Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Verjährung

    Unwissenheit schützt vor Verjährung nicht

    Bild: © beeboys - stock.adobe.com

    | Im Forderungsmanagement unterliegt die überwiegende Mehrheit aller Ansprüche der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB). Dazu gehören insbesondere vertragliche Zahlungsansprüche, Rückzahlungsansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 BGB) und Schadenersatzansprüche aus schuldhafter Pflichtverletzung (§ 280 BGB). Der Beginn der Verjährungsfrist hängt u. a. davon ab, dass der Gläubiger die Umstände kennt oder kennen musste, die seinen Anspruch begründen (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Wie dieses subjektive Element zu definieren ist, führt immer wieder zu Kontroversen. Der BGH hat sich in einer aktuellen Entscheidung erneut mit dieser Frage beschäftigen müssen. |

    Sachverhalt

    Die Klägerin unterhält bei der Beklagten eine private Krankenversicherung. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragserhöhungen und daraus resultierende Rückzahlungsansprüche. Die Beklagte hat die Beiträge für die private Krankenversicherung der Klägerin jeweils zum 1.1.10, 1.1.11, 1.4.13, 1.4.14 und 1.4.15 erhöht. Die Klägerin hält die Beitragserhöhungen für unrechtmäßig und hat die Beklagte im April 2018 zur Rückzahlung der erhöhten Prämienanteile einschließlich daraus gezogener Nutzungen aufgefordert. Nachdem die Beklagte die Ansprüche zurückgewiesen hatte, erhob die Klägerin am 14.11.18 Klage. Das LG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Das OLG hat das Urteil auf die Berufung abgeändert und dem Rückzahlungsbegehren der Klägerin nur für die Prämienerhöhungen aus dem Jahr 2015 stattgegeben. Die übrigen Ansprüche seien verjährt. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Revision und setzt ihr Klagebegehren fort.

    Entscheidungsgründe

    Sämtliche streitgegenständlichen Beitragserhöhungen waren nach Maßgabe des § 203 Abs. 5 VVG unwirksam. Der BGH erkennt daraus Rückforderungsansprüche aus § 812 BGB und möglicherweise einen Schadenersatzanspruch aus § 280 BGB. Ansprüche aus § 812 BGB seien begründet, weil die Beklagte die Beiträge ohne Rechtsgrund vereinnahmt habe.

     

    Die Ansprüche waren nach Auffassung des BGH jedoch bei Klageerhebung im Jahr 2018 verjährt, soweit sie im Jahr 2014 oder früher entstanden seien. Daher könne die Beklagte die Rückzahlung der Leistung nach § 214 BGB insoweit verweigern. Dabei befasst sich der BGH insbesondere mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen die Verjährungsfrist nach § 199 BGB beginnt.

     

    • 1. Der Anspruch auf Rückzahlung von Versicherungsbeiträgen aufgrund einer unwirksamen Prämienanpassung entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die Prämienanteile gezahlt werden.
    • 2. Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen erlangt der Versicherungsnehmer mit Erhalt der seiner Ansicht nach unwirksamen Änderungsmitteilung.
     

    Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt nach § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Kalenderjahres

    • in dem der Anspruch entstanden ist und
    • der Gläubiger von den, den Anspruch begründenden Umständen und
    • der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.

     

    Für den Beginn der Verjährungsfrist müssen alle drei genannten Voraussetzungen kumulativ vorliegen. Erst dann beginnt die Verjährungsfrist mit Schluss des Kalenderjahres zu laufen.

     

    Hier stellte sich die Frage, wann die Klägerin als Gläubigerin von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen.

     

    Anspruch entstanden

    Nach Auffassung des BGH entstand der Anspruch auf Rückzahlung der erhöhten Prämien in dem Zeitpunkt, in dem die Prämienanteile gezahlt wurden. Denn zu diesem Zeitpunkt hat die Klägerin eine Leistung ohne rechtlichen Grund erbracht, da die Prämienanpassungen unwirksam waren.

     

    Die erforderliche Erkenntnis

    Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners erlange der Versicherungsnehmer bei einem Anspruch auf Rückzahlung von Versicherungsbeiträgen aufgrund einer unwirksamen Prämienanpassung mit Erhalt der seiner Ansicht nach formal unzureichenden Änderungsmitteilung.

     

    Daher beginne die Verjährungsfrist in dem Zeitpunkt zu laufen, in dem die Prämienanteile gezahlt wurden und die Klägerin ab dem vorangegangenen Zugang der Mitteilung über die Prämienanpassungen die nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB erforderliche Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners hatte. Die Rückzahlungsansprüche aus den Prämienerhöhungen für die Jahre 2010 bis 2014 verjährten in Konsequenz der Sichtweise des BGH daher zum Schluss der Jahre 2013 bis 2017.

     

    MERKE | Es gilt also sowohl für Schuldner als auch für deren Bevollmächtigte, auf eine Prämienanpassung unmittelbar deren Wirksamkeit zu prüfen und die Zahlung der erhöhten Prämie zu verweigern oder bereits gezahlte überhöhte Prämienanteile zurückzufordern. Ein Rechtsanwalt kann solche Fragen auch selbstständig prüfen und seine Mandanten auf eine mögliche Unwirksamkeit von Prämienerhöhungen hinweisen.

     

    Der BGH entwickelt damit seine ständige Rechtsprechung weiter. In einer Entscheidung zur Rückforderung von Bearbeitungsentgelten bei Darlehensverträgen hatte er im Jahr 2014 (BGH 28. 10. 14, XI ZR 348/13) eine grundlegende Entscheidung getroffen. Danach hat der Gläubiger eines Bereicherungsanspruchs nach § 812 Abs. 1 BGB regelmäßig Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen, wenn er von der Leistung und den Tatsachen weiß, aus denen sich das Fehlen des Rechtsgrundes ergibt. Nicht erforderlich ist hingegen in der Regel, dass er aus den ihm bekannten Tatsachen die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zieht.

     

    MERKE | Nur ausnahmsweise kann die Rechtsunkenntnis des Gläubigers den Verjährungsbeginn hinausschieben, wenn eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage vorliegt, die selbst ein rechtskundiger Dritter nicht in einem für die Klageerhebung ausreichenden Maße einzuschätzen vermag. Das soll insbesondere gelten, wenn der Durchsetzung des Anspruchs eine gegenteilige höchstrichterliche Rechtsprechung entgegensteht. In einem solchen Fall fehle es an der Zumutbarkeit der Klageerhebung als übergreifender Voraussetzung für den Verjährungsbeginn (BGH 28.10.14, XI ZR 348/13).

     

    Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist nach Auffassung des BGH im vorliegenden Fall Verjährung eingetreten. Denn als anspruchsbegründende Tatsachen seien grundsätzlich solche Umstände nicht anzusehen, die unter die Behauptungs- und Beweislast des Beklagten fallen. Nicht der Versicherungsnehmer, sondern der Versicherer trage nämlich die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen und die Berechtigung einer erhöhten Prämie, und zwar grundsätzlich auch dann, wenn der Versicherungsnehmer einen bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruch geltend mache. Das beruhe auf dem ungeschriebenen Grundprinzip der Beweislastverteilung im Zivilprozess, dass jede Partei die tatsächlichen Voraussetzungen der ihr günstigen Normen darlegen und beweisen muss. Die Erhebung einer auf die formelle Unwirksamkeit einer Prämienanpassung gestützten Klage sei auch nicht unzumutbar gewesen. Der Versicherungsnehmer könne bereits vor einer höchstrichterlichen Entscheidung seine Ansprüche gegen den Versicherer geltend machen.

     

    Kein Schadenersatzanspruch aus § 280 BGB

    Ebenso versagt der BGH auch einen durchsetzbaren Schadenersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB. In der Geltendmachung unberechtigter Prämienanpassungen handele es sich um eine zum Schadenersatz führende Pflichtverletzung des Versicherers. Eine Vertragspartei, die von der anderen Vertragspartei etwas verlange, das nach dem Vertrag nicht geschuldet sei, verletze ihre Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB. Die danach möglichen Schadenersatzansprüche aufgrund der Geltendmachung von Ansprüchen aus unwirksamen Prämienanpassungen seien jedoch ebenso spätestens in den Jahren 2010 bis 2014 entstanden, sodass diese gleichermaßen verjährt seien.

     

    Die nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB erforderliche Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände habe die Klägerin auch hier seit dem Erhalt der entsprechenden Mitteilung über die Prämienanpassungen. Von daher unterliege auch ein Schadenersatzanspruch aus § 280 Abs.1 BGB für die Jahre 2010 bis 2014 der Verjährung. Im Ergebnis seien daher die Ansprüche auf Rückzahlung der Prämienerhöhungen für die Jahre 2010 bis 2014 bereits verjährt. Lediglich die Prämienerhöhungen aus dem Jahr 2015 seien im Zeitpunkt der Klageerhebung noch durchsetzbar.

    Relevanz für die Praxis

    Maßgeblich für die Frage des Verjährungsbeginns nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist somit, ob dem Gläubiger aufgrund der ihm bekannten ‒ oder der grob fahrlässig unbekannt gebliebenen ‒ Tatsachen zugemutet werden kann, zur Durchsetzung seines Anspruchs Klage zu erheben. Hierbei ist weder notwendig, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kennt, die für die Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können. Auch kommt es nicht auf eine zutreffende rechtliche Würdigung an. Vielmehr genügt im Grundsatz die Kenntnis der den Ersatzanspruch begründenden tatsächlichen Umstände. Nur ausnahmsweise erscheint eine Klageerhebung unzumutbar, wenn eine höchstrichterliche Rechtsprechung ihm aktuell seinen Anspruch verwehrt.

     

    Der Gläubiger ist daher gut beraten, bei der Berechnung der Verjährungsfrist auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem er von dem seines Erachtens unwirksamen oder pflichtwidrigen Verhalten seines Vertragspartners Kenntnis erlangt. Umgekehrt verlangt jede Information über eine Prämienanpassung der Überprüfung, ob diese berechtigt ist oder nicht.

    Quelle: Ausgabe 06 / 2025 | Seite 101 | ID 50413404