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  • · Fachbeitrag · Klage auf künftige Leistung

    Widerspruch des Mieters gegen die Kündigung wegen drohender Obdachlosigkeit

    von VRinLG Astrid Siegmund, Berlin

    | Vor allem im Zusammenhang mit einer ordentlichen Kündigung (etwa wegen Eigenbedarf), der der Mieter nach §§ 574 ff. BGB wegen unzumutbarer Härte widersprechen kann, hat der Vermieter ein Interesse daran, schnell Gewissheit über das Vertragsende zu erlangen. Der BGH hat jetzt geklärt, ob und wann der Vermieter vor Ablauf der Kündigungsfrist über eine Klage auf künftige Räumung nach § 259 ZPO eine Entscheidung erreichen kann. |

     

    Sachverhalt

    Die Parteien streiten nach übereinstimmender Erledigungserklärung um die Kosten eines Räumungsrechtsstreits. Mit Schreiben vom 23.6.20 kündigten die Kläger das Mietverhältnis wegen Eigenbedarf zum 31.3.21. Der beklagte Mieter widersprach der Kündigung mit Schreiben vom 29.1.21. Er teilte mit, dass er seit Erhalt der Kündigung auf Wohnungssuche sei, eine Ersatzwohnung jedoch noch nicht gefunden habe. Sollte sich hieran etwas ändern, werde er dies mitteilen. Zum jetzigen Zeitpunkt wäre er hingegen mit Ablauf des 31.3.21 obdachlos, sodass eine Härte i. S. d. § 574 Abs. 2 BGB vorliege.

    Am 22.2.21 ging die Klage auf Räumung und Herausgabe der Wohnung „spätestens am 31.3.21“ beim AG ein; sie wurde dem Beklagten am 16.3.21 zugestellt. Am 30.3.21 zeigte der Beklagte seine Verteidigungsbereitschaft an und teilte zugleich mit, dass er zwischenzeitlich eine geeignete Wohnung gefunden habe und die Parteien deshalb eine Rückgabe der Wohnung für den 31.3.21 vereinbart hätten, die so auch stattfand. Die Parteien haben daraufhin den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt und widerstreitende Kostenanträge gestellt. Die zweite Erledigungserklärung ging am 13.4.21 bei Gericht ein. Das AG hat dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt, das LG den Klägern. Die von den Klägern eingelegte Rechtsbeschwerde führte zur Aufhebung und Zurückverweisung (BGH 25.10.22, VIII ZB 58/21, Abruf-Nr. 232607).

     

    Entscheidungsgründe

    Der BGH beanstandet, dass das LG bei der Billigkeitsentscheidung nach § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO von einem falschen rechtlichen Maßstab ausgegangen sei. Das LG hatte der Prüfung der Erfolgsaussichten der Räumungsklage den Zeitpunkt vor Eintritt des erledigenden Ereignisses ‒ also vor Rückgabe der Wohnung am 31.3.21 ‒ zugrunde gelegt. Vor Ablauf der Frist sei der Räumungsanspruch nicht fällig gewesen; auf § 259 ZPO könnten die Kläger sich nicht berufen.

     

    Der BGH lässt offen, ob für die Beurteilung der bisherigen Sach- und Rechtslage (§ 91a Abs. 1 S. 1 ZPO) auf den Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses abzustellen ist (so die BGH-Rechtsprechung) oder den der Zustimmung des Prozessgegners (so Teile der Literatur). In beiden Fällen wäre hier die Zulässigkeit der Klage zu bejahen.

     

    Im Zeitpunkt der Abgabe der zweiten Erledigungserklärung wäre der Räumungsanspruch bereits fällig gewesen, sodass die ursprünglich nach § 259 ZPO erhobene Klage nicht mehr auf eine künftige Leistung gerichtet, sondern als allgemeine Leistungsklage statthaft wäre (BGH 4.5.05, VIII ZR 5/04). Auf die Voraussetzungen des § 259 ZPO käme es nicht mehr an.

     

    Ist der Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses maßgeblich, wäre die Klage auf künftige Leistung gerichtet gewesen (§ 259 ZPO). Für die Besorgnis der nicht rechtzeitigen Leistung des Schuldners i. S. d. § 259 ZPO gelte ‒ anders als das LG meine ‒ kein von anderen Fallgestaltungen abweichender Maßstab, wenn es sich beim Schuldner um einen Wohnraummieter handelt, der unter Hinweis auf die bislang erfolglose Suche nach Ersatzwohnraum den weiteren Verbleib in der Wohnung auch für die Zeit nach dem Ende des Mietverhältnisses ankündigt.

     

    MERKE | Nach § 259 ZPO kann Klage auf künftige Leistung ‒ außer in den Fällen der §§ 257, 258 ZPO ‒ erhoben werden, wenn den Umständen nach die Besorgnis gerechtfertigt ist, dass der Schuldner sich der rechtzeitigen Leistung entziehen werde. Der BGH folgt dem LG, dass bezüglich der die Besorgnis rechtfertigenden Umstände (allein) auf das Widerspruchsschreiben des Beklagten vom 29.1.21 abzustellen ist, die einzige Äußerung des Beklagten zur Kündigung.

     

    Beachten Sie | Nach § 574 BGB kann der Mieter beim Vorliegen von Härtegründen der Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen. Nach § 574b Abs. 2 BGB kann der Vermieter dies jedoch ablehnen, wenn der Mieter ihm den Widerspruch nicht spätestens zwei Monate vor Ende des Mietverhältnisses erklärt hat. Eben diese Frist hat der Beklagte hier (knapp) eingehalten. Hätte er den Widerspruch nicht bis Ende 1/21 erklärt, hätte er den Verlust eines etwaigen Anspruchs auf Fortsetzung des Mietverhältnisses riskiert.

     

    Der Umstand, dass der Beklagte die Wirksamkeit der Kündigung nicht angezweifelt, sondern mit dem Widerspruch „nur“ auf das tatsächliche Problem der erfolglosen Wohnungssuche verwiesen hat, trägt ‒ so der BGH ‒ nicht die Annahme, er habe sich seiner Pflicht zur Räumung und Herausgabe nicht entziehen wollen. Für § 259 ZPO sei ausreichend, dass der Beklagte mit dem Widerspruchsschreiben eindeutig zu erkennen gegeben hat, dass er gegenwärtig und bei unverändert bleibender Situation ‒ der weiteren Erfolglosigkeit seiner Wohnungssuche ‒ auch im Zeitpunkt der Beendigung des Mietverhältnisses nicht zu einem Auszug aus der Wohnung bereit ist.

     

    Beachten Sie | Der BGH erkennt an, dass das LG sich mit seiner Auslegung des § 259 ZPO bei Klagen auf künftige Räumung von Wohnraum im Einklang mit der Instanzrechtsprechung und weiten Teilen der Literatur befindet. Die Voraussetzungen des § 259 ZPO sind danach nur gegeben, wenn der Mieter durch ein ernstliches Bestreiten des Kündigungsgrundes eindeutig zu erkennen gibt, dass er zu einer fristgerechten Räumung nicht gewillt sei. Es genüge für die Annahme einer Besorgnis i. S. d. Vorschrift nicht, wenn der Mieter den Vermieter ‒ durch Widerspruch gegen die Kündigung oder auf andere Weise ‒ auf Schwierigkeiten bei der Suche nach Ersatzwohnraum hinweise.

     

    MERKE | Eine solche, die Klagemöglichkeit des Vermieters von Wohnraum einschränkende Auslegung des § 259 ZPO lehnt der BGH ab. Auch in den Fällen des Widerspruchs eines Wohnraummieters gegen die Kündigung (§§ 574 ff. BGB) komme es darauf an, ob der Vermieter aufgrund der Erklärung oder des sonstigen Verhaltens des Mieters davon ausgehen muss, dieser werde zu einer Räumung und Herausgabe der Mieträume im Zeitpunkt der (vom Vermieter geltend gemachten) Beendigung des Mietverhältnisses nicht bereit sein. Das nach dem Wortlaut des § 259 ZPO erforderliche „Sich-Entziehen“ des Schuldners hinsichtlich seiner Leistungspflicht sei auch gegeben, wenn der Mieter wie hier deutlich gemacht habe, er werde mangels Ersatzwohnraum über den Zeitpunkt der Beendigung des Mietverhältnisses hinaus in der Wohnung bleiben. Ein das zukünftige Verhalten des Schuldners bewertendes Element sei mit der Formulierung des „Sich-Entziehens“ hingegen nicht verbunden. § 259 ZPO verlange keine Böswilligkeit des Schuldners im Sinne eines Erschwerens oder Hintertreibens der Befriedigung des Gläubigers. Unerheblich sei auch, ob der Mieter davon ausgehen durfte, zu dem angekündigten Verhalten berechtigt zu sein.

     

    Der BGH überprüft sein Verständnis des § 259 ZPO für die vorliegende Fallkonstellation am Regelungszweck der Vorschrift. Der historische Gesetzgeber habe mit den §§ 231a bis c ZPO (heute: §§ 257 bis 259 ZPO) nicht eine gegen die Erfüllung des (künftigen) Anspruchs gerichtete Motivlage beim Schuldner sanktionieren wollen. Er habe vielmehr das praktische Bedürfnis erkannt, Gläubigern in bestimmten Fällen die Wahrnehmung ihrer Rechte so zeitig zu ermöglichen, dass sie schon bei Eintritt der Fälligkeit des Anspruchs über ein die Zwangsvollstreckung gestattendes Urteil verfügen und mit der Vollstreckung beginnen können. Ein solches Bedürfnis des Gläubigers für die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs bereits vor Fälligkeit bestand aus Sicht des historischen Gesetzgebers insbesondere im Fall einer Kündigung des Mietverhältnisses durch den Vermieter. Grund war der damit erfahrungsgemäß auftretende Streit mit dem Mieter über die behauptete Fälligkeit des Räumungsanspruchs und die mit einer daraus folgenden Verzögerung verbundene Gefahr für die Interessen des Vermieters.

     

    Mit der späteren Herausnahme der Klage auf künftige Räumung von Wohnraum aus dem Anwendungsbereich des § 257 ZPO habe der Gesetzgeber (nur) erreichen wollen, dass es für die Zulässigkeit einer solchen Klage nicht mehr ausreicht, dass der Räumungsanspruch des Vermieters an den Eintritt des für die Fälligkeit bestimmten Kalendertags geknüpft ist. Vielmehr müssen stets auch die besonderen Anforderungen des § 259 ZPO vorliegen (BT-Drucksache IV/806, S. 7, 12). Aus Sicht des Gesetzgebers war mit dieser Änderung dem Grundgedanken des sozialen Mietrechts gerade bei Kündigungen eines unbefristeten Mietverhältnisses durch den Vermieter ausreichend Rechnung getragen (BT-Drucksache IV/806, S. 12). Dafür, dass es nun auf die vom Mieter gegen die (künftige) Fälligkeit der Räumungsverpflichtung angeführten Gründe ankommen sollte, gebe es keinen Anhaltspunkt.

     

    Eine Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 259 ZPO sei auch nicht ‒ so der BGH ‒ zum Schutz des Mieters geboten. Im Fall der ordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses sei der Mieter bis zum Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfrist in seinem Besitz an den Mieträumen geschützt. Die Kündigungsfristen seien zugunsten des Mieters Mindestfristen; sie sollen ihm ausreichend Zeit lassen, eine andere Wohnung zu finden (BT-Drucksache IV/806, S. 7). Diese Rechtsposition werde durch eine bereits zuvor ausgesprochene Verurteilung zur Räumung nicht berührt.

     

    Auch das Widerspruchsrecht und der Fortsetzungsanspruch des Mieters nach §§ 574 ff. BGB werde durch eine vor Fälligkeit erhobene Räumungsklage des Vermieters nicht tangiert. Es werde vor allem kein unzulässiger Zwang mit Blick auf die Entscheidung darüber ausgeübt, ob er der Kündigung widerspricht oder diese akzeptiert. Habe der Vermieter Räumungsklage ohne Vorliegen der besonderen Voraussetzungen des § 259 ZPO erhoben, sei die Klage unzulässig.

     

    Hat der Mieter zurzeit der Klageerhebung der Kündigung bereits widersprochen und die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangt, sind seine Interessen auch bei einer Räumungsklage nach § 259 ZPO dadurch gewahrt, dass nicht nur die Wirksamkeit der Kündigung, sondern auch die vom Mieter geltend gemachten Härtegründe gerichtlich geprüft werden. Verzögerungen bei der Wohnungssuche könne zudem durch ein Vorgehen nach § 93b Abs. 3 ZPO (sofortiges Anerkenntnis des Räumungsanspruchs bei Bewilligung einer Räumungsfrist) sowie durch eine Räumungsfrist nach § 721 ZPO Rechnung getragen werden.

     

    Die Geltendmachung eines Härtegrundes habe hingegen nicht zur Folge, dass dem Vermieter die durch das Verfahrensrecht eröffnete Möglichkeit einer gerichtlichen Klärung des Bestehens seines Räumungsanspruchs bis zum Zeitpunkt der Fälligkeit versperrt wäre. Die §§ 574 ff. BGB sollen die gerichtliche Prüfung nicht auf einen Zeitpunkt erst nach Ablauf der Widerspruchsfrist gemäß § 574b Abs. 2 S. 1 BGB oder gar der gesetzlichen Kündigungsfrist hinausschieben.

     

    Relevanz für die Praxis

    Das LG stand mit seiner restriktiven Anwendung des § 259 ZPO keineswegs „einsam“ da; das belegt der BGH durch umfangreiche Fundstellenangaben. Bei sachlicher Betrachtung der berechtigten Interessen beider Mietvertragsparteien und ihrer Optionen im Zusammenhang mit einer ordentlichen Kündigung, für die das Widerspruchsrecht des Mieters nicht ausgeschlossen ist (§ 574 Abs. 1 S. 2 BGB), spricht wenig für die Vorbehalte.

     

    PRAXISTIPP | Die Widerspruchsfrist ist ‒ soweit der Vermieter darauf hingewiesen hat ‒ kurz bemessen. In Abhängigkeit von den konkret im Raum stehenden Härtegründen wird der Mieter künftig auf kostenrechtliche Risiken eines vorsorglich erklärten Widerspruchs in der Beratung hinzuweisen sein. Sie sind abzuwägen gegen das Risiko des Verlustes eines etwaigen Anspruchs auf Fortsetzung des Mietverhältnisses. Die „Lösung“ über die Gewährung einer Räumungsfrist bei Bestehen eines zumindest befristeten Anspruchs auf Fortsetzung des Mietverhältnisses ist für den Mieter auch von Nachteil, denn der materiellrechtliche Anspruch aus §§ 574, 574a BGB kann die Teilabweisung der Klage mit der Kostenfolge des § 92 Abs. 1 ZPO rechtfertigen. In der Beratung des Vermieters ist der Hinweis auf die Klage nach § 259 ZPO ‒ insbesondere im Fall der Eigenbedarfskündigung ‒ zwingend, allerdings kein „Selbstläufer“. Schweigt der Mieter auf die Kündigung bzw. erklärt er sich nicht dazu, ist die in § 259 ZPO vorausgesetzte „Besorgnis“ schwer zu begründen.

     
    Quelle: Ausgabe 04 / 2023 | Seite 67 | ID 49233589