05.10.2023 · IWW-Abrufnummer 237654
Oberlandesgericht Hamm: Urteil vom 26.04.2023 – 31 U 87/21
Örtlich zuständig für eine Zahlungsklage des Darlehensnehmers nach Widerruf eines mit einem Kaufvertrag über ein Kraftfahrzeug verbundenen allgemein-Verbraucherdarlehensvertrags ist grundsätzlich das Gericht, in dessen Bezirk der Sitz der beklagten Bank liegt (§§ 12, 17, 29 Abs. 1 ZOP).
Aufgrund der Entscheidung des Gesetzgebers für eine Vorleistungspflicht des Darlehensnehmers nach §§ 358 Abs. 4 Satz 1, 357 Abs. 4 Satz 1 BGB sind etwaige Gründe für eine Übertragung der Rechtsprechung zum gemeinsamen Erfüllungsort bei Ansprüchen nach einem Rücktritt des Käufers vom Kaufvertrag entfallen.
Oberlandesgericht Hamm
31 U 87/21
Die Berufung der Klägerin gegen das am 22.04.2021 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Essen (Az. 6 O 67/21) wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass das Urteil des Landgerichts ‒ auch im Kostenpunkt ‒ aufgehoben und der Rechtsstreit auf Antrag der Klägerin an das zuständige Landgericht München I verwiesen wird.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin. Die Entscheidung über die Kosten erster Instanz bleibt dem Urteil des Landgerichts München I vorbehalten.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird bis zum 21.03.2023 auf bis 25.000,00 € und ab dem 22.03.2023 auf bis 19.000 € festgesetzt.
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G r ü n d e :
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A.
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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit und Rechtsfolgen eines Widerrufs der auf Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrages gerichteten Willenserklärung der Klägerin.
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Die im Bezirk des Landgerichts Essen wohnhafte Klägerin erwarb bei der A und B GmbH & Co KG in C einen Gebrauchtwagen Mini One Clubman zum Kaufpreis von 23.790,00 €, auf den sie eine Anzahlung i.H.v. 7.000,00 € leistete. Zur Finanzierung des restlichen Kaufpreises sowie einer Ratenschutzversicherung in Höhe von 522,80 € gewährte die Beklagte ihr mit Vertrag vom 11.01.2017, Antragsnummer 01, ein Darlehen über einen Nettodarlehensbetrag i.H.v. 17.312,80 €.
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Nachdem das Darlehensverhältnis im Februar 2020 durch Zahlung der Schlussrate vertragsgemäß beendet worden war, erklärte die Klägerin mit E-Mail vom 15.12.2020 den Widerruf ihrer auf Abschluss des Vertrages vom 11.01.2017 gerichteten Willenserklärung. Das Fahrzeug befindet sich nach wie vor in ihrem Besitz.
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Wegen des weiteren Sachvortrags der Parteien in erster Instanz einschließlich der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils (…) Bezug genommen.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, es sei für den Antrag auf Rückabwicklung des Darlehensvertrages nicht nach § 29 Abs. 1 ZPO örtlich zuständig, da nicht von einem „einheitlichen Erfüllungsort“ am Wohnsitz der Klägerin auszugehen sei. Dem stehe die Entscheidung des BGH vom 27.10.2020 ‒ XI ZR 498/19 entgegen; die Rückgabepflicht der Klägerin sei mangels anderweitiger Vereinbarung eine Bring- oder Schickschuld, die der Schuldner dem Gläubiger an dessen Wohnsitz anbieten oder an ihn absenden müsse. Überdies wäre die Klage unbegründet, weil die Klägerin ihre auf Abschluss des Darlehensvertrages gerichtete Willenserklärung nicht wirksam widerrufen habe. Die Ausübung des Widerrufsrechts wäre sowohl angesichts des erst nach einverständlicher Beendigung des Darlehensvertrags erklärten Widerrufs verwirkt als auch aufgrund der Weiternutzung des Fahrzeugs rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB).
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (…) Bezug genommen.
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Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung. Sie macht geltend, das Landgericht Essen sei örtlich zuständig, weil nach Widerruf eines mit einem Kaufvertrag verbundenen Darlehensvertrages ein einheitlicher Erfüllungsort am Wohnsitz des Verbrauchers bestehe. Entgegen der Auffassung des Landgerichts seien die Pflichtangaben nicht ordnungsgemäß erteilt worden, so u.a. die Angaben zum Verzugszinssatz. Die Ausführungen des Landgerichts zur Verwirkung bzw. zum Rechtsmissbrauch seien mit dem Urteil des EuGH vom 09.09.2021 (C-33/20, C-155/20, C-187/20) nicht zu vereinbaren. Hinsichtlich der Berechnung des von ihr geschuldeten Wertersatzes beantragt die Klägerin, das Verfahren auszusetzen und die von ihr hierzu formulierte Frage dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV zur Entscheidung vorzulegen.
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Unter Zurücknahme ihrer Berufung in Höhe eines Zahlungsanspruchs von 8.163,21 € beantragt die Klägerin nunmehr,
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1.a. festzustellen, dass sie gegen die Beklagte einen Zahlungsanspruch in Höhe von 25.403,00 Euro abzgl. Wertersatz der Beklagten in Höhe von 8.163,21 Euro (für den Wertverlust am streitgegenständlichen Fahrzeug) nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit hat, der nach Rückgabe und Übereignung des Kraftfahrzeugs der Marke E Modell D mit der Fahrzeugidentifikationsnummer ### am Sitz des Verkäufers (hilfsweise: am Sitz der Beklagten) fällig ist,
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1.b. hilfsweise für den Fall, dass der Antrag zu 1.a. unzulässig sein sollte, die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 25.403,00 Euro abzgl. Wertersatz der Beklagten in Höhe von 8.163,21 Euro (für den Wertverlust am streitgegenständlichen Fahrzeug) nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit nach Rückgabe und Übereignung des Kraftfahrzeugs der Marke E Modell D mit der Fahrzeugidentifikationsnummer ### am Sitz des Verkäufers (hilfsweise: am Sitz der Beklagten) zu zahlen,
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2. festzustellen, dass sich die Beklagte spätestens seit dem Tage der letzten mündlichen Verhandlung mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. näher bezeichneten Fahrzeuges im Annahmeverzug befindet,
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3. die Beklagte zu verurteilen, sie von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten des Herrn F, G Straße 02, in H, in Höhe von 1.375,88 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
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Hilfsweise beantragt die Klägerin,
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den Rechtsstreit an das zuständige Landgericht München I zu verweisen.
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Die Beklagte beantragt,
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1. die Berufung zurückzuweisen;
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2. für den Fall, dass das Gericht den Widerruf für wirksam erachten sollte, festzustellen, dass die Klagepartei verpflichtet ist, jeden über den bezifferten Wertverlust i.H.v. 14.571,51 € hinausgehenden Wertverlust des Fahrzeuges D Fahrgestell-Nr. ### sowie jeden weiteren Wertverlust bis zur tatsächlichen Rückgabe des Fahrzeugs, zu ersetzen, der auf einen Umgang mit dem Fahrzeug zurückzuführen ist, der zur Prüfung der Beschaffenheit, der Eigenschaften und der Funktionsweise nicht notwendig war.
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Die Klägerin beantragt,
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die Hilfswiderklage abzuweisen.
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Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung. Sie meint, das Landgericht habe mit zutreffender Begründung die Klage als unzulässig abgewiesen. Ansprüche stünden der Klägerin schon deshalb nicht zu, weil sie sich auf das Leistungsverweigerungsrecht nach §§ 358 Abs. 4 S. 1, 357 Abs. 4 BGB berufen habe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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B.
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Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Ohne Erfolg beanstandet die Klägerin, dass das Landgericht Essen seine örtliche Zuständigkeit verneint hat.
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Auf den erstmals im Berufungsverfahren hilfsweise gestellten Verweisungsantrag ist das ‒ zutreffende ‒ Urteil des Landgerichts Essen klarstellend aufzuheben und der Rechtsstreit an das gemäß § 29 Abs. 1, 12, 17 ZPO örtlich zuständige Landgericht München I zu verweisen.
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I. Das Landgericht Essen ist für den Zahlungsantrag (Antrag zu 1b) einschließlich des Antrags auf Feststellung einer Zahlungspflicht (Antrag zu 1a) örtlich nicht zuständig.
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1. Der allgemeine Gerichtsstand der Beklagten liegt gem. §§ 12, 17 ZPO am Ort ihres Sitzes in München. Die Vermittlung von Darlehensverträgen durch die Autohäuser ohne eigene Entscheidungsbefugnis reicht für die Annahme einer Niederlassung der Beklagten im Sinne von § 21 ZPO am Sitz des Autohauses nicht aus (vgl. BGH, Urteil vom 13.07.1987 ‒ II ZR 188/86, juris Rn. 17; Musielak/Voit/Heinrich, 20. Aufl., ZPO, § 21 Rn. 6).
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2. Eine örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Essen ergibt sich ‒ anders als die Klägerin meint ‒ nicht aus § 29 Abs. 1 ZPO.
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a) Nach dieser Vorschrift ist für Streitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis und über dessen Bestehen das Gericht des Ortes zuständig, an dem die streitige Verpflichtung zu erfüllen, mithin die Leistungshandlung zu erbringen ist. Bei gegenseitigen Verträgen besteht im Allgemeinen kein einheitlicher Erfüllungsort; dieser ist vielmehr für jede aus dem Vertrag folgende Verpflichtung gesondert zu bestimmen (vgl. BGH, Urteil vom 07.11.2012 ‒ VIII ZR 108/12, juris Rn. 13 mwN). Nach § 270 Abs. 4 BGB in Verbindung mit § 269 BGB sind Geldschulden im Zweifel an dem Ort zu erfüllen, wo der Schuldner zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz bzw. bei juristischen Personen seinen Sitz hatte. Dass Leistungshandlung und Leistungserfolg dabei häufig auseinanderfallen, ändert gemäß § 270 Abs. 4 BGB nichts daran, dass Leistungsort im Sinne des § 269 BGB der Wohnsitz bzw. Sitz des Schuldners bleibt (BGH, Urteil vom 07.12.2004 - XI ZR 366/03, juris Rn. 27 mwN). Danach hätte die Beklagte die Leistungshandlung für einen etwaigen, hier streitgegenständlichen Anspruch der Klägerin auf Rückzahlung erbrachter Zins- und Tilgungsleistungen sowie der Kaufpreisanzahlung an ihrem Sitz in München zu erbringen, so dass der besondere Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach § 29 Abs. 1 ZPO derselbe wäre wie der allgemeine Gerichtsstand der Beklagten gemäß §§ 12,17 ZPO. Nichts anderes sieht die Klausel unter Ziffer 11.2 der Allgemeinen Darlehensbedingungen der Beklagten vor, die gegenüber der Klägerin als Verbraucherin jedoch gemäß § 29 Abs. 2 ZPO unwirksam ist.
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b) Ohne Erfolg beruft sich die Klägerin auf einen einheitlichen Erfüllungsort am Wohnsitz des Verbrauchers, weil sich das Fahrzeug vertragsgemäß im Zeitpunkt des Widerrufs dort befand. Die für die Rückabwicklung von Kaufverträgen nach einem Rücktritt des Käufers entwickelten Grundsätze sind nicht entsprechend anwendbar. Der Senat gibt insoweit seine frühere Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 27.11.2019 ‒ 31 U 114/18, juris Rn. 75 ff.), die die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu der Vorleistungspflicht des Darlehensnehmers (BGH, Urteil vom 27.10.2020 ‒ XI ZR 498/19, juris Rn. 22 ff.) noch nicht berücksichtigt hat, jedenfalls für die Rückabwicklung von Verbundgeschäften der vorliegenden Art, die nach dem 12.06.2014 geschlossen worden sind (vgl. Art. 229 § 32 Abs. 1 EGBGB), auf.
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aa) Zwar kann sich gemäß § 269 Abs. 1 BGB aus den Umständen, insbesondere aus der Natur des Schuldverhältnisses, eine von der unter a) dargelegten Grundregel abweichende Bestimmung hinsichtlich des Leistungsortes ergeben. So wird bei einem Rücktritt von einem beiderseits erfüllten Kaufvertrag auf der Grundlage eines gesetzlichen Rücktrittsrechts als Erfüllungsort für die vom Käufer begehrte Rückzahlung des Kaufpreises ‒ welche grundsätzlich Zug um Zug gegen Rückgewähr der Kaufsache zu erfolgen hat ‒ der Ort angesehen, an dem sich die Kaufsache zur Zeit des Rücktritts vertragsgemäß befindet (OLG München, Urteil vom 04.10.2018 ‒ 24 U 1279/18, juris Rn. 10; OLG Stuttgart, Urteil vom 13.01.2016 ‒ 9 U 183/15, juris Rn. 6; OLG Hamm, Urteil vom 20.10.2015 ‒ 28 U 91/15, juris Rn. 33; Grüneberg/Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 269 Rn. 14, MüKo/Krüger, BGB, 9. Aufl., § 269 Rn. 42, Zöller-Schultzky, ZPO, 34. Aufl., § 29 Rn. 25.51, jeweils mwN; a.A. LG München, Beschluss vom 27.05.2016 ‒ 31 O 4974/16, juris Rn. 5 mwN). Die Bestimmung des Belegenheitsorts als gemeinsamer Erfüllungsort des Rückgewährschuldverhältnisses rechtfertigt sich nach herrschender Auffassung ‒ im Anschluss an die frühere Rechtsprechung zur Wandelung (BGH, Urteil vom 09.03.1983 ‒ VIII ZR 11/82, juris Rn. 14; vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 13.01.2016 ‒ 9 U 183/15, juris Rn. 9) ‒ daraus, dass der vom Verkäufer zu verantwortende Mangel zu dem Rücktritt geführt und der zurücktretende Käufer nach § 346 Abs. 1 BGB den Vertragspartner nur in die Lage zu versetzen habe, über die Ware zu verfügen (OLG Bamberg, Beschluss vom 24.04.2013 ‒ 8 SA 9/13, juris Rn. 22; KG Berlin, Beschluss vom 21.03.2016 ‒ 2 AR 9/16, juris Rn. 10). Diese Verpflichtung sei am Ort der vertragsgemäßen Belegenheit der Kaufsache ‒ mithin regelmäßig am Wohnsitz des Käufers ‒ zu erfüllen (OLG Hamm, Urteil vom 20.10.2015 ‒ I-28 U 91/15, juris Rn. 31 mwN). Korrespondierend zu dieser Verpflichtung des Käufers bestehe ein Anspruch des Käufers auf Rücknahme der Kaufsache durch den Verkäufer, der naturgemäß ebenfalls am Ort der vertragsgemäßen Belegenheit der Kaufsache zu erfüllen sei. Der Verkäufer habe bei der Rücknahme der Kaufsache dann seine nach § 348 BGB Zug um Zug zu erfüllende Verpflichtung zur Rückzahlung des Kaufpreises an diesem Ort zu erfüllen (OLG München, Urteil vom 04.10.2018 ‒ 24 U 1279/18, juris Rn. 13; OLG Stuttgart, Urteil vom 13.01.2016 ‒ 9 U 183/15, juris Rn. 6). Seien nach dem Rücktritt die ausgetauschten Leistungen Zug um Zug rückabzuwickeln, dann entspreche es dem mutmaßlichen Willen der Parteien, den Ort der vertragsgemäßen Belegenheit der Kaufsache als einheitlichen Austausch- und damit Leistungsort auch für den Kaufpreisrückgewähranspruch anzusehen (OLG Stuttgart, Urteil vom 13.01.2016 ‒ 9 U 183/15, juris Rn. 7, 9; OLG Hamm, Urteil vom 20.10.2015 - 28 U 91/15 juris Rn. 32 f.). Für dieses Ergebnis lägen auch praktische Gründe vor. So gestalte sich oftmals eine zur Klärung des Bestehens eines Rücktrittsgrundes erforderliche Beweisaufnahme durch Sachverständigengutachten kostengünstiger, wenn ein Auseinanderfallen von Belegenheits- und Gerichtsort vermieden werde, da ein am Gerichtsort ansässiger Sachverständiger mit der Begutachtung der Sache am selben Ort beauftragt werden könne und der Sachverständige auch keine lange Anreise habe, wenn er zur Erläuterung seines Gutachtens zum Termin geladen werde (OLG München, Urteil vom 04.10.2018 ‒ 24 U 1279/18, juris Rn. 13).
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bb) Eine vergleichbare Sachverhaltskonstellation liegt bei dem Widerruf eines Darlehensvertrags, der mit einem Kaufvertrag im Sinne von § 358 Abs. 3 BGB verbunden ist, nicht (mehr) vor.
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(1) Soweit die Bestimmung des Gerichtsstands am Belegenheitsort der Kaufsache teilweise damit begründet wird, dass der Verkäufer letztlich für den Rücktritt vom Kaufvertrag verantwortlich sei, setzt § 495 Abs. 1 BGB für die Ausübung des Widerrufs keinen von dem Darlehensgeber oder dem Unternehmer des Verbundgeschäfts zu vertretenden Umstand voraus. Die Ausübung des Widerrufsrechts unterliegt der freien Entscheidung des Verbrauchers; der Grund für den Widerruf ist deshalb auch nicht dem Risikobereich des Darlehensgebers oder des Unternehmers zuzuordnen (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 13.01.2016 ‒ 9 U 183/15, juris Rn. 7; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 20.01.2021 ‒ 4 U 94/20, juris Rn. 91).
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(2) Eine vergleichbare Interessenlage besteht ferner nicht hinsichtlich der nach Widerruf eintretenden Rechtsfolgen. Insbesondere fehlt seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung vom 20.09.2013 (BGBl. 2013 I S. 3642) ein gemeinsamer Austauschort am Wohnsitz des Darlehensnehmers, auf den sich die Rechtsprechung zum gemeinsamen Erfüllungsort im Falle eines Rücktritts des Käufers maßgeblich stützt.
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(a) Vor dem 13.06.2014 richtete sich die Rückabwicklung des Vertrages nach Widerruf oder Rückgabe der Sache (vgl. § 356 BGB in der bis 12.06.2014 geltenden Fassung, künftig aF) gemäß § 357 Abs. 1 S. 1 BGB in der bis zum 12.06.2014 geltenden Fassung (künftig aF) nach den Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt, wobei die wechselseitigen Verpflichtungen der Parteien gemäß § 348 S. 1 BGB Zug um Zug zu erfüllen waren. Im Falle des Widerrufs einer auf den Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärung nach § 495 Abs. 1 BGB war der Verbraucher gemäß § 358 Abs. 2 BGB in der bis zum 12.06.2014 geltenden Fassung (künftig aF) auch an seine auf den Abschluss eines mit diesem Verbraucherdarlehensvertrag verbundenen Vertrags über die Lieferung einer Ware oder die Erbringung einer anderen Leistung gerichtete Willenserklärung nicht mehr gebunden. Nach § 358 Abs. 4 S. 1 1. Halbsatz BGB aF galt für den verbundenen Vertrag § 357 BGB aF entsprechend; der verbundene Vertrag war ebenfalls nach den Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt ‒ gemäß § 348 BGB Zug um Zug ‒ rückabzuwickeln. War das Darlehen dem Unternehmer des verbundenen Vertrags bei Wirksamwerden des Widerrufs oder der Rückgabe bereits zugeflossen, trat der Darlehensgeber im Verhältnis zum Verbraucher hinsichtlich der Rechtsfolgen des Widerrufs oder Rückgabe in die Rechte und Pflichten des Unternehmers aus dem verbundenen Vertrag ein (§ 358 Abs. 4 S. 3 BGB aF).
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(b) Mit dem am 13.06.2014 in Kraft getretenen Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung vom 20.09.2013 (BGBl. 2013 I S. 3642) wurde die Möglichkeit der Rückgabe der Sache nach § 356 BGB aF aufgegeben. Ferner ist der Verweis auf die Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt entfallen. Die Verpflichtung zur Rückgewähr der empfangenen Leistungen nach Widerruf folgt nunmehr aus § 355 Abs. 3 S. 1 BGB. Für die Rückabwicklung des verbundenen Vertrags wurde in § 358 Abs. 4 S. 1 BGB in der ab dem 13.06.2014 geltenden Fassung ‒ unabhängig von der Vertriebsform ‒ auf § 355 Abs. 3 BGB verwiesen und je nach Art des verbundenen Vertrags die entsprechende Anwendung der §§ 357 bis 357b BGB bzw. ab dem 28.05.2022 der §§ 357 bis 357c BGB angeordnet. Im Übrigen verblieb es dabei, dass der Darlehensgeber in die Rechte und Pflichten des Unternehmers aus dem verbundenen Vertrag eintritt, soweit das Darlehen bereits dem Unternehmer zugeflossen ist (§ 358 Abs. 4 S. 5 BGB). In Umsetzung von Art. 13 Abs. 3 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (künftig Verbraucherrechterichtlinie) wurde zudem § 357 Abs. 4 S. 1 BGB eingeführt (vgl. BT-Drucks. 17/12637, Seite 63 linke Spalte; Bundesrat-Drucksache 817/12, Seite 102 f.; Grüneberg/Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 357 Rn. 5).
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Folge der Gesetzesänderung ist, dass im Falle des Widerrufs nach § 495 Abs. 1 BGB einer auf den Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärung, welcher ‒ wie hier ‒ der Finanzierung eines Fahrzeugs dient, dem Darlehensgeber über § 358 Abs. 4 S. 1 BGB i.V.m. § 357 Abs. 4 S. 1 BGB ein Leistungsverweigerungsrecht zusteht (BGH, Urteil vom 14.02.2023 ‒ XI ZR 152/22, juris Rn. 24). Der Darlehensnehmer kann bei einem Verbundgeschäft nicht mehr ‒ wie vor dem 13.06.2014 in §§ 357 Abs. 1 S. 1, 348 BGB i.V.m. § 320 BGB geregelt ‒ die Herausgabe des finanzierten Gegenstands bis zur Bewirkung der Gegenleistung verweigern, sondern er ist bzgl. der herauszugebenden Ware vorleistungspflichtig. Seine Ansprüche gegen den Darlehensgeber werden gemäß §§ 358 Abs. 4 S.1, 357 Abs. 4 S. 1 BGB erst durchsetzbar, wenn der Darlehensgeber als in den Verbundvertrag eingetretener Vertragspartner (§ 358 Abs. 4 S. 5 BGB) die Ware zurückerhalten oder der Verbraucher den Nachweis der Rücksendung, etwa durch eine Einlieferungsquittung, erbracht hat (BGH, Urteil vom 14.02.2023 ‒ XI ZR 152/22, juris Rn. 24; BGH, Urteil vom 27.10.2020 - XI ZR 498/19, juris Rn. 23; vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 20.01.2021 ‒ 4 U 94/20, juris Rn. 92). Das dem Darlehensgeber grundsätzlich zustehende dilatorische Leistungsverweigerungsrecht kann auch zu einem peremptorischen werden, wenn der Zustand, mit dem das Leistungsverweigerungsrecht regelmäßig endet, endgültig nicht mehr eintreten kann, dem Verbraucher also die Rückgewähr der Ware unmöglich ist (BGH, Urteil vom 14.02.2023 ‒ XI ZR 152/22, juris Rn. 32).
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Die Vorschrift des § 357 Abs. 4 S. 1 BGB griff letztlich den Rechtsgedanken des Rückgaberechts nach § 356 BGB aF auf (vgl. BR-Drucks. 817/12 Seite 102 f.; BT-Drucks. 17/12637, Seite 63 linke Spalte). Im Anwendungsbereich der Verbraucherrechterichtlinie war es nicht mehr gestattet, das Widerrufsrecht durch ein Rückgaberecht zu ersetzen. Die für den Unternehmer entfallende Wahlmöglichkeit nach § 356 BGB aF wurde durch das in § 357 Abs. 4 S. 1 BGB eingeführte Leistungsverweigerungsrecht vom Gesetzgeber als hinreichend kompensiert angesehen; die Regelung stellte grundsätzlich die Rückgabe der Sache vor der Geltendmachung von Ansprüchen durch den Verbraucher sicher. Sie schützte den Unternehmer ‒ wie vormals die Möglichkeit der Vereinbarung eines Rückgaberechts nach § 356 BGB aF anstelle des Widerrufsrechts ‒ davor, dass der Verbraucher die Sache weiternutzt, dennoch aber bereits die Rückzahlung seines Kaufpreises oder ‒ im Falle des Verbundgeschäfts ‒ die Rückzahlung von Zins- und Tilgungsleistungen verlangt. Eine abweichende Regelung hat der Gesetzgeber allein für den Fall vorgesehen, dass der Unternehmer angeboten hat, die Ware selbst abzuholen (§ 358 Abs. 4 S. 2 BGB).
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(c) Aufgrund der Entscheidung des Gesetzgebers für eine Vorleistungspflicht nach § 357 Abs. 4 S. 1 BGB sind etwaige frühere Gründe für eine Übertragung der Rechtsprechung zum gemeinsamen Erfüllungsort bei Ansprüchen nach einem Rücktritt des Käufers vom Kaufvertrag entfallen.
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Anders als im kaufrechtlichen Rückgewährschuldverhältnis handelt es sich bei dem Belegenheitsort der Kaufsache nicht mehr um einen gemeinsamen Austausch- oder Leistungsort von Zug um Zug (§ 348 BGB) zu erfüllenden Verpflichtungen der Parteien (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 21.09.2022 ‒ 8 U 1054/20, juris Rn. 47). Weder hat der Darlehensnehmer einen Anspruch auf Rücknahme der Kaufsache gegen den Darlehensgeber am Ort ihrer vertragsgemäßen Belegenheit, noch kann der Darlehensnehmer ‒ wie im kaufrechtlichen Rückgewährschuldverhältnis (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 13.01.2016 ‒ 9 U 183/15, juris Rn. 6) ‒ den Anspruch des Darlehensgebers auf Rückgewähr der Ware dadurch erfüllen, dass er diese an seinem Wohnsitz anbietet oder dort zur Verfügung stellt. Vielmehr muss der Darlehensnehmer nach den seit dem 13.06.2014 geltenden Vorschriften vor der Geltendmachung eigener Zahlungsansprüche aus dem durch Widerruf entstandenen Rückgewährschuldverhältnis seine Verpflichtung zur Rückgewähr der empfangenen Ware, sei es durch Übergabe oder durch nachgewiesene Versendung, erfüllt haben. Denn nur die tatsächliche Rückgabe der Ware ‒ hier gemäß § 358 Abs. 4 S. 5 BGB an die Beklagte ‒ setzt nach dem gesetzgeberischen Willen den Rückabwicklungsmechanismus in Gang (BGH, Urteil vom 14.02.2023 ‒ XI ZR 152/22, juris Rn. 36). Kommt der Darlehensnehmer seiner Vorleistungspflicht nicht nach, führt schon dieser Umstand zur Abweisung seiner Zahlungsklage gegen den Darlehensgeber als derzeit unbegründet (BGH, Urteil vom 25.10.2022 ‒ XI ZR 44/22, juris Rn. 43 ff.; BGH, Urteil vom 27.10.2020 ‒ XI ZR 498/19, juris Rn. 29).
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Der ursprünglich vertraglich vereinbarte Belegenheitsort der finanzierten Kaufsache ist aufgrund der Vorleistungspflicht des Darlehensnehmers danach nicht prägend für den Leistungsaustausch der am Darlehensvertrag beteiligten Parteien. Es besteht kein Anlass, entgegen den gesetzlichen Regelungen den Erfüllungsort für einen Zahlungsanspruch des Darlehensnehmers gegen den Darlehensgeber nach § 355 Abs. 3 BGB auf diesen Ort zu verlegen (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 04.05.2021 ‒ 6 U 769/20, juris Rn. 19; vgl. Grüneberg/Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 269 Rn. 14). Dies gilt unabhängig von der Einordnung der Vorleistungspflicht des Verbrauchers als Bring- oder Schickschuld (vgl. BGH, Urteil vom 27.10.2020 ‒ XI ZR 498/19, juris Rn. 24). Auch wenn der Leistungsort im Falle einer Schickschuld am Wohnsitz des Darlehensnehmers läge, wäre dieser Leistungsort ‒ da die Erfüllung der Verpflichtung durch Versendung der Kaufsache dem eigenen Zahlungsverlangen vorauszugehen hat ‒ für eine nachfolgende Leistungsklage des Darlehensnehmers ohne Bedeutung (KG Berlin, Beschluss vom 21.09.2022 ‒ 8 U 1054/20, juris Rn. 51). Bei einer Bringschuld entfiele ein gemeinsamer Austauschort ohnehin. Etwas anderes könnte allein für den ‒ hier nicht zu entscheidenden ‒ Fall gelten, dass der Unternehmer die Abholung gemäß § 357 Abs. 4 S. 2 BGB angeboten hat (vgl. Grüneberg/Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 357 Rn. 5).
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Billigkeits- oder Praktikabilitätserwägungen rechtfertigen kein anderes Ergebnis. Soweit die Annahme eines einheitlichen Erfüllungsorts vereinzelt auf den „Sinn und Zweck des in § 358 BGB geregelten Widerrufsdurchgriffs“ (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 07.02.2023 ‒ 17 U 16/22, BeckRS 2023, 4742 Rn. 34) gestützt wird, will § 358 BGB zwar den Verbraucher vor Risiken schützen, die ihm durch die Aufspaltung eines wirtschaftlich einheitlichen Vertrags drohen. Deshalb besteht das Widerrufsrecht beim Liefervertrag auch für den die Lieferung finanzierenden Vertrag und umgekehrt (BT-Drucks. 17/12637 Seite 65 linke Spalte). Ein für die Verpflichtungen der nach § 358 Abs. 4 S. 5 BGB beteiligten Parteien (vgl. BGH, Urteil vom 14.02.2023 ‒ XI ZR 537/21, juris Rn. 25) verschiedener Gerichtsstand gehört indes nicht zu den Risiken eines Verbundgeschäfts. Er resultiert aus der allgemein geltenden Regel, dass bei Streitigkeiten aus einem gegenseitigen Schuldverhältnis das Gericht des Ortes zuständig ist, an dem die streitige Verpflichtung zu erfüllen ist, mithin regelmäßig kein einheitlicher Erfüllungsort besteht (BGH, Urteil vom 07.11.2012 ‒ VIII ZR 108/12, juris Rn. 13). Dem stehen im vorliegenden Fall auch nicht praktische Überlegungen entgegen. Die Vorleistungspflicht des Käufers bzw. Darlehensnehmers dient dazu, dem Unternehmer bzw. Darlehensgeber die Bemessung seines Wertersatzanspruchs nach § 357 Abs. 7 BGB in der bis zum 27.05.2022 geltenden Fassung (nunmehr: § 357a Abs. 1 BGB) zu ermöglichen, was eine physische Prüfung der Ware im Hinblick auf den Pflege- und Erhaltungszustand sowie die Laufleistung voraussetzt (BGH, Urteil vom 14.02.2023 ‒ XI ZR 152/22, juris Rn. 40). Dieser Wertersatzanspruch wird regelmäßig erst im Rahmen der Klage des Darlehensnehmers gegen den Darlehensgeber auf Rückerstattung der geleisteten Zins- und Tilgungsleistungen sowie einer eventuell geleisteten Anzahlung streitgegenständlich sein. Ist Leistungsklage an dem Sitz des Darlehensgebers zu erheben, an dem sich zu diesem Zeitpunkt das Fahrzeug nach § 357 Abs. 4 S. 1 BGB grundsätzlich zu befinden hat, kann das dort zuständige Gericht eine Begutachtung zur Wertminderung veranlassen; ein Auseinanderfallen von Belegenheitsort der Kaufsache und Gerichtsort würde vermieden (vgl. OLG München, Urteil vom 04.10.2018 ‒ 24 U 1279/18, juris Rn. 13).
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Es verbleibt danach im vorliegenden Fall bei der Regelung des § 270 Abs. 4 BGB in Verbindung mit § 269 BGB, wonach Zahlungsansprüche des Darlehensnehmers im Falle des Widerrufs grundsätzlich am Sitz des Rückgewährschuldners zu erfüllen sind; dieser Leistungsort begründet gemäß § 29 Abs. 1 ZPO auch die örtliche Zuständigkeit des Gerichts (KG Berlin, Beschluss vom 21.09.2022 ‒ 8 U 1054/20, juris Rn. 47; OLG Braunschweig, Urteil vom 03.05.2022 ‒ 4 U 582/21, juris Rn. 16 ff.; OLG Braunschweig, Beschluss vom 16.06.2021, 4 U 20/21, juris Rn. 17 ff.; OLG Stuttgart, Urteil vom 04.05.2021 ‒ 6 U 769/20, juris 17 ff.; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 20.01.2021 ‒ 4 U 94/20, juris Rn. 88; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 21.04.2021 ‒ 4 U 95/20, juris Rn. 27 ff.; a.A. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 07.02.2023 ‒ 17 U 16/22, BeckRS 2023, 4742 Rn. 28 ff.; OLG Köln, Urteile vom 26.05.2021 ‒ 13 U 205/19, juris Rn. 34 ff., allerdings unter Ausschluss der Zuständigkeit für Ansprüche des Darlehensnehmers aus § 812 BGB; OLG Köln, Urteil vom 08.07.2020 ‒ 13 U 20/19, juris Rn. 49; OLG Celle, Urteil vom 22.07.2020 ‒ 3 U 3/20, juris Rn. 64 ff.; Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 29.04.2021 ‒ 5 U 131/20, juris Rn. 34; OLG Saarbrücken, Urteil vom 13.08.2020 - 4 U 100/19, juris Rn. 179 ff.; Zöller-Schultzky, ZPO, 34. Aufl., § 29 Rn. 25.51; Staudinger/Herresthal, BGB, 2021, § 358 Rn. 269_2; Eymelt-Niemann in: Kern/Diehm, ZPO, 2020, § 29 Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsorts Rn. 61).
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c) Die Rechtsprechung des Senats zu dem Gerichtsstand bei negativen Feststellungsklagen (Urteile vom 27.11.2019, 31 U 114/18, juris Rn. 75 ff.; vom 16.12.2019, 31 U 90/19, juris; vom 23.03.2020 ‒ 31 U 155/19, vom 29.04.2020, 31 U 81/19) führt zu keiner abweichenden Bewertung. Der Senat hält mit der herrschenden Auffassung daran fest, dass sich die örtliche Zuständigkeit bei der negativen Feststellungsklage nach der Leistungsklage umgekehrten Rubrums und dem für eine solche Leistungsklage maßgeblichen Erfüllungsort richtet; hieraus ergibt sich im Falle des Widerrufs eines Darlehensvertrags gemäß § 29 Abs. 1 ZPO ein Gerichtsstand am Wohnsitz des Verbrauchers. Ein solcher negativer Feststellungsantrag zum Darlehensvertrag ist in dem hier zu entscheidenden Fall nicht gestellt worden. Es besteht danach keine Veranlassung zu erörtern, ob aus prozessökonomischen Erwägungen oder zur Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungen der Gerichtsstand für eine Zahlungsklage des Darlehensnehmers dem Gerichtsstand für eine gleichzeitig erhobene negative Feststellungsklage zu folgen hat (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 07.02.2023 ‒ 17 U 16/22, BeckRS 2023, 4742 Rn. 34; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 13.08.2020 ‒ 4 U 100/19, juris Rn. 180) oder die klagende Partei ‒ ggf. unter Berücksichtigung der Gründe für die Einführung des § 357 Abs. 4 S. 1 BGB ‒ darauf zu verweisen ist, die Klagen, die unterschiedliche Streitgegenstände behandeln (BGH, Urteil vom 03.07.2018 ‒ XI ZR 572/16, juris Rn. 17; OLG Köln, Urteil vom 26.05.2021 ‒ 13 U 205/19, juris Rn. 31), gemäß § 35 ZPO am einheitlichen Sitz der beklagten Partei (§§ 12, 17 ZPO) zu erheben, um etwaige Nachteile durch verschiedene Zuständigkeiten zu vermeiden (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 04.05.2021 ‒ 6 U 769/20, juris Rn. 20; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 20.01.2021 ‒ 4 U 94/20, juris Rn. 92).
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3. Für die weiteren Anträge zu 2. und 3. folgt die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts München I auch daraus, dass es sich bei der begehrten Feststellung des Annahmeverzugs und der Geltendmachung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten um Annexanträge zu den Anträgen zu 1. handelt (vgl. OLG Köln, Urteil vom 26.05.2021 ‒ 13 U 205/19, juris Rn. 35).
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4. Über den Antrag der Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 07.03.2023 auf Aussetzung des Verfahrens war nicht zu befinden. Die Frage der Berechnung des Wertersatzes ist für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit des Gerichts nicht erheblich; eine Entscheidung über den Antrag ist danach dem Landgericht München I vorbehalten. Entsprechendes gilt für die Hilfswiderklage der Beklagten, die nur für den Fall gestellt ist, dass die Klägerin mit ihren Sachanträgen Erfolg hat.
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Sonstige Gründe für eine Aussetzung liegen nicht vor. Soweit der Senat von einer Vorleistungspflicht des Darlehensnehmers nach § 357 Abs. 4 S. 1 BGB ausgeht, ergeben sich die Rechtsfolgen des Widerrufs aus dem nationalen Recht (BGH, Urteil vom 27. Oktober 2020 - XI ZR 498/19, juris Rn. 22 ff.), dessen Auslegung nach dem Wortlaut der einschlägigen Vorschriften, der Gesetzgebungsgeschichte und der Systematik der aufeinander bezogenen Normen eindeutig ist (BGH, Urteil vom 14.02.2023 ‒ XI ZR 152/22, juris Rn. 46; BGH, Urteil vom 26.10.2021 ‒ XI ZR 608/20, juris Rn. 19 f.; BGH, Urteil vom 26.07.2022 ‒ XI ZR 186/21, juris Rn. 21). Im Übrigen steht auch nach den Schlussanträgen des Generalanwalts Collins vom 16.02.2023 (Ziff. 8) in den Rechtssachen C-38/21, C-47/21 und C-232/21 Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. 2008, L 133, S. 66, berichtigt in ABl. 2009, L 207, S. 14, ABl. 2010, L 199, S. 40, und ABl. 2011, L 234, S. 46) dieser Verpflichtung nicht entgegen.
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II. Auf den erstmals im Berufungsverfahren gestellten Hilfsantrag der Klägerin ist der Rechtsstreit gemäß § 281 Abs. 1 Satz 1 ZPO - unter Aufhebung des rechtsfehlerfrei ergangenen Urteils des Landgerichts - an das sachlich und örtlich zuständige Landgericht München I zu verweisen.
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Hat das Gericht erster Instanz seine örtliche Zuständigkeit zu Recht verneint, kann die klagende Partei noch im Berufungsverfahren hilfsweise die Verweisung an das zuständige Gericht erster Instanz beantragen (BGH, Urteil vom 09.07.2014 ‒ VIII ZR 376/13, juris Rn. 52; OLG Stuttgart, Urteil vom 14.12.2021 ‒ 6 U 350/20, juris Rn. 26), ohne dass die Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO zu prüfen sind (OLG Braunschweig, Urteil vom 03.05.2022 ‒ 4 U 582/21, juris Rn. 34; OLG Köln, Urteil vom 16.06.2008 ‒ 5 U 238/07, juris Rn. 27; OLG München, Urteil vom 09.07.2013 ‒ 9 U 5159/12, juris Rn. 18). Um widerstreitende Entscheidungen zu vermeiden, ist das rechtsfehlerfrei ergangene Urteil des Landgerichts gleichzeitig mit der Verweisung aufzuheben, weswegen für die Entscheidung die Form des Urteils zu wählen war (vgl. BGH, Beschluss vom 15.06.1988 ‒ I ARZ 331/88, juris Rn. 3; OLG Braunschweig, Urteil vom 03.05.2022 ‒ 4 U 582/21, juris Rn. 35).
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III. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin entsprechend §§ 97 Abs. 1 und 2, 281 Abs. 3 S. 2 ZPO (vgl. OLG Köln, Urteil vom 16.06.2008 ‒ 5 U 238/07, juris Rn. 28). Die Entscheidung über die Kosten in erster Instanz ist in dem Schlussurteil des Landgerichts München I zu treffen (§ 281 Abs. 3 ZPO).
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IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713, 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
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Eine Zulassung der Revision kommt nicht in Betracht. Nach § 545 Abs. 2 ZPO kann die Revision nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen oder verneint hat. Demnach ist die Zuständigkeit des Gerichts erster Instanz der Nachprüfung durch das Revisionsgericht schlechthin entzogen (BGH, Urteil vom 07.03.2006 - VI ZR 42/05, juris Rn. 11; BGH, Beschluss vom 26.06.2003 - III ZR 91/03, juris Rn. 7; OLG Stuttgart, Urteil vom 13.01.2016 ‒ 9 U 183/15, juris Rn. 14).
RechtsgebietProzessrechtVorschriften§ 358 BGB