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  • · Fachbeitrag · Der Steuerberater fragt, der Strafverteidiger antwortet

    Festsetzungsverjährung der Haftung nach § 69 AO bei leichtfertiger Steuerverkürzung

    von RA Philipp Külz und RAin Sophia von Hake, LL.M., Flick Gocke Schaumburg, Bonn

    | Zu einer umfassenden Beratung im Zusammenhang mit Steuerstrafverfahren bzw. bei ordnungswidrigkeitsrechtlichen Ermittlungen gehört auch, den Mandanten über etwaige haftungsrechtliche Risiken aufzuklären bzw. Haftungsansprüche der Finanzbehörden nach Möglichkeit abzuwehren. Die folgenden Ausführungen machen deutlich, dass dabei ein besonderes Augenmerk auf die Prüfung der Festsetzungsverjährung gelegt werden sollte. |

     

    Frage des Steuerberaters: Mein Mandant war Geschäftsführer einer GmbH, welche in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten geriet und im Februar 2010 Insolvenz angemeldet hat. Für das Jahr 2008 wurde die Umsatzsteuerjahreserklärung nicht fristgerecht zum 31.5.09 eingereicht. Daraufhin erließ das FA im September 2009 einen Schätzungsbescheid. Die sodann im Oktober 2009 durch meinen Mandanten eingereichte Umsatzsteuererklärung wies eine gegenüber der Schätzung erheblich höhere Bemessungsgrundlage aus; bereits zu diesem Zeitpunkt war die GmbH wirtschaftlich nicht mehr in der Lage, die fällige Steuerlast zu begleichen. Die Bußgeld- und Strafsachenstelle hat mit Blick auf § 378 Abs. 3 AO von der Verhängung eines Bußgeldes abgesehen, da die im Oktober 2009 eingereichte Umsatzsteuererklärung als bußgeldbefreiende Selbstanzeige einzuordnen war. Sich auf die grundsätzliche Erfüllung des Tatbestands der leichtfertigen Steuerverkürzung nach § 378 Abs. 1 AO berufend, nimmt die Finanzverwaltung meinen Mandanten völlig überraschend Jahre später mit Bescheid vom 15.12.14 gemäß § 69 AO - begrenzt auf eine geschätzte Tilgungsquote von 70 % - in Haftung und verweist auf die verlängerte Festsetzungsfrist von fünf Jahren. Ich habe zunächst fristgerecht Einspruch eingelegt, stelle mir aber die Frage, ob die Auffassung der Finanzbehörde zutreffend ist.

     

    Antwort des Verteidigers: Eine Haftungsinanspruchnahme des Mandanten nach § 69 AO ist nicht möglich, da mit Ablauf des Jahres 2013 - völlig unabhängig von der Frage des Vorliegens einer leichtfertigen Steuerverkürzung nach § 378 AO - Festsetzungsverjährung eingetreten ist.

     

    Gemäß § 191 Abs. 3 S. 3 AO beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Tatbestand verwirklicht worden ist, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpft. Für den hier nach § 69 AO maßgeblichen Fall der leichtfertigen Steuerverkürzung hat die Frist folglich mit Ablauf des Jahres 2009 begonnen. Für Haftungsbescheide beträgt die „Regelfestsetzungsverjährung“ gemäß § 191 Abs. 3 S. 2 1. Alt. AO vier Jahre.

     

    Seitens der Finanzverwaltung erfolgt in Diskussionen zu Haftungsfällen nach § 69 AO aber nicht selten der pauschale Hinweis, die Festsetzungsverjährung würde in Konstellationen der leichtfertigen Steuerverkürzung durch die Anwendung des § 169 Abs. 2 S. 2 AO fünf Jahre betragen. Dies ergäbe sich aus § 191 Abs. 3 S. 1 AO, wonach die Vorschriften über die Festsetzungsfrist auf den Erlass von Haftungsbescheiden entsprechend anzuwenden sind. Der Wortlaut der vorgenannten Norm lässt zunächst durchaus einen solchen Rückschluss zu.

     

    § 191 Abs. 3 S. 2 AO stellt jedoch fest, dass die Festsetzungsfrist vier Jahre beträgt, in den Fällen des § 70 AO bei Steuerhinterziehung zehn Jahre, bei leichtfertiger Steuerverkürzung fünf Jahre, in den Fällen des § 71 AO zehn Jahre. Aus dieser Regelung wird deutlich, dass § 191 Abs. 3 S. 2 AO nicht für jeden Fall der Haftung wegen leichtfertiger Steuerverkürzung zu einer längeren Festsetzungsfrist führt; vielmehr wird dies ausdrücklich auf § 70 AO beschränkt.

     

    Der Gesetzgeber hat klar zum Ausdruck gebracht, dass die Länge der Festsetzungsfrist für Haftungsfälle abschließend und eigenständig in § 191 Abs. 3 S. 2 AO geregelt werden sollte (etwa Klein/Rüsken, AO, 12. Auflage, § 191 Rn. 98). Andernfalls hätte er mit der Normierung des § 191 Abs. 3 S. 1 AO sein Bewenden haben können. Dieses Ergebnis ergibt sich im Übrigen auch aus der Gesetzesbegründung (BT-Drs. VI/1982, S. 159 f.). Darin heißt es zum damaligen § 172 Abs. 2 AO (jetzt § 191 Abs. 3 AO): „Die Festsetzungsfrist beträgt drei (Anmerkung: heute vier) Jahre, soweit nicht in den Fällen der §§ 70 und 71 die fünf- oder zehnjährige Festsetzungsfrist in Betracht kommt.“ Für eine Anwendung des § 169 Abs. 2 S. 2 AO bleibt daher bei Haftungsfällen kein Raum.

     

    Im Wesentlichen unter Berufung auf die vorgenannten Argumente hat auch der BFH in einer Entscheidung vom 22.4.08 (BFH 22.4.08, VII R 21/07, PStR 09, 55, DStR 08, 1533) klarstellend deutlich gemacht, dass er diese Auffassung vertritt und für die Haftung nach § 69 AO keine Verlängerung der Festsetzungsfrist von vier auf fünf Jahre in Betracht kommt.

     

    Die im Ausgangsfall somit maßgebliche Festsetzungsfrist von vier Jahren war vor Erlass des Haftungsbescheids bereits abgelaufen; dieser ist daher aufzuheben.

     

    PRAXISHINWEIS | Der vorstehend geschilderte Fall macht deutlich, dass eine umfassende steuerstrafrechtliche Beratung auch haftungsrechtliche Kenntnisse voraussetzt. Neben der dargelegten Thematik kann beispielsweise auch ein vorschnelles Geständnis (etwa ohne Prüfung der genauen Höhe der vermeintlich hinterzogenen Steuern) in Erwartung einer milden Strafe haftungsrechtlich zu einem „Eigentor“ führen. Zwar erfordern die haftungsrechtlichen Normen eine eigenständige Feststellung des Tatbestands der Steuerhinterziehung oder der leichtfertigen Steuerverkürzung durch die Finanzbehörde, sofern jedoch strafrechtlich bereits eine rechtskräftige Verurteilung mit der Feststellung eines bestimmten Hinterziehungsbetrages ergangen ist, wird die Abwehr von haftungsrechtlichen Folgen nur schwerlich erfolgreich sein.

     

     

    Weiterführender Hinweis

    Quelle: Ausgabe 03 / 2015 | Seite 81 | ID 43200441

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