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  • · Fachbeitrag · Fiktive Mängelbeseitigungskosten

    BGH zum Schadenersatz neben der Leistung

    von VRinLG Astrid Siegmund, Berlin

    | Die geänderte Rechtsprechung des VII. Zivilsenats (ZS) zur Bemessung des „kleinen“ Schadenersatzes statt der Leistung (§ 634 Nr. 4, § 280, § 281 Abs. 1 BGB) nach den fiktiven Mängelbeseitigungskosten hat für viel Wirbel gesorgt. Diese sollten künftig ‒ generell ‒ nur dann dem Anspruch zugrunde gelegt werden können, wenn sie tatsächlich aufgewendet wurden (BGH 22.2.18, VII ZR 46/17). Nachdem der V. ZS die Rechtsfrage an den Großen Senat für Zivilsachen herantragen wollte ( MK 22, 187 ), beschränkte der VII. ZS seine Rechtsauffassung auf das Werkvertragsrecht (BGH 8.10.20, VII ARZ 1/20). Gleichwohl griff die Instanzrechtsprechung die Argumentation des VII. ZS für Sachverhalte außerhalb des Werkvertragsrechts auf. 2022 hat der VIII. ZS die Übertragbarkeit der Erwägungen des VII. ZS auf andere Vertragstypen wie den Mietvertrag verneint ( MK 22, 187 ). Der Fall betraf den Schadenersatz statt der Leistung. Er hat dies nun auch für den Schadenersatz neben der Leistung (§ 280 Abs. 1 BGB) entschieden. |

     

    Sachverhalt

    Die Beklagten waren bis zum 31.12.17 Mieter einer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus des Klägers. Sie gaben die Wohnung am 2.1.18 zurück. Mit Schreiben vom 8.1.18 forderte der Kläger die Beklagten auf, näher bezeichnete Schönheitsreparaturen durchzuführen, Wandfliesen in der Küche zu erneuern, die Wand im Treppenhaus zu streichen, von ihnen verlegte Fliesen und einen PVC-Belag zurückzubauen. Dem kamen die Beklagten nicht nach. Ein vom Kläger eingeholter Kostenvoranschlag weist Kosten von 7.961,35 EUR (netto) aus. Der Kläger hat die Rückbauarbeiten teilweise ausgeführt. Hierfür sowie für das noch nicht durchgeführte Streichen von Küche und Wohnzimmer und für noch zu verlegende Abschlussleisten macht er ‒ unter Zugrundelegung der o. g. (Netto-)Preise ‒ 881,35 EUR als Schadenersatz geltend. Die übrigen Positionen des Kostenvoranschlags (8.425,20 EUR brutto) begehrt er als Vorschuss, hilfsweise Zahlung des im Kostenvoranschlag ausgewiesenen (Netto-)Betrags.

     

    Die Klage blieb in den Vorinstanzen ohne Erfolg. Den vom Kläger geltend gemachten Kostenvorschussanspruch verneinte das LG. Begründung: Es gebe hierfür im Mietrecht ‒ anders als im Werkvertragsrecht (§ 637 Abs. 3 BGB) ‒ keine Anspruchsgrundlage. Der BGH nehme einen Anspruch des Vermieters auf Kostenvorschuss nur für Schönheitsreparaturen während eines ‒ hier nicht mehr ‒ bestehenden Mietverhältnisses an. Die auf der Grundlage des Kostenvoranschlags geltend gemachten Schadenersatzansprüche stünden dem Kläger nicht zu, weil eine fiktive Schadensberechnung mit Blick auf den VII. ZS des BGH nicht (mehr) zulässig sei. Die Revision führte zur Aufhebung und Zurückverweisung (BGH 19.4.23, VIII ZR 280/21, Abruf-Nr. 235694).

     

    Entscheidungsgründe

    Das LG hatte die Zulassung der Revision auf die Frage beschränkt, ob im Mietrecht eine fiktive Schadensberechnung weiter möglich sei. In diesem Umfang war die Revision erfolgreich.

     

    Beachten Sie | Soweit das LG die auf einen Kostenvorschuss gerichtete Klage (bereits dem Grunde nach) abgewiesen hat, stellt sich die an den BGH im Wege der Revisionszulassung herangetragene Frage nicht, ob im Mietrecht ‒ ebenso wie im Werkvertragsrecht ‒ eine fiktive Schadensberechnung nicht mehr möglich sein soll. Anerkanntermaßen hat das Berufungsgericht die Möglichkeit, die Revision nur hinsichtlich eines selbstständigen und abtrennbaren Teils des Gesamtstreitstoffs zuzulassen, auf den auch die Partei selbst die Revision beschränken könnte. Der Anspruch des Vermieters auf Zahlung eines Kostenvorschusses und die Möglichkeit, einen Schadenersatzanspruch fiktiv zu bemessen, sind zwei voneinander unabhängige Fragen.

     

    Der Anspruch auf Zahlung eines Kostenvorschusses scheitert an der (nicht vorhandenen) Anspruchsgrundlage. Der Vermieter kann vom Mieter nach dem BGH allenfalls einen Vorschuss in Höhe erforderlicher Renovierungskosten im laufenden Mietverhältnis verlangen, dies dann, wenn dieser sich mit der Ausführung von Schönheitsreparaturen in Verzug befindet (BGH 15.3.06, VIII ZR 123/05). Die im Rahmen der zulässigen Revision geltend gemachten Schadenersatzansprüche scheitern ‒ so der BGH ‒ jedenfalls nicht daran, dass der Kläger den Schaden anhand der hierfür jeweils erforderlichen, aber noch nicht aufgewendeten („fiktiven“) (Mangelbeseitigungs-)Kosten bemessen hat. Auch, soweit er die Arbeiten teilweise ausgeführt hat, kann er weiter „fiktiv“ abrechnen. Beides gilt unabhängig davon, ob es sich um Schadenersatzansprüche statt der Leistung (§ 280 Abs. 1, 3, § 281 Abs. 1 S. 1 BGB) oder neben der Leistung (§ 280 Abs. 1, § 823 Abs. 1 BGB) handelt.

     

    MERKE | Auch wenn sich die Frage hier im Ergebnis nicht auswirkt, grenzt der BGH zunächst die Ansprüche aufgrund unterlassener Schönheitsreparaturen und Rückbauten von den Ansprüchen wegen Beschädigung der Mietsache ab. Schäden an der Sachsubstanz der Mietsache, die durch eine Verletzung seiner Obhutspflichten entstanden sind, hat der Mieter nach § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB als Schadenersatz neben der Leistung nach Wahl des Vermieters durch Wiederherstellung (§ 249 Abs. 1 BGB) oder durch Geldzahlung (§ 249 Abs. 2 BGB) zu ersetzen. Einer vorherigen Fristsetzung des Vermieters bedarf es dazu nicht, dies unabhängig davon, ob es um einen Schadensausgleich während eines laufenden Mietverhältnisses oder nach dessen Beendigung geht (BGH 28.2.18, VIII ZR 157/17).

     

    Die Abgrenzung der Schönheitsreparaturen von Beschädigungen der Mietsache kann schwierig sein. Erstere beschränken sich auf die Beseitigung von Abnutzungserscheinungen (BT-Drucksache 14/4553, S. 40; BGH 18.2.09, VIII ZR 210/08); die vertragsgemäße („normale“) Abnutzung hat der Mieter nicht zu vertreten (§ 538 BGB); eintreten muss er aber für Schäden, die über den vertragsgemäßen Gebrauch der Mietsache hinausgehen. Der BGH definiert den Begriff der Schönheitsreparaturen unter Rückgriff auf § 28 Abs. 4 S. 3 II. BV (st. Rspr.). Die Regelung gilt unmittelbar nur für den preisgebundenen Wohnraum. Soweit der Kläger hier die Kosten für das Entfernen und die Neuverlegung von Wandfliesen verlangt, werden diese Arbeiten nicht von der Vorschrift erfasst. Das Streichen der Wand im Treppenhaus betrifft Arbeiten außerhalb der Mietwohnung, also handelt es sich um Schäden, die Ansprüche aus § 280 Abs. 1 BGB begründen können (Schadenersatz neben der Leistung).

     

    Der BGH stellt klar: Schadenersatzansprüche neben der Leistung kann der Vermieter ‒ ebenso wie Schadenersatzansprüche statt der Leistung wegen unterlassener Schönheitsreparaturen und Rückbauten ‒ anhand der voraussichtlich erforderlichen, aber (noch) nicht aufgewendeten („fiktiven“) Kosten bemessen. Das gilt auch für den Teil der Arbeiten, die der Kläger hier bereits ausgeführt, aber dennoch auf der Grundlage des von ihm eingeholten Kostenvoranschlags und damit fiktiv abgerechnet hat. Er verweist auf die st. Rspr. der beiden für das Mietrecht zuständigen Senate, wonach Schadenersatzansprüche statt der Leistung im Mietrecht auch mit den für die Instandsetzung oder -haltung oder für den Rückbau der Mietsache erforderlichen aber (noch) nicht aufgewendeten („fiktiven“) Kosten bemessen werden können (vgl. u. a. BGH 31.3.21, XII ZR 42/20; 12.3.14, XII ZR 108/13; 5.3.14, VIII ZR 205/13).

     

    Erneut (vgl. BGH 10.5.22, VIII ZR 277/20) verweist er darauf, dass die Erwägungen des VII. ZS allein auf den Besonderheiten des Werkvertragsrechts beruhen und ‒ auch nach dessen Ansicht ‒ auf andere Vertragstypen nicht übertragbar seien. Zwar gebe es ‒ anders als im Kaufrecht ‒ im Mietrecht einen mit § 637 Abs. 3 BGB vergleichbaren Anspruch auf Zahlung eines Vorschusses für die (beabsichtigte) Selbstvornahme, der allerdings sowohl durch den Mieter als auch den Vermieter allenfalls im laufenden Mietverhältnis geltend gemacht werden könne. Hier würden sich sämtliche Ansprüche auf ein beendetes Mietverhältnis beziehen.

     

    Der Gefahr einer Überkompensation bei fiktiver Abrechnung im Mietrecht werde dadurch begegnet, dass der Geschädigte nur die zur Erfüllung der Leistungspflicht erforderlichen Kosten beanspruchen dürfe. Zudem sei zu beachten, dass der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung bilde.

     

    Der Kläger könne seinen das Integritätsinteresse betreffenden Schadenersatzanspruch neben der Leistung (§ 280 Abs. 1 BGB) wegen der Beschädigung der Mietsache ebenso wie den Schadenersatzanspruch statt der Leistung (§ 280 Abs. 1, 3, § 281 Abs. 1 S. 1 BGB) auf Grundlage der voraussichtlichen Kosten bemessen. Der Schadenersatzanspruch statt der Leistung sei aufgrund des Wegfalls des Leistungsanspruchs (§ 281 Abs. 4 BGB) von vornherein nur auf Geldersatz gerichtet. Beim Schadenersatzanspruch neben der Leistung könne der Geschädigte nach seiner Wahl (§ 249 Abs. 2 BGB) Naturalrestitution oder Geldersatz verlangen. Aufgrund der Ersetzungsbefugnis könne er (auch) diesen Anspruch anhand der fiktiven Kosten bemessen.

     

    Relevanz für die Praxis

    Der VII. ZS hatte für Schadenersatzansprüche neben der Leistung (§ 634 Nr. 4, § 280 Abs. 1 BGB) eine fiktive Schadensbemessung verneint. Der VIII. ZS lehnt die Übertragung der Rechtsprechung auf das Mietrecht nun auch (folgerichtig) für solche Ansprüche ab. Auch wenn sich dies hier im Ergebnis nicht auswirkte, weil der Vermieter die Mieter zur Ausführung aller im Wege des Schadenersatzes geltend gemachten Arbeiten (Schönheitsreparaturen, Rückbau, Beseitigung von Beschädigungen) aufgefordert hatte: Die Entscheidung ist auch „wertvoll“, da der BGH die Grundsätze klar herausarbeitet, die für die Abgrenzung zwischen Schönheitsreparaturen und Schäden der Mietsache sowie den Ansprüchen auf Schadenersatz statt und neben der Leistung gelten.

    Quelle: Ausgabe 08 / 2023 | Seite 144 | ID 49599717