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  • · Fachbeitrag · Schadenersatz statt der Leistung

    Neues zu den fiktiven Mängelbeseitigungskosten

    von VRinLG Astrid Siegmund, Berlin

    | Sie erinnern sich an die Auseinandersetzung zwischen dem VII. und dem V. Zivilsenat des BGH? Der für das Werkvertragsrecht zuständige VII. Senat hatte in einer Entscheidung vom 22.2.18 (VII ZR 46/17, Abruf-Nr. 200213 ) seine Rechtsprechung zur Bemessung des „kleinen“ Schadenersatzes statt der Leistung (§ 634 Nr. 4, § 280, § 281 Abs. 1 BGB) nach den fiktiven Mängelbeseitigungskosten aufgegeben. Diese sollen künftig nur der Berechnung des Anspruchs zugrunde gelegt werden können, wenn der Besteller sie tatsächlich aufgewendet hat. Die Entscheidung stieß auch außerhalb des Werkvertragsrechts auf Interesse (oder Ablehnung). Der V. Zivilsenat sah sich jetzt in einem Verfahren um einen Schadenersatzanspruch aus einem Immobilienkaufvertrag gehindert, am VII. Senat „vorbei“ an seiner bisherigen Rechtsprechung festzuhalten und dem Kläger ‒ wie die Vorinstanzen ‒ die verlangten „fiktiven“ Mängelbeseitigungskosten zuzusprechen. |

    Sachverhalt

    Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen, entscheidet nach § 132 Abs. 2 GVG der Große Senat für Zivilsachen. Die Vorlage ist nach § 132 Abs. 3 GVG aber erst zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage erklärt hat, dass er an seiner Rechtsauffassung festhält.

     

    So kam es zum Vorlagebeschluss vom 13.3.20 (V ZR 33/19, Abruf-Nr. 215749). Der VII. Senat „ruderte“ daraufhin zurück. Er hielt an seiner Rechtsauffassung fest, beschränkte sie aber dezidiert auf das Werkvertragsrecht mit der Begründung, dass die Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung erforderlich sei, um eine hieraus resultierende Fehlentwicklung zu beenden (BGH 8.10.20, VII ARZ 1/20, Abruf-Nr. 218759). Der V. Senat verneinte nachfolgend für das Kaufrecht hinreichend gewichtige Gründe für die Aufgabe der langjährig anerkannten kaufrechtlichen Schadensbemessung (12.3.21, V ZR 33/19, Abruf-Nr. 221449).

     

    Der VIII. Senat sah sich nun gehalten, die Frage für die Wohnraummiete zu klären. Die Klägerin in diesem Verfahren nahm die Beklagte nach beendetem Mietverhältnis wegen nicht durchgeführter Schönheitsreparaturen auf Schadenersatz in Anspruch. Die Beklagte war seit 12/07 Mieterin einer Wohnung der Klägerin. Nach dem Mietvertrag war sie verpflichtet, Schönheitsreparaturen durchzuführen. Sie kündigte zum 31.1.17. Mit Schreiben vom 1.2.17 forderte die Klägerin sie mit Fristsetzung u. a. auf, näher bezeichnete Schönheitsreparaturen vorzunehmen. Die Beklagte kam dem nicht nach. Die Klägerin verlangt Schadenersatz für die nicht ausgeführten Schönheitsreparaturen von rund 3.700 EUR netto auf Basis des Kostenvoranschlags eines Malerbetriebs. Das AG hat der Klage stattgegeben, das LG die Berufung zurückgewiesen und die Revision wegen der bejahten Ersatzfähigkeit fiktiver Mängelbeseitigungskosten im Mietrecht zugelassen. Die Revision hatte keinen Erfolg (BGH 10.5.22, VIII ZR 277/20, Abruf-Nr. 230812).

    Entscheidungsgründe

    Das Recht zur fiktiven Bemessung des Schadens bei Geltendmachung eines Anspruchs auf Schadenersatz statt der Leistung (§ 280 Abs. 1, 3, § 281 Abs. 1 S. 1 BGB) sei ‒ so der (u. a.) für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat unter Hinweis auf die st. Rspr. des BGH ‒ im Mietrecht bereits geklärt.

     

    Fiktive Bemessung im Wohnraummietrecht

    Danach können Ansprüche auf Schadenersatz statt der Leistung auf der Grundlage der für eine Instandsetzung/-haltung oder für den Rückbau der Mietsache erforderlichen, aber (noch) nicht aufgewendeten („fiktiven“) Kosten berechnet werden (BGH 12.3.14, XII ZR 108/13; 5.3.14, VIII ZR 205/13; 8.1.14, XII ZR 12/13; 20.10.04, VIII ZR 378/03).

     

    Beachten Sie | Der VIII. und der XII. Senat haben die („fiktive“) Bemessung von Schadenersatzansprüchen auf der Grundlage von Kostenvoranschlägen in der Vergangenheit stets gebilligt, dies jedoch ausnahmslos ohne nähere Begründung. Der Gesetzgeber hat das Problem einer möglichen Überkompensation bei der „fiktiven“ Schadensabrechnung ‒ das den VII. Zivilsenat umtreibt ‒ gesehen, von einer Reform des Sachschadenersatzrechts 2001 aber dennoch abgesehen. Er hat sich darauf beschränkt, den Ersatz der USt von ihrem tatsächlichen Anfall abhängig zu machen (§ 249 Abs. 2 S. 2 BGB; vgl. 2. SchadenersatzrechtsänderungG, BT-Drucksache 14/7752, S. 13 f.).

     

    Das LG Köln hatte die Revisionszulassung auf die Rechtsprechungsänderung des VII. Senat gestützt, war ihr aber nicht gefolgt. Ebenso wie zuvor der XII. Senat (BGH 31.3.21, XII ZR 42/20) begründet der VIII. Senat das Festhalten an der bisherigen Rechtsprechung knapp und bezieht sich auf die ‒ inzwischen ‒ vom VII. Senat selbst vorgenommene Restriktion auf den Werkvertrag und seine Besonderheiten (BGH 8.10.20, VII ARZ 1/20). Für das Kaufrecht hatte er dies schon mit Beschluss vom 25.1.22 getan (BGH VIII ZR 337/20).

     

    Schadenersatzanspruch aus beendetem Mietverhältnis

    Die Erwägungen des VII. Senats seien auf andere Vertragstypen nicht übertragbar. Zwar gebe es im Mietrecht (anders als im Kaufrecht) einen mit § 637 Abs. 3 BGB vergleichbaren Vorschussanspruch für die (beabsichtigte) Selbstvornahme einer Mangelbeseitigung. Der VIII. Senat billige diesen dem Mieter im laufenden Mietverhältnis unter den Voraussetzungen des § 536a Abs. 2 Nr. 1 BGB zu (BGH 8.7.20, VIII ZR 163/18). Umgekehrt könne auch der Vermieter vom Mieter einen Vorschuss i. H. d. Renovierungskosten verlangen, wenn der sich mit den Schönheitsreparaturen in Verzug befinde (BGH 15.3.06, VIII ZR 123/05).

     

    Beachten Sie | Im Streitfall ging es jedoch um einen Schadenersatzanspruch aus einem beendeten Mietverhältnis. Diesen durfte die Klägerin laut BGH anhand der sog. fiktiven Mangelbeseitigungskosten bemessen.

     

    Dem Einwand, dass sich die Grundlage für Schadenersatzansprüche statt der Leistung im allgemeinen Schuldrecht finde und deshalb eine einheitliche Sichtweise für alle Vertragstypen geboten sei, hielt der VIII. Senat entgegen: Die Möglichkeit einer fiktiven Schadensabrechnung müsse den Besonderheiten einzelner Vertragstypen Rechnung tragen.

    Relevanz für die Praxis

    Der BGH klärt am Rande auch die Frage, welche Renovierungsarbeiten als Schönheitsreparaturen gelten und wegen Übertragung einen Schadenersatzanspruch auslösen können: Maßgeblich ist auch für den preisfreien Wohnraum die Definition in § 28 Abs. 4 S. 3 der Zweiten Berechnungsverordnung.

     

    Die Vorinstanz hatte ein Sachverständigengutachten über die Erforderlichkeit der im Kostenvoranschlag ausgewiesenen Kosten eingeholt. Ohne Erfolg hatte die Beklagte jedoch die zugrunde gelegten Größen der Wandflächen und des Fußbodens (pauschal) bestritten. Es gilt § 138 Abs. 1, 2 ZPO. Der Mieter, der eine Wohnung ‒ wie hier ‒ zehn Jahre lang bewohnt hat, kann sich nicht auf ein pauschales Bestreiten beschränken. Er muss zumindest vortragen, aufgrund welcher eigenen Erkenntnisse er von der Fehlerhaftigkeit der in Ansatz gebrachten Maße ausgeht. Er muss die Wohnung zwar nicht professionell vermessen lassen, aber zumindest laienhaft selbst vermessen.

     

    Der BGH lässt selbst bei der Gesamtwohnfläche eines Gebäudes ein einfaches Bestreiten nicht ausreichen, sondern verlangt die Mitteilung von äußerlich wahrnehmbaren Gegebenheiten (Anzahl der Wohnungen, Stockwerke, Gebäudezuschnitt), aus denen sich Anhaltspunkte für Zweifel ergeben (vgl. BGH 22.10.14, VIII ZR41/14). Voraussetzung sei aber, dass der Vermieter etwaige Flächenwerte „substanziiert“ vorgetragen hat (BGH 20.2.08, VIII ZR 27/07).

     

    PRAXISTIPP | Für den BGH schien da nichts klärungsbedürftig zu sein. In der mietrechtlichen Praxis „geisterte“ die Frage jedoch immer wieder herum. Es kann also, sowohl in der Gewerbe- als auch der Wohnraummiete, die Höhe eines Schadenersatzanspruchs statt der Leistung (§ 280 Abs. 1 S. 1, Abs. 3, § 281 Abs. 1 BGB) auf der Grundlage eines Kostenvoranschlags „fiktiv“ eingeklagt werden. Auf einem anderen Blatt steht die Frage, ob der Gesetzgeber die Auseinandersetzung zwischen den Zivilsenaten des BGH nicht doch zum Anlass nimmt, um den 2001 bereits angedachten „großen Wurf“ zu wagen und seine Überlegungen im Gesetzentwurf zur Schadensberechnung im Fall der Möglichkeit der Naturalrestitution (§ 249 BGB, nicht § 251 BGB) umzusetzen (BT-Drucksache 14/7752, S. 13 f.).

     

     

    Quelle: Ausgabe 10 / 2022 | Seite 187 | ID 48543745