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  • · Fachbeitrag · Schuldnerpflichten

    Der selbstständige Schuldner muss liefern

    • 1. Der Schuldner ist nach Freigabe seiner selbstständigen Tätigkeit im eröffneten Insolvenzverfahren verpflichtet, aus einem tatsächlich erwirtschafteten Gewinn dem Insolvenzverwalter den pfändbaren Betrag nach dem fiktiven Maßstab des § 295 Abs. 2 InsO abzuführen.
    • 2. Der wegen der Freigabe der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners von diesem an die Masse abzuführende Betrag ist vom Insolvenzverwalter auf dem Prozessweg geltend zu machen.
    • 3. Zur Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Voraussetzungen für die Feststellung der Höhe des an die Masse abzuführenden Betrags.

    (BGH 13.3.14, IX ZR 43/12, Abruf-Nr. 141230)

     

    Sachverhalt

    Der klagende Insolvenzverwalter hat die selbstständige Tätigkeit des beklagten Insolvenzschuldners freigegeben und ihn gemäß § 295 Abs. 2 ZPO aufgefordert, die Insolvenzgläubiger durch Zahlungen an ihn so zu stellen, als ob er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre.

     

    Der Kläger verlangt vom Beklagten nun Zahlung von 1.638,01 EUR monatlich, insgesamt 24.570,15 EUR. Der selbstständig tätige Beklagte habe als angestellter Zahnarzt einen monatlichen Bruttoverdienst von 6.005,57 EUR erzielen können, was einem Nettogehalt von 3.233,69 EUR entspreche. Hiervon sei ein Betrag von 1.638,01 EUR pfändbar. Den pfändbaren Betrag müsse der Schuldner an die Masse abführen. Der Beklagte meint, dass der Kläger keinen Anspruch auf Abführung fiktiver Einkünfte besitze. Mit seiner selbstständigen Tätigkeit als Zahnarzt erziele er keine Einnahmen in der genannten Höhe.

    Entscheidungsgründe/Praxishinweis

    Während die Klage vor dem LG und dem OLG ohne Erfolg geblieben ist, weil die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters nur reale, nicht fiktive Vermögensgegenstände umfasse, sieht der BGH den Schuldner im Sinne der Gläubigergemeinschaft mehr in der Pflicht. Dabei war die Frage des richtigen prozessualen Vorgehens, der Berechnung des abzuführenden Betrags ‒ real oder fiktiv ‒ und die dementsprechenden Darlegungs- und Beweislasten zu betrachten.

     

    Insolvenzverwalter muss klagen

    Der BGH hat die Auffassung der Ausgangsgerichte mit einer einfachen Begründung verworfen, der Insolvenzverwalter müsse nicht klagen, sondern könne seinen Anspruch unmittelbar aus dem Eröffnungsbeschluss als Titel vollstrecken. Zwar bilde nach § 148 Abs. 2 S. 1 InsO die vollstreckbare Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses einen Vollstreckungstitel (§ 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO). Hierunter fielen aber nur die vom Insolvenzbeschlag erfassten Sachen, aufgrund der Freigabe der selbstständigen Tätigkeit also gerade nicht der hieraus erzielt Erlös.

     

    MERKE | Hierauf müssen Neugläubiger besonders achten und sich beim Insolvenzverwalter oder Treuhänder erkundigen, ob die selbstständige Tätigkeit ihre Schuldners freigegeben wurde. In diesem Fall können sie nämlich unmittelbar in das Einkommen vollstrecken, wenn ihre Forderung nach der Freigabe entstanden ist. Die Vollstreckungssperre aufgrund der Insolvenz gilt dann nicht.

     

    Der Insolvenzverwalter hatte auch nicht die Möglichkeit, eine Entscheidung durch das Insolvenzgericht nach § 36 Abs. 4 InsO herbeizuführen. Schon der Streit zwischen Insolvenzverwalter und Schuldner über die Massezugehörigkeit von Gegenständen kann nur im Weg des Rechtsstreits vor dem Prozessgericht entschieden werden, wenn er keine Vollstreckungshandlung und keine Anordnung des Vollstreckungsgerichts betrifft (BGH NJW-RR 12, 1396).

     

    Ob das Insolvenzgericht als Vollstreckungsgericht gemäß § 36 Abs. 4 InsO oder das Prozessgericht in einem Rechtsstreit entscheidet, hängt davon ab,

    • ob die Auseinandersetzung um die Massezugehörigkeit als solche geführt wird ‒ dann gehört der Rechtsstreit vor das Prozessgericht ‒ oder
    • ob über die Zulässigkeit der Vollstreckung gestritten wird ‒ dann entscheidet das Insolvenzgericht ‒ im Rahmen des § 36 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 InsO (BGH NJW-RR 12, 1396).

     

    Wenn aber schon der Streit, ob ein Gegenstand zur Masse gehört, vor dem Prozessgericht zu führen ist, muss dies erst recht für den Streit gelten, ob der Masse ein Zahlungsanspruch aus einem Erwerb zusteht, der ‒ wegen der Freigabe ‒ sicher nicht zur Masse gehört.

     

    Fiktiv oder real? Das ist die Frage!

    Wie der BGH entschieden hat, gehört es zu den vom Schuldner nach einer Freigabe gemäß § 35 Abs. 2 S. 2 InsO zu beachtenden Pflichten, dass er die nach § 295 Abs. 2 InsO maßgeblichen Beträge schon im Laufe des Insolvenzverfahrens an den Insolvenzverwalter abführt. Hierbei handelt es sich um eine eigenständige Abführungspflicht, auf deren Einhaltung der Insolvenzverwalter einen unmittelbaren Anspruch hat (BGH WM 13, 1612).

     

    MERKE | Kommt der Schuldner dieser Pflicht nicht nach, eröffnen sich dem Gläubiger aber weitere Optionen. Er muss sich nicht allein auf seine Teilhabe an der höheren Masse beschränken, sondern kann auch einen Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung stellen. Bei § 295 Abs. 2 InsO handelt es sich nämlich auch um eine Obliegenheit, sodass nach § 296 Abs. 1 InsO der Versagungsantrag die Konsequenz der Nichterfüllung darstellt. In der Notwendigkeit, den Schuldner verklagen zu müssen, wird der Obliegenheitsverstoß dokumentiert.

     

    Der BGH geht von einer zumindest jährlichen Zahlungspflicht aus, was den Gläubiger veranlassen sollte, jeweils ein Jahr nach der Freigabe der selbstständigen Tätigkeit beim Insolvenzverwalter nachzufragen, ob der Schuldner seiner Abführungspflicht nachgekommen ist. Ist dies nicht der Fall, kann er einerseits einen Versagungsantrag stellen, andererseits den Insolvenzverwalter auffordern, die Beträge gerichtlich geltend zu machen. Zu entscheiden war danach nur, was der Insolvenzverwalter verlangen kann.

     

    Checkliste / BGH-Rechtsprechung zum Abführungsumfang

    Die Frage, ob und in welcher Höhe den Schuldner eine Abführungspflicht trifft, hat der BGH ebenfalls schon geklärt (BGHZ 167, 363; WM 09, 361; WM 13, 1612):

     

    • 1. Der Schuldner ist nur verpflichtet, nach § 35 Abs. 2 S. 2, § 295 Abs. 2 InsO etwas an die Insolvenzmasse abzuführen, wenn er tatsächlich einen Gewinn aus der selbstständigen Tätigkeit erzielt hat, der den unpfändbaren Betrag bei unselbstständiger Tätigkeit übersteigt.
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    • 2. Die Abführungspflicht ist zudem nach dem Maßstab des § 295 Abs. 2 InsO der Höhe nach beschränkt auf den pfändbaren Betrag, den er bei unselbstständiger Tätigkeit erzielen würde.
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    • 3. Den Schuldner trifft im laufenden Insolvenzverfahren nach geltendem Recht keine Pflicht, ein abhängiges Dienstverhältnis oder eine selbstständige Tätigkeit auszuüben, weil seine Arbeitskraft nicht in die Masse fällt. Übt er eine unselbstständige Tätigkeit aus, fällt gleichwohl der pfändbare Teil seines Arbeitseinkommens als Neuerwerb nach § 35 Abs. 1 InsO in die Masse; geht er einer selbstständigen Tätigkeit nach, werden alle Einkünfte aus dieser Tätigkeit vom Insolvenzbeschlag erfasst. Ist die selbstständige Tätigkeit vom Insolvenzverwalter jedoch gemäß § 35 Abs. 2 InsO freigegeben, besteht gegenüber der Masse lediglich die Abführungspflicht entsprechend § 295 Abs. 2 InsO.
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    • 4. Maßstab für die Höhe der Abführungspflicht ist das nach § 295 Abs. 2 InsO zu bestimmende pfändbare fiktive Nettoeinkommen.
     

    Wer muss was darlegen und beweisen?

    Der Insolvenzverwalter ist als Anspruchsteller verpflichtet, alle anspruchsbegründenden Tatsachen darzulegen und zu beweisen. Er steht dabei jedoch vor der Schwierigkeit, nicht über die notwendigen Informationen zu verfügen. Dementsprechend hat der BGH in seiner bisherigen Rechtsprechung schon die Grundlagen für eine Beweiserleichterung gelegt: Der Schuldner ist dem Insolvenzverwalter gegenüber umfassend auskunftspflichtig hinsichtlich der Umstände, die für die Ermittlung des fiktiven Maßstabs erforderlich sind, aus denen sich die ihm mögliche abhängige Tätigkeit und das anzunehmende fiktive (Netto-)Einkommen ableiten lassen (BGH FMP 09, 147; WM 13, 1612). Darüber hinaus hat der Schuldner sein tatsächliches Einkommen anzugeben sowie über seine Qualifikation und Leistungsfähigkeit Auskunft zu geben. Erteilt der Schuldner die erforderlichen Auskünfte nicht, kann der Insolvenz-verwalter im Wege der Stufenklage vorgehen und zunächst Auskunft verlangen und den Auskunftsanspruch dann nach § 888 ZPO vollstrecken. Auf dieser Grundlage kann er dann in der zweiten Stufe die Zahlungsklage beziffern.

     

    Unabhängig vom tatsächlichen Einkommen muss der Insolvenzverwalter darlegen, dass der Schuldner die Möglichkeit hatte, einer abhängigen Beschäftigung nachzugehen und hieraus ein zu bestimmendes Einkommen zu erzielen. Hierbei kann ihn der Gläubiger durch Hinweise unterstützen. Ob entsprechende Stellen auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen oder standen, kann etwa bei der Arbeitsagentur in Erfahrung gebracht werden. Liegt der tatsächliche Gewinn aus der selbstständigen Tätigkeit im fraglichen Zeitraum unterhalb des pfändbaren Betrages bei abhängiger Tätigkeit, besteht keine Abführungspflicht. Es handelt sich um eine dem Schuldner günstige Tatsache, sodass er hier nach den allgemeinen Regeln die Darlegungs- und Beweislast trifft.

     

    Fazit: Die Handlungspflichten liegen beim Schuldner. Dem Gläubiger, der den Insolvenzverwalter anhält, die Einhaltung der Handlungspflichten sicherzustellen, sind gute Optionen gegeben, nicht leer auszugehen.

    Quelle: Ausgabe 09 / 2014 | Seite 157 | ID 42896661