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  • 04.01.2022 · IWW-Abrufnummer 226709

    Amtsgericht Hamburg: Beschluss vom 06.10.2021 – 68h IK 120/21

    I. Die sog. Vorwirkungsrechtsprechung des BGH ist auch in Insolvenzverfahren mit Antragseingang nach dem 1.7.2014 im Stundungsbewilligungsverfahren weiterhin zu beachten.

    II. Die Angabe eines im Schuldnervermögen nicht existierenden vermögenswerten Anspruches im schuldnerseitigen Vermögensverzeichnis ist eine beachtliche Falschangabe im Sinne v. § 290 Abs.1 Nr.6 InsO, insbesondere, wenn erst dadurch amtswegige verfahrenskostensteigernde gerichtliche Ermittlungen zur Werthaltigkeit ausgelöst werden. Sie ist grob fahrlässig, wenn die Nichtzugehörigkeit zum Schuldnervermögen für den Schuldner aus einem amtlichen Bescheid erkennbar war. Das gleichlaufende Verschulden seines fachanwaltlichen Vertreters ist dem Schuldner im Antragsverfahren zuzurechnen.

    III. Der kurz vor Insolvenzantragstellung erfolgende Verbrauch eines Steuererstattungsguthabens der Ehefrau durch den antragstellenden Schuldner mit der Folge der Verunmöglichung eines Verfahrenskostenbeitrages der Ehefrau nach § 1360a BGB erfüllt den Restschuldbefreiungsversagungstatbestand nach § 290 Abs.1 Nr.4 InsO.


    68h IK 120/21

    6.10.2021

    BESCHLUSS
    Der Verfahrenskostenstundungsantrag des Schuldners v. 7.5.2021 für das Eröffnungsverfahren und das eröffnete Verfahren wird abgelehnt.

    Gründe:

    I. Der fachwanwaltlich vertretene Schuldner hat gesetzlichen Antragsbogen gem. VbrInsFV v. 7.5.2021 in der Vermögensübersicht gem. An. 4 unter Nr.1.6 (Forderungen gegen Dritte) EUR 5.781, 25 angegeben und in Anl. 5 C dies unter dort 1.3 als Steuererstattungsanspruch gegenüber dem FA Hamburg-Barmbek zu Steuererklärung f.d. Jahr 2020 konkretisiert. Das Gericht hat zur Aufklärung über Zahlungsunfähigkeit und Verfahrenskostendeckung daraufhin mit Beschluss v. 10.6.2021 gem. § 5 Abs.2 InsO einen Insolvenzsachverständigen bestellt, der in seinem Gutachten v. 30.6.2021, dort S.6, mitgeteilt hat, der Steuerserstattungsanspruch stehe allein der Ehefrau des Schuldners zu, die voraussichtliche Insolvenzmasse betrage 0 EUR und die Verfahrenskosten i.H.v. voraussichtlich EUR 2..596,72 seien nicht gedeckt.

    Der Schuldner hat in der nachfolgenden Anhörung eingeräumt, dass der Erstattungsanspruch nur seiner Ehefrau zustehe, die Falschangabe sei objektiv unrichtig, ihm falle allerdings nur leichte Fahrlässigkeit zur Last, die Vorwirkungsrechtsprechung gelte ohnehin nicht (mehr). Der mit Steuerbescheid v. 30.3.2021 festgestellte Erstattungsanspruch sei nach Auskehrung wegen Alkoholsucht verbraucht worden.

    II. Der Stundungsantrag ist abzulehnen, weil ein Restschuldbefreiungsversagungsgrund nach § 290 Abs.1 Nr.6 InsO vorliegt.

    1. Die sog. Vorwirkungsrechtsprechung des BGH (Berücksichtigung v. RSB-Versagungsgründen im Stundungsprüfungsverfahren analog § 4a Abs.1 S.3 InsO) (Überblick bei Homann, ZVI 2012, 285; Heyer, ZVI 2012, 130) ist im Stundungsbewilligungsverfahren weiterhin zu beachten. Die Regelung der Sperrfristtatbestände in § 287a InsO n.F. seit 1.7.2014 hat keinen Einfluß auf die sog. vorbeschriebene Anwendung der Rechtsprechung v.d. „Vorwirkung“ (Berücksichtigung) der Versagungsgründe bei der Stundungsgewährung oder -aufhebung (LG Duisburg v. 9.2.2017, ZVI 2017, 125=ZInsO 2017, 882 (Nichtmitwirkung bei der Beschaffung v. Steuerunterlagen); AG Göttingen v. 13.4.2016, ZInsO 2016, 1074; AG Oldenburg v. 30.3.2016, ZVI 2016, 254; AG Oldenburg (Oldenburg), Beschluss v. 28. 8. 2015, 61 IK 57/15, ZVI 2016, 42 ; AG Göttingen v. 10.10.2014, ZInsO 2014, 2531; Heyer, ZVI 2015, 357, 359; Uhlenbruck/Sternal, 15.Aufl.InsO, § 287a Rn. 6; Ahrens, Das neue Privatinsolvenzrecht, 2.Aufl., Rn.258, 260a (Ausnahme der Versagungsgrund nach § 290 Abs.1 Nr.7, da die Pflicht erst mit Eröffnung beginnt)).

    Die Anwendung dieser Rechtsprechung gilt auch nach der Reform zum 1.7.2014 weiter, da der Gesetzgeber bei der Reform zum 1.7.2014 bei den Stundungsregeln nur § 290 Abs.1 Nr.3 inkooperiert hat (AG Marburg, Beschl. v. 16.1.2018, BeckRS 2018, 01366=ZInsO 2018, 679; LG Duisburg v. 9.2.2017, ZVI 2017, 125 (Nichtmitwirkung bei der Beschaffung v. Steuerunterlagen; LG Düsseldorf, Beschluss vom 21.9.2016 - 25 T 744/16, BeckRS 2016, 119264 ‒Verletzung v. Auskunfts- und Mitwirkungspflichten; LG Karlsruhe v. 8.3.2018, VIA 2019, 37; Möhring, ZVI 2017, 289, 294). Die in der Minderheit vertretene gegenteilige Ansicht übersieht, das die Stundungsanrechtsprüfung im Eröffnungsverfahren von Amts wegen erfolgt und zunächst mit der RSB-Erteilungsfrage gar nichts zu tun hat, sondern im staatlichen Interesse der Begrenzung der Mittel aus der Staatskasse für sinnlose EntschuldungsvVerfahren erfolgt (Thüning, ZVI 2017, 377, 382; Heyer, ZVI 2015, 357, 359; Frind, ZInsO 2015, 542 m.w.N.; AG Hamburg v. 4.8.2015, ZInsO 2015, 2045; signifikant der diesbzgl. Verständnisirrtum bei Dawe, ZVI 2014, 435, der meint, es gehe um eine „gläubigerautonome Stundungsversagung“). Es geht bei der Stundung der Verfahrenskosten nicht um Herstellung des Zuganges des Schuldners „zum Verfahren“ (so aber Th.Reck, ZVI 2018, 348,351), sondern um Restschuldbefreiungsermöglichung mittels staatlicher Mittel. Dies setzt eine hinreichende Zweckerreichungswahrscheinlichkeit voraus, die BGH als Mittel-Zweck-Relation in der Stundungsbewilligungsprüfung beachtet haben will. Die überwiegende Ansicht bleibt daher zu Recht bei der Befürwortung einer Weitergeltung der Prüfungsrechtsprechung beim Stundungsantrag (Heyer, ZVI 2016, 129; Uhlenbruck-Sternal, 15.Aufl.InsO; § 287a Rn.6; Hergenröder, KTS 2013, 385, 397; Streck, ZVI 2014, 205, 209, 210; Blankenburg, ZInsO 2015, 2258, 2261; AG Augsburg, Beschluss vom 12.9.2017 - IK 459/17, BeckRS 2017, 130840=ZInsO 2018, 344 ; AG Oldenburg v. 30.3.2016, ZVI 2016, 254; AG Göttingen v. 14.10.2015, ZInsO 2015, 2341, 2342; AG Fürth, ZInsO 2015, 1518; Siebert, VIA 2016, 9, 10).

    Der BGH hat in jüngeren Entscheidungen nach Inkrafttreten der Reform zum 1.7.2014 keine Zweifel an der Vorwirkungsrechtsprechung erkennen lassen und diese angewandt (BGH v. 4.2.2016, ZInsO 2016, 596, Rn. 13, 14 zu § 20 Abs.1 Nr.3 InsO bzw. § 287a Abs.2 Nr.1 InsO nach Erteilung einer RSB). In der Entscheidung v. 4.5.2017 hatte er die Frage offengelassen (Beschluss vom 4.5.2017 - BGH, IX ZB 92/16, Rn.20; ZInsO 2017, 1444; befürwortend zur Fortgeltung aber Möhring, ZVI 2017, 289, 294). Mit Entscheidung v. 13.2.2020 hat der BGH allerdings dann an der Vorwirkungsrechtsprechung auch für Verfahren mit Eröffnung nach dem 1.7.2014 eindeutig festgehalten (BGH v. 13.2.2020, ZInsO 2020, 655, Rn.11). Der Gesetzgeber kannte bei der Reform die "Vorwirkungsrechtsprechung" und hätte diese, wie die "Sperrfristrechtsprechung" einschränken können, wenn er sie nicht gewollt hätte (Möhring, ZVI 2017, 289, 294).

    2. Die hiesig in Rede stehende Falschangabe im Vermögensverzeichnis steht fest (§ 290 Abs.1 Nr.6 InsO objektiver Tatbestand).

    Es handelt sich nicht um die v. Schuldnervertreter geforderte „umfassende“ Vermögensangabe, die auch zweifelhafte Ansprüche benennen soll. Insofern zitiert der Schuldnervertreter den Aufsatz Frind, NZI 2020, 502, zutreffend, aber f.d. vorliegenden Fall nicht einschlägig. Jeder Nennung v. Vermögensgegenständen oder vermögenswerten Ansprüchen hat eine schuldnerseitige Prüfung vorauszugehen, ob dese wirklich in seinem Eigentum stehen. Ist dies zu bejahren, müssen auch zweifelhaft gegebene oder zweifelhaft durchsetzbare Ansprüche aufgeführt werden. Vorliegend war aber nicht zweifelhaft, auch für den Schuldner nicht, dass der Steuererstattungsanspruch nur seiner Ehefrau zustand, denn er war sei Februar 2020 arbeitslos. Bei zweifelhaften Eigentumsverhältnissen hat der Schuldner die Prüfung derselben solange fortzusetzen, bis er ein belastbares Prüfungsergebnis in den gesetzlichen Antragsbogen eintragen kann. Der Schuldner behauptet vorliegend aber gar nicht, die Frage, wem der Anspruch zustand, vorher geprüft zu haben. Der Schuldner war fachanwaltlich beraten und hätte diese Prüfung vornehmen lassen müssen.

    Die falsche Angabe hat zu einer Erhöhung der Verfahrenskosten geführt. Das Gericht hat aufgrund der falschen Angabe berechtigt eine sachverständige Prüfung der Vermögenslage des Schuldners bzw. der Verfahrenskostendeckung veranlasst (§§ 4a, 5, 26, 54 InsO). Ansonsten wäre der Stundungsantrag aufgrund der Angabe eines durchsetzbaren und fälligen Anspruches in weit die  Verfahrenskosten überschreitender Höhe zusammen mit dem Eröffnungsbeschluss sogleich abzulehnen gewesen. Dies wäre in Ansehung der möglichen Amtsermittlung aber nicht korrekt gewesen. Die gerichtsseitig insofern provozierte sachverständige Prüfung hat die Nichtbelastbarkeit der schuldnerseitigen Angaben erwiesen. Dies führt zur Berücksichtigung des Schuldnerverhaltens in der Stundungsbewilligung (zu einem ähnlichen Fall AG Hamburg v. 19.2.2015, ZInsO 2015, 821).

    3. Die Falschangabe ist auch mindestens groß fahrlässig erfolgt.

    Der Schuldner hat sich bereits bei Fertigung und Ausfüllung des gesetzlichen Antragsbogens durch einen Fachanwalt für Insolvenzrecht beraten und im Verfahren bereits mit Antragseinreichung vertreten lassen. Mindestens dieser musste die Vermögensangaben des Schuldners, insbesondere diejenigen, die zur möglichen Ablehnung des Stundungsantrages würden führen können, überprüfen und hinterfragen. Dies ist ersichtlich nicht geschehen, da die Falschangabe in den gesetzlichen Antrag eingetragen wurde. Dieses Verschulden des anwaltlichen Beraters ist ein Verstoß gegen die Sorgfaltsanforderungen, die an einen Fachanwalt für Insolvenzrecht (aber auch an jeden anderen insolvenzrechtlich beratenden Rechtsanwalt) zu stellen sind. Das Verschulden ist somit grob fahrlässig (§ 276 Abs.2 BGB).

    Ein Verschulden des Schuldnerberaters bei der außergerichtlichen Beratung ist dem Schuldner gem. § 85 Abs.2 ZPO (anzuwenden über § 4 InsO i.V.m. § 278 Abs.1 BGB) zuzurechnen (AG Duisburg, ZVI 2005, 309; a.A. Henning in K.Schmidt, 19.Aufl.InsO, § 290 Rn.11). Der BGH hat angedeutet, dass die Vorschrift über § 4 InsO auf Versäumung von Verfahrenshandlungen entsprechende Anwendung im Insolvenzverfahren finden kann (BGH v. 10.2.2010, IX ZB 250/08, NZI 2011, 254 Rn.8).

    Das eigene- zusätzlich notwendige- Verschulden des Schuldners liegt in der Übernahme dieses Prüfungsergebnisses, dass der Erstattungsanspruch in Anl. 4 und Anl. 5 C einzutragen sei (hierzu BGH, Beschluss vom 11. Mai 2010 - IX ZB 167/09, ZVI 2010, 345 Rn. 9, 11; LG Hamburg v. 10.7.2017, ZInsO 2017, 1853). Der Schuldner wusste, dass er seit Februar 2020 arbeitslos war. Der Steuerbescheid verzeichnet den Erstattungsanspruch nur aufgrund der beruflichen Einkünfte der Ehefrau. Der Insolvenzsachverständige hat zutreffend auf § 87 Abs.2 AO hingewiesen. Der Schuldner hätte seinen rechtlichen Berater zur Frage der richtigen Einordnung der Anspruchsangabe (bei Eigeneintragung) befragen müssen bzw. hätte das v. diesem vorgenommene Eintragungsergebnis (bei Eintragung durch diesen) nicht hinnehmen dürfen.

    4. Der Schuldner hat kurz nach Erhalt des Steuerbescheides v. 30.3.2021 am 7.5.2021 Insolvenzantrag gestellt und den, wie regelhaft erfolgend, Anfang April ausgekehrten Betrag v. über 5.000,-- vorher verbraucht (Angabe gegenüber dem Insolvenzsachverständigen, handschriftlich am 20.6.2021, Bl. 60 d.A.). Dies erfüllt zusätzlich den Versagungstatbestand nach § 290 Abs.1 Nr.4 InsO. Denn insofern ist auch ein Stundungskostenbeitrag der Ehefrau nach § 1360a BGB, den der BGH in ständiger Rechtsprechung als gegeben annimmt (zuletzt BGH v. 25.11.2009, NJW 2010, 372), verunmöglicht worden.

    5. Damit stehen zur Überzeugung des Gerichtes zwei Versagungstatbestäne fest. Auf eine mögliche oder wahrscheinliche Antragstellung durch Insolvenzgläubiger nach Eröffnung kommt es nicht an (siehe BGH v. 13.2.2020, ZInsO 2020, 655, Rn.15,16 zur Irrelevanz der Frage, ob eine Forderung später nach § 302 InsO auch angemeldet wird für die Vorwirkungsberücksichtigung).

    folgt: Rechtsmittelbelehrung.

    Vorschriften§ 290 InsO; Restschuldbefreiung