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  • 30.11.2010 | Strafrecht

    Strafbefehlsverfahren: Was darf der Pflichtverteidiger abrechnen?

    von RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster/Augsburg

    Dem nach § 408b StPO bestellten Verteidiger stehen, auch wenn er erstmals nach Erlass des Strafbefehls tätig wird und keinen Einspruch einlegt, die vollen Gebührenansprüche eines Verteidigers und nicht nur eine Einzeltätigkeitsgebühr zu (OLG Oldenburg 29.7.10, 1 Ws 344/10, Abruf-Nr. 103869).

     

    Sachverhalt

    Der Angeklagte ist im Hauptverhandlungstermin nicht erschienen. Darauf hat die StA den Erlass eines Strafbefehls nach § 408b StPO beantragt. Der Angeklagte wurde dazu und zur Pflichtverteidigerbestellung angehört. Eine Reaktion erfolgte nicht. Das AG erließ den Strafbefehl und bestellte zugleich den Rechtsanwalt zum Pflichtverteidiger gemäß § 408b StPO für das Strafbefehlsverfahren. Dem Beschluss war der Zusatz angefügt, dass die Bestellung nicht für eine mögliche Hauptverhandlung gelte und es mit dem Angeklagten abzusprechen sei, ob nach einem Einspruch eine Wahlverteidigung auf Kosten des Angeklagten erfolgen solle. Einspruch gegen den Strafbefehl wurde nicht eingelegt. Der beigeordnete Rechtsanwalt hat die Festsetzung der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und der Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG beantragt. Festgesetzt hat das AG nur eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4302 VV RVG. Die dagegen gerichteten Rechtsmittel hatten beim AG und LG Aurich keinen Erfolg (RVG prof. 09, 189, Abruf-Nr. 093358). Auf die weitere Beschwerde des Rechtsanwalts hat das OLG die vom Verteidiger beantragten Gebühren festgesetzt.  

     

    Entscheidungsgründe

    Anders als das LG hat das OLG die Tätigkeit des Rechtsanwalts nicht als Einzeltätigkeit angesehen. Der nach § 408b StPO bestellte Pflichtverteidiger ist nämlich „Vollverteidiger“. Ihm obliegt die umfassende Verteidigung des Angeklagten, der vor der Verhängung der Freiheitsstrafe nicht persönlich durch einen Richter angehört wird und sich häufig der Gefahr des Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56f StGB nicht bewusst ist. Die Verteidigung beschränkt sich nicht darauf, nach § 145a Abs. 1 StPO den Strafbefehl für den Angeklagten in Empfang zu nehmen und nach dessen Willen oder vorsorglich Einspruch einzulegen. Vielmehr gehört dazu, den Angeklagten fachkundig zu beraten und dessen verfahrensmäßige Rechte im Strafbefehlsverfahren wahrzunehmen. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, muss der Pflichtverteidiger Einsicht in die Ermittlungsakten nehmen und als fachkundiger Berater mit dem Angeklagten erörtern, ob es zweckmäßig erscheint, Einspruch gegen den Strafbefehl einzulegen. Auch aus dem Gesetzeswortlaut kann nicht geschlossen werden, die Tätigkeit des Pflichtverteidigers unterliege bis zur Einspruchseinlegung irgendwelchen Beschränkungen. Ob der Rechtsanwalt die für die Verteidigung im Ganzen bestimmten Gebühren oder die Gebhühren für eine Einzeltätigkeit erhält, richtet sich grundsätzlich nicht nach dem Umfang seiner Tätigkeit, sondern nach dem Inhalt des erteilten Auftrags oder des Umfangs seiner Bestellung. Der mit der Vollverteidigung beauftragte Rechtsanwalt erhält die vollen Verteidigergebühren auch, wenn er nur einzelne Beistandsleistungen erbringt. Damit er im vorliegenden Fall beurteilen konnte, ob die Einlegung eines Einspruchs gegen den Strafbefehl veranlasst war, bedurfte es - auch im Hinblick auf die Nichtgeltung des Verschlechterungsverbots - der Beschaffung der notwendigen Informationen und der Einarbeitung in die Sache. Dieser Aufwand wird mit der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG abgegolten. Zudem ist die Verfahrensgebühr nach Nr. 4106 VVRVG angefallen.  

     

    Weiterführender Hinweis

    • Die Entscheidung ist zutreffend und entspricht der h.M. in der Rechtsprechung (OLG Düsseldorf AGS 08, 343 und OLG Köln AGS 09, 481).
    Quelle: Ausgabe 12 / 2010 | Seite 211 | ID 140429