatz der Gleichbehandlung klargestellt, dass gleichartige und deshalb in Wettbewerb stehende Waren- oder Dienstleistungen bei der Mehrwertsteuer nicht unterschiedlich zu behandeln sind. Insofern ist die Europarechtskonformität des § 4 Nr. 18 UStG, die die Befreiung der Leistungen der amtlich anerkannten Wohlfahrtsverbände regelt, infrage zu stellen, da diese Einrichtungen ihre Leistungen ohne Einhaltung der seinerzeit in § 4 Nr. 16 UStG (a.F.) geregelten Größenkriterien (40 % der Leistungen müssen bestimmten „bedürftigen“ Menschen zugutekommen) umsatzsteuerfrei erbringen können.

     

    Dieses Urteil erschien insbesondere für die gewerblichen Leistungsanbieter interessant. Teilweise wurde das Urteil so interpretiert, dass ihre Leistungen über den Wortlaut des § 4 Nr. 18 UStG hinaus nunmehr ebenfalls begünstigt sind, es also nicht mehr auf die Frage der Gemeinnützigkeit und der Zugehörigkeit zu einer Wohlfahrtsorganisation ankommt.

     

    Dem hat der 5. Senat des BFH allerdings durch seine oben dargestellte Entscheidung vom 8.8.13 eine deutliche Absage erteilt, zugleich aber auch die Anwendbarkeit des § 4 Nr. 18 UStG für die gemeinnützigen Einrichtungen präzisiert bzw. eingeschränkt. Nach seiner Auffassung gehen die speziellen Steuerbefreiungen wie z.B. nach § 4 Nr. 14 oder § 4 Nr. 16 UStG der Steuerbefreiung für Leistungen von Wohlfahrtsverbänden und deren Mitgliedern in § 4 Nr. 18 UStG als lex specialis vor. Zur Vermeidung eines Verstoßes gegen das Neutralitätsgebot kommt § 4 Nr. 18 UStG (daher) nur eine durch den Anwendungsbereich der speziellen Vorschriften begrenzte Wirkung zu. Könnten die betroffenen Leistungen im Fall ihrer Ausführung durch Einrichtungen mit Gewinnstreben ihrer Art nach z.B. von § 4 Nr. 16 UStG umfasst werden, kann sich eine Einrichtung eines Wohlfahrtsverbandes für die Frage der Umsatzbesteuerung dieser Leistungen nicht auf die Vorschrift des § 4 Nr. 18 UStG berufen.

    4. Ausblick

    Vergleicht man die Entscheidungen des 11. und 5. Senats, stellt sich die Frage, wie die Urteile zueinander zu verstehen sind, als Ergänzung/Präzisierung oder konträre Aussage und wie die Beurteilung der Neufassung der Befreiungsvorschriften in 2009 ausfällt. Ihre Folgen sind aber auch im Hinblick auf eine mögliche, durch das Jahressteuergesetz 2013 bereits diskutierte Neufassung des § 4 Nr. 18 UStG zu beobachten. Im Ergebnis ist festzustellen, dass der Wettbewerbsgedanke weiter an Bedeutung gewinnen wird.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Hinzuweisen ist insoweit auch auf das Konsultationsverfahren der EU-Kommission zum Thema „Überprüfung bestehender MWSt-Rechtsvorschriften zu öffentlichen Einrichtungen und für dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten, http://ec.europa.eu/taxation_customs/index_de.htm
    Quelle: Ausgabe 06 / 2014 | Seite 106 | ID 42704719