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  • 25.08.2022 · IWW-Abrufnummer 230935

    Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein: Beschluss vom 25.04.2022 – 1 Ta 40/22


    In dem Beschwerdeverfahren
    in dem Rechtsstreit
    pp.
    hat die erste Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein am 25.04.2022 durch den Vizepräsidenten ... als Vorsitzenden
    beschlossen:

    Tenor:

    Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 24.03.2022 - 3 Ca 1336 a/21 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

    Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.



    Gründe



    I. Die Beklagte wendet sich gegen die Ablehnung der Aussetzung eines zwischen ihr und dem Kläger vor dem Arbeitsgericht geführten Prozesses nach § 149 Abs. 1 ZPO.



    Der Kläger hat vor dem Arbeitsgericht Klage erhoben mit der er die Erstellung korrigierter Verdienstabrechnungen für die Monate Mai bis August 2021 im Hinblick auf die dort für die einzelnen Monate von ihm geleisteten Arbeitsstunden begehrt. Außerdem verlangt der Kläger Urlaubsabgeltung für das Jahr 2021 in Höhe von 450,00 EUR netto für 20 Urlaubstage. Er war vom 01.02.2020 bis 30.09.2021 bei der Beklagten als Servicemitarbeiter auf Grundlage eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses (450,00-EUR-Job) tätig.



    Mit Schriftsatz vom 18.03.2022 hat die Beklagte die Aussetzung des Rechtstreits beantragt, da aufgrund des Verfahrensgegenstands gegenwärtig ein Ermittlungsverfahren beim Hauptzollamt I... anhängig sei. Inhaltliche Angaben der Beklagten seien dem Ermittlungsverfahren vorgreiflich und kollidierten mit ihrem dortigen Schweigerecht.



    Das Arbeitsgericht hat durch Beschluss vom 24.03.2022 die Aussetzung des Verfahrens abgelehnt. Es sei bereits nicht ersichtlich, was konkreter Gegenstand des Ermittlungsverfahrens sei und unklar, welche Sachverhaltsergebnisse des Strafverfahrens die tatsächlichen Feststellungen im Verfahren vor dem Arbeitsgericht erleichtern sollten. Das Interesse des Klägers an einem zeitnahen Abschluss des Verfahrens sei vorrangig zu berücksichtigen. Das Interesse der Beklagten, ihrem strafprozessualen Schweigerecht auch im zivilrechtlichen Rechtstreit Vorrang zu gewähren, sei nicht schützenswert.



    Gegen diesen Beschluss hat die Beklagte am 29.03.2022 sofortige Beschwerde eingelegt, der das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 04.04.2022 nicht abgeholfen und dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt hat.



    Im Beschwerdeverfahren hat die Beklagte noch ergänzend vorgetragen, dass Hintergrund des Aussetzungsantrags die Prüfungsverfügung des Hauptzollamts I... vom 27.10.2021 unter dem Aktenzeichen S... sei, aufgrund derer die Geschäftsräume der Beklagten durchsucht worden seien. Diese Prüfungsverfügung sei auf eine Selbstanzeige des Klägers zurückzuführen.



    Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Akte Bezug genommen.



    II. Die gemäß § 252 ZPO statthafte, form- und fristgemäß eingelegte und damit zulässige sofortige Beschwerde der Beklagten ist nicht begründet. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, die Aussetzung des Rechtsstreits nach § 149 Abs. 1 ZPO abzulehnen, ist nicht zu beanstanden.



    1. Gemäß § 149 Abs. 1 ZPO kann das Gericht, wenn sich im Laufe eines Rechtstreits der Verdacht einer Straftat ergibt, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluss ist, die Aussetzung der Verhandlung bis zur Erledigung des Strafverfahrens anordnen. Unstreitig ist, dass eine Aussetzung auch erfolgen kann, wenn - wie hier - das Strafverfahren bereits vor Einreichung der Klage eingeleitet worden ist Zöller/Greger, ZPO, 34. Auflage 2022, § 149 ZPO, Rn 1).



    2. Zweck des § 149 ZPO ist es, dem Zivilrichter die Möglichkeit zu geben, sich die besseren Erkenntnismöglichkeiten eines Strafverfahrens dann zunutze zu machen, wenn sich eine schwierige Beweislage im Zivilrechtsstreit voraussichtlich nicht oder nicht so gut wie im Ermittlungsverfahren wird klären lassen. Die Tatsachen, die in diesem Sinne eine Aussicht auf bessere Erkenntnis im Strafverfahren eröffnen, sind im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 149 Abs. 1 ZPO abzuwägen gegen das achtenswerte Interesse des Klägers an einer alsbaldigen Entscheidung über sein Begehren (OLG Frankfurt, Beschluss vom 01.02.2001 - 24 W 5/01 - juris, Rn 6). Die gerichtliche Entscheidung über eine Aussetzung nach § 149 ZPO unterfällt der richterlichen Ermessensausübung. Das Ermessen hat sich dabei innerhalb der gesetzlichen Grenzen zu halten und an dem gesetzgeberischen Zweck der Vorschrift auszurichten. Daher hat das Gericht bei seiner Ermessensentscheidung die Vor- und Nachteile der Aussetzung abzuwägen, insbesondere also die verzögerte Erledigung des Zivilprozesses gegen den möglichen Erkenntnisgewinn aus den besseren Aufklärungsmöglichkeiten, die der strafprozessuale Untersuchungsgrundsatz mit sich bringt (LAG Hamm, Beschluss vom 10.05.2013 - 7 Ta 155/13 - juris, Rn 17).



    Das Beschwerdegericht setzt aber nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle der Ermessensentscheidung des Arbeitsgerichts. Es prüft lediglich, ob das Arbeitsgericht den Ermessenspielraum überschritten oder von seinem Ermessen in einer mit dem Zweck der Ermächtigung nicht in Übereinstimmung zu bringenden Weise Gebrauch gemacht hat (LAG Hamm, a. a. O., Rn 18).



    3. Danach ist die Entscheidung des Arbeitsgerichts, den vorliegenden Rechtstreit nicht auszusetzen, nicht zu beanstanden.



    a) Hinsichtlich des Antrags zu 2. liegen die Voraussetzungen für eine Aussetzung nach § 149 Abs. 1 ZPO bereits tatbestandlich nicht vor. Es ist nicht zu erkennen, inwieweit der Anspruch des Klägers auf Urlaubsabgeltung von den strafrechtlichen Ermittlungen gegen die Beklagte in irgendeiner Weise abhängig sein sollte. Entsprechendes legt die Beklagte auch nicht dar.



    Im Übrigen besteht jedenfalls die Möglichkeit, dass die Ermittlungen des Hauptzollamts im Hinblick auf die von der Beklagten als sozialversicherungsfrei geführte Tätigkeit des Klägers und im Zusammenhang damit auf die Feststellung des Umfangs der von ihm geleisteten Arbeitsstunden Auswirkungen hat. Das Vorbringen in der Beschwerdebegründung enthält auch erstmals den Hinweis auf ein konkretes strafrechtliches Ermittlungsverfahren einer Behörde gegen die Beklagte. Damit liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 149 Abs. 1 ZPO (nunmehr) vor.



    b) Die Ablehnung der Aussetzung des Verfahrens durch das Arbeitsgericht hält sich im Rahmen des diesem zustehenden Ermessens.



    aa) Bei der Abwägung der Interessen des Klägers an der Fortführung des Verfahrens gegenüber den Interessen der Beklagten an dessen Aussetzung hat das Arbeitsgericht zugunsten des Klägers dessen Erledigungsinteresse unter Berücksichtigung des besonderen Beschleunigungsgebots aus § 9 ArbGG berücksichtigt. Dem gegenüber stehende überwiegende Interessen der Beklagten an der Aussetzung sind von dieser nicht vorgetragen. Es ist auch nicht zu erkennen, dass die Aufklärung des Umfangs der vom Kläger in den Monaten Mai bis August 2021 geleisteten Arbeitsstunden nicht ohne weiteres auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren aufgeklärt werden kann. Hier wird die Beklagte vorzutragen haben und streitiger Vortrag zum Umfang der Arbeitszeiten vom Arbeitsgericht aufzuklären sein. Ggf. kann in diesem Zusammenhang auch die Ermittlungsakte beigezogen werden. Eine bessere Aufklärungsmöglichkeit des Sachverhalts durch die Ermittlungsbehörde ist danach nicht zu erwarten.



    Damit ist die Ablehnung der Aussetzung des Verfahrens nicht zu beanstanden.



    bb) Entgegen der Auffassung der Beklagten musste das Arbeitsgericht nicht berücksichtigen, ob die Beklagte durch eine Fortführung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens vor Abschluss des Ermittlungs- bzw. Strafverfahrens gezwungen werden könnte, sich mit faktischer Auswirkung auf das Strafverfahren selbst zu belasten. Nach ganz überwiegender Auffassung ist die zivilprozessual in § 138 Abs. 1 ZPO angelegte Selbstbezichtigungsgefahr kein Aussetzungsgrund (OLG Frankfurt, a. a. O., LAG Hamm, a. a. O., LAG Düsseldorf, Beschluss vom 27.09.2001 - 7 Ta 357/01 - juris; Zöller/Greger, aaO., § 149 ZPO, Rn 2).



    (1) Der Schutz vor der Verpflichtung zum wahrheitsgemäßen Vortrag und damit die potentielle Gefahr der Selbstbezichtigung liegt außerhalb des Normzwecks der Aussetzung. Die Norm dient, wie ausgeführt, in Fällen einer schwierigen Beweislage, Erkenntnisse aus einem Ermittlungsverfahren nutzen zu können. Der Schutz des Beschuldigten vor zivilrechtlichen Forderungen liegt dagegen außerhalb der Reichweite der Norm. Er ist im Zivilprozess angelegt.



    (2.) Der von der Beklagten angegebene Konflikt kann auch gedanklich nur dort auftreten, wo die wegen der Folgen einer Straftat in Anspruch genommene Prozesspartei die Straftat wirklich begangen hat. Ist dies nämlich nicht der Fall, so kann und wird sie im Zivilrechtstreit vortragen, dass sie sich einer derartigen Tat nicht schuldig gemacht hat, hier also die Abrechnungen ordnungsgemäß erfolgt sind. Hat die Prozesspartei hingegen die vorgeworfene Straftat begangen und zugleich den Entschluss gefasst, sich zukünftig im Zivilprozess rechtstreu zu verhalten, dann könnte der Konflikt zwischen dem Wahrheitswillen des Täters im Zivilprozess und seinem Wunsch, aus dem Bekenntnis zur Wahrheit keine strafrechtlichen Nachteile zu erleiden, faktisch nie gelöst werden. Zwar könnte sich auf erste Sicht ein Freispruch daraus ergeben, dass der Täter im Strafverfahren schweigt, sich im Zivilrechtsstreit auf Grundlage einer Aussetzung nicht sich selbst belastend äußert und anderweitige Beweismittel im Strafverfahren nicht zur Verfügung stehen. Auf Dauer wäre der vom Täter empfundene Konflikt mit seiner zivilprozessualen Wahrheitspflicht aber nicht beseitigt. Würde sich der Täter im Anschluss an den Freispruch im nunmehr fortzusetzenden Zivilprozess wahrheitsgemäß zu seiner Tat bekennen, so würde dies die Wiederaufnahme des Strafverfahrens zu seinen Ungunsten eröffnen. Da es Zweck der Aussetzung nicht sein kann, den Straftäter dauerhaft von seiner zivilrechtlichen Verpflichtung gegenüber dem Opfer zu entlasten, bleibt es allein Sache des Täters, den umschriebenen Konflikt selbst zu lösen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung über die Aussetzung bleibt dieser Konflikt ohne Belang (OLG Frankfurt, a. a. O., Rn 9/10).



    4. Die Beklagte trägt die Kosten ihrer sofortigen Beschwerde. Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht ersichtlich.

    Vorschriften§ 138 Abs. 1 ZPO, § 149 Abs. 1 ZPOVorschriften§ 149 Abs. 1 ZPO, § 252 ZPO, § 149 ZPO, § 9 ArbGG, § 138 Abs. 1 ZPO

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