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  • · Fachbeitrag · Rahmengebühren

    So bemessen sich die Gebühren im Bußgeldverfahren

    von RA Detlef Burhoff, RiOLG a. D., Münster/Augsburg

    | Bei Abrechnungen in straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren streiten Anwälte und Gerichte immer wieder um den richtigen Ausgangspunkt für die Bemessung der Rahmengebühr für die Tätigkeit des Anwalts. Das LG Chemnitz hat nun dargelegt, dass dies grundsätzlich die Mittelgebühr ist, wenn diese nicht im Einzelfall unbillig hoch ist. Das sei anhand sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Das LG hat einen pauschalen Abschlag von dem im RVG vorgesehenen Rahmen abgelehnt. |

     

    Sachverhalt

    Im betreffenden Fall ist dem Betroffenen eine fahrlässige Geschwindigkeitsüberschreitung zur Last gelegt worden. Der Bußgeldbescheid sah eine Geldbuße von 100 EUR und einen Punkt nach dem Punktesystem vor. Im Laufe des Verfahrens hat der Betroffene nach Einspruch behauptet, dass sein Bruder gefahren sei. Es ist ein anthropologisches Sachverständigengutachten eingeholt worden. Der Sachverständige ist zu dem Ergebnis gekommen, dass der Betroffene sehr wahrscheinlich nicht identisch mit dem Fahrer ist. Das AG hat den Betroffenen dann freigesprochen und die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse auferlegt. Der Betroffene hat in seinem Kostenerstattungsantrag jeweils die „Mittelgebühren“ zugrunde gelegt. Festgesetzt worden sind jeweils nur die halben Mittelgebühren.

     

    Entscheidungsgründe

    Das LG legt im Rechtsmittelverfahren seiner Festsetzung § 14 Abs. 1 S. 1 RVG zugrunde (23.2.16, 2 Qs 159/15, Abruf-Nr. 189311; bestätigt durch 9.6.16, 2 Qs 76/16, Abruf-Nr. 189310). Die Kammer ist der Ansicht, dass von einer „Rahmenmittelgebühr“ nach der Gesetzeslage der durchschnittliche Fall erfasst wird. Dies ist jeweils nach den Gesamtumständen und Besonderheiten des konkreten Einzelfalls festzustellen. Auch bei Verkehrsordnungswidrigkeiten, die nach Teil 5 VV RVG abzurechnen sind, kann nicht in sämtlichen Fällen von vorneherein schematisch davon ausgegangen werden, dass ein unterdurchschnittlicher Fall vorliegt. Folge: Anhand der Gesamtumstände und Besonderheiten des konkreten Einzelfalls ist in einer Gesamtwürdigung die Gebühr innerhalb des Rahmens auf ihre Angemessenheit zu prüfen.

     

    MERKE | Es ist daher ohne pauschale Reduzierungen und Festsetzungen mit der Hälfte der Mittelgebühr jeweils eine Einzelfallprüfung vorzunehmen. Verkehrsordnungswidrigkeiten könnten im Einzelfall einen gleich hohen, einen höheren oder auch einen geringeren Aufwand als andere Ordnungswidrigkeiten verursachen. Soweit sie einfache Sach- und Rechtsfragen, relativ niedrige Geldbußen, selbst mit einem Fahrverbot und wenigen Punkten im Verkehrszentralregister, aufweisen, können sie, müssen sie aber nicht pauschal in einer Einzelfallprüfung als unterdurchschnittlich anzusehen sein, wenn die Gesamtwürdigung mit weiteren Besonderheiten des Einzelfalls dies zulässt.

     

    Bei der Abwägung im Einzelfall hat das LG auf Folgendes abgestellt:

     

    • Bei allen Gebühren: Es handelte sich um eine Verkehrsordnungswidrigkeit und dabei zunächst um den häufig vorkommenden und tatsächlich und rechtlich unterdurchschnittlich einfach gelagerten Routinesachverhalt einer technischen Geschwindigkeitsmessung mit Fahrerlichtbild.

     

    • Bei der Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG: Zu berücksichtigen ist der Einarbeitungsaufwand mit Mandatsanzeige mit Akteneinsichtsgesuch, Studium der Akte (hier: 11 Seiten), Terminsvereinbarung sowie Besprechung mit dem Mandanten und schriftsätzliche Anforderung weiterer Informationen bei der Behörde. Ferner ist zu berücksichtigen: die grundsätzlich erforderliche Einarbeitung des Verteidigers in das Funktionieren des Geräts und die erforderliche Befragung des Kfz-Halters nach weiteren Fahrzeugnutzern, die als Fahrer zur Tatzeit in Betracht kommen. Zu den beruflichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen und zur Bedeutung des ihm drohenden Punktes nach dem Punktesystem war hier nichts aktenkundig oder vorgetragen.

     

    • Bei der Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV RVG: Es handelte sich hier um ein Bußgeld im unteren Bereich, zusätzlich drohte aber ein Punkt, was in diesem Verfahrensabschnitt erforderlich macht, den Mandanten über das technische Funktionieren des Geräts nebst möglichen Fehlerquellen zu beraten. Zu beraten war er auch über die Feststellung der Fahrereigenschaft bei mehreren verdächtigen Fahrern mit Ähnlichkeit und über die Kosten von Gutachten beim Tatnachweis.

     

    • Bei der Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG: Das LG hat auch auf einen schriftsätzlichen Einstellungsantrag abgestellt, in dem der Bruder des Betroffenen als Fahrer zur Tatzeit benannt und ein von diesem unterzeichnetes Schriftstück vorgelegt wurde, außerdem auf die erforderliche Besprechung des vorläufigen Sachverständigengutachtens mit dem Mandanten.

     

    • Bei der Terminsgebühr Nr. 5110 VV RVG: Hier hat das LG vornehmlich auf die erforderliche Vorbereitung des Termins im Hinblick auf das Sachverständigengutachten und auf die Dauer der Hauptverhandlung abgestellt, die mit 44 Minuten Verspätung begonnen und 49 Minuten gedauert hat, davon 25 Minuten Sitzungsdauer und 24 Minuten Unterbrechung für die Anfertigung von Fotografien und Gutachtensvorbereitung durch die Sachverständige.
     

    Relevanz für die Praxis

    Die Entscheidungen des LG Chemnitz sind allen AG und LG, die bislang noch pauschal einen Abzug von den Gebührenrahmen der Gebühren in Teil 5 VV RVG vornehmen, zur Nachahmung empfohlen (z. B. LG Berlin 22.3.12, 517 Qs 5/12; LG Dresden 21.7.14, 2 Qs 8/14; LG Neuruppin 23.2.12, 11 Qs 3/12; LG Zwickau RVGreport 14, 57). Ausgangspunkt ist die Mittelgebühr, ohne pauschalen Abschlag. Dann sind sämtliche Umstände des Einzelfalls heranzuziehen und zu prüfen, ob die Mittelgebühr angemessen ist oder nicht und ob sie ggf. zu reduzieren oder zu erhöhen ist (so auch LG Arnsberg 27.4.12, 6 Qs 17/12; LG Saarbrücken RVG prof. 13, 107; RVGreport 14, 387; AG Meißen RVGreport 15, 136).

     

    MERKE | Im Übrigen kann auch, wenn der Rechtsanwalt die Gebühren zu hoch angesetzt hat, nur reduziert werden, wenn die Gebühren unbillig zu hoch i. S. d. § 14 Abs. 1 RVG sind. Das ist aber nur der Fall, wenn die beantragte Gebühr um mehr als 20 Prozent über der angemessenen Höhe liegt (LG Chemnitz 9.6.16, 2 Qs 76/16).

     
    Quelle: Ausgabe 12 / 2016 | Seite 211 | ID 44322769