17.12.2019 · IWW-Abrufnummer 212813
Vergabekammer Rheinland-Pfalz: Beschluss vom 23.04.2019 – VK 6/19
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
VK 6/19 - L
23.04.2019
B e s c h l u s s
In dem Nachprüfungsverfahren
-Antragstellerin-
Verfahrensbevollmächtigte:
gegen
-Antragsgegnerin-
Verfahrensbevollmächtigte:
wegen „Vergabe von Entsorgungsdienstleistungen“ hat die Vergabekammer Rheinland durch die Vorsitzende XXX, die hauptamtliche Beisitzerin XXX und den ehrenamtlichen Bei-sitzer XXX auf die mündliche Verhandlung vom 16.04.2019 beschlossen:
Es wird festgestellt, dass die Aufhebung des Vergabeverfahrens zu Los 1 rechtswidrig ist und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt.
Im Übrigen wird der Nachprüfungsantrag zurückgewiesen.
Die Antragstellerin und die Antragsgegnerin tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin werden gegeneinander aufgehoben.
Die Hinzuziehung von Bevollmächtigten durch die Antragstellerin und die Antragsgegnerin wird für notwendig er-klärt.
Die Gebühren für die Tätigkeit der Vergabekammer werden auf XXX Euro festgesetzt.
G R Ü N D E :
I.
Mit Bekanntmachung vom 12.09.2018 schrieb die Antragsgegnerin im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union Entsorgungsdienstleistungen im Stadtgebiet XXX für eine Vertragslaufzeit von sechs Jahren im Offenen Verfahren europa-weit aus. Der Auftrag war in zwei Lose unterteilt. Vorliegend streitgegenständlich ist das Los 1. Es umfasst die Sammlung und den Transport von Restmüll, Bioabfall und Alt-papier, die Sammlung und den Transport von Sperrmüll und Elektrogeräten sowie die Sammlung und den Transport von schadstoffhaltigen Abfällen.
Die Antragstellerin nimmt derzeit aufgrund eines noch bis Ende April 2019 laufenden, nach einem im Jahre 2011 durchgeführten Vergabeverfahren geschlossenen Entsorgungsvertrages die o.g. Entsorgungsdienstleistungen für die Stadt XXX wahr. Sie gab fristgerecht ein Angebot für Los 1 ab.
Der Vergabevorschlag der Antragsgegnerin aus November 2018 sah vor, der Antragstellerin den Zuschlag zu erteilen. Am 22.11.2018 teilte das zuständige Rechnungsprüfungsamt mit, dass das Submissionsergebnis erheblich über der geschätzten Gesamtsumme der zu vergebenden Leistungen liege. Es empfahl, die erhaltenen Einheitspreise der mindestbietenden Antragstellerin mit den Preisen aus anderen Nachbarkommunen zu vergleichen und ‒ falls diese deutlich über dem marktüblichen Niveau lägen ‒ die Ausschreibung wegen unwirtschaftlicher Angebote aufzuheben und neu auszuschreiben.
Daraufhin schrieb die Antragsgegnerin unter Beifügung des Prüfberichts das mit der Ausschreibung beauftragte Planungs-büro an. Dieses teilte mit Datum vom 23.11.2018 mit, dass das Ausschreibungsergebnis nicht wesentlich von der im Vor-feld der Ausschreibung gegebenen Preiserwartung abwiche. Es sei von Anfang an darauf hingewiesen worden, dass mit einer deutlichen Preissteigerung im Vergleich zu den heutigen Vertragspreisen ‒ die im Übrigen nahe an den bis 2010 gezahlten Preisen lägen und auf einem ungewöhnlich günstigen letzten Ausschreibungsergebnis beruhten ‒ auszugehen sei. Das Ausschreibungsergebnis läge im Rahmen dessen, was in vergleich-baren Ausschreibungen erzielt werde. Als Beispiele werden Ausschreibungsergebnisse vergleichbarer Kommunen benannt.
Mit Datum vom 15.01.2019 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass das Vergabeverfahren gemäß § 63 VgV aufgehoben worden sei, da das Ausschreibungsergebnis wesentlich über der Kostenschätzung liege und die Ausschreibung daher kein wirtschaftliches Ergebnis gehabt habe. Als weite-res Vorgehen sei beabsichtigt, dass die Antragsgegnerin wie-der auf die Antragstellerin zukommen werde.
Mit Datum vom 17.01.2019 rügte die Antragstellerin die Aufhebungsentscheidung. Diese Entscheidung sei vergaberechts-widrig. Sie, die Antragstellerin, habe ihre Kalkulation auf marktüblichen Ansätzen erstellt, mit denen sie bzw. verbundene Unternehmen sich erfolgreich in vergleichbaren Vergabe-verfahren beteiligt hätten. Demgegenüber sei nicht ersichtlich, dass die Kostenschätzung der Antragsgegnerin in einer den Anforderungen der Rechtsprechung entsprechenden Form aufgestellt wurde und vertretbar sei. Insbesondere dürften die kalkulatorischen Ansätze, die im Vergabeverfahren 2011 zu Grunde gelegt wurden, für das neue Vergabeverfahren nicht herangezogen werden, weil die aktuellen kalkulationsrelevanten Verhältnisse entscheidend von denjenigen im Jahre 2011 abwichen. Es läge mittlerweile eine völlig geänderte Kosten-struktur auf dem Markt vor (Personalkosten, Anschaffungskosten LKW Euro 6, Mauterhöhung), die zwangsläufig zu einer deutlichen Kostenerhöhung führen müssten.
Mit Schreiben vom 31.01.2019 wies die Antragsgegnerin die Rüge zurück. Sie begründete dies u.a. damit, dass die Kostenschätzung unter Beiziehung eines Fachbüros erfolgt und korrekt sei. Von diesem sei auf Kostensteigerungen bereits hingewiesen worden, die jedoch die in den Angebotspreisen enthaltene Steigerung keinesfalls umfassen könne. Da der Prozentsatz weit über dem 20 % - Abstand liege, der seitens der Rechtsprechung ursprünglich für den Ausschluss eines An-gebots aufgrund eines unangemessenen Preises entwickelt worden sei, handele es sich um eine „erhebliche Überschreitung“, die die Aufhebung des Verfahrens nach § 63 Abs. 1 Nr. 3 VgV rechtfertige.
Mit Datum vom 22.02.2019 stellte die Antragstellerin den vorliegenden Nachprüfungsantrag. Sie beantragte u.a.,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht die Aufhebung des Vergabeverfahrens zu Los 1 aufzuheben und das Vergabeverfahren unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer fortzusetzen,
hilfsweise festzustellen, dass die Aufhebung des Vergabe-verfahrens rechtswidrig war und sie in ihren Rechten verletzt hat.
Dies begründet sie im Wesentlichen mit den Argumenten aus ihrem Rügeschreiben.
Mit Schriftsatz vom 12.03.2019 beantragt die Antragsgegnerin,
den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen
und begründet dies im Wesentlichen wie folgt:
Die Aufhebung der Ausschreibung sei zulässig gewesen. Zwar beabsichtige sie, die Antragsgegnerin, weiterhin, die ausgeschriebenen Leistungen kurzfristig zu vergeben. Allerdings sei das Angebot der Antragstellerin unwirtschaftlich, da die von ihr angebotenen Preise nicht den aktuellen Marktpreisen entsprächen. Das Angebot der Antragstellerin läge 78 % über der von der Antragsgegnerin vorgenommenen Kostenschätzung. Diese Kostenschätzung sei ordnungsgemäß erfolgt. Sie beruhe auf dem derzeitigen, sich aus einer Ausschreibung aus dem Jahre 2011 ergebenden Auftragswert i.H.v. XXX Euro netto p.a., welche die Antragstellerin derzeit für nahezu identisch erbrachte Dienstleistungen erhalte, abzüglich eines Betrages von XXX Euro netto aufgrund einer beim vorliegend streitgegenständlichen Auftrag vorgenommenen Leistungsreduzierung. Die geschätzten Kosten beliefen sich somit auf XXX Euro netto p.a. Diese würden durch das Angebot der Antragstellerin i.H.v. XXX Euro netto p.a. um 78 % überschritten. Selbst wenn man die von der Antragstellerin vorgebrachten Kostensteigerungsaspekte - Lohnsteigerung: vermeintliche 15 %, Maut: vermeintliche 8 % - in Ansatz bringen würde, verbleibe es bei einer Überschreitung von 55 %. Auch wenn man bei Kostenschätzungen, welche auf alten Ausschreibungen beruhen, regelmäßig für Kostensteigerungen und Marktlage einen sog. „Puffer“ zu berücksichtigen habe, den sie, die Antrags-gegnerin, äußerst großzügig mit 40 % ansetze, führe dies immer noch zu einer im Angebot der Antragstellerin liegenden Kostenüberschreitung von 38 %. Beide Berechnungen ergäben somit ein Ergebnis, welches weit über den 20 % liege, welche sich als Aufgreifschwelle für unwirtschaftliche Angebote etabliert hätten.
Dem stehe auch nicht entgegen, dass die Antragstellerin behauptet, sie habe seinerzeit in 2011 ein Unterkostenangebot abgegeben. Unabhängig wie dies rechtlich zu würdigen und zu berücksichtigen sei, hätten die Angebote der weiteren Anbieter in 2011 nur geringfügig über demjenigen der Antragstellerin gelegen, was für eine seinerzeit angemessene Preiskalkulation und damit für eine belastbare Grundlage der vorliegend vorgenommenen Kostenschätzung spräche.
Mit Schreiben vom 25.03.2019 ergänzt die Antragstellerin ihren bisherigen Vortrag wie folgt:
Die Antragsgegnerin habe ‒ obwohl ihr hierfür die Darlegungs- und Beweislast obliege ‒ das Vorliegen eines Aufhebungsgrundes nicht dargetan. Eine Marktpreisrecherche zur Stützung ihrer Behauptung, dass das Angebot der Antragstellerin nicht den Marktpreisen entspreche, habe sie nicht vor-genommen. Das von der Antragsgegnerin beauftragte Beratungs-büro habe unter Heranziehung vergleichbarer Ausschreibungs-ergebnisse die Marktkonformität des Angebots der Antragstellerin nicht in Zweifel gezogen, sondern die Zuschlagserteilung auf dieses Angebot empfohlen. Auch eine [belastbare] Kostenschätzung habe die Antragsgegnerin nicht erstellt. Die sog. „Kostenschätzung“ beruhe einzig auf dem vor ca. acht Jahren (2011) vereinbarten Auftragswert von XXX Euro und einem „Puffer“ von 40 %, wobei völlig unklar sei, aufgrund welcher Gesichtspunkte dieser Puffer gebildet worden sei. Selbst wenn man von den Prämissen, welche die Antragsgegnerin herangezogen hat, ausgehen würde, so sei diese inhaltlich unzutreffend. Denn der o.g. Auftragswert sei nicht derjenige, der tatsächlich im Jahre 2018 abgerechnet und von der Antragsgegnerin auch beanstandungsfrei beglichen worden sei. Als Beweis hierfür legt die Antragstellerin die „Spitzabrechnungen 2018“ vor, aus der sich ein tatsächlich abgerechneter Betrag von XXX Euro netto ergibt. Diese Differenz resultiere daraus, dass die Antragstellerin im Auftrag der Antragsgegnerin weitere Leistungen erbringe, die nicht Gegenstand des Vergabeverfahrens 2011 gewesen seien, sehr wohl aber Bestandteil der Ausschreibung 2018. Das Leistungs-verzeichnis 2018 sei deutlich umfangreicher als dasjenige aus dem Jahre 2011 (neu z.B.: Einsatz eines elektronisches Behälteridentifikationssystem, Vorhalten/Entsorgen von sog. „Sommerbiotonnen“, Abwicklung des Anmeldesystems für die Sammlung von Sperrmüll und Elektrogroßgeräten, Einrichtung und Unterhaltung einer Anmelde-App für Mobiltelefone, Behälterbestandspflege). Letztlich sei es auch methodisch falsch, dem Ausschreibungsergebnis 2011 die Gesamtangebotssumme netto 2018 i.H.v. XXX Euro/a gegenüberzustellen, da die Bieter in ihrem Angebot auch den Anteil zu kalkulieren hatten, der aus sog. Verpackungsmaterial bestehe, für das die Antrags-gegnerin nicht zuständig sei und dessen Erfassung und Transport von den Systembetreibern bezahlt werde. Würden all die v.g. Aspekte berücksichtigt, ergebe sich ein Abstand zwischen der „Kostenschätzung“ der Antragsgegnerin und dem An-gebot der Antragstellerin von weniger als 10 %.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Schriftsätze, der Verfahrensakte sowie der Vergabeunterlagen verwiesen.
In der mündlichen Verhandlung am 16.04.2019 wurde die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert.
II.
Sowohl der von der Antragstellerin gestellte Haupt- als auch der Hilfsantrags sind zulässig.
Die Vergabekammer Rheinland ist gemäß §§ 155, 156 Abs. 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) i.V.m. § 2 Abs. 2 der Verordnung über Einrichtung und Zuständigkeit der Vergabekammern NRW (Zuständigkeitsverordnung Vergabekammern NRW - VK ZuStV NRW) vom 02.12.2014 (SGV.NRW.630), zuletzt geändert durch Verordnung vom 27.11.2018 (GV.NRW.S.639) für die Entscheidung zuständig.
Die Antragsgegnerin hat als öffentlicher Auftraggeber i.S.v. § 99 Nr. 1 GWB einen Dienstleistungsauftrag nach § 103 Abs. 4 GWB ausgeschrieben, dessen geschätzter Auftragswert den maßgeblichen Schwellenwert nach § 106 GWB i.V.m. § 3 VgV von 221.000,00 Euro zweifelsfrei überschreitet.
Die Antragstellerin ist antragsbefugt gemäß § 160 Abs. 2 GWB. Sie hat durch Abgabe ihres Angebotes ihr Interesse am Auftrag dokumentiert und eine durch die Aufhebung des Vergabeverfahrens verursachte Verletzung ihrer Rechte aus § 97 Abs. 6 GWB geltend gemacht. Die sich aus § 63 VgV ergebenden Voraussetzungen an eine rechtmäßige Aufhebung des Vergabe-verfahrens haben bieterschützenden Charakter,
vgl. Portz in: Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV 2017, § 63 Rn. 91; OLG Celle, Beschluss v. 10.03.2016 ‒ 13 Verg 5/15, juris, Rn. 12; KG Berlin, Beschluss v. 17.10.2013 ‒ Verg 9/13, juris, Rn. 37.
Der Zulässigkeit des Hauptantrags der Antragstellerin, mit dem sie Primärrechtsschutz begehrt, steht nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin das Vergabeverfahren aufgehoben hat. Denn es entspricht gefestigter Rechtsprechung, dass die Entscheidung eines öffentlichen Auftraggebers über die Auf-hebung eines Vergabeverfahrens - unabhängig vom Bestehen möglicher Schadensersatzansprüche - einem Nachprüfungsverfahren zugänglich zu machen ist. Ein Bieter kann auch dann noch in zulässiger Weise die Vergabekammer anrufen, wenn ein öffentlicher Auftraggeber das Vergabeverfahren bereits aufgehoben hat,
vgl. Portz, a.a.O., § 63, Rn. 93 ff (98); BGH, Beschluss v. 18.02.2003 ‒ X ZB 43/02, juris, Rn. 15ff.; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 26.06.2013 ‒ VII-Verg 2/13, juris, Rn. 23; OLG Karlsruhe, Beschluss v. 27.09.2013 ‒ 15 Verg 3/13, juris, Rn. 26.
Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn der Auftraggeber sein Beschaffungsvorhaben endgültig aufgibt,
vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss v. 27.09.2013 ‒ 15 Verg 3/13, juris, Rn. 26.
Dies ist hier jedoch nicht der Fall, da die Antragsgegnerin die ausgeschriebenen Entsorgungsleistungen auch weiterhin beauftragen will.
Auch der als Hilfsantrag gestellte Feststellungsantrag der Antragstellerin zulässig. Ein solcher Antrag ist auch dann statthaft, wenn sich das Vergabeverfahren vor der Einreichung des Nachprüfungsantrages durch Aufhebung erledigt hat. Er kommt dann zum Tragen, wenn sich herausstellt, dass trotz eines Vergabeverstoßes eine auf die Fortsetzung des aufgehobenen Vergabeverfahrens gerichtete Anordnung nicht ergehen kann, d.h. die rechtswidrige Aufhebung dennoch rechtswirksam ist,
vgl. BGH, Beschluss v. 18.02.2003 ‒ X ZB 43/02, juris, Rn. 19; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 23.03.2005 ‒ VII-Verg 76/04, juris, Rn. 22; OLG Celle, Beschluss v. 10.03.2016 ‒ 13 Verg 5/15, juris, Rn. 9.
Das notwendige Feststellungsinteresse der Antragstellerin folgt aus der nach § 179 Abs. 1 GWB eintretenden Bindungs-wirkung der Feststellung eines Vergabeverstoßes durch die Nachprüfungsinstanzen für einen späteren Schadensersatzanspruch,
vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 23.03.2005 ‒ VII-Verg 76/04, juris, Rn. 23.
Die Antragstellerin hat auch dargelegt, dass ihr ein Schaden droht, da sie aufgrund der Aufhebung der Ausschreibung trotz Abgabe ihres Angebots keine Aussicht auf Auftragserteilung hat. Ohne Aufhebung hätte sie echte Chancen auf die Zuschlagserteilung gehabt, da nur zwei Bieter vorhanden waren und sie das günstigere Angebot abgegeben hat.
Ihrer Rügepflicht aus § 160 Abs. 3 GWB ist die Antragstellerin fristgemäß nachgekommen. Sie hat mit Schreiben vom 17.01.2019 die Aufhebungsentscheidung der Antragsgegnerin gerügt, nachdem ihr diese mit Datum vom 15.01.2019 die Verfahrensaufhebung mitgeteilt hatte. Der Nachprüfungsantrag wurde von ihr fristgemäß am 22.02.2019 eingereicht, nachdem die Rügeabweisung vom 31.01.2019 bei ihr am 07.02.2019 ein-gegangen war. Es bestehen keine Zweifel daran, dass das Rügeabweisungsschreiben ihr erst zu diesem Zeitpunkt zugegangen ist. Denn zum einen hat die Antragstellerin mit Schreiben vom 01.02.2019 die Antragsgegnerin nach einer Antwort auf ihr Rügeschreiben vom 17.01.2019 gefragt. Zum anderen hat die Antragsgegnerin weder vorgetragen noch Nachweise da-für vorgelegt, dass das Rügeabweisungsschreiben der Antragstellerin früher hätte zugehen müssen.
Der Nachprüfungsantrag entspricht auch den inhaltlichen Zulässigkeitsanforderungen des § 161 Abs. 2 GWB. Es handelt sich bei dem von der Antragstellerin gerügten Nichtvorliegen der Aufhebungsvoraussetzungen des § 63 VgV nicht um einen unzulässigen Vortrag ins Blaue hinein. In Fällen wie dem vorliegenden, in denen die Bieter nicht am Entscheidungsfindungsprozess des öffentlichen Auftraggebers ‒ hier: der Auftragswertschätzung - teilnehmen, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen,
vgl. zur Frage „Vortrag ins Blaue“ auch: OLG Düsseldorf, Beschluss v. 13.04.2011 ‒ Verg 58/10, juris, Rn. 53; OLG München, Beschluss v. 07.08.2007 ‒ Verg 8/07, juris, Rn. 11; OLG Dresden, Beschluss v. 06.06.2002 ‒ WVerg 4/02, ju-ris, Rn. 19.
Der Vortrag der Antragstellerin genügt den Darlegungsgrundsätzen des § 161 Abs. 2 GWB. Sie hat unter Hinweis auf ihre eigene Kalkulation im streitgegenständlichen Verfahren sowie in vergleichbaren aktuellen Ausschreibungsverfahren, auf die (Preis-)Änderungen in Bezug auf das im Jahre 2011 geführte Ausschreibungsverfahren sowie auf ihre Markt- und Branchen-kenntnis das Kalkulationsergebnis der Antragsgegnerin, welches Grundlage der Aufhebungsentscheidung war, in hinreichend substantiierter Form angezweifelt.
III.
Der von der Antragstellerin gestellte Hauptantrag ist unbegründet, ihr Hilfsantrag begründet.
1.
Die von der Antragsgegnerin hinsichtlich Los 1 vorgenommene Aufhebung des Vergabeverfahrens ist rechtswidrig.
Nach § 63 Abs. 1 VgV ist der öffentliche Auftraggeber berechtigt, ein Vergabeverfahren aufzuheben, wenn einer der in dieser Vorschrift genannten Aufhebungsgründe vorliegt. Dabei trifft den Auftraggeber für das Vorliegen von Aufhebungsgründen die Darlegungs- und Beweislast,
vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 31.10.2007 ‒ VII-Verg 24/07, juris, Rn. 38; OLG Celle, Beschluss v. 10.03.2016 -13 Verg 5/15, juris, Rn. 21, KG Berlin, Beschluss v. 17.10.2013 ‒ Verg 9/13, juris, Rn. 40.
Die Antragsgegnerin stützt ihre Aufhebungsentscheidung da-rauf, dass die Angebotspreise der Antragstellerin zu hoch seien. Sie beruft sich darauf, dass kein wirtschaftliches Ergebnis erzielt worden sei, mithin auf den Aufhebungsgrund des § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 VgV. Dieser Aufhebungsgrund verlangt, dass seitens des Auftraggebers zunächst eine Kosten-schätzung vorgenommen worden ist, anhand deren Ergebnisse er die Wirtschaftlichkeit der eingegangenen Angebote prüft. Da-bei muss die Kostenschätzung auf ordnungsgemäß und sorgfältig ermittelten Grundlagen beruhen,
vgl. OLG Celle, Beschluss v. 10.03.2016 ‒ 13 Verg 5/15, ju¬ris, Rn. 26.
Es müssen Methoden gewählt werden, die ein wirklichkeitsnahes Schätzergebnis ernsthaft erwarten lassen. Die Gegenstände der Schätzung und der ausgeschriebenen Maßnahme müssen deckungsgleich sein und die der Schätzung zu Grunde gelegten Preise oder Bemessungsfaktoren müssen auf den Zeit-punkt der Bekanntmachung des Vergabeverfahrens aktualisiert werden,
vgl. BGH, Urteil v. 20.11.2012 - X ZR 108/10, juris, Rn. 19f.; OLG Karlsruhe, Beschluss v. 27.09.2013 ‒ 15 Verg 3/13, juris, Rn. 40.
Weiterhin muss den geschätzten Kosten ein ganz beträchtlicher Aufschlag hinzugefügt werden, weil es sich bei der Kostenschätzung um einen Vorgang mit hohem Prognoseanteil handelt,
vgl. OLG Celle, Beschluss v. 10.03.2016 ‒ 13 Verg 5/15, ju¬ris, Rn. 26.
In welcher Höhe dieser Aufschlag angesetzt wird, ist vom Einzelfall (z.B. Auftragsart, Auftragshöhe, Marktsituation) abhängig,
vgl. OLG Celle, Beschluss v. 10.03.2016 ‒ 13 Verg 5/15, juris, Rn. 27
und wird folglich in der Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt,
vgl. KG Berlin, Beschluss v. 17.10.2013 ‒ Verg 9/13, juris, Rn. 45; OLG Celle, Beschluss v. 13.01.2011 ‒ 13 Verg 15/10, juris, Rn. 27.
Vorliegend hat die Antragsgegnerin ihre Schätzung offenbar auf den im Rahmen der Ausschreibung 2011 erzielten Auftrags-wert gegründet und diesem einen „Puffer“ in Höhe von 40 % zugefügt. Dies ergibt sich vorrangig aus dem Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 12.03.2019, ist jedoch in der Vergabeakte nicht dokumentiert ‒ insbesondere die Ermittlung des „40 % - Puffers“ wird nirgendwo erläutert, obwohl es erforderlich ist, dass der Auftraggeber, der sich für die Aufhebung entscheidet, alle entscheidungsrelevanten Gründe und Erwägungen sorgfältig und vollständig dokumentiert,
vgl. VK Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 19.01.2017 -3 VK LSA 54/16, juris, Rn. 31.
Das Ergebnis der Ausschreibung 2011 kann keine tragfähige Grundlage für die Kostenschätzung sein. Zum einen ist nach dem unwidersprochenen und in der mündlichen Verhandlung nochmals unstreitig gestellten Vortrag der Antragstellerin das Leistungsverzeichnis, welches der Ausschreibung 2011 zu-grunde lag nicht deckungsgleich mit demjenigen, welches Grundlage der Ausschreibung 2018 war. Zum anderen hat die Antragstellerin ‒ auch hier unwidersprochen ‒ unter Vorlage entsprechender Abrechnungsbelege vorgetragen, dass mittler-weile eine erheblich höhere Auftragssumme abgerechnet wird, welche sich auf XXX Euro netto beläuft. Auf diesen Betrag hätte dann noch ein die Kostensteigerungen ‒ es handelt sich um einen Auftrag über einen Zeitraum von sechs Jahren - umfassender Aufschlag erfolgen müssen. Da die Antragsgegnerin an keiner Stelle vorträgt geschweige denn dokumentiert, wie sie diesen Aspekt berücksichtigt hat, ist von dem seitens der Antragstellerin vorgetragenen Prozentsatz in Höhe von 23 % (= Lohnsteigerung: 15 %, Maut: 8 %) auszugehen, so dass man zu einem Betrag von ca. XXX Euro käme.
Die Kostenschätzung der Antragsgegnerin entspricht somit bereits nicht den o.g, von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen.
Weiterhin ist, selbst wenn man von der seitens der Antrags-gegnerin vorgenommenen „Kostenschätzung“ in Höhe von XXX Euro (= XXX Euro plus 40 % - Puffer) ausgeht, nicht ersichtlich, dass der Schätzwert durch das Submissionsergebnis so deutlich überschritten ist, dass von einem „unwirtschaftlichen Ergebnis“ i.S.v. § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GWB auszugehen ist. Wann ein vertretbar geschätzter Auftragswert so „deutlich“ überschritten ist, dass eine sanktionslose Aufhebung der Ausschreibung gerechtfertigt ist, lässt sich nicht durch allgemein verbindliche Werte nach Höhe oder Prozentsätzen festlegen. Vielmehr ist eine Interessenabwägung vorzunehmen. Einerseits darf dem öffentlichen Auftraggebern nicht das Risiko einer deutlich überhöhten Preisbildung weit jenseits einer vertretbaren Schätzung der Auftragswerte zugewiesen werden, andererseits darf das Institut der Aufhebung nicht zu einem für die Vergabestellen latent verfügbaren Instrument zur Korrektur der in Ausschreibungen erzielten Submissionsergebnisse geraten,
vgl. BGH, Urteil v. 20.11.2012 ‒ X ZR 108/10, juris, Rn. 21; OLG Celle, Beschluss v. 10.03.2016 ‒ 13 Verg 5/15, juris, Rn. 48; OLG Karlsruhe, Beschluss v. 27.09.2013 ‒ 15 Verg 3/13, juris, Rn. 41.
Auch spricht allein der Umstand, dass ein Angebot den Angebotspreis von vormals vergebenen Aufträgen namhaft über-steigt, noch nicht für die Unangemessenheit des Angebots-preises. Keinesfalls genügt es zum Nachweis eines unangemessen hohen Preises, wenn der Auftraggeber es dabei bewenden lässt, lediglich das Preisangebot in Beziehung zu setzen zu bisher gezahlten Preisen vergleichbarer Aufträgen und es unterlässt, den zugrunde liegenden Sachverhalt einschließlich der Kalkulation angemessen aufzuklären und Bedenken nachzugehen,
vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 31.10.2007 ‒ VII-Verg 24/07, juris, Rn. 38.
Dies hat die Antragsgegnerin aber vorliegend gemacht. Die Antragsgegnerin hat sich in erster Linie auf das Ausschreibungsergebnis aus 2011 bezogen und dabei die Marktgerechtigkeit der nunmehr von der Antragstellerin angebotenen Preise nicht berücksichtigt. Dies wird bestätigt durch die Aussage des von der Antragsgegnerin im Vergabeverfahren eingebundenen Beratungsbüros, dass das Ausschreibungsergebnis nicht wesentlich von der ihm im Vorfeld der Ausschreibung er-stellten Preiserwartung abweiche und auch den in vergleichbaren Ausschreibungsverfahren angebotenen Preisen entspreche.
Da aufgrund seiner Darlegungs- und Beweislast der Auftraggeber den Nachteil der Nichterweislichkeit einer Unangemessenheit zu tragen hat,
vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 31.10.2007 ‒ VII-Verg 24/07, juris, Rn. 38,
braucht damit die Frage der „Angemessenheit“ des Angebots hier nicht abschließend geklärt werden.
Nur der Vollständigkeit halber sei jedoch darauf hingewiesen, dass die Kammer nach dem Vortrag der Beteiligten Zweifel an der Angemessenheit des Angebots nicht erkennen kann. Die Rechtsprechung knüpft für die Frage der Angemessenheit überwiegend an die Grundsätze an, die im Rahmen der Prüfung eines unangemessenen Preises beim Unterkostenangebot (= 20 % -Schwelle) entwickelt wurden,
vgl. OLG Celle, Beschluss v. 10.03.2016 ‒ 13 Verg 5/15, juris, Rn. 51 f.
Setzt man den o.g. Betrag vom XXX Euro (= von der Antragstellerin in 2018 abgerechnete Auftragssumme plus Aufschlag für Preissteigerungen) an und schlägt die v.g. 20 % auf, er-hält man einen Betrag von XXX Euro. Dieser Betrag liegt so-gar über dem von der Antragstellerin angebotenen Preis ohne Anteil „Verpackungsmaterial“ (= XXX Euro).
2.
Die Aufhebungsentscheidung der Antragsgegnerin ist auch des-halb rechtswidrig, weil die Antragsgegnerin das ihr durch § 63 Abs. 1 S. 1 VgV eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt hat,
vgl. zum Erfordernis des ordnungsgemäßen Ermessensgebrauchs: OLG Düsseldorf, Beschluss v. 08.06.2011 ‒ VII-Verg 55/10, juris, Rn. 32.
Im Rahmen der Ermessensausübung hat die Vergabestelle mögliche Alternativen zur Aufhebung des Vergabeverfahrens zu er-wägen und insbesondere zu prüfen, ob der zu beachtende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht weniger einschneidende Maßnahmen als die Aufhebung des Verfahrens insgesamt gefordert hätte, z.B. eine Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor Übersendung der Ausschreibungsunterlagen und eine Reduzierung des auszuschreibenden Leistungsumfanges,
vgl. OLG Celle, Beschluss v. 10.03.2016 ‒ 13 Verg 5/15, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss v. 27.09.2013 ‒ 15 Verg 3/13, juris,
oder die Aufklärung eines unangemessen hoch erscheinenden Angebots,
vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss v. 27.09.2013 ‒ 15 Verg 3/13, juris, Rn. 51; vgl. VK Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 19.01.2017 -3 VK LSA 54/16, juris, Rn. 40.
Diese Ermessenserwägungen müssen dem Vergabevermerk zu entnehmen sein,
vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss v. 27.09.2013 ‒ 15 Verg 3/13, juris, Rn. 49.
Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin solche Ermessenserwägungen überhaupt angestellt hat.
3.
Trotz Rechtswidrigkeit der Aufhebungsentscheidung ist der Hauptantrag der Antragstellerin unbegründet. Denn ein materiell-rechtlicher Abwehranspruch, mit dem die Aufhebung der Aufhebung und die Fortführung des Vergabeverfahrens durchgesetzt werden kann, besteht nur in engen Grenzen. Dies betrifft u.a. Fälle der willkürlichen oder diskriminierenden Aufhebung (sog. Scheinaufhebung), z.B. wenn eine Aufhebung der Ausschreibung dazu eingesetzt wird, einen unerwünschten Bieter, dem der ausgeschriebenen Auftrag erteilt werden müsste, zu übergehen und in einem anschließend ausgeschriebenen Vergabeverfahren einen genehmen Bieter auszuwählen,
vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 08.07.2009 ‒ Verg 13/09, juris, Rn. 21; OLG Celle, Beschluss v. 10.03.2016 ‒ 13 Verg 5/15, juris, Rn. 15; VK Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 13.11.2015 ‒ VK 1 ‒ 16/15, juris, Rn. 135.
Dies ist vorliegend nicht der Fall. Wie die Antragsgegnerin schriftsätzlich betont hat, besteht „momentan kein Interesse an einer Vergabe an eine andere Firma als die Antragstellerin“. Auch die Antragstellerin hat keine Gründe dafür vorgetragen, warum es sich vorliegend um eine willkürliche oder diskriminierende „Scheinaufhebung“ handeln sollte.
Sind aber Anhaltspunkte für eine willkürliche bzw. diskriminierende Aufhebung nicht gegeben, kommt § 63 Abs. 1 S. 2 VgV zum Tragen. Danach ist der Auftraggeber grundsätzlich nicht verpflichtet, den Zuschlag zu erteilen. Einem Bieter steht kein Anspruch gegen den Auftraggeber auf Rückgängigmachung der Aufhebung der Ausschreibung und Fortsetzung des Vergabe-verfahrens zu, da dies im Ergebnis auf den Abschluss eines Vertrages hinauslaufen würde (Kontrahierungszwang),
vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 31.10.2007 ‒ VII-Verg 24/07, juris, Rn. 15; KG Berlin, Beschluss v. 17.10.2013 ‒ Verg 9/13, juris, Rn. 47.
Allerdings ist Voraussetzung für eine solche zwar rechtswidrige, aber dennoch rechtswirksame Aufhebungsentscheidung, dass ein sachlich vernünftiger Grund für die Aufhebung der Ausschreibung vorliegt. Dies kann z.B. dann der Fall sein, wenn keine genügenden Haushaltsmittel zur Verfügung stehen, um den geforderten Preis zu zahlen,
vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 31.10.2007 ‒ VII-Verg 24/07, juris, Rn. 39; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 08.07.2009 ‒ Verg 13/09, juris, Rn. 21; VK Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 13.11.2015 ‒ VK 1 ‒ 16/15, juris, Rn. 135.
Zwar handelt es vorliegend um die Ausschreibung von Entsorgungsdienstleistungen, die zum größten Teil gebührenfinanziert und somit umlegbar sein müssten, so dass sich die Frage fehlender Haushaltsmittel so nicht stellen dürfte. Die Antragsgegnerin hat in der mündlichen Verhandlung jedoch vorgetragen, dass sachliche Gründe für die Aufhebungsentscheidung durchaus bestanden. Das zuständige Rechnungsprüfungsamt habe Zweifel an der Angemessenheit der Angebotspreise gehegt. Diese Zweifel führten in den kommunalen Entscheidungsgremien zu Bedenken an der Auftragsvergabe und der Befürchtung „explodierender Entsorgungsgebühren“. Darin ist nach Auffassung der Kammer ein sachlicher Grund zu sehen, welcher den o.g. „fehlenden Haushaltsmitteln“ durchaus vergleichbar ist und dazu führt, dass die Aufhebungsentscheidung trotz Rechtswidrigkeit rechtswirksam ist.
4.
Da die Antragstellerin mit ihrem Hauptantrag nicht durch-dringen kann, kommt ihr Hilfsantrag zum Tragen. Dieser ist auch begründet. Die Aufhebungsentscheidung der Antragsgegnerin ist rechtswidrig. Hierzu wird auf die Ausführungen unter Ziffer III.1. verwiesen.
Durch die rechtswidrige Aufhebungsentscheidung ist die Antragstellerin auch in ihren Rechten verletzt. Nach § 97 Abs. 6 GWB hat die Antragstellerin einen Anspruch darauf, dass die Bestimmungen über das Vergabeverfahren eingehalten wer-den. Vorliegend hat die Antragsgegnerin das Vergabeverfahren zu Los 1 aufgehoben, ohne dass die Voraussetzungen des § 63 Abs. 1 S. 1 VgV, welcher bieterschützenden Charakter hat, erfüllt waren. Die Antragstellerin hat durch die Aufhebung die Chance auf Zuschlagserteilung in diesem Verfahren, in dem sie Bestbietende war, verloren.
IV.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 182 GWB.
Die Kosten des Nachprüfungsverfahrens (Gebühren und Auslagen der Vergabekammer) sind gem. § 182 Abs. 3 S. 1 GWB je zur Hälfte von der Antragstellerin und der Antragsgegnerin zu tragen, wobei die Antragsgegnerin Gebührenfreiheit gemäß § 8 des Verwaltungskostengesetzes (in der am 14.08.2013 geltenden Fassung, die nach § 182 Abs. 1 Satz 2 GWB weiterhin An-wendung findet) genießt.
Gemäß § 182 Abs. 3 S. 1 GWB hat ein Beteiligter die Kosten zu tragen, soweit er im Verfahren unterliegt. Die Antragstellerin ist mit ihrem Hauptantrag unterlegen, mit ihrem Hilfsantrag hat sie obsiegt. Spiegelbildlich hat die Antragsgegnerin nur mit ihrem auf den Hauptantrag bezogenen Zurückweisungsantrag obsiegt, ist im Übrigen jedoch unterlegen. Daraus ergibt sich die o.g. Kostenquote.
Die Höhe der Gebühren für diesen Beschluss bestimmt sich gem. § 182 Abs. 2 GWB nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstandes der Nachprüfung. Der Gebührenrahmen wurde vom Gesetzgeber für den Regelfall auf 2.500,00 Euro bis 50.000,00 Euro festgesetzt. Sofern der Aufwand oder die wirtschaftliche Bedeutung außergewöhnlich hoch ist, kann die Gebühr im Einzelfall bis zu einem Betrag von 100.000,00 Euro erhöht werden. Die Vergabekammern des Bundes haben eine Gebührenstaffel erarbeitet, die die Vergabekammern der Länder im Interesse einer bundeseinheitlichen Handhabung übernommen haben. Danach orientiert sich die Gebühr der Vergabekammer an der Bruttoangebotssumme des Antragstellers als dem für die Bewertung maßgeblichen wirtschaftlichen Interesse am Rechtsstreit. Vorliegend beläuft sich die Bruttoangebotssumme der Antragstellerin auf XXX Euro/a. In entsprechender Anwendung der in § 3 Abs. 1 VgV für die Schätzung des Auftragswertes getroffenen Regelungen ist der Gesamtwert des Auftrags, gemessen an der Vertragslauf-zeit maßgeblich. Die Vertragslaufzeit umfasst sechs Jahre, so dass sich eine Gesamtsumme von XXX Euro ergibt. Auf dieser Grundlage errechnet sich eine Gebühr in Höhe von XXX Euro.
Die Pflicht zur Erstattung notwendiger Aufwendungen der Antragstellerin bzw. der Antragsgegnerin folgt aus § 182 Abs. 4 S. 1 GWB. Hinsichtlich der Tragung der notwendigen Aufwendungen ergibt sich dieselbe Kostenquote wie für die Verfahrenskosten. Da sowohl Antragstellerin als auch Antragsgegnerin durch Verfahrensbevollmächtigte vertreten worden sind, sind ihre notwendigen Aufwendungen nicht zu erstatten, sondern gegeneinander aufzuheben,
vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 12.05.2011 ‒ VII-Verg 32/11, juris, Rn. 50.
Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragstellerin und die Antragsgegnerin war notwendig i.S.v. § 182 Abs. 4 S. 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2 VwVfG NRW, da ihnen angesichts der Komplexität der Sach- und Rechtslage nicht zugemutet werden konnte, ihre rechtlichen Interessen im Nachprüfungs-verfahren selbst wahrzunehmen.
V.
Gegen diese Entscheidung der Vergabekammer ist die sofortige Beschwerde zulässig.
Sie ist binnen einer Notfrist von zwei Wochen, die mit der Zustellung dieser Entscheidung beginnt, schriftlich bei dem Oberlandesgericht Düsseldorf, Cecilienallee 3, 40474 Düsseldorf, einzulegen.
Die sofortige Beschwerde ist zugleich mit ihrer Einlegung zu begründen. Die Beschwerdebegründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit die Entscheidung der Vergabekammer angefochten und eine abweichende Entscheidung beantragt wird, und die Tatsachen und Beweismittel angeben, auf die sich die Beschwerde stützt.
Die Beschwerdeschrift muss durch einen Rechtsanwalt unter-schrieben sein. Dies gilt nicht für Beschwerden von juristischen Personen des öffentlichen Rechts.
Die sofortige Beschwerde kann auch durch Übertragung eines elektronischen Dokuments an die elektronische Poststelle des Gerichts erhoben werden. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein. Es muss mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a Absatz 4 ZPO eingereicht werden. Die für die Übermittlung und Bearbeitung geeigneten technischen Rahmen-bedingungen bestimmen sich nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) vom 24. November 2017 (BGBl. I S. 3803).
Hinweis: Weitere Informationen erhalten Sie auf der Internetseite www.justiz.de sowie auf der Internetseite www.justiz.nrw.de.
Die sofortige Beschwerde hat aufschiebende Wirkung gegenüber der Entscheidung der Vergabekammer. Die aufschiebende Wirkung entfällt zwei Wochen nach Ablauf der Beschwerdefrist.
Mit der Einlegung der Beschwerde sind die anderen Beteiligten des Verfahrens vor der Vergabekammer vom Beschwerdeführer durch Übermittlung einer Ausfertigung der Beschwerde-schrift zu unterrichten.
23.04.2019
B e s c h l u s s
In dem Nachprüfungsverfahren
-Antragstellerin-
Verfahrensbevollmächtigte:
gegen
-Antragsgegnerin-
Verfahrensbevollmächtigte:
wegen „Vergabe von Entsorgungsdienstleistungen“ hat die Vergabekammer Rheinland durch die Vorsitzende XXX, die hauptamtliche Beisitzerin XXX und den ehrenamtlichen Bei-sitzer XXX auf die mündliche Verhandlung vom 16.04.2019 beschlossen:
Es wird festgestellt, dass die Aufhebung des Vergabeverfahrens zu Los 1 rechtswidrig ist und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt.
Im Übrigen wird der Nachprüfungsantrag zurückgewiesen.
Die Antragstellerin und die Antragsgegnerin tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin werden gegeneinander aufgehoben.
Die Hinzuziehung von Bevollmächtigten durch die Antragstellerin und die Antragsgegnerin wird für notwendig er-klärt.
Die Gebühren für die Tätigkeit der Vergabekammer werden auf XXX Euro festgesetzt.
G R Ü N D E :
I.
Mit Bekanntmachung vom 12.09.2018 schrieb die Antragsgegnerin im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union Entsorgungsdienstleistungen im Stadtgebiet XXX für eine Vertragslaufzeit von sechs Jahren im Offenen Verfahren europa-weit aus. Der Auftrag war in zwei Lose unterteilt. Vorliegend streitgegenständlich ist das Los 1. Es umfasst die Sammlung und den Transport von Restmüll, Bioabfall und Alt-papier, die Sammlung und den Transport von Sperrmüll und Elektrogeräten sowie die Sammlung und den Transport von schadstoffhaltigen Abfällen.
Die Antragstellerin nimmt derzeit aufgrund eines noch bis Ende April 2019 laufenden, nach einem im Jahre 2011 durchgeführten Vergabeverfahren geschlossenen Entsorgungsvertrages die o.g. Entsorgungsdienstleistungen für die Stadt XXX wahr. Sie gab fristgerecht ein Angebot für Los 1 ab.
Der Vergabevorschlag der Antragsgegnerin aus November 2018 sah vor, der Antragstellerin den Zuschlag zu erteilen. Am 22.11.2018 teilte das zuständige Rechnungsprüfungsamt mit, dass das Submissionsergebnis erheblich über der geschätzten Gesamtsumme der zu vergebenden Leistungen liege. Es empfahl, die erhaltenen Einheitspreise der mindestbietenden Antragstellerin mit den Preisen aus anderen Nachbarkommunen zu vergleichen und ‒ falls diese deutlich über dem marktüblichen Niveau lägen ‒ die Ausschreibung wegen unwirtschaftlicher Angebote aufzuheben und neu auszuschreiben.
Daraufhin schrieb die Antragsgegnerin unter Beifügung des Prüfberichts das mit der Ausschreibung beauftragte Planungs-büro an. Dieses teilte mit Datum vom 23.11.2018 mit, dass das Ausschreibungsergebnis nicht wesentlich von der im Vor-feld der Ausschreibung gegebenen Preiserwartung abwiche. Es sei von Anfang an darauf hingewiesen worden, dass mit einer deutlichen Preissteigerung im Vergleich zu den heutigen Vertragspreisen ‒ die im Übrigen nahe an den bis 2010 gezahlten Preisen lägen und auf einem ungewöhnlich günstigen letzten Ausschreibungsergebnis beruhten ‒ auszugehen sei. Das Ausschreibungsergebnis läge im Rahmen dessen, was in vergleich-baren Ausschreibungen erzielt werde. Als Beispiele werden Ausschreibungsergebnisse vergleichbarer Kommunen benannt.
Mit Datum vom 15.01.2019 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass das Vergabeverfahren gemäß § 63 VgV aufgehoben worden sei, da das Ausschreibungsergebnis wesentlich über der Kostenschätzung liege und die Ausschreibung daher kein wirtschaftliches Ergebnis gehabt habe. Als weite-res Vorgehen sei beabsichtigt, dass die Antragsgegnerin wie-der auf die Antragstellerin zukommen werde.
Mit Datum vom 17.01.2019 rügte die Antragstellerin die Aufhebungsentscheidung. Diese Entscheidung sei vergaberechts-widrig. Sie, die Antragstellerin, habe ihre Kalkulation auf marktüblichen Ansätzen erstellt, mit denen sie bzw. verbundene Unternehmen sich erfolgreich in vergleichbaren Vergabe-verfahren beteiligt hätten. Demgegenüber sei nicht ersichtlich, dass die Kostenschätzung der Antragsgegnerin in einer den Anforderungen der Rechtsprechung entsprechenden Form aufgestellt wurde und vertretbar sei. Insbesondere dürften die kalkulatorischen Ansätze, die im Vergabeverfahren 2011 zu Grunde gelegt wurden, für das neue Vergabeverfahren nicht herangezogen werden, weil die aktuellen kalkulationsrelevanten Verhältnisse entscheidend von denjenigen im Jahre 2011 abwichen. Es läge mittlerweile eine völlig geänderte Kosten-struktur auf dem Markt vor (Personalkosten, Anschaffungskosten LKW Euro 6, Mauterhöhung), die zwangsläufig zu einer deutlichen Kostenerhöhung führen müssten.
Mit Schreiben vom 31.01.2019 wies die Antragsgegnerin die Rüge zurück. Sie begründete dies u.a. damit, dass die Kostenschätzung unter Beiziehung eines Fachbüros erfolgt und korrekt sei. Von diesem sei auf Kostensteigerungen bereits hingewiesen worden, die jedoch die in den Angebotspreisen enthaltene Steigerung keinesfalls umfassen könne. Da der Prozentsatz weit über dem 20 % - Abstand liege, der seitens der Rechtsprechung ursprünglich für den Ausschluss eines An-gebots aufgrund eines unangemessenen Preises entwickelt worden sei, handele es sich um eine „erhebliche Überschreitung“, die die Aufhebung des Verfahrens nach § 63 Abs. 1 Nr. 3 VgV rechtfertige.
Mit Datum vom 22.02.2019 stellte die Antragstellerin den vorliegenden Nachprüfungsantrag. Sie beantragte u.a.,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht die Aufhebung des Vergabeverfahrens zu Los 1 aufzuheben und das Vergabeverfahren unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer fortzusetzen,
hilfsweise festzustellen, dass die Aufhebung des Vergabe-verfahrens rechtswidrig war und sie in ihren Rechten verletzt hat.
Dies begründet sie im Wesentlichen mit den Argumenten aus ihrem Rügeschreiben.
Mit Schriftsatz vom 12.03.2019 beantragt die Antragsgegnerin,
den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen
und begründet dies im Wesentlichen wie folgt:
Die Aufhebung der Ausschreibung sei zulässig gewesen. Zwar beabsichtige sie, die Antragsgegnerin, weiterhin, die ausgeschriebenen Leistungen kurzfristig zu vergeben. Allerdings sei das Angebot der Antragstellerin unwirtschaftlich, da die von ihr angebotenen Preise nicht den aktuellen Marktpreisen entsprächen. Das Angebot der Antragstellerin läge 78 % über der von der Antragsgegnerin vorgenommenen Kostenschätzung. Diese Kostenschätzung sei ordnungsgemäß erfolgt. Sie beruhe auf dem derzeitigen, sich aus einer Ausschreibung aus dem Jahre 2011 ergebenden Auftragswert i.H.v. XXX Euro netto p.a., welche die Antragstellerin derzeit für nahezu identisch erbrachte Dienstleistungen erhalte, abzüglich eines Betrages von XXX Euro netto aufgrund einer beim vorliegend streitgegenständlichen Auftrag vorgenommenen Leistungsreduzierung. Die geschätzten Kosten beliefen sich somit auf XXX Euro netto p.a. Diese würden durch das Angebot der Antragstellerin i.H.v. XXX Euro netto p.a. um 78 % überschritten. Selbst wenn man die von der Antragstellerin vorgebrachten Kostensteigerungsaspekte - Lohnsteigerung: vermeintliche 15 %, Maut: vermeintliche 8 % - in Ansatz bringen würde, verbleibe es bei einer Überschreitung von 55 %. Auch wenn man bei Kostenschätzungen, welche auf alten Ausschreibungen beruhen, regelmäßig für Kostensteigerungen und Marktlage einen sog. „Puffer“ zu berücksichtigen habe, den sie, die Antrags-gegnerin, äußerst großzügig mit 40 % ansetze, führe dies immer noch zu einer im Angebot der Antragstellerin liegenden Kostenüberschreitung von 38 %. Beide Berechnungen ergäben somit ein Ergebnis, welches weit über den 20 % liege, welche sich als Aufgreifschwelle für unwirtschaftliche Angebote etabliert hätten.
Dem stehe auch nicht entgegen, dass die Antragstellerin behauptet, sie habe seinerzeit in 2011 ein Unterkostenangebot abgegeben. Unabhängig wie dies rechtlich zu würdigen und zu berücksichtigen sei, hätten die Angebote der weiteren Anbieter in 2011 nur geringfügig über demjenigen der Antragstellerin gelegen, was für eine seinerzeit angemessene Preiskalkulation und damit für eine belastbare Grundlage der vorliegend vorgenommenen Kostenschätzung spräche.
Mit Schreiben vom 25.03.2019 ergänzt die Antragstellerin ihren bisherigen Vortrag wie folgt:
Die Antragsgegnerin habe ‒ obwohl ihr hierfür die Darlegungs- und Beweislast obliege ‒ das Vorliegen eines Aufhebungsgrundes nicht dargetan. Eine Marktpreisrecherche zur Stützung ihrer Behauptung, dass das Angebot der Antragstellerin nicht den Marktpreisen entspreche, habe sie nicht vor-genommen. Das von der Antragsgegnerin beauftragte Beratungs-büro habe unter Heranziehung vergleichbarer Ausschreibungs-ergebnisse die Marktkonformität des Angebots der Antragstellerin nicht in Zweifel gezogen, sondern die Zuschlagserteilung auf dieses Angebot empfohlen. Auch eine [belastbare] Kostenschätzung habe die Antragsgegnerin nicht erstellt. Die sog. „Kostenschätzung“ beruhe einzig auf dem vor ca. acht Jahren (2011) vereinbarten Auftragswert von XXX Euro und einem „Puffer“ von 40 %, wobei völlig unklar sei, aufgrund welcher Gesichtspunkte dieser Puffer gebildet worden sei. Selbst wenn man von den Prämissen, welche die Antragsgegnerin herangezogen hat, ausgehen würde, so sei diese inhaltlich unzutreffend. Denn der o.g. Auftragswert sei nicht derjenige, der tatsächlich im Jahre 2018 abgerechnet und von der Antragsgegnerin auch beanstandungsfrei beglichen worden sei. Als Beweis hierfür legt die Antragstellerin die „Spitzabrechnungen 2018“ vor, aus der sich ein tatsächlich abgerechneter Betrag von XXX Euro netto ergibt. Diese Differenz resultiere daraus, dass die Antragstellerin im Auftrag der Antragsgegnerin weitere Leistungen erbringe, die nicht Gegenstand des Vergabeverfahrens 2011 gewesen seien, sehr wohl aber Bestandteil der Ausschreibung 2018. Das Leistungs-verzeichnis 2018 sei deutlich umfangreicher als dasjenige aus dem Jahre 2011 (neu z.B.: Einsatz eines elektronisches Behälteridentifikationssystem, Vorhalten/Entsorgen von sog. „Sommerbiotonnen“, Abwicklung des Anmeldesystems für die Sammlung von Sperrmüll und Elektrogroßgeräten, Einrichtung und Unterhaltung einer Anmelde-App für Mobiltelefone, Behälterbestandspflege). Letztlich sei es auch methodisch falsch, dem Ausschreibungsergebnis 2011 die Gesamtangebotssumme netto 2018 i.H.v. XXX Euro/a gegenüberzustellen, da die Bieter in ihrem Angebot auch den Anteil zu kalkulieren hatten, der aus sog. Verpackungsmaterial bestehe, für das die Antrags-gegnerin nicht zuständig sei und dessen Erfassung und Transport von den Systembetreibern bezahlt werde. Würden all die v.g. Aspekte berücksichtigt, ergebe sich ein Abstand zwischen der „Kostenschätzung“ der Antragsgegnerin und dem An-gebot der Antragstellerin von weniger als 10 %.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Schriftsätze, der Verfahrensakte sowie der Vergabeunterlagen verwiesen.
In der mündlichen Verhandlung am 16.04.2019 wurde die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert.
II.
Sowohl der von der Antragstellerin gestellte Haupt- als auch der Hilfsantrags sind zulässig.
Die Vergabekammer Rheinland ist gemäß §§ 155, 156 Abs. 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) i.V.m. § 2 Abs. 2 der Verordnung über Einrichtung und Zuständigkeit der Vergabekammern NRW (Zuständigkeitsverordnung Vergabekammern NRW - VK ZuStV NRW) vom 02.12.2014 (SGV.NRW.630), zuletzt geändert durch Verordnung vom 27.11.2018 (GV.NRW.S.639) für die Entscheidung zuständig.
Die Antragsgegnerin hat als öffentlicher Auftraggeber i.S.v. § 99 Nr. 1 GWB einen Dienstleistungsauftrag nach § 103 Abs. 4 GWB ausgeschrieben, dessen geschätzter Auftragswert den maßgeblichen Schwellenwert nach § 106 GWB i.V.m. § 3 VgV von 221.000,00 Euro zweifelsfrei überschreitet.
Die Antragstellerin ist antragsbefugt gemäß § 160 Abs. 2 GWB. Sie hat durch Abgabe ihres Angebotes ihr Interesse am Auftrag dokumentiert und eine durch die Aufhebung des Vergabeverfahrens verursachte Verletzung ihrer Rechte aus § 97 Abs. 6 GWB geltend gemacht. Die sich aus § 63 VgV ergebenden Voraussetzungen an eine rechtmäßige Aufhebung des Vergabe-verfahrens haben bieterschützenden Charakter,
vgl. Portz in: Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV 2017, § 63 Rn. 91; OLG Celle, Beschluss v. 10.03.2016 ‒ 13 Verg 5/15, juris, Rn. 12; KG Berlin, Beschluss v. 17.10.2013 ‒ Verg 9/13, juris, Rn. 37.
Der Zulässigkeit des Hauptantrags der Antragstellerin, mit dem sie Primärrechtsschutz begehrt, steht nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin das Vergabeverfahren aufgehoben hat. Denn es entspricht gefestigter Rechtsprechung, dass die Entscheidung eines öffentlichen Auftraggebers über die Auf-hebung eines Vergabeverfahrens - unabhängig vom Bestehen möglicher Schadensersatzansprüche - einem Nachprüfungsverfahren zugänglich zu machen ist. Ein Bieter kann auch dann noch in zulässiger Weise die Vergabekammer anrufen, wenn ein öffentlicher Auftraggeber das Vergabeverfahren bereits aufgehoben hat,
vgl. Portz, a.a.O., § 63, Rn. 93 ff (98); BGH, Beschluss v. 18.02.2003 ‒ X ZB 43/02, juris, Rn. 15ff.; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 26.06.2013 ‒ VII-Verg 2/13, juris, Rn. 23; OLG Karlsruhe, Beschluss v. 27.09.2013 ‒ 15 Verg 3/13, juris, Rn. 26.
Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn der Auftraggeber sein Beschaffungsvorhaben endgültig aufgibt,
vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss v. 27.09.2013 ‒ 15 Verg 3/13, juris, Rn. 26.
Dies ist hier jedoch nicht der Fall, da die Antragsgegnerin die ausgeschriebenen Entsorgungsleistungen auch weiterhin beauftragen will.
Auch der als Hilfsantrag gestellte Feststellungsantrag der Antragstellerin zulässig. Ein solcher Antrag ist auch dann statthaft, wenn sich das Vergabeverfahren vor der Einreichung des Nachprüfungsantrages durch Aufhebung erledigt hat. Er kommt dann zum Tragen, wenn sich herausstellt, dass trotz eines Vergabeverstoßes eine auf die Fortsetzung des aufgehobenen Vergabeverfahrens gerichtete Anordnung nicht ergehen kann, d.h. die rechtswidrige Aufhebung dennoch rechtswirksam ist,
vgl. BGH, Beschluss v. 18.02.2003 ‒ X ZB 43/02, juris, Rn. 19; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 23.03.2005 ‒ VII-Verg 76/04, juris, Rn. 22; OLG Celle, Beschluss v. 10.03.2016 ‒ 13 Verg 5/15, juris, Rn. 9.
Das notwendige Feststellungsinteresse der Antragstellerin folgt aus der nach § 179 Abs. 1 GWB eintretenden Bindungs-wirkung der Feststellung eines Vergabeverstoßes durch die Nachprüfungsinstanzen für einen späteren Schadensersatzanspruch,
vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 23.03.2005 ‒ VII-Verg 76/04, juris, Rn. 23.
Die Antragstellerin hat auch dargelegt, dass ihr ein Schaden droht, da sie aufgrund der Aufhebung der Ausschreibung trotz Abgabe ihres Angebots keine Aussicht auf Auftragserteilung hat. Ohne Aufhebung hätte sie echte Chancen auf die Zuschlagserteilung gehabt, da nur zwei Bieter vorhanden waren und sie das günstigere Angebot abgegeben hat.
Ihrer Rügepflicht aus § 160 Abs. 3 GWB ist die Antragstellerin fristgemäß nachgekommen. Sie hat mit Schreiben vom 17.01.2019 die Aufhebungsentscheidung der Antragsgegnerin gerügt, nachdem ihr diese mit Datum vom 15.01.2019 die Verfahrensaufhebung mitgeteilt hatte. Der Nachprüfungsantrag wurde von ihr fristgemäß am 22.02.2019 eingereicht, nachdem die Rügeabweisung vom 31.01.2019 bei ihr am 07.02.2019 ein-gegangen war. Es bestehen keine Zweifel daran, dass das Rügeabweisungsschreiben ihr erst zu diesem Zeitpunkt zugegangen ist. Denn zum einen hat die Antragstellerin mit Schreiben vom 01.02.2019 die Antragsgegnerin nach einer Antwort auf ihr Rügeschreiben vom 17.01.2019 gefragt. Zum anderen hat die Antragsgegnerin weder vorgetragen noch Nachweise da-für vorgelegt, dass das Rügeabweisungsschreiben der Antragstellerin früher hätte zugehen müssen.
Der Nachprüfungsantrag entspricht auch den inhaltlichen Zulässigkeitsanforderungen des § 161 Abs. 2 GWB. Es handelt sich bei dem von der Antragstellerin gerügten Nichtvorliegen der Aufhebungsvoraussetzungen des § 63 VgV nicht um einen unzulässigen Vortrag ins Blaue hinein. In Fällen wie dem vorliegenden, in denen die Bieter nicht am Entscheidungsfindungsprozess des öffentlichen Auftraggebers ‒ hier: der Auftragswertschätzung - teilnehmen, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen,
vgl. zur Frage „Vortrag ins Blaue“ auch: OLG Düsseldorf, Beschluss v. 13.04.2011 ‒ Verg 58/10, juris, Rn. 53; OLG München, Beschluss v. 07.08.2007 ‒ Verg 8/07, juris, Rn. 11; OLG Dresden, Beschluss v. 06.06.2002 ‒ WVerg 4/02, ju-ris, Rn. 19.
Der Vortrag der Antragstellerin genügt den Darlegungsgrundsätzen des § 161 Abs. 2 GWB. Sie hat unter Hinweis auf ihre eigene Kalkulation im streitgegenständlichen Verfahren sowie in vergleichbaren aktuellen Ausschreibungsverfahren, auf die (Preis-)Änderungen in Bezug auf das im Jahre 2011 geführte Ausschreibungsverfahren sowie auf ihre Markt- und Branchen-kenntnis das Kalkulationsergebnis der Antragsgegnerin, welches Grundlage der Aufhebungsentscheidung war, in hinreichend substantiierter Form angezweifelt.
III.
Der von der Antragstellerin gestellte Hauptantrag ist unbegründet, ihr Hilfsantrag begründet.
1.
Die von der Antragsgegnerin hinsichtlich Los 1 vorgenommene Aufhebung des Vergabeverfahrens ist rechtswidrig.
Nach § 63 Abs. 1 VgV ist der öffentliche Auftraggeber berechtigt, ein Vergabeverfahren aufzuheben, wenn einer der in dieser Vorschrift genannten Aufhebungsgründe vorliegt. Dabei trifft den Auftraggeber für das Vorliegen von Aufhebungsgründen die Darlegungs- und Beweislast,
vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 31.10.2007 ‒ VII-Verg 24/07, juris, Rn. 38; OLG Celle, Beschluss v. 10.03.2016 -13 Verg 5/15, juris, Rn. 21, KG Berlin, Beschluss v. 17.10.2013 ‒ Verg 9/13, juris, Rn. 40.
Die Antragsgegnerin stützt ihre Aufhebungsentscheidung da-rauf, dass die Angebotspreise der Antragstellerin zu hoch seien. Sie beruft sich darauf, dass kein wirtschaftliches Ergebnis erzielt worden sei, mithin auf den Aufhebungsgrund des § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 VgV. Dieser Aufhebungsgrund verlangt, dass seitens des Auftraggebers zunächst eine Kosten-schätzung vorgenommen worden ist, anhand deren Ergebnisse er die Wirtschaftlichkeit der eingegangenen Angebote prüft. Da-bei muss die Kostenschätzung auf ordnungsgemäß und sorgfältig ermittelten Grundlagen beruhen,
vgl. OLG Celle, Beschluss v. 10.03.2016 ‒ 13 Verg 5/15, ju¬ris, Rn. 26.
Es müssen Methoden gewählt werden, die ein wirklichkeitsnahes Schätzergebnis ernsthaft erwarten lassen. Die Gegenstände der Schätzung und der ausgeschriebenen Maßnahme müssen deckungsgleich sein und die der Schätzung zu Grunde gelegten Preise oder Bemessungsfaktoren müssen auf den Zeit-punkt der Bekanntmachung des Vergabeverfahrens aktualisiert werden,
vgl. BGH, Urteil v. 20.11.2012 - X ZR 108/10, juris, Rn. 19f.; OLG Karlsruhe, Beschluss v. 27.09.2013 ‒ 15 Verg 3/13, juris, Rn. 40.
Weiterhin muss den geschätzten Kosten ein ganz beträchtlicher Aufschlag hinzugefügt werden, weil es sich bei der Kostenschätzung um einen Vorgang mit hohem Prognoseanteil handelt,
vgl. OLG Celle, Beschluss v. 10.03.2016 ‒ 13 Verg 5/15, ju¬ris, Rn. 26.
In welcher Höhe dieser Aufschlag angesetzt wird, ist vom Einzelfall (z.B. Auftragsart, Auftragshöhe, Marktsituation) abhängig,
vgl. OLG Celle, Beschluss v. 10.03.2016 ‒ 13 Verg 5/15, juris, Rn. 27
und wird folglich in der Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt,
vgl. KG Berlin, Beschluss v. 17.10.2013 ‒ Verg 9/13, juris, Rn. 45; OLG Celle, Beschluss v. 13.01.2011 ‒ 13 Verg 15/10, juris, Rn. 27.
Vorliegend hat die Antragsgegnerin ihre Schätzung offenbar auf den im Rahmen der Ausschreibung 2011 erzielten Auftrags-wert gegründet und diesem einen „Puffer“ in Höhe von 40 % zugefügt. Dies ergibt sich vorrangig aus dem Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 12.03.2019, ist jedoch in der Vergabeakte nicht dokumentiert ‒ insbesondere die Ermittlung des „40 % - Puffers“ wird nirgendwo erläutert, obwohl es erforderlich ist, dass der Auftraggeber, der sich für die Aufhebung entscheidet, alle entscheidungsrelevanten Gründe und Erwägungen sorgfältig und vollständig dokumentiert,
vgl. VK Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 19.01.2017 -3 VK LSA 54/16, juris, Rn. 31.
Das Ergebnis der Ausschreibung 2011 kann keine tragfähige Grundlage für die Kostenschätzung sein. Zum einen ist nach dem unwidersprochenen und in der mündlichen Verhandlung nochmals unstreitig gestellten Vortrag der Antragstellerin das Leistungsverzeichnis, welches der Ausschreibung 2011 zu-grunde lag nicht deckungsgleich mit demjenigen, welches Grundlage der Ausschreibung 2018 war. Zum anderen hat die Antragstellerin ‒ auch hier unwidersprochen ‒ unter Vorlage entsprechender Abrechnungsbelege vorgetragen, dass mittler-weile eine erheblich höhere Auftragssumme abgerechnet wird, welche sich auf XXX Euro netto beläuft. Auf diesen Betrag hätte dann noch ein die Kostensteigerungen ‒ es handelt sich um einen Auftrag über einen Zeitraum von sechs Jahren - umfassender Aufschlag erfolgen müssen. Da die Antragsgegnerin an keiner Stelle vorträgt geschweige denn dokumentiert, wie sie diesen Aspekt berücksichtigt hat, ist von dem seitens der Antragstellerin vorgetragenen Prozentsatz in Höhe von 23 % (= Lohnsteigerung: 15 %, Maut: 8 %) auszugehen, so dass man zu einem Betrag von ca. XXX Euro käme.
Die Kostenschätzung der Antragsgegnerin entspricht somit bereits nicht den o.g, von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen.
Weiterhin ist, selbst wenn man von der seitens der Antrags-gegnerin vorgenommenen „Kostenschätzung“ in Höhe von XXX Euro (= XXX Euro plus 40 % - Puffer) ausgeht, nicht ersichtlich, dass der Schätzwert durch das Submissionsergebnis so deutlich überschritten ist, dass von einem „unwirtschaftlichen Ergebnis“ i.S.v. § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GWB auszugehen ist. Wann ein vertretbar geschätzter Auftragswert so „deutlich“ überschritten ist, dass eine sanktionslose Aufhebung der Ausschreibung gerechtfertigt ist, lässt sich nicht durch allgemein verbindliche Werte nach Höhe oder Prozentsätzen festlegen. Vielmehr ist eine Interessenabwägung vorzunehmen. Einerseits darf dem öffentlichen Auftraggebern nicht das Risiko einer deutlich überhöhten Preisbildung weit jenseits einer vertretbaren Schätzung der Auftragswerte zugewiesen werden, andererseits darf das Institut der Aufhebung nicht zu einem für die Vergabestellen latent verfügbaren Instrument zur Korrektur der in Ausschreibungen erzielten Submissionsergebnisse geraten,
vgl. BGH, Urteil v. 20.11.2012 ‒ X ZR 108/10, juris, Rn. 21; OLG Celle, Beschluss v. 10.03.2016 ‒ 13 Verg 5/15, juris, Rn. 48; OLG Karlsruhe, Beschluss v. 27.09.2013 ‒ 15 Verg 3/13, juris, Rn. 41.
Auch spricht allein der Umstand, dass ein Angebot den Angebotspreis von vormals vergebenen Aufträgen namhaft über-steigt, noch nicht für die Unangemessenheit des Angebots-preises. Keinesfalls genügt es zum Nachweis eines unangemessen hohen Preises, wenn der Auftraggeber es dabei bewenden lässt, lediglich das Preisangebot in Beziehung zu setzen zu bisher gezahlten Preisen vergleichbarer Aufträgen und es unterlässt, den zugrunde liegenden Sachverhalt einschließlich der Kalkulation angemessen aufzuklären und Bedenken nachzugehen,
vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 31.10.2007 ‒ VII-Verg 24/07, juris, Rn. 38.
Dies hat die Antragsgegnerin aber vorliegend gemacht. Die Antragsgegnerin hat sich in erster Linie auf das Ausschreibungsergebnis aus 2011 bezogen und dabei die Marktgerechtigkeit der nunmehr von der Antragstellerin angebotenen Preise nicht berücksichtigt. Dies wird bestätigt durch die Aussage des von der Antragsgegnerin im Vergabeverfahren eingebundenen Beratungsbüros, dass das Ausschreibungsergebnis nicht wesentlich von der ihm im Vorfeld der Ausschreibung er-stellten Preiserwartung abweiche und auch den in vergleichbaren Ausschreibungsverfahren angebotenen Preisen entspreche.
Da aufgrund seiner Darlegungs- und Beweislast der Auftraggeber den Nachteil der Nichterweislichkeit einer Unangemessenheit zu tragen hat,
vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 31.10.2007 ‒ VII-Verg 24/07, juris, Rn. 38,
braucht damit die Frage der „Angemessenheit“ des Angebots hier nicht abschließend geklärt werden.
Nur der Vollständigkeit halber sei jedoch darauf hingewiesen, dass die Kammer nach dem Vortrag der Beteiligten Zweifel an der Angemessenheit des Angebots nicht erkennen kann. Die Rechtsprechung knüpft für die Frage der Angemessenheit überwiegend an die Grundsätze an, die im Rahmen der Prüfung eines unangemessenen Preises beim Unterkostenangebot (= 20 % -Schwelle) entwickelt wurden,
vgl. OLG Celle, Beschluss v. 10.03.2016 ‒ 13 Verg 5/15, juris, Rn. 51 f.
Setzt man den o.g. Betrag vom XXX Euro (= von der Antragstellerin in 2018 abgerechnete Auftragssumme plus Aufschlag für Preissteigerungen) an und schlägt die v.g. 20 % auf, er-hält man einen Betrag von XXX Euro. Dieser Betrag liegt so-gar über dem von der Antragstellerin angebotenen Preis ohne Anteil „Verpackungsmaterial“ (= XXX Euro).
2.
Die Aufhebungsentscheidung der Antragsgegnerin ist auch des-halb rechtswidrig, weil die Antragsgegnerin das ihr durch § 63 Abs. 1 S. 1 VgV eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt hat,
vgl. zum Erfordernis des ordnungsgemäßen Ermessensgebrauchs: OLG Düsseldorf, Beschluss v. 08.06.2011 ‒ VII-Verg 55/10, juris, Rn. 32.
Im Rahmen der Ermessensausübung hat die Vergabestelle mögliche Alternativen zur Aufhebung des Vergabeverfahrens zu er-wägen und insbesondere zu prüfen, ob der zu beachtende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht weniger einschneidende Maßnahmen als die Aufhebung des Verfahrens insgesamt gefordert hätte, z.B. eine Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor Übersendung der Ausschreibungsunterlagen und eine Reduzierung des auszuschreibenden Leistungsumfanges,
vgl. OLG Celle, Beschluss v. 10.03.2016 ‒ 13 Verg 5/15, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss v. 27.09.2013 ‒ 15 Verg 3/13, juris,
oder die Aufklärung eines unangemessen hoch erscheinenden Angebots,
vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss v. 27.09.2013 ‒ 15 Verg 3/13, juris, Rn. 51; vgl. VK Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 19.01.2017 -3 VK LSA 54/16, juris, Rn. 40.
Diese Ermessenserwägungen müssen dem Vergabevermerk zu entnehmen sein,
vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss v. 27.09.2013 ‒ 15 Verg 3/13, juris, Rn. 49.
Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin solche Ermessenserwägungen überhaupt angestellt hat.
3.
Trotz Rechtswidrigkeit der Aufhebungsentscheidung ist der Hauptantrag der Antragstellerin unbegründet. Denn ein materiell-rechtlicher Abwehranspruch, mit dem die Aufhebung der Aufhebung und die Fortführung des Vergabeverfahrens durchgesetzt werden kann, besteht nur in engen Grenzen. Dies betrifft u.a. Fälle der willkürlichen oder diskriminierenden Aufhebung (sog. Scheinaufhebung), z.B. wenn eine Aufhebung der Ausschreibung dazu eingesetzt wird, einen unerwünschten Bieter, dem der ausgeschriebenen Auftrag erteilt werden müsste, zu übergehen und in einem anschließend ausgeschriebenen Vergabeverfahren einen genehmen Bieter auszuwählen,
vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 08.07.2009 ‒ Verg 13/09, juris, Rn. 21; OLG Celle, Beschluss v. 10.03.2016 ‒ 13 Verg 5/15, juris, Rn. 15; VK Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 13.11.2015 ‒ VK 1 ‒ 16/15, juris, Rn. 135.
Dies ist vorliegend nicht der Fall. Wie die Antragsgegnerin schriftsätzlich betont hat, besteht „momentan kein Interesse an einer Vergabe an eine andere Firma als die Antragstellerin“. Auch die Antragstellerin hat keine Gründe dafür vorgetragen, warum es sich vorliegend um eine willkürliche oder diskriminierende „Scheinaufhebung“ handeln sollte.
Sind aber Anhaltspunkte für eine willkürliche bzw. diskriminierende Aufhebung nicht gegeben, kommt § 63 Abs. 1 S. 2 VgV zum Tragen. Danach ist der Auftraggeber grundsätzlich nicht verpflichtet, den Zuschlag zu erteilen. Einem Bieter steht kein Anspruch gegen den Auftraggeber auf Rückgängigmachung der Aufhebung der Ausschreibung und Fortsetzung des Vergabe-verfahrens zu, da dies im Ergebnis auf den Abschluss eines Vertrages hinauslaufen würde (Kontrahierungszwang),
vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 31.10.2007 ‒ VII-Verg 24/07, juris, Rn. 15; KG Berlin, Beschluss v. 17.10.2013 ‒ Verg 9/13, juris, Rn. 47.
Allerdings ist Voraussetzung für eine solche zwar rechtswidrige, aber dennoch rechtswirksame Aufhebungsentscheidung, dass ein sachlich vernünftiger Grund für die Aufhebung der Ausschreibung vorliegt. Dies kann z.B. dann der Fall sein, wenn keine genügenden Haushaltsmittel zur Verfügung stehen, um den geforderten Preis zu zahlen,
vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 31.10.2007 ‒ VII-Verg 24/07, juris, Rn. 39; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 08.07.2009 ‒ Verg 13/09, juris, Rn. 21; VK Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 13.11.2015 ‒ VK 1 ‒ 16/15, juris, Rn. 135.
Zwar handelt es vorliegend um die Ausschreibung von Entsorgungsdienstleistungen, die zum größten Teil gebührenfinanziert und somit umlegbar sein müssten, so dass sich die Frage fehlender Haushaltsmittel so nicht stellen dürfte. Die Antragsgegnerin hat in der mündlichen Verhandlung jedoch vorgetragen, dass sachliche Gründe für die Aufhebungsentscheidung durchaus bestanden. Das zuständige Rechnungsprüfungsamt habe Zweifel an der Angemessenheit der Angebotspreise gehegt. Diese Zweifel führten in den kommunalen Entscheidungsgremien zu Bedenken an der Auftragsvergabe und der Befürchtung „explodierender Entsorgungsgebühren“. Darin ist nach Auffassung der Kammer ein sachlicher Grund zu sehen, welcher den o.g. „fehlenden Haushaltsmitteln“ durchaus vergleichbar ist und dazu führt, dass die Aufhebungsentscheidung trotz Rechtswidrigkeit rechtswirksam ist.
4.
Da die Antragstellerin mit ihrem Hauptantrag nicht durch-dringen kann, kommt ihr Hilfsantrag zum Tragen. Dieser ist auch begründet. Die Aufhebungsentscheidung der Antragsgegnerin ist rechtswidrig. Hierzu wird auf die Ausführungen unter Ziffer III.1. verwiesen.
Durch die rechtswidrige Aufhebungsentscheidung ist die Antragstellerin auch in ihren Rechten verletzt. Nach § 97 Abs. 6 GWB hat die Antragstellerin einen Anspruch darauf, dass die Bestimmungen über das Vergabeverfahren eingehalten wer-den. Vorliegend hat die Antragsgegnerin das Vergabeverfahren zu Los 1 aufgehoben, ohne dass die Voraussetzungen des § 63 Abs. 1 S. 1 VgV, welcher bieterschützenden Charakter hat, erfüllt waren. Die Antragstellerin hat durch die Aufhebung die Chance auf Zuschlagserteilung in diesem Verfahren, in dem sie Bestbietende war, verloren.
IV.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 182 GWB.
Die Kosten des Nachprüfungsverfahrens (Gebühren und Auslagen der Vergabekammer) sind gem. § 182 Abs. 3 S. 1 GWB je zur Hälfte von der Antragstellerin und der Antragsgegnerin zu tragen, wobei die Antragsgegnerin Gebührenfreiheit gemäß § 8 des Verwaltungskostengesetzes (in der am 14.08.2013 geltenden Fassung, die nach § 182 Abs. 1 Satz 2 GWB weiterhin An-wendung findet) genießt.
Gemäß § 182 Abs. 3 S. 1 GWB hat ein Beteiligter die Kosten zu tragen, soweit er im Verfahren unterliegt. Die Antragstellerin ist mit ihrem Hauptantrag unterlegen, mit ihrem Hilfsantrag hat sie obsiegt. Spiegelbildlich hat die Antragsgegnerin nur mit ihrem auf den Hauptantrag bezogenen Zurückweisungsantrag obsiegt, ist im Übrigen jedoch unterlegen. Daraus ergibt sich die o.g. Kostenquote.
Die Höhe der Gebühren für diesen Beschluss bestimmt sich gem. § 182 Abs. 2 GWB nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstandes der Nachprüfung. Der Gebührenrahmen wurde vom Gesetzgeber für den Regelfall auf 2.500,00 Euro bis 50.000,00 Euro festgesetzt. Sofern der Aufwand oder die wirtschaftliche Bedeutung außergewöhnlich hoch ist, kann die Gebühr im Einzelfall bis zu einem Betrag von 100.000,00 Euro erhöht werden. Die Vergabekammern des Bundes haben eine Gebührenstaffel erarbeitet, die die Vergabekammern der Länder im Interesse einer bundeseinheitlichen Handhabung übernommen haben. Danach orientiert sich die Gebühr der Vergabekammer an der Bruttoangebotssumme des Antragstellers als dem für die Bewertung maßgeblichen wirtschaftlichen Interesse am Rechtsstreit. Vorliegend beläuft sich die Bruttoangebotssumme der Antragstellerin auf XXX Euro/a. In entsprechender Anwendung der in § 3 Abs. 1 VgV für die Schätzung des Auftragswertes getroffenen Regelungen ist der Gesamtwert des Auftrags, gemessen an der Vertragslauf-zeit maßgeblich. Die Vertragslaufzeit umfasst sechs Jahre, so dass sich eine Gesamtsumme von XXX Euro ergibt. Auf dieser Grundlage errechnet sich eine Gebühr in Höhe von XXX Euro.
Die Pflicht zur Erstattung notwendiger Aufwendungen der Antragstellerin bzw. der Antragsgegnerin folgt aus § 182 Abs. 4 S. 1 GWB. Hinsichtlich der Tragung der notwendigen Aufwendungen ergibt sich dieselbe Kostenquote wie für die Verfahrenskosten. Da sowohl Antragstellerin als auch Antragsgegnerin durch Verfahrensbevollmächtigte vertreten worden sind, sind ihre notwendigen Aufwendungen nicht zu erstatten, sondern gegeneinander aufzuheben,
vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 12.05.2011 ‒ VII-Verg 32/11, juris, Rn. 50.
Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragstellerin und die Antragsgegnerin war notwendig i.S.v. § 182 Abs. 4 S. 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2 VwVfG NRW, da ihnen angesichts der Komplexität der Sach- und Rechtslage nicht zugemutet werden konnte, ihre rechtlichen Interessen im Nachprüfungs-verfahren selbst wahrzunehmen.
V.
Gegen diese Entscheidung der Vergabekammer ist die sofortige Beschwerde zulässig.
Sie ist binnen einer Notfrist von zwei Wochen, die mit der Zustellung dieser Entscheidung beginnt, schriftlich bei dem Oberlandesgericht Düsseldorf, Cecilienallee 3, 40474 Düsseldorf, einzulegen.
Die sofortige Beschwerde ist zugleich mit ihrer Einlegung zu begründen. Die Beschwerdebegründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit die Entscheidung der Vergabekammer angefochten und eine abweichende Entscheidung beantragt wird, und die Tatsachen und Beweismittel angeben, auf die sich die Beschwerde stützt.
Die Beschwerdeschrift muss durch einen Rechtsanwalt unter-schrieben sein. Dies gilt nicht für Beschwerden von juristischen Personen des öffentlichen Rechts.
Die sofortige Beschwerde kann auch durch Übertragung eines elektronischen Dokuments an die elektronische Poststelle des Gerichts erhoben werden. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein. Es muss mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a Absatz 4 ZPO eingereicht werden. Die für die Übermittlung und Bearbeitung geeigneten technischen Rahmen-bedingungen bestimmen sich nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) vom 24. November 2017 (BGBl. I S. 3803).
Hinweis: Weitere Informationen erhalten Sie auf der Internetseite www.justiz.de sowie auf der Internetseite www.justiz.nrw.de.
Die sofortige Beschwerde hat aufschiebende Wirkung gegenüber der Entscheidung der Vergabekammer. Die aufschiebende Wirkung entfällt zwei Wochen nach Ablauf der Beschwerdefrist.
Mit der Einlegung der Beschwerde sind die anderen Beteiligten des Verfahrens vor der Vergabekammer vom Beschwerdeführer durch Übermittlung einer Ausfertigung der Beschwerde-schrift zu unterrichten.