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  • 18.12.2018 · IWW-Abrufnummer 206190

    Landgericht Dresden: Beschluss vom 08.02.2018 – 6 O 1751/15

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    BESCHLUSS

    In dem Rechtsstreit

    xxx

    wegen Architektensachen

    erlässt die 6. Zivilkammer des Landgerichts Dresden durch
    xxx
    am 08.02.2018

    nachfolgende Entscheidung:

    Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird nach Art. 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    Ist das Unionsrecht, insbesondere Art. 15 Abs. 3 b) und c) sowie Art. 16 Abs. 1 Sätze 1, 2 und 3 b) und c) der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 (Dienstleistungsrichtlinie), dahingehend auszulegen, dass es einer nationalen Regelung - wie der im Ausgangsverfahren anwendbaren - entgegensteht, nach der es in Verträgen mit Architekten und/oder Ingenieuren nicht gestattet ist, ein Honorar zu vereinbaren, das die Mindestsätze der sich aus der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure zu berechnenden Vergütung unterschreitet?

    Das Verfahren wird ausgesetzt.

    Gründe

    I.

    In dem vorliegenden Rechtsstreit verlangt die Klägerin von der Beklagten die Zahlung weiteren Architektenhonorars.

    1.

    Die Parteien schlossen im Frühjahr 2012 zunächst mündlich zu dem Anwesen ... in ... einen Vertrag über die Erbringung sämtlicher Planungsleistungen aus den Leistungsphasen 1 bis 4 nach der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (nachfolgend nur: HOAI) bis hin zur Erlangung einer Baugenehmigung für die Umnutzung des Gebäudes ... weg von einer Büronutzung hin zu einer Wohnnutzung. Am 01./14.01.2013 schlossen die Parteien einen schriftlichen Vertrag über Ingenieurleistungen, in dem die Leistungsphasen 1 bis 4 als erbracht bezeichnet werden und die Leistungsphasen 5 bis 9 i.S.d. § 33 HOAI sowie weiterer Leistungen beauftragt und hierfür ein Pauschalpreis in Höhe von 147.000,00 EUR (brutto) vereinbart wurde.

    Das Gebäude wurde entsprechend der Zielsetzung des Vertrages in Wohnungsnutzung umgebaut.

    Nach Abschluss aller Arbeiten zur Sanierung und Rekonstruktion des Gebäudes ... im Juni 2014 legte die Klägerin gegenüber der Beklagten Rechnung nach den Mindestsätzen der HOAI.

    Soweit die Beklagte gegen die Honorarforderung einwendet, dass vertraglich vereinbarte Ingenieurleistungen nicht erbracht worden seien, ist dies unbeachtlich, weil die Klägerin zutreffend darauf hingewiesen hat, dass etwa fehlende oder mangelhafte vertraglich vereinbarte Leistungen zu keinem Zeitpunkt gerügt und der Klägerin folgerichtig auch keine Frist zur Erbringung der als fehlend behaupteten Leistungen gesetzt bzw. hinsichtlich erbrachter Leistungen Nacherfüllung verlangt hat. Vielmehr ist die Abnahme der klägerischen Leistung zumindest konkludent dadurch erfolgt, dass das Gebäude ... in die erfolgte Umnutzung gegangen und nunmehr zu Wohnzwecken genutzt wird.

    Danach ist von Rechts wegen davon auszugehen, dass die Klägerin die beauftragten Leistungen vollständig erbracht hat.

    2.

    Nach der deutschen Rechtslage ist die Klage dem Grunde nach begründet; zur Höhe wäre noch Sachverständigenbeweis zu erheben, jedoch steht bereits jetzt unter Berücksichtigung einer sich aus der Pauschalpreisabrede ergebenden Zahlungspflicht der Beklagten fest, dass die Klage nach deutschem Recht aus folgenden Gründen wenigstens zum Teil Erfolg hat.

    a) Nach § 7 Abs. 3 HOAI können die in dieser Verordnung festgesetzten Mindestsätze durch schriftliche Vereinbarung in Ausnahmefällen unterschritten werden. Ausnahmen sind ihrer Natur nach eng auszulegen und können nur unter besonderen Umständen angenommen werden. Das kann der Fall sein, wenn die vom Architekten oder Ingenieur geschuldete Leistung nur einen besonders geringen Aufwand erfordert, sofern dieser Umstand nicht schon bei den Bemessungsmerkmalen der HOAI zu berücksichtigen ist. Ein Ausnahmefall kann ferner beispielsweise bei engen Beziehungen rechtlicher, wirtschaftlicher, sozialer oder persönlicher Art oder sonstigen besonderen Umständen gegeben sein. Solche besonderen Umstände können etwa in der mehrfachen Verwendung einer Planung liegen (zum Ganzen Bundesgerichtshof Urteil vom 22.05.1997, Az.: VII ZR 290/05, Bundesgerichtshof Urteil vom 27.10.2011, Az. VII ZR 163/10).

    Vorliegend sind weder solche noch mit ihnen vergleichbare Umstände vorgetragen worden.

    b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, denen die Kammer folgt, ist auch unter wertenden Gesichtspunkten i.S.d. §§ 138, 242 Bürgerliches Gesetzbuch (nachfolgend nur: BGB) nicht von einer Schutzwürdigkeit der Beklagten auszugehen, nach denen die Mindestsätze unterschreitende Pauschalpreisvereinbarungen auch dann Bestand haben, wenn der Auftraggeber schutzwürdig ist, weil er von seinen gesamten Lebensumständen her die Vorschriften der HOAI hinsichtlich des Verbots der Unterschreitung der Mindestsätze weder kannte noch kennen musste, sich vielmehr auf den auch insoweit sachkundigen Architekten und/oder Ingenieur verlässt, der bereit ist, eine die Mindestsätze unterschreitende Pauschalpreisvereinbarung abzuschließen, ohne seinen Vertragspartner über diese Unzulässigkeit zu informieren (vgl. Bundesgerichtshof Urteil vom 27.10.2011, Az.: VII ZR 163/10).

    Vorliegend ist der Geschäftsführer der Komplementärin der Beklagten ein in Immobiliensachen, auch in Bezug auf Baumaßnahmen, die Architekten- und Ingenieurleistungen erfordern, sehr erfahrener Geschäftsführer. Nach § 166 Abs. 1 BGB kommt es auf die Person des Vertreters, hier des Geschäftsführers, an. Das Gericht ist nach dem klägerischen Sachvortrag, der allein in der Bewertung beklagtenseits bestritten wird, mit der Klägerin der Auffassung, dass eine Schutzwürdigkeit der Beklagten hinsichtlich der gesetzeswidrigen Vereinbarung einer die Mindestsätze unterschreitenden Pauschalpreisabrede nicht gegeben ist.

    c) Auch hinsichtlich der zunächst mündlich beauftragten Leistungsphasen 1 bis 4 in den schriftlichen Vertrag zu den Leistungsphasen 5 bis 9 vom 01./14.01.2013 liegen die Voraussetzungen für einen Erlassvertrag nicht vor. Nach § 7 Abs. 5 HOAI wird unwiderleglich vermutet, dass bei einer mündlichen Beauftragung die Mindestsätze der HOAI vereinbart sind. Die Annahme eines Verzichts- bzw. Erlassvertrages erfordert die Feststellung eines unmissverständlichen rechtsgeschäftlichen Willens des Gläubigers, auf die Forderung verzichten zu wollen, wobei an diese Feststellung strenge Anforderungen zu stellen sind. Auch bei einer scheinbar eindeutigen Erklärung darf ein Erlass/Verzicht erst angenommen werden, wenn sämtliche relevanten Begleitumstände, insbesondere die beiderseitigen Interessenlagen, hinreichend berücksichtigt worden sind (vgl. Oberlandesgericht Celle, Urteil vom 10.06.2015, Az.: 14 U 164/14; Bundesgerichtshof Urteil vom 03.06.2008; XI ZR 353/07).

    Einen entsprechenden Erlasswillen vermag die Kammer nicht zu erkennen, schon weil der Erlass im Zusammenhang mit der Beauftragung weiterer Leistungen entsprechend den Leistungsphasen 5 bis 9 erfolgte, wobei in diesem Kontext wiederum zu berücksichtigen ist, dass die Beklagte in Bezug auf eine die Mindestsätze nach der HOAI unterschreitende Pauschalpreisabrede nicht schutzwürdig ist. Gerade in solchen Fällen fehlt es an einem aus den Umständen erkennbaren Erlasswillen; ausdrücklich erklärt wurde er ohnehin nicht.

    d) Die Klägerin ist auch nicht deshalb nach Treu und Glauben, § 242 BGB, gehindert, nach den Mindestsätzen abzurechnen, weil der Auftraggeber auf den Bestand der Pauschalhonorarabrede vertrauen durfte und er sich im berechtigten Vertrauen auf die Endgültigkeit einer entsprechenden Schlussrechnung in schutzwürdiger Weise so eingerichtet hat, dass ihm eine Nachforderung nicht mehr zugemutet werden kann. Das setzt zum einen voraus, dass die Beklagte im schutzwürdigen Vertrauen auf die Endgültigkeit der Schlussrechnung sich durch vorgenommene oder unterlassene Maßnahmen darauf eingerichtet hat, dass weitere Forderungen nicht erhoben werden. Allein die Zahlung der Schlussrechnung stellt keine solche Maßnahme dar. Zum anderen ist erforderlich, dass die durch die Nachforderung entstehende zusätzliche Belastung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls für die Beklagte nicht mehr zumutbar ist, weil sie eine besondere Härte für sie bedeutet (Bundesgerichtshof Urteil vom 23.10.2008, Az.: VII ZR 105/07).

    Für solche Umstände hat die Beklagte nichts vorgetragen.

    3.

    Erweisen sich allerdings die nationalen Regelungen als unionsrechtswidrig, wäre die Klage ohne weiteres abzuweisen, soweit mehr als die vereinbarte Pauschale verlangt wird. Da die Europäische Kommission autochthoner Interpret der europäischen Gesetzgebung im materiellen Sinne ist und die Bundesrepublik Deutschland vor dem EuGH verklagt hat mit dem Antrag festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland insofern gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 15 Abs. 1 und 2 g) und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123/EG und aus Art. 49 AEUV verstoßen hat, indem sie verbindliche Honorare für Architekten und Ingenieure nach Maßgabe der HOAI aufrechterhalten hat (EuGH Rechtssache C-377/17), muss das vorlegende Gericht in Betracht ziehen, dass die für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits maßgeblichen Vorschriften der HOAI unionsrechtswidrig sind und wegen des Vorrangs des Europäischen Rechts nicht anzuwenden sind.

    Soweit in der obergerichtlichen nationalen Rechtsprechung bisher eine Vorlage mit der Begründung nicht vorgenommen worden ist, es gäbe zwingende Gründe des allgemeinen Interesses i.S.d. Art. 15 Abs. 3 b) der Richtlinie 2006/123/EG, die für die Mindesthonorarregelungen sprächen, folgt das Gericht dem nicht, denn diese Einschätzung beruht auf einer rein nationalen Betrachtungsweise und hat nicht den allein maßgeblichen unionsrechtlichen Auslegungsmaßstab im Blick (vgl. Oberlandesgericht Stuttgart, Urteil vom 10.02.2005, Az. 13 U 147/04; Oberlandesgericht Naumburg, Urteil vom 13.04.2017, Az. 1 U 48/11).

    II.

    Aus den vorstehenden Gründen war die Sache auszusetzen und ist dem EuGH zur Vorabentscheidung der gestellten Frage vorzulegen.