· Schmerzensgeld
Haftung des vermietenden Wohnungseigentümers bei Glatteisunfall des Mieters

von VRinLG Astrid Siegmund, Berlin
| Die (vertragliche) Pflicht des Vermieters, dem Mieter während der Mietzeit den Gebrauch der Mietsache zu gewähren (§ 535 Abs. 1 S. 1 BGB), erstreckt sich auch auf den Zugang zur dieser. Sie schließt die Pflicht ein, die auf dem Grundstück der vermieteten Wohnung befindlichen Wege in den Wintermonaten zu räumen und zu streuen. Geklärt ist, dass der Vermieter diese (Verkehrssicherungs-)Pflicht delegieren darf. Der BGH musste nun entscheiden, wer wie ‒ (nur) deliktisch oder vertraglich ‒ haftet, wenn der Vermieter nicht Alleineigentümer der Immobilie, sondern Wohnungseigentümer ist und der von der Gemeinschaft beauftragte Dritte die Räum- und Streupflicht unzureichend erfüllt, wodurch dem Mieterein (Unfall-)Schaden entsteht. |
Sachverhalt
Die Klägerin ist Mieterin einer Eigentumswohnung der Beklagten in einem Mehrfamilienhaus. Für die Gehwege auf dem Grundstück nimmt die Streithelferin der Beklagten, die G. mbH, im Auftrag der Eigentümergemeinschaft den Winterdienst wahr. Im Mietvertrag ist bestimmt, dass die Klägerin die Betriebskosten u. a. für Schneebeseitigung und Streuen bei Glatteis nach dem „Eigentumsanteil“ tragen muss. Zudem sieht dieser vor: „Der […] Mieter bzw. Nutzer hat auch die Zugangswege vor dem Haus und den Gehweg zu reinigen, dort Schnee und Eis zu beseitigen und bei Glätte zu streuen. Im Übrigen sind die ortspolizeilichen Vorschriften zu beachten. […] Der Mieter ist zur Vornahme dieser Arbeiten nur insoweit verpflichtet, als diese nicht anderweitig vorgenommen und die Kosten nicht über die Betriebskostenumlage abgerechnet werden.“
Die Klägerin stürzte am 30.1.17, einem Montag, beim Verlassen des Hauses gegen 7.30 Uhr auf dem zum Haus führenden Weg, der sich auf dem im gemeinschaftlichen Eigentum der Eigentümer stehenden Grundstück befindet. Dieser Weg sei nicht von Glatteis befreit gewesen, obwohl zuvor Wettervorhersagen Glatteis angekündigt hätten. Bei dem Sturz habe sich die Klägerin schwerwiegend verletzt, über einen langen Zeitraum Schmerzen erlitten und sich langwierigen Folgebehandlungen unterziehen müssen. Die Klägerin macht geltend, die Beklagte sei ihrer Räum- und Streupflicht nicht nachgekommen. Das AG hat der Klage nach einer Beweisaufnahme bezüglich des Antrags auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgelds von 12.000 EUR nebst Zinsen und Erstattung außergerichtlicher Anwaltskosten stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das LG die Klage abgewiesen. Die zugelassene Revision der Klägerin hatte Erfolg (BGH 6.8.25, VIII ZR 250/23, Abruf-Nr. 250752).
Entscheidungsgründe
Aus Sicht des BGH kommt ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes jedenfalls wegen einer Verletzung von Nebenpflichten aus dem Mietvertrag in Gestalt der Räum- und Streupflichten in Betracht (§ 280 Abs. 1, § 535 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 253 Abs. 1, 2, § 278 S. 1 Alt. 2 BGB).
Verkehrssicherungspflicht als Teil der Erhaltungspflicht des Vermieters
Der Vermieter ist aus dem Mietvertrag heraus verpflichtet, dem Mieter während der Mietzeit den Gebrauch der Mietsache und damit auch den Zugang zur dieser zu gewähren (BGH 15.6.88, VIII ZR 183/87, NJW-RR 89, 76; 15.10.08, VIII ZR 321/07, NJW 09, 143; 21.2.18, VIII ZR 255/16, WuM 18, 639). Er hat daher in seinem Einflussbereich die erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um Störungen des Gebrauchs der Mietsache, insbesondere auch Gefahren für den Mieter sowie der in den Schutzbereich des Mietvertrags einbezogenen Personen zu verhindern und abzuwenden. Die Erhaltungspflicht (§ 535 Abs. 1 S. 2 BGB) erstreckt sich dabei auch auf die nicht ausdrücklich mitvermieteten Hausteile wie Zugänge und Treppen, insbesondere darauf, dass sich diese Räume und Flächen in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten, verkehrssicheren Zustand befinden (BGH 19.10.66, VIII ZR 93/64, NJW 67, 154; 15.10.08, VIII ZR 321/07, a. a. O.; 21.2.18, VIII ZR 255/16, a. a. O.). Damit einher geht die Pflicht des Vermieters, die auf dem Grundstück der vermieteten Wohnung befindlichen Wege, vor allem vom Hauseingang bis zum öffentlichen Straßenraum, in den Wintermonaten zu räumen und zu streuen.
Beachten Sie | Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt auch, wenn der Vermieter nicht (Allein-)Eigentümer des Grundstücks, sondern ‒ wie hier ‒ Mitglied einer Wohnungseigentümergemeinschaft ist. Die (miet-)vertraglichen Pflichten des Vermieters folgen nicht aus den Eigentumsverhältnissen, sondern aus seiner Stellung als Partei des Mietvertrags.
Keine (klare) abweichende vertragliche Vereinbarung
Eine abweichende vertragliche Vereinbarung kann der BGH nicht feststellen. Der Mietvertrag lasse nicht eindeutig erkennen, dass bzw. unter welchen Voraussetzungen die Klägerin eine Räum- und Streupflicht treffen soll. Eine Verlagerung der Räum- und Streupflicht auf den Mieter ist zwar grundsätzlich vorgesehen. Nach dem weiteren Inhalt der Regelung ist er zur Vornahme dieser Arbeiten jedoch nicht verpflichtet, wenn sie ‒ wie hier ‒ „anderweitig vorgenommen“ und die Kosten über die Betriebskostenumlage abgerechnet werden. Der Winterdienst ist hier von der Eigentümergemeinschaft auf die Streithelferin übertragen worden. Dass der Mieter in einem solchen Fall dennoch rechtlich zur Vornahme verpflichtet bleiben soll, es sich tatsächlich also nur um eine Entlastung von dem ihm obliegenden Winterdienst handeln soll, ergebe sich nicht mit der gebotenen Deutlichkeit. Ebenso wenig deutlich werde, dass der Vermieter in diesem Fall von der ihm obliegenden Räum- und Streupflicht vollständig entbunden sein und der Mieter allein auf Ansprüche gegen Dritte, hier die ‒ in der Bestimmung noch nicht einmal erwähnte ‒ Eigentümergemeinschaft oder die Streithelferin verwiesen werden sollte.
In dem Umstand, dass im Mietvertrag an anderer Stelle vorgesehen ist, dass die Klägerin die Betriebskosten für die Schneebeseitigung und das Streuen bei Glatteis nach dem „Eigentumsanteil“ tragen muss, sieht der BGH ein zusätzliches Indiz, das gegen das Vorliegen einer Pflichtenübertragung auf den Mieter und gegen einen Haftungsausschluss spricht.
Beachten Sie | Nicht in Frage steht, dass die Beklagte sich zur Erfüllung der sie treffenden vertraglichen Nebenpflichten aus dem Mietvertrag der Streithelferin als Erfüllungsgehilfin bedienen konnte. Für deren Verschulden muss sie jedoch nach § 278 S. 1 Alt. 2 BGB wie für eigenes Verschulden rechtlich einstehen.
Deliktsrechtliche und vertragliche Verkehrssicherungspflicht
Für die allgemeine (deliktsrechtliche) Verkehrssicherungspflicht ist anerkannt, dass der Verkehrssicherungspflichtige diese nicht persönlich erfüllen muss, sondern sie grundsätzlich delegieren kann. Erforderlich hierfür ist eine klare Absprache, die eine Ausschaltung von Gefahren sicherstellt. In diesem Fall verengt sich die Verkehrssicherungspflicht des ursprünglich allein Verantwortlichen auf eine Kontroll- und Überwachungspflicht, die sich darauf erstreckt, ob der Dritte die übernommenen Sicherungspflichten auch tatsächlich ausgeführt hat (so schon BGH 4.6.96, VI ZR 75/95, NJW 96, 2646).
Auch dem Vermieter von Wohnraum steht es nach einhelliger Auffassung offen, einen Dritten mit der Wahrnehmung von Verkehrssicherungspflichten, insbesondere mit der Durchführung des Winterdienstes zu beauftragen. Dabei ist auch anerkannt, dass die vertraglichen Schutzpflichten des Vermieters inhaltlich den allgemeinen (deliktischen) Verkehrssicherungspflichten entsprechen, soweit sie darauf abzielen, eine Verletzung des Geschädigten zu vermeiden und dadurch sein Integritätsinteresse zu erhalten.
Beachten Sie | Der BGH stellt klar: Damit sind nur die Grundsätze gemeint, die die Rechtsprechung zum Umfang und Inhalt der Verkehrssicherungspflichten entwickelt hat. Der Vermieter wird dadurch hingegen nicht aus seiner (vertraglichen) Haftung entlassen. Auch Art und Umfang seines Pflichtenprogramms ändern sich nicht; es wird insbesondere nicht auf ein bloßes Auswahl- und Überwachungsverschulden beschränkt. Wird der Dritte bei der Erfüllung der mietvertraglichen Erhaltungspflicht tätig, haftet der Vermieter für dessen Verschulden deshalb umfassend nach § 278 S. 1 Alt. 2 BGB (BGH 22.12.64, VI ZR 212/63, VersR 65, 364; 12.12.12, XII ZR 6/12, NJW-RR 13, 333; Börstinghaus/Siegmund/Siegmund, Miete, 8. Aufl., § 535 BGB Rn. 315; MüKo/Grundmann, BGB, 9. Aufl., § 278 Rn. 32; Erman/Lützenkirchen/Selk, BGB, 17. Aufl., § 535 Rn. 188).
Nach § 278 S. 1 Alt. 2 BGB muss der Schuldner ein Verschulden der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, in gleichem Umfang vertreten wie eigenes Verschulden (wird ausgeführt). Diese Grundsätze gelten auch im Wohnraummietrecht. Denn anders als ein außenstehender Dritter, der mit den Gefahren in Kontakt kommt, vor dem ihn die allgemeine (deliktische) Verkehrssicherungspflicht schützen will, hat sich der Mieter den Vermieter als seinen Vertragspartner ausgesucht und darf daher auch berechtigterweise darauf vertrauen, dass dieser ihm für die Verletzung der Pflichten aus dem Mietvertrag haftet. Zudem hat der Mieter im Regelfall auf die Auswahl des Dritten, derer sich der Vermieter zur Erfüllung seiner (Schutz-)Pflichten aus dem Mietvertrag bedient, keinen Einfluss.
Die (nur deliktische) Haftung der Eigentümergemeinschaft bietet dem Mieter keinen gleichwertigen Schutz. Sie wäre auf ein Auswahl- und Kontrollverschulden beschränkt. Außerdem käme dem Mieter nicht die Vermutung des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB zugute, die der Vermieter bei einer Inanspruchnahme durch den Mieter entkräften muss, um einer Haftung zu entgehen. Überdies würde der Mieter das Insolvenzrisiko eines von ihm nicht als Vertragspartner ausgewählten Dritten tragen. Aus den Vorschriften des WEG kann sich nichts anderes ergeben, denn sie beziehen sich auf die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümergemeinschaft, regeln hingegen nicht das Verhältnis der Mietvertragsparteien.
Nach diesen Grundsätzen kann ‒ so der BGH ‒ ein Schmerzensgeldanspruch der Klägerin gegen die Beklagte aus § 280 Abs. 1, § 535 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 253 Abs. 1, 2, § 278 S. 1 Alt. 2 BGB bejaht werden.
Nach dem revisionsrechtlich zu unterstellenden Vorbringen der Klägerin bestand zurzeit des Unfalls nach der Straßen- und Wetterlage eine konkrete Gefahrenlage durch Glättebildung, die durch Erfüllung der Räum- und Streupflicht hätte beseitigt werden können (zu vergleichbaren Fällen BGH 27.11.84, VI ZR 49/83, NJW 85, 484; 26.2.09, III ZR 225/08, NJW 09, 3302; 12.6.12, VI ZR 138/11, NJW 12, 2727; 14.2.17, VI ZR 254/16, NJW-RR 17, 858; Börstinghaus/Siegmund/Siegmund, a. a. O., Rn. 314). Die Klägerin ist nach ihrem Vortrag infolge der Glätte auf einem zum Grundstück gehörenden Weg vom Haus zur Straße gestürzt und hat sich hierbei erhebliche Verletzungen zugezogen, die eine längere Heilbehandlung erforderlich machten.
Die Voraussetzungen für eine Haftungszurechnung nach § 278 S. 1 Alt. 2 BGB liegen vor. Da die Streithelferin als Erfüllungsgehilfin für die Beklagte tätig geworden ist, steht deren unternehmerische Selbstständigkeit der Haftungszurechnung nicht entgegen (st. Rspr.; BGH 30.3.88, I ZR 40/86; 23.9.10, III ZR 246/09, BGHZ 187, 86; 4.5.17, I ZR 208/15, NJW 18, 155 Rn. 20). Der BGH hat auch keinen Zweifel, dass die Streithelferin mit Willen der Beklagten tätig geworden ist. Zwar hat die Eigentümergemeinschaft die Streithelferin beauftragt. Die Beklagte ist jedoch Mitglied der Eigentümergemeinschaft und hat der Klägerin ‒ wie die Regelung im Mietvertrag zeigt ‒ die von der Streithelferin berechneten Kosten über die jährliche Betriebskostenabrechnung in Rechnung gestellt.
Der BGH bejaht auch die Voraussetzungen des § 280 Abs. 1 S. 1 und 2 BGB. Die Beklagte traf die (miet-)vertragliche Nebenpflicht, den Weg von dem Haus zur Straße zu räumen und zu streuen. Diese beschränkte sich nicht auf eine bloße Mitwirkung an der Überwachung und Kontrolle der Streithelferin. Die Beklagte musste nach § 280 Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 278 S. 1 Alt. 2 BGB vielmehr das Verschulden der Streithelferin als ihrer Erfüllungsgehilfin bei der Wahrnehmung der Räum- und Streupflicht in gleichem Umfang vertreten wie eigenes Verschulden. Ob die Beklagte daneben (auch) in ihrer Eigenschaft als Mitglied der Wohnungseigentümergemeinschaft deliktisch haftet, lässt der BGH (weiterhin) offen (so schon BGH 13.12.19, V ZR 43/19, NJW 20, 1798).
Relevanz für die Praxis
Die Entscheidung verdient bereits Beachtung, weil sie den Stand der BGH-Rechtsprechung zur ‒ deliktischen und vertraglichen ‒ Haftung wegen der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten umfassend darstellt. Der Senat leitet den hier bestehenden ‒„stärkeren“ ‒ vertraglichen Schadenersatzanspruch folgerichtig und überzeugend aus den von niemandem in Frage gestellten, über Jahrzehnte von der BGH-Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen ab.
Praxisrelevant sind mögliche Schlussfolgerungen für die Vertragsgestaltung. Unabhängig davon, dass ‒ auch bei Formularverträgen ‒ stets darauf zu achten ist, dass die Parteipflichten klar geregelt werden, zeigt die Entscheidung, dass die Übertragung von Hauptleistungspflichten auf den Mieter besonderer Sorgfalt bedarf, insbesondere dann, wenn dem Mieter für deren ‒ alternativ mögliche ‒ Übertragung auf Dritte Kosten in Rechnung gestellt werden.