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  • · Fachbeitrag · Ordentliche Kündigung

    BGH stellt hohe Anforderungen an den Entlastungsbeweis des Mieters

    von RiOLG Günther Geldmacher, Düsseldorf

    | Gleicht der Mieter den kündigungsrechtfertigenden Mietrückstand inner-halb der Schonfrist (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 BGB) aus, ist hinsichtlich der Rechtsfolgen zwischen der fristlosen Kündigung nach § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB und der in der Regel zeitgleich hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung nach § 573 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB zu differenzieren. Der BGH zeigt, welche Grundsätze insoweit anzuwenden sind. |

     

    Sachverhalt

    Der Beklagte ist seit 95 Mieter zweier Wohnungen der Klägerin. Von 5 bis 7/14 leistete er nur Teilzahlungen. Es lief ein Rückstand von 2.642 EUR auf. Für die Monate 8 bis 10/14 zahlte er keine Miete. Die Klägerin kündigte beide Mietverhältnisse am 21.10.14 unter Hinweis auf den seit 5/14 aufgelaufenen Gesamtmietrückstand (EG-Wohnung 3.191 EUR; DG-Wohnung 2.940 EUR) außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31.7.15. Die Räumungs- und Zahlungsklage wurde dem Beklagten am 20.11.14 zugestellt. Dieser beglich neben den laufenden Mieten die Rückstände für die DG-Wohnung am 26.11.14 und für die EG-Wohnung am 12.1.15.

     

     

    Der Beklagte hat vorgetragen, er sei unverschuldet aufgrund einer Zwistigkeit mit dem Finanzamt in eine schwierige Liquiditätssituation geraten, da das Finanzamt eine bei weitem übersetzte Steuerschätzung gegen ihn festgesetzt und eingetrieben habe. Am 10.9.13 sei eine unvorhergesehene Schätzung auf der Grundlage eines Betriebsgewinns von 50.000 EUR festgesetzt worden, die mit korrigiertem Bescheid vom 7.4.14 reduziert worden sei und eine Zahllast von lediglich 810 EUR ergeben habe. Zudem habe es in dem Zeitraum unkorrekte Veranlagungen bezüglich der Gewerbesteuer gegeben.

     

    Die Vorinstanzen haben den Beklagten zur Räumung verurteilt. Der BGH (20.7.16, VIII ZR 238/15, Abruf-Nr. 189914) weist die Revision zurück.

     

    Relevanz für die Praxis

    Der VIII. Senat hält daran fest, dass die Zahlung innerhalb der Schonfrist nur die fristlose Kündigung unwirksam macht. Eine auf den zum Kündigungszeitpunkt bestehenden Mietverzug gestützte ordentliche Kündigung nach § 573 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB bleibt von der Schonfristregelung unberührt (BGH MK 16, 78, Abruf-Nr. 184524; NJW 15, 2650; MK 05, 74, Abruf-Nr. 050788).

     

    Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen. Begründung: Die Rechtsfrage, unter welchen Umständen ein vollständiger Ausgleich der Mietrückstände einer wirksamen ordentlichen Kündigung entgegenstehen kann, sei klärungsbedürftig. Der BGH lehnt es erneut ab, hinsichtlich der Bedeutung und Gewichtung eines nachträglichen Zahlungsausgleichs verallgemeinernde und systematisierende Grundsätze aufzustellen.

     

    Grund: Die Frage, ob ein berechtigtes Interesse i. S. v. § 573 Abs. 1 S. 1 BGB vorliegt, kann nur beantwortet werden, wenn man die Umstände des Einzelfalls umfassend heranzieht. Hierzu muss der Tatrichter alle für die jeweilige Beurteilung maßgeblichen Gesichtspunkte bewerten und gewichten.

     

    Beachten Sie | Dass der Beklagte mit den über mehrere Monate jeweils nahezu in Höhe einer Halbjahresmiete aufgelaufenen Mietrückständen seine Mietzahlungspflichten weit mehr als nur unerheblich verletzt hat (hierzu BGH MK 13, 23, Abruf-Nr. 123567), steht für den BGH außer Frage. Während der Mieter im Anwendungsbereich des § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB aber für seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einstehen muss, kann er sich im Rahmen des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB auf unvorhersehbare wirtschaftliche Engpässe berufen (BGH MK 16, 154, Abruf-Nr. 186141).

     

    Die ihn insoweit entlastenden Umstände sind allerdings nicht von Amts wegen zu ermitteln. Vielmehr muss der Mieter nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB analog im Einzelnen darlegen und beweisen, dass er die kündigungsrelevante Nichtzahlung der vertraglich geschuldeten Miete aufgrund des Eintritts einer unvorhersehbaren wirtschaftlichen Notlage mangels Verschulden nicht zu vertreten hatte (Bestätigung von BGH MK 16, 154).

     

    PRAXISHINWEIS | Mieterberater sollten darauf achten, dass sich die zur Führung des Entlastungsbeweises erforderlichen Darlegungen auf sämtliche Umstände beziehen müssen, die für einen behaupteten Ausschluss der Leistungsfähigkeit von Bedeutung sein können. Hierzu gehört es - in einem Fall wie hier - aus Sicht des BGH auch, die sonstigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Schuldners vorzutragen.

     

    Diesen Anforderungen wird der Vortrag des Beklagten nicht gerecht. Er hat - wie aus dem Sachverhalt ersichtlich - versucht, sein fehlendes Verschulden mit einem Fehlverhalten des Finanzamts zu entschuldigen. Das Berufungsgericht hat dies mit Recht nicht ausreichen lassen. Grund: Der Beklagte hat im Einzelnen nicht vorgetragen, wie hoch letztlich die Zahllast nach der übersetzten Steuerschätzung tatsächlich gewesen ist und warum es nicht etwa zu einer Stundungsvereinbarung mit dem Finanzamt gekommen ist.

     

    Auch ist unklar geblieben, aus welchen Gründen das Finanzamt eine bei weitem übersetzte Steuerschätzung gegen den Beklagten über einen Zeitraum von einem halben Jahr festgesetzt und eingetrieben hat. Zudem ist der Betriebsgewinn laut Vortrag des Beklagten mit korrigiertem Bescheid vom 7.4.14 wieder reduziert worden. Warum der Beklagte die Mietrückstände nicht unmittelbar danach ausgeglichen hat, ist offengeblieben. Zudem hat der Beklagte nicht hinreichend zu einer wirtschaftlichen Notlage und seiner finanziellen Situation insgesamt vorgetragen. Seine Einkünfte hat er nicht dargelegt. Dies wäre jedoch für die Beurteilung des Vorliegens einer wirtschaftlichen Notlage erforderlich gewesen.

     

    Auch die nachträgliche Rückführung der Mietrückstände musste das Berufungsgericht nicht veranlassen, die bis dahin bestehenden Pflichtverletzungen in „einem milderen Licht“ zu sehen und das Vorliegen eines berechtigten Kündigungsinteresses der Klägerin zu verneinen oder das Vorgehen der Klägerin als rechtsmissbräuchlich einzustufen. Die Begründung des Berufungsgerichts lässt - so der BGH - Rechtsfehler nicht erkennen. So begründet das Berufungsgericht seine Auffassung:

     

    • Begründung des Berufungsgerichts

    Der Beklagte hat die rückständige Miete für die DG-Wohnung erst ungefähr einen Monat nach dem Ausspruch der Kündigung ausgeglichen. Zwar erfolgte der Ausgleich damit anders als in der Entscheidung des BGH vom 10.10.12 - in der eine nachträgliche Zahlung nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung führte - nicht erst fast neun Monate nach der Kündigung. Abweichend von der Entscheidung des BGH lag hier aber nicht nur ein Mietrückstand von etwas mehr als zwei Monatsmieten, sondern ein aufgelaufener Mietrückstand von fünf Monatsmieten vor. Gerade vor dem Hintergrund, dass die Mietrückstände im Verhältnis zu den monatlichen Mieten infolge des langen Mietausfalls sehr hoch waren, stellen die erfolgten Zahlungen das Verhalten des Beklagten nicht „in ein milderes Licht“.

     

    Es war zwar auch zu berücksichtigen, dass das Mietverhältnis seit 95 und somit über einen sehr langen Zeitraum bestand. Jedoch musste in die Betrachtung auch mit einbezogen werden, dass der Beklagte bereits in 13 mit Mietzahlungen und Nebenkostennachzahlungen in Rückstand geraten ist, er sich also im Hinblick auf seine Zahlungsverpflichtungen nicht stets vertragstreu verhalten hat. Das Interesse der Klägerin an der Vertragsbeendigung konnte daher nicht als gering bewertet werden. Angesichts dieser Umstände stand der Wirksamkeit der Kündigung auch in Anbetracht des sehr lange bestehenden Mietverhältnisses die nachträgliche Zahlung nicht entgegen.

     

    Die rückständige Miete für die EG-Wohnung hat der Beklagte ungefähr zweieinhalb Monate nach der Kündigung am 21.10.14, aber noch innerhalb der Schonfrist des § 569 BGB vollständig ausgeglichen. Da hier sogar Mietrückstände in Höhe von fünfeinhalb Monatsmieten angelaufen sind und ein Zahlungsausgleich erst über zwei Monate nach der ausgesprochenen Kündigung erfolgte, kann bezüglich der EG-Wohnung nichts anderes gelten als bezüglich der DG-Wohnung. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass das Mietverhältnis betreffend die EG-Wohnung durch die Eltern des Beklagten bereits im Jahre 69 begründet wurde und der Beklagte in der Liegenschaft seinen Lebensmittelpunkt seit diesem Zeitpunkt hatte. Denn auch hier ist die „Zerrüttung“ des Mietverhältnisses infolge der hohen Mietrückstände anzunehmen.

     
    Quelle: Ausgabe 12 / 2016 | Seite 204 | ID 44375680