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  • · Fachbeitrag · Besondere Verfahrenssituationen

    Anwaltsgebühren bei Horizontalverweisung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten

    von RA Norbert Schneider, Neunkirchen und Dipl.-Rechtspfleger Peter Mock, Koblenz

    | Die in §§ 20, 21 Abs. 1 RVG geregelten Fälle der Verweisung, Abgabe bzw. Zurückverweisung stellen Sonderfälle dar, die für den Anwalt zusätzliche Vergütungsansprüche generieren. Der folgende Beitrag erläutert die Besonderheiten bei der sog. Horizontalverweisung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten. |

    1. Überblick über die Fälle der §§ 20, 21 RVG

    §§ 20, 21 RVG regeln drei Fälle der Verweisung bzw. Abgabe und der Zurückverweisung:

     

    • Horizontalverweisung 20 S. 1 RVG): Ein Verfahren wird an ein anderes Gericht derselben Instanz abgegeben oder verwiesen.
    • → Gebührenrechtlich liegt hier nur eine einzige Angelegenheit vor.
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    • Diagonalverweisung 20 S. 2 RVG): Die Verweisung wird erst von dem Rechtsmittelgericht ausgesprochen.
    • → Gebührenrechtlich liegt eine neue selbstständige Angelegenheit vor.
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    • Vertikalverweisung21 Abs. 1 RVG): Die Sache wird von einem Rechtsmittelgericht an ein untergeordnetes Gericht zurückverwiesen.
    • → Gebührenrechtlich ist das Verfahren nach Zurückverweisung eine neue Angelegenheit. Es liegen i. d. R. drei Angelegenheiten vor, nämlich
      • das Ausgangsverfahren,
      • das Rechtsmittelverfahren und
      • das Verfahren nach Zurückverweisung.

     

     

    Beachten Sie | In zivilrechtlichen Verfahren nach Teil 3 VV RVG ist die Anrechnung nach Vorbem. 3 Abs. 6 VV RVG zu berücksichtigen. Danach ist die Verfahrensgebühr des Verfahrens vor Zurückverweisung auf die Verfahrensgebühr des Verfahrens nach Zurückverweisung anzurechnen, wenn an ein Gericht zurückverwiesen wird, das bereits mit der Sache befasst war.

     

    2. Fälle der Horizontalverweisung

    Die Horizontalverweisung nach § 20 S. 1 RVG betrifft regelmäßig den Fall, dass der Rechtsweg nicht gegeben ist bzw. das angerufene Gericht sachlich oder örtlich unzuständig ist. Die erstinstanzlichen Gebühren können lediglich einmal anfallen (§ 15 Abs. 2 RVG), da die Verweisung noch vor Beendigung der Instanz ‒ möglicherweise sogar zu Beginn des Verfahrens ‒ stattfindet (BGH RVG prof. 20, 58).

     

    a) Gebührentatbestand vor verweisendem und empfangendem Gericht

    Die Einmaligkeit der Gebühren besteht auch in den Fällen, in denen der Gebührentatbestand sowohl vor dem verweisenden als auch vor dem empfangenden Gericht ausgelöst wurde (OLG Frankfurt JurBüro 79, 848).

     

    • Beispiel 1

    Das LG verweist nach mündlicher Verhandlung die Sache an das ArbG. Dort wird erneut verhandelt.

     

    Lösung

    Obwohl die Verfahrens- und Terminsgebühr vor dem LG und ArbG ausgelöst wurde, kann der Rechtsanwalt insgesamt nur einmal die Gebühren berechnen.

     

    b) Unerheblichkeit des gebührenauslösenden Gerichts

    Hinsichtlich des Gebührenanfalls und damit der Vergütungsberechnung ist es völlig unerheblich, vor welchem Gericht die Gebühren ausgelöst werden. Denn der Rechtsanwalt darf im Ergebnis die jeweiligen Gebühren ja nur einmal berechnen.

     

    • Beispiel 2

    Das FamG Koblenz verweist nach mündlicher Verhandlung die Haushaltssache an das zuständige FamG in Bonn. Dort wird ohne erneuten Termin eine Einigung geschlossen.

     

    Lösung

    Dass die Verfahrensgebühr vor beiden Gerichten ausgelöst wurde, die Terminsgebühr aber nur vor dem FamG Koblenz und die Einigungsgebühr vor dem FamG Bonn, ist unerheblich. Der Rechtsanwalt erhält insgesamt einmal sämtliche Gebühren.

     

    c) Einmaligkeit trotz unterschiedlicher Gebührensätze

    Fällt eine Gebühr nach unterschiedlichen Gebührensätzen an, bleibt im Ergebnis die Einmaligkeit der gebührenrechtlichen Angelegenheit erhalten.

     

    • Beispiel 3

    Das AG Koblenz erlässt wegen Nichterscheinens gegen den Kläger ein Versäumnisurteil. Nachdem dieser Einspruch eingelegt hat, wird die Sache an das AG Bonn verwiesen. Dort wird mündlich verhandelt.

     

    Lösung

    Vor dem AG Koblenz entsteht eine 0,5-Terminsgebühr nach Nr. 3105 VV RVG. Vor dem AG Bonn entsteht eine 1,2-Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG. Im Ergebnis kann der Rechtsanwalt aber nur eine 1,2-Terminsgebühr berechnen.

     

    d) Gebührenhöhe bei Gegenstandsänderung

    Ändert sich vor oder nach Verweisung bzw. Abgabe der Gegenstandswert z. B. durch eine Klageerweiterung, teilweise Klagerücknahme, Widerklage oder Klageänderung, ist die jeweilige Gebühr nach dem jeweiligen Gegenstandswert zu berechnen (AnwK-RVG/N. Schneider, 9. Aufl., § 20 Rn. 10 m. w. N.).

     

    • Beispiel 4

    K erhebt vor dem AG Koblenz eine Zahlungsklage über 10.000 EUR wegen rückständiger Gewerbemiete. Das AG verweist die Sache wegen sachlicher Unzuständigkeit an das LG Koblenz. Dort erweitert K die Klage um 5.000 EUR. Es ergeht nach mündlicher Verhandlung ein Urteil.

     

    Lösung

    Vor dem AG Koblenz entsteht eine 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG aus einem Wert von 10.000 EUR. Vor dem LG Koblenz entsteht eine 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG und eine 1,2-Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG aus einem Wert von jeweils 15.000 EUR. Der Rechtsanwalt kann insgesamt nur einmal eine 1,3-Verfahrensgebühr und eine 1,2-Terminsgebühr aus einem Wert von 15.000 EUR berechnen.

     

    e) Gebührenhöhe bei Streitwertänderung

    Durch die Abgabe bzw. Verweisung kann es zwischen dem verweisenden und dem empfangenden Gericht zu Änderungen des Streitwerts kommen, weil jeweils andere Wertermittlungsvorschriften anzuwenden sind. Hier gilt der Grundsatz, dass einmal angefallene Gebühren nachträglich nicht mehr wegfallen können (vgl. § 15 Abs. 4 RVG).

     

    • Beispiel 5

    Vor dem LG klagt K auf Feststellung des Fortbestehens eines Anstellungsverhältnisses. Das LG verweist die Sache nach mündlicher Verhandlung an das ArbG. Vor dem ArbG wird nach Erörterung eine Einigung getroffen.

     

    Lösung

    Der Streitwert vor dem LG orientiert sich nach § 3 ZPO i. V. m. § 9 ZPO und somit nach dem dreieinhalbfachen Jahresbetrag des Einkommens. Der Streitwert vor dem ArbG berechnet sich hingegen nach § 42 Abs. 2 S. 1 GKG und damit nach dem Einkommen eines Vierteljahres. Der Rechtsanwalt kann daher die Verfahrens- und Terminsgebühr aus dem dreieinhalbfachen Jahresbetrag berechnen, die Einigungsgebühr jedoch nur aus dem Vierteljahreswert.

     

    Beachten Sie | Dasselbe gilt natürlich auch im umgekehrten Fall der Werterhöhung nach Verweisung/Abgabe. In diesem Fall erhält der Rechtsanwalt die Gebühren nach dem höheren Wert, wenn diese vor dem Empfangsgericht angefallen sind (AnwK-RVG/N. Schneider, 9. Aufl., § 20 Rn. 14).

     

    f) Gebührenhöhe bei verschiedenen Gebührensätzen

    Es kann vorkommen, dass für das Verfahren vor Verweisung bzw. Abgabe andere Gebührensätze anzuwenden sind als für das Verfahren nach Verweisung bzw. Abgabe. Auch hier gilt, dass einmal angefallene Gebühren nachträglich nicht mehr wegfallen können (vgl. § 15 Abs. 4 RVG). Ausschließlich die Gebühren, die erstmals nach Verweisung nach einem geringeren Satz angefallen sind, werden nach dem geringeren Satz abgerechnet.

     

    • Beispiel 6

    Das FG verweist nach mündlicher Verhandlung die Sache an das VG. Dort wird nach mündlicher Verhandlung eine Einigung getroffen.

     

    Lösung

    Die Verfahrensgebühr vor dem FG berechnet sich nach Vorb. 3.2.1. Nr. 1 VV RVG i. V. m. Nr. 3200 VV RVG und somit mit einem Satz von 1,6. Die Terminsgebühr entsteht in Höhe von 1,2 nach Nr. 3202 VV RVG.

     

    Vor dem VG entsteht eine 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG, eine 1,2-Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG und eine 1,0-Einigungsgebühr nach Nr. 1003 VV RVG.

     

    Der Rechtsanwalt kann berechnen: 1,6-Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV RVG, eine 1,2-Terminsgebühr (nach Nr. 3202 oder 3104 VV RVG) und eine 1,0-Einigungsgebühr nach Nr. 1003 VV RVG.

     

    g) Gebührenhöhe bei verschiedenen Gebührenrahmen

    Sind für das Verfahren vor Verweisung bzw. Abgabe andere Gebührensätze anzuwenden als vor dem Verfahren nach Verweisung bzw. Abgabe, gilt, dass einmal angefallene Gebühren nachträglich nicht mehr wegfallen können (vgl. § 15 Abs. 4 RVG).

     

    • Beispiel 7

    Das SG verweist nach mündlicher Verhandlung die Sache an das LSG. Dort wird mündlich verhandelt und entschieden.

     

    Lösung

    Ausgehend von der jeweiligen Mittelgebühr gilt:

     

    • Die Verfahrensgebühr vor dem SG beträgt 360 EUR (Nr. 3102 VV RVG), die Terminsgebühr 335 EUR (Nr. 3106 VV RVG).
    • Vor dem LSG entsteht eine Verfahrensgebühr von 444 EUR (Nr. 3204 VV RVG) und eine Terminsgebühr von 335 EUR (Nr. 3205 VV RVG).

     

    Der Rechtsanwalt kann berechnen: Verfahrensgebühr von 444 EUR nach Nr. 3204 VV RVG und eine Terminsgebühr von 335 EUR (nach Nr. 3106 oder 3205 VV RVG).

     
    Quelle: Ausgabe 01 / 2023 | Seite 9 | ID 48830253