Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 15.10.2019 · IWW-Abrufnummer 211665

    Oberlandesgericht Celle: Urteil vom 02.10.2019 – 14 U 171/18

    Beruht der Vertragsabschluss auf einem Vergabeverfahren der VOB/A, ist die Ausschreibung mit dem Inhalt der Auslegung zugrunde zu legen, wie ihn der Empfängerkreis verstehen muss. Grundlage der Auslegung ist der objektive Empfängerhorizont dieser potentiellen Bieter.

    Neben dem Wortlaut der Ausschreibung sind die Umstände des Einzelfalles, unter anderem die konkreten Verhältnisse des Bauwerks, zu berücksichtigen, zudem Verkehrssitte sowie Treu und Glauben.

    Ob die ausschreibende Stelle ein bestimmtes Problem möglicherweise nicht gesehen hat, kann die Auslegung des Vertrages nicht beeinflussen; maßgeblich ist die objektive Sicht der potentiellen Bieter und nicht das subjektive Verständnis des Auftraggebers von seiner Ausschreibung.

    Ein Bauvertrag ist zudem als sinnvolles Ganzes auszulegen. Es ist davon auszugehen, dass der Anbieter eine Leistung widerspruchsfrei anbieten will.

    Bei Unklarheiten über nicht von vornherein in Übereinstimmung zu bringende Vertragserklärungen hat sich die Auslegung zunächst an demjenigen Teil zu orientieren, der die Leistung konkret beschreibt. Dabei kommt dem Wortlaut der Leistungsbeschreibung gegenüber etwaigen Plänen jedenfalls dann eine vergleichsweise große Bedeutung zu, wenn damit die Leistung im Einzelnen genau beschrieben wird, während die Pläne sich nicht im Detail an dem angebotenen Bauvorhaben orientieren.

    Lediglich im Fall, dass die Vergabe- und Vertragsunterlagen offensichtlich falsch sind, folgt aus dem Grundsatz des Gebots zu korrektem Verhalten bei Vertragsverhandlungen eine Prüfungs- und Hinweispflicht des Auftragnehmers.

    Unterlässt der Auftragnehmer in einem solchen Fall den gebotenen Hinweis, ist er nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gehindert, Zusatzforderungen zu stellen.


    Oberlandesgericht Celle

    Im Namen des Volkes

    Urteil
     
    14 U 171/18
    12 O 173/15 Landgericht Hannover

    Verkündet am 2. Oktober 2019

    In dem Rechtsstreit

    B. & L. GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer …,

        Klägerin und Berufungsklägerin,

    Prozessbevollmächtigter:
    Rechtsanwalt …,
    Geschäftszeichen: …

    gegen

    L. H., vertreten durch den Oberbürgermeister, …,

        Beklagte und Berufungsbeklagte,

    Prozessbevollmächtigte:
    Anwaltsbüro …,
    Geschäftszeichen: …

    hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 10. September 2019 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. W., die Richterin am Oberlandesgericht Dr. B. und den Richter am Oberlandesgericht Dr. W. für Recht erkannt:

    Die Berufung der Klägerin gegen das am 6. August 2018 verkündete Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Hannover <12 O 173/15> wird zurückgewiesen. Zur Klarstellung wird der Tenor des Urteils des Landgerichts wie folgt neu gefasst:

    Unter teilweiser Aufhebung des Versäumnisurteils vom 04.05.2016 <12 O 173/15> wird die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 25.825,48 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 6.300,24 € ab dem 04.08.2015 und weitere 18.328,20 € ab dem 13.10.2017 zu zahlen.

    Im Übrigen wird das Versäumnisurteil aufrechterhalten und bleibt die Klage abgewiesen.

    Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 93 % und die Beklagte zu 7 %; davon ausgenommen sind die Kosten der Säumnis, welche die Klägerin zu tragen hat.

    Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

    Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

    Das Urteil sowie das vorgenannte Urteil des Landgerichts Hannover sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

    Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 348.279,27 EUR festgesetzt.

    Gründe

    I.

    Die Klägerin begehrt restliche Vergütung aus einem Vertrag über Straßenbau-arbeiten.

    Nach den Feststellungen des Landgerichts bestand das streitgegenständliche Bauvorhaben „R. S. von H.straße bis P.traße“ aus zwei Teilen, nämlich dem „Straßenbau“ und der „Straßenentwässerung“. Der Bereich Straßenbau betraf die Erneuerung der Fahrbahn und Nebenanlagen (Gossen, Parkstreifen, Einmündungen); Näheres ist dem als Anlage K 3 vorgelegten Leistungsverzeichnis (LV) zu entnehmen. Der Bereich Entwässerung betraf die Erneuerung der Straßenentwässerungsanlage, bestehend aus Straßenabläufen und Regenwasserleitungen; wegen weiterer Einzelheiten insofern wird auf das als Anlage B 1 vorgelegte Leistungsverzeichnis (LV) verwiesen.

    Beide Vorhaben schrieb die Beklagte im Paket aus und beauftragte die Klägerin zeitgleich unter dem 05.04.2013 mit deren Durchführung. Beide Angebote der Klägerin datieren auf den 28.02.2013. In den beiden Zuschlagsschreiben werden jeweils als Ausführungsbeginn der 03.06.2013 und als Fertigstellungstermin der 20.09.2013 genannt.

    Die Klägerin führte die Arbeiten aus, über die Abnahme der Straßenbauarbeiten verhält sich das als Anlage K 4 vorgelegte Abnahmeprotokoll vom 19.12.2013.

    Im vorliegenden Rechtsstreit macht die Klägerin Mehrvergütungsansprüche im Zusammenhang mit den Straßenbauarbeiten geltend.

    Während der Ausführung der Arbeiten gab es bereits Korrespondenz der Parteien zur Frage einer (fehlenden) Vollsperrung. Im LV heißt es unter Ziffer 5. „Ausführung der Bauleistung“ hierzu: „Herstellen Fahrbahn unter Vollsperrung (analog Regelplan B I / 17 RSA 95).“ Die Klägerin zeigte mit Schreiben u.a. vom 04.07., 19.08. und 02.09.2013 die Behinderung der Arbeiten an und meldete Mehrkosten an. Hintergrund hierfür war der Umstand, dass der Stadtbahnbetrieb – zwischen den beiden Richtungsfahrbahnen des R. S. verlaufen die Gleise der Stadtbahnlinien 3, 7 und 17 – im Bauausführungszeitraum aufrechterhalten wurde. Im Hinblick darauf machte die Klägerin unter Verweis auf Ziffer 5 des LV eine fehlende Vollsperrung geltend, was die Beklagte mit Verweis auf die Ausschreibungsunterlagen (Einzeichnung der Stadtbahnlinie in den Plänen) und das LV zur Stadtentwässerung zurückwies. Unter Ziffer 0. „Baubeschreibung“ heißt es im LV zur Stadtentwässerung u.a.: „Die Stadtbahn im R. S. wird an 3 Stellen durch die geplanten Rohrverlegearbeiten in offener Bauweise gekreuzt. Der Stadtbahnverkehr bleibt in Betrieb.“

    Mit den als Anlagen K 11 bzw. 12 vorgelegten Nachträgen 4 vom 10.09.2013 und 7 vom 18.06.2014 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten in der Folge Mehrkosten im Hinblick auf eine fehlende Vollsperrung über insgesamt 348.279,27  € geltend. Die Beklagte wies die Forderung zurück. Ihr Begehren verfolgt die Klägerin nunmehr gerichtlich weiter.

    Erstinstanzlich haben die Parteien daneben auch über Aufmaßdifferenzen und die Frage, ob die Beklagte berechtigterweise einen Bareinbehalt vorgenommen hatte, gestritten.

    Die Klägerin hat hinsichtlich der Mehrkostenforderung gemäß den Nachträgen 4 und 7 die Ansicht vertreten, sie habe im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut des LV für den Straßenbau bei Angebotserstellung davon ausgehen dürfen, dass eine Vollsperrung erfolge. Auf das LV zur Stadtentwässerung komme es nicht an, die beiden Baumaßnahmen hätten als solche nichts miteinander zu tun. Die Klägerin hat behauptet, die geltend gemachten Mehrkosten seien dadurch entstanden, dass sie die Arbeiten entgegen den Vorgaben im LV unter Aufrechterhaltung des Straßenbahnverkehrs habe durchführen müssen.

    Die Beklagte ist ihrer Inanspruchnahme entgegengetreten. Soweit es die Mehrkostenforderung gemäß den Nachträgen 4 und 7 anbelangt, hat sie geltend gemacht, die Klägerin habe aus dem LV über die Stadtentwässerung gewusst, dass die Herstellung der Fahrbahn nicht unter Vollsperrung erfolgen könne, der Stadtbahnverkehr in Betrieb bleiben solle; zumindest hätte sie nachfragen müssen. Zudem hätte sie über die Höhe der Mehrkosten in Anbetracht der Auftragssumme aufklären müssen. Die Forderung sei im Übrigen nicht substantiiert dargelegt.

    Das Landgericht hat am 04.05.2016 ein klagabweisendes Versäumnisurteil erlassen, nachdem der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung keinen Antrag gestellt hatte. Gegen das Versäumnisurteil hat die Klägerin Einspruch eingelegt.

    Das Landgericht hat sodann nach Beweiserhebung zu den Aufmaßdifferenzen mit am 06.08.2018 verkündeten Urteil das Versäumnisurteil vom 04.05.2016 teilweise abgeändert und die Beklagte wegen des Bareinbehalts und im Hinblick auf das Ergebnis der Beweisaufnahme zu den Aufmaßdifferenzen teilweise zur Zahlung verurteilt; im Übrigen hat es der Sache nach das Versäumnisurteil aufrechterhalten. Zur Begründung hat es hinsichtlich der Mehrkostenforderung gemäß den Nachträgen 4 und 7 im Wesentlichen ausgeführt, der Klägerin stehe insoweit kein Anspruch zu, weil sie gegen die ihr obliegende Kooperationspflicht verstoßen habe. Denn sie habe nicht hinterfragt, weshalb im LV für die Entwässerungsarbeiten keine Vollsperrung, im LV für die Straßenbauarbeiten hingegen eine Vollsperrung vorgesehen war. Auf diesen Widerspruch hätte die Klägerin hinweisen müssen. Beide LV seien in der Gesamtschau zu sehen. Die Klägerin habe darüber hinaus auch insofern gegen das Kooperationsgebot verstoßen, als sie die Beklagte nicht über die zu erwartende Höhe der Mehrkosten, die eine faktische Verdoppelung der Kosten bedeuten würden, aufgeklärt habe.

    Gegen dieses Urteil, auf das im Übrigen gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO verwiesen wird, wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, mit der sie ihr erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt, soweit es die Mehrkostenforderung gemäß den Nachträgen 4 und 7 zzgl. Nebenforderungen anbelangt. Die weitere Teilabweisung betr. die Aufmaßdifferenzen zzgl. Nebenforderungen akzeptiert die Klägerin.

    Die Klägerin wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen betr. die Mehrkostenforderung. Sie macht zudem insbesondere geltend, das Landgericht habe die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien zur Auslegung von Leistungsverzeichnissen verkannt. Die Beklagte sei gemäß § 7 VOB/A für eine klare und eindeutige Ausschreibung verantwortlich. Der Wortlaut des LV sei eindeutig, auch aus dem im Klammerzusatz genannten Regelplan ergebe sich nichts anderes. Selbst wenn eine Unklarheit anzunehmen wäre, ginge dies zu Lasten der Beklagten und nicht wegen Unterlassens einer Nachfrage zu ihren – der Klägerin – Lasten. In den Behinderungsanzeigen sei die Beklagte auch auf Mehrkosten hingewiesen worden, eine genaue Bezifferung sei seinerzeit noch gar nicht möglich gewesen. Im Übrigen handele es sich insoweit ohnehin um Sowiesokosten.

    In der Berufungsverhandlung hat die Klägerin zudem vorgetragen, es sei auch im Bereich der Straßenbauarbeiten keine Sperrung erfolgt. Es habe nicht einmal eine Teilsperrung gegeben. Sie habe unter Aufrechterhaltung des gesamten Verkehrs die Arbeiten erbringen müssen. Dies habe zu den Mehrkosten geführt.

    Die Klägerin beantragt,
    1.    die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Hannover – 12 O 173/15 – zu verurteilen, über die bereits ausgeurteilten 25.825,48 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 6.300,24 € ab dem 04.08.2015 und weiteren 18.328,20 € ab dem 13.10.2017, weitere 348.279,27 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 05.09.2014 zu zahlen,

    2.    die Beklagte zu verurteilen, weitere außergerichtliche Kosten in Höhe von 3.572,90 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 03.03.2015 zu zahlen

    Die Beklagte beantragt,
    die Berufung zurückzuweisen.

    Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Das Vorbringen in der Berufungsverhandlung sei neuer Vortrag.

    II.

    Die Berufung ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht insoweit, als der Rechtsstreit im Berufungsverfahren noch anhängig ist, die Klage abgewiesen.

    1.    Die Klägerin greift das landgerichtliche Urteil nur teilweise an. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur die Mehrkostenforderung gemäß den Nachträgen 4 und 7 (Anlagen K 11 und 12).

    2.    Der geltend gemachte Anspruch besteht bereits dem Grunde nach nicht, ohne dass es auf Fragen zur Höhe ankommt.

    a)    Allerdings trägt die Begründung des Landgerichts, die Klägerin habe gegen die ihr obliegende Kooperationspflicht verstoßen, weil sie nicht auf einen Widerspruch zum LV für die Entwässerungsarbeiten hingewiesen bzw. dies hinterfragt und außerdem nicht auf die Höhe der Mehrkosten hingewiesen habe, nicht. Das Landgericht hat zu Unrecht angenommen, dass das LV der Straßenarbeiten unklar und widersprüchlich sei.

    Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch scheitert allerdings bereits daran, dass das LV der Straßenbauarbeiten, soweit für den Rechtsstreit von Belang, eindeutig ist. Das LV ist jedenfalls bei Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Falles weder unklar noch im Hinblick auf das LV für die Entwässerungsarbeiten widersprüchlich.

    aa)
    (1)    Noch zu Recht verweist die Klägerin mit ihrer Berufungsbegründung darauf, dass Ausgangspunkt der Beurteilung eine Auslegung der Leistungsbeschreibung gemäß §§ 133, 157 BGB ist.

    Beruht der Vertragsabschluss auf einem Vergabeverfahren der VOB/A, ist die Ausschreibung mit dem Inhalt der Auslegung zugrunde zu legen, wie ihn der Empfängerkreis verstehen muss. Grundlage der Auslegung ist der objektive Empfängerhorizont dieser potentiellen Bieter (BGH, Urteil vom 28. Februar 2002 <VII ZR 376/00>, Rn. 18 m. w. N., juris). Neben dem Wortlaut der Ausschreibung sind die Umstände des Einzelfalles, unter anderem die konkreten Verhältnisse des Bauwerks, zu berücksichtigen (BGH, a. a. O.), zudem Verkehrssitte sowie Treu und Glauben (Senat, Urteil vom 02.09.2015 <14 U 154/13>, Rn. 32 m. w. N., juris).

    Ob die ausschreibende Stelle ein bestimmtes Problem möglicherweise nicht gesehen hat, kann die Auslegung des Vertrages nicht beeinflussen; maßgeblich ist die objektive Sicht der potentiellen Bieter und nicht das subjektive Verständnis des Auftraggebers von seiner Ausschreibung (BGH, Urteil vom 12.09.2013 <VII ZR 227/11>, Rn. 15 m. w. N., juris).

    Ein Bauvertrag ist zudem als sinnvolles Ganzes auszulegen. Es ist davon auszugehen, dass der Anbieter eine Leistung widerspruchsfrei anbieten will. Bei Unklarheiten über nicht von vornherein in Übereinstimmung zu bringende Vertragserklärungen hat sich die Auslegung zunächst an demjenigen Teil zu orientieren, der die Leistung konkret beschreibt. Dabei kommt dem Wortlaut der Leistungsbeschreibung gegenüber etwaigen Plänen jedenfalls dann eine vergleichsweise große Bedeutung zu, wenn damit die Leistung im Einzelnen genau beschrieben wird, während die Pläne sich nicht im Detail an dem angebotenen Bauvorhaben orientieren (vgl. BGH, Urteil vom 05. Dezember 2002 <VII ZR 342/01>, Rn. 11 m. w. N., juris).

    (2)    Ebenfalls noch zutreffend macht die Klägerin geltend, dass Unklarheiten der Ausschreibung grundsätzlich nicht zu Lasten des Auftragnehmers gehen und der Auftragnehmer die ausschreibende Stelle grundsätzlich nicht auf Fehler im Leistungsverzeichnis hinweisen muss. Lediglich im Fall, dass die Verdingungsunterlagen offensichtlich falsch sind, folgt aus dem Grundsatz des Gebots zu korrektem Verhalten bei Vertragsverhandlungen eine Prüfungs- und Hinweispflicht des Auftragnehmers (vgl. Senat, Urteil vom 31.01.2017 <14 U 200/15>, Rn. 91 m. w. N., juris). Unterlässt der Auftragnehmer in einem solchen Fall den gebotenen Hinweis, ist er nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gehindert, Zusatzforderungen zu stellen (Senat, a. a. O. m. w. N.).

    bb)    Nach diesen Maßstäben gilt vorliegend Folgendes:

    (1)    Die Klägerin konnte und durfte nicht aufgrund des LV zu den Straßenbauarbeiten annehmen, dass während der Straßenbauarbeiten kein Stadtbahnverkehr in dem von den Arbeiten betroffenen Abschnitt des R. S. stattfinden würde.

    Dass im R. S. eine Stadtbahnlinie verläuft, war der Klägerin bekannt. Es ergibt sich – was jedenfalls im Hinblick auf den Inhalt der von der Klägerin selbst vorgelegten Anlagen K 14 und K 18 anzunehmen ist – aus den Plänen der Ausschreibungsunterlagen. Zudem hat die Klägerin ihren Sitz in L., ist also ortsansässig. Insbesondere aber war der Klägerin das Vorhandensein und die Linienführung der Stadtbahn im R. S. aus den Ausschreibungsunterlagen zu den Entwässerungsarbeiten bekannt.

    Dass der Stadtbahnverkehr im LV zu den Straßenbauarbeiten überhaupt nicht thematisiert wird, erklärt sich daraus, dass die Straßenbauarbeiten den Gleiskörper, der in der Straßenmitte zwischen den zu erneuernden Richtungsfahrbahnen verläuft, nicht betrafen. Die Arbeiten beschränkten sich auf die Fahrbahnen und Nebenbereiche, die im LV konkret benannt werden (Parkstreifen, Gosse usw.), Arbeiten am Gleiskörper sollten nicht stattfinden.

    Demgegenüber war der Bereich des Gleiskörpers von den ausgeschriebenen Entwässerungsarbeiten betroffen, wie dem dortigen LV zu entnehmen ist. Eine Regelung in Bezug auf die Stadtbahn war daher hinsichtlich der Entwässerungsarbeiten erforderlich.

    Soweit die Klägerin meint, im LV zu den Straßenbauarbeiten sei der Anliegerverkehr geregelt, deshalb hätte auch der Stadtbahnverkehr thematisiert werden müssen, verfängt dies nicht. Denn während Bestimmungen betreffend die Anlieger, die zu ihren Häusern, Wohnungen und Geschäften in dem von den Arbeiten betroffenen Bereich gelangen können müssen, erforderlich waren, war Derartiges hinsichtlich des Stadtbahnverkehrs nicht notwendig. Denn ein Zugang zur Stadtbahn war im Bereich der Bauarbeiten nicht erforderlich, da in diesem Bereich des R. S., wie allgemein bekannt ist bzw. ohne Weiteres in Erfahrung gebracht werden kann, mithin offenkundig ist (§ 291 ZPO), keine Haltestelle liegt: die Haltestelle B.straße befindet sich südlich vor der Querstraße H.straße, die Haltestelle S.platz folgt nördlich nach der Querstraße P.straße.

    Ohne Erfolg macht die Klägerin weiter geltend, im Hinblick auf den Passus „Herstellen Fahrbahn unter Vollsperrung (analog Regelplan B I / 17 RSA 95)“ sei sie davon ausgegangen und habe auch davon ausgehen dürfen, dass der gesamte R. S. im von den Bauarbeiten betroffenen Bereich gesperrt werde. Hiergegen spricht zunächst, dass bereits nach dem Wortlaut der Regelung lediglich eine Vollsperrung der von den Arbeiten betroffenen Fahrbahn anzunehmen war. Der Gleiskörper gehörte, wie ausgeführt, nicht zu den von den Arbeiten betroffenen Bereichen. Auch wenn der Gleiskörper durch Pkw und Lkw mitgenutzt wird, ist er vom im LV verwendeten Begriff der Fahrbahn, die erneuert werden sollte („Herstellen Fahrbahn“) erkennbar nicht umfasst. Daneben ist der Klammerzusatz zu berücksichtigen: Der darin genannte Regelplan ist dem LV beigefügt. Ihm ist ohne Weiteres selbst für einen Laien zu entnehmen, dass eine Sperrung lediglich des bearbeiteten Teils der Straße erfolgen soll, und zwar in alle Richtungen und ohne z.B. Fußgängerübergänge oder Behelfsdurchfahrten, mithin vollständig. Dies erklärt auch die Verwendung des Begriffs „Vollsperrung“, mit dem eindeutig zum Ausdruck gebracht wird, dass es die beispielhaft genannten Unterbrechungen des Baustellenbereichs nicht gibt, vielmehr in diesem Bereich ohne derartige Beeinträchtigungen gearbeitet werden kann. Dass die beispielhafte Planskizze im von Arbeiten betroffenen Straßenbereich eine Behelfswegung für den Fahrzeugverkehr ausweist, führt im Übrigen zu keiner anderen Bewertung. Denn ersichtlich gehört dieser Straßenteil nicht zum Arbeitsbereich. Nur dieser ist den eingezeichneten Absperrungen umfasst. Neben der mit dem vorgenannten Inhalt eindeutigen Planskizze ist auch in der Legende von „Anfang und Ende der Arbeitsstelle“ die Rede, was ebenfalls verdeutlicht, dass es lediglich um eine vollständige Absperrung des von den Arbeiten betroffenen Bereichs der Straße geht.

    (2)    Selbst wenn entgegen der vorstehenden Erwägungen nicht angenommen würde, das LV zu den Straßenbauarbeiten sei für einen verständigen Bieter
    – jedenfalls in Zusammenschau mit dem LV zu den Entwässerungsarbeiten –eindeutig, wären die weiteren hier vorliegenden besonderen Umstände zu berücksichtigen: Die Maßnahmen „Straßenbau“ und „Entwässerung“ wurden im Paket ausgeschrieben, sie betrafen denselben Bereich des R. S. und sollten zur selben Zeit ausgeführt werden, und aufgrund der eindeutigen Angabe im LV zur Entwässerung war der Klägerin positiv bekannt, dass der Stadtbahnverkehr während der Ausführungszeit in Betrieb bleibt. Weshalb die Klägerin angesichts dessen annehmen könnte oder angenommen haben will, gleichwohl werde der Stadtbahnverkehr für die Straßenbauarbeiten eingestellt, erschließt sich nicht, selbst wenn, wie sie geltend macht, die Arbeiten betreffend die Entwässerung nur bestimmte punktuelle Stellen betroffen haben sollten. Die Klägerin müsste bewusst die Augen vor dem Umstand, dass der Stadtbahnverkehr aufrechterhalten bleibt, verschlossen haben. Maßgeblich ist jedoch eine objektive Sicht der Bieter (s.o.). Danach stand außer Zweifel, dass der Stadtbahnverkehr in Betrieb bleibt und lediglich der Arbeitsbereich vollständig abgesperrt werden wird.

    b)    Soweit die Klägerin erstmals in der Berufungsverhandlung geltend gemacht hat, es gehe nicht nur um die Aufrechterhaltung des Straßenbahnverkehrs, sondern um weitere Behinderungen, so bleibt dies ohne Erfolg.

    Insofern ist zunächst, wie bereits in der Berufungsverhandlung eingehend erörtert, festzuhalten, dass die Klägerin bis dahin ihre Mehrkostenforderung stets nur mit der Aufrechterhaltung des Stadtbahnverkehrs begründet hat. Weitere konkrete Behinderungen wurden nicht vorgetragen. Insofern ist insbesondere auf die Klagschrift, dort S. 6, die Schriftsätze vom 25.11.2015, dort S. 2 und 5, und vom 19.01.2016, dort S. 7 und 8, die Einspruchsbegründung vom 16.06.2016, dort S. 2, 7 und 9, die Berufungsbegründung vom 19.12.2018, dort S. 3 und 5, sowie vor allem auf die Anlagen K 40 bis K 42 (Behinderungsanzeigen und Mehrkostenanmeldungen) und K 11 und K 12 (Nachtragsangebote Nr. 4 und 7) zu verweisen. Auch ist in der mündlichen Verhandlung am 04.05.2016 vor dem Landgericht ausweislich des Protokolls (Bl. 101f. d. A.) lediglich der Straßenbahnverkehr hinsichtlich der Rüge der fehlenden Vollsperrung thematisiert worden. Die Kammer hatte in dem Zusammenhang auch darauf hingewiesen, dass der Vortrag zu Bauzeitverzögerungen unzureichend sei. Jedenfalls daraufhin hätte die Klägerin etwaige weitere / andere Behinderungen vortragen müssen. Stattdessen beließ sie es bei der – ohne Konkretisierung nichtssagenden – Rüge, eine Vollsperrung sei nicht erfolgt.

    Abgesehen davon, dass das mündliche Vorbringen in der Berufungsverhandlung zu weiterem aufrechterhaltenen Verkehr mangels Konkretisierung als unsubstantiiert anzusehen ist, worauf allerdings bei Entscheidungserheblichkeit hinzuweisen wäre, ist es im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen jedenfalls nach § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO im vorliegenden Berufungsverfahren nicht zuzulassen. Denn es handelt sich um neues Vorbringen, das aufgrund Nachlässigkeit der Klägerin in erster Instanz nicht geltend gemacht wurde. Es erschließt sich nicht, weshalb die Klägerin insoweit nicht bereits erstinstanzlich vorgetragen hat. Zumindest den o. g. Hinweis des Landgerichts in der mündlichen Verhandlung vom 04.05.2016 hätte die Klägerin zum Anlass nehmen müssen, etwaige weitere Gründe für die Mehrkostenforderung vorzutragen.

    Das neue Vorbringen ist schließlich auch nicht deshalb zu berücksichtigen, weil es unstreitig wäre (vgl. insofern Zöller, ZPO, 32. Auflage, § 531 Rn. 20 m. w. N.). Denn der Beklagtenvertreter ist dem Vorbringen der Klägerin in der Berufungsverhandlung entgegengetreten. Das neue Vorbringen ist also nicht unstreitig.

    c)    Im Ergebnis ist daher anzunehmen, dass die Klägerin entweder sich verkalkuliert oder die betr. Einheitspreise bewusst zu niedrig angesetzt hat, um den Zuschlag zu erhalten und ggf. nachträglich Mehrkosten geltend zu machen. In beiden Fällen ginge dies jedenfalls zu Lasten der Klägerin. Dass hier ausnahmsweise etwas anderes gelten müsste, trägt sie im Übrigen nicht vor.

    Ein Anspruch auf die geltend gemachte höhere Vergütung besteht nach alledem nicht. Auf die Beantwortung der weiteren Streitfragen kommt es daher im Übrigen nicht an.

    III.

    Da der Tenor des angefochtenen Urteils nicht die Vorgaben der §§ 343, 344, 709 S. 3 ZPO beachtet, hat der Senat – wie in der Berufungsverhandlung erörtert, ohne dass Einwände hiergegen erhoben wurden – den Tenor des landgerichtlichen Urteils zur Klarstellung entsprechend neu gefasst.

    IV.

    Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

    V.

    Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und der Senat nicht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes oder eines anderen Oberlandesgerichts abweicht, so dass auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543 ZPO.

    VI.

    Die Festsetzung des Streitwertes für das Berufungsverfahren beruht auf § 3 ZPO, § 47 Abs. 1 GKG.

    RechtsgebietBGBVorschriften§ 133 BGB, § 157 BGB