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  • 18.03.2025 · IWW-Abrufnummer 247132

    Kammergericht Berlin: Urteil vom 11.02.2025 – 21 U 89/23

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Kammergericht Berlin, Urteil vom 11.02.2025, Az. 21 U 89/23

    Tenor:

    1. Auf die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts vom 26. Juli 2023 unter Aufhebung der Kostenentscheidung wie folgt geändert:

    Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 81.380,68 € nebst Zinsen in Höhe von neun Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16. Dezember 2018 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

    2. Im Übrigen werden die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers zurückgewiesen.

    3. Die Kosten des Rechtsstreits über beide Instanzen haben der Kläger zu 70 %, die Beklagte zu 30 % zu tragen.

    4. Dieses und fortan auch das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die gegen sie gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

    5. Die Revision wird zugelassen.

    Gründe
    1
    Die Parteien streiten um gegenseitige Ansprüche aus einem gekündigten Bauvertrag.

    2
    Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der X GmbH (im Folgenden: Schuldnerin), eines Unternehmens, das Elektroinstallationen ausführte.

    3
    Die Beklagte hatte als Generalübernehmerin den Umbau des gewerblich genutzten Gebäudes G in Berlin übernommen.

    4
    Mit Bauvertrag vom 2. Juni 2015 (Anlage K 2) beauftragte die Beklagte die Schuldnerin mit der Ausführung der Elektroinstallationen auf dem Bauvorhaben. Der Vertrag teilt die Leistungen auf in den "Grundausbau" und den "Mieterausbau". Für den Grundausbau vereinbarten die Parteien eine Pauschalvergütung von 556.145,51 € netto (§ 2.1 des Bauvertrags), für den Mieterausbau eine Vergütung nach Einheitspreisen. In beiden Fällen hatte die Schuldnerin der Beklagten einen Nachlass von 4,17 % auf ihr erstes Angebot gewährt.

    5
    Der Bauvertrag bezieht u.a. die VOB/B ein (§ 1.1.14) und enthält u.a. die folgenden Bestimmungen, wobei die Schuldnerin als AN und die Beklagte als AG bezeichnet werden:

    6
    § 2.6: Es wird ein Nachlass in Höhe von 4,17 % bei der Abrechnung von Einheitspreisen abgezogen, auch von denen der beauftragten Nachträge, deren Preise auf der Grundlage der Preisermittlung für die vertragliche Leistung zu bilden sind.

    7
    § 2.7: Auf die Kosten der vom AG abgeschlossenen Bauwesenversicherung sowie auf die Verbrauchskosten (z.B. Strom Wasser) und etwaigen Kosten für Messer und Zähler werden bei der Schlussrechnung pauschal 1,8 % der Auftragssumme vom Vergütungsanspruch des AN in Abzug gebracht.

    8
    § 5.1: Der Beginn (Anm.: der Bauarbeiten) erfolgt auf Anforderung der örtlichen Bauüberwachung gem. § 5 Abs. 5 VOV/B. Der AN benötigt ab Beginn der Leistung maximal sechs Monate, wobei parallel im Altbau und im Neubau gearbeitet wird.

    9
    Voraussichtlicher Beginn der Ausführung der Leistungen auf der Baustelle: April 2016. (...)

    10
    Gesamtfertigstellung der vertraglichen Leistung: September 2016

    11
    § 6.1: Für jeden Werktag, um den der AN verbindliche Ausführungsfristen (Vertragsfristen) schuldhaft überschreitet, hat er eine Vertragsstrafe von 0,25 % der Nettoabrechnungssumme an den AG zu zahlen, insgesamt jedoch höchstens 5 % der Nettoabrechnungssumme.

    12
    § 6.5: Die Vertragsstrafenregelung gilt ebenso im Falle einer Vereinbarung neuer Vertragstermine. Einer neuen Vereinbarung der Vertragsstrafe bedarf es in diesem Fall nicht.

    13
    § 10.1: Die Verjährungsfrist für Gewährleistungsansprüche beträgt für alle Leistungen nach diesem Vertrag 4 Jahre.

    14
    § 12.1: Der AG ist berechtigt, als Sicherheit für die Gewährleistung 5 % der Schlussrechnungssumme einzubehalten. Der AN ist berechtigt, den Sicherheitseinbehalt durch eine Gewährleistungsbürgschaft gem. § 17 VOB/B abzulösen.

    15
    § 12.2: Dem AG steht die Sicherheitsleistung bis zum Ablauf der vereinbarten Gewährleistungsfrist zu. Im Übrigen gelten die Bestimmungen der VOB/B.

    16
    Zur Vertragsurkunde gehört außerdem u.a. ein Verhandlungsprotokoll, in dem es auf S. 3 f heißt:

    17
    Ausführungsbeginn: September 2015 (...)

    18
    Gesamtfertigstellungstermin des Objekts: Frühjahr / Mitte 2016 (31.03.16).

    19
    Wegen der weiteren Einzelheiten des Vertrags wird auf die Anlage K 2 verwiesen.

    20
    Die Schuldnerin hatte im Jahr 2018 die Arbeiten noch nicht fertiggestellt; die Gründe hierfür sind umstritten. Die Beklagte beauftragte die Schuldnerin mit mehreren Nachträgen, auch noch im Jahr 2018.

    21
    Im Verlauf des Jahres 2018 rügte die Beklagte mehrfach gegenüber der Schuldnerin die Unterbesetzung der Baustelle.

    22
    Am 2. Oktober 2018 stellte die Schuldnerin einen Insolvenzantrag beim Amtsgericht Charlottenburg.

    23
    Mit Schreiben vom 5. Oktober 2018 (Anlage K 3) erklärte die Beklagte die Kündigung des Bauvertrags und begründete dies mit der ungenügenden Besetzung der Baustelle sowie dem Insolvenzantrag der Schuldnerin.

    24
    Am 11. Oktober 2018 stellten die Parteien gemeinsam den Stand der Leistungen der Schuldnerin fest und erstellten hierüber ein Protokoll (Anlage K 6).

    25
    Am 16. Oktober 2018 legte die Schuldnerin Schlussrechnung über ihre Leistungen (Anlage K 4). Diese Rechnung setzt sich aus den folgenden vier Titeln zusammen, wobei alle Beträge gemäß § 13b UStG nur netto angegeben werden:

    26
    Titel 1: Elektroinstallationen Mieterausbau (in der Schlussrechnung als "Elektroinstallationen Ausbau" bezeichnet). Hier rechnet die Schuldnerin die Leistungen, die aus ihrer Sicht erbracht sind, nach Einheitspreisen ab. Beauftragte Leistungen, die sie aufgrund der Kündigung nicht mehr erbracht hatte, setzt sie mit 0 an. Es errechnet sich ein Gesamtbetrag für die Elektroinstallationen Mieterausbau von 366.644,93 €.

    27
    Titel 2: Nachträge zum Mieterausbau. Die Beklagte hatte die Schuldnerin mit Nachträgen zum Mieterausbau beauftragt. Diese rechnet die Schuldnerin auf die gleiche Weise nach Einheitspreisen ab und kommt zu einem Gesamtbetrag von 15.249,35 €.

    28
    Titel 3: Grundausbau. Den "Grundausbau" bringt die Schuldnerin mit einem Pauschalpreis von 528.800,21 € in Ansatz.

    29
    Titel 4: Nachträge. Schließlich rechnet die Schuldnerin in ihrer Schlussrechnung weitere Nachträge ab, und zwar insbesondere den Nachtrag 25 (Gegensprechanlage), den Nachtrag 26 (Unterverteilungen) und den Nachtrag 27 (Datennetz Mieterausbau). Für diese Nachträge stellt sie einen Betrag von 332.435,78 € in die Schlussrechnung ein.

    30
    Somit berechnet die Schuldnerin die folgende Gesamtvergütung:

    31

    Titel 1: Elektroinstallationen Mieterausbau:    366.644,93 €
    Titel 2: Elektroinstallationen Mieterausbau Nachtrag:    15.249,35 €
    Titel 3: Grundausbau:    528.800,21 €
    Titel 4: Nachträge:    332.435,78 €
    Summe:    1.243,130,27 €
    32
    Der Kläger meint, der Schuldnerin sei in der Schlussrechnung bei der Abrechnung des Grundausbaus (Titel 3) ein Fehler unterlaufen. Da sie die Leistungen dieses Titels vollständig erbracht habe, sei insoweit die volle Pauschale von 556.145,51 € in Ansatz zu bringen. Von der sich errechnenden korrigierten Gesamtvergütung von 1.270.475,57 € seien Zahlungen der Beklagten in Höhe von 966.788,51 € in Abzug zu bringen, sodass sich eine noch offene Forderung der Schuldnerin von 280.818,50 € ergebe.

    33
    Die Beklagte leistete nach Schlussrechnungslegung keine Zahlungen mehr an die Schuldnerin bzw. den Kläger. Sie ließ die kündigungsbedingt unvollständigen Leistungen der Schuldnerin durch andere Unternehmen fertigstellen.

    34
    Am 29. Dezember 2021 hat der Kläger beim Landgericht Berlin Klage gegen die Beklagte auf Zahlung von 280.818,50 € nebst Zinsen eingereicht. Das Landgericht hat am 11. Januar 2022 veranlasst, dass dem Kläger die Gerichtskosten in Rechnung zu stellen sind, die der Kläger sodann am 21. Januar 2022 eingezahlt hat. Daraufhin ist der Beklagten die Klage am 9. Februar 2022 zugestellt worden.

    35
    Die Beklagte hat vor dem Landgericht die Abweisung der Klage beantragt. Dies hat sie insbesondere mit den folgenden Argumenten begründet:

    36
    Die Schuldnerin habe weniger Leistungen erbracht als abgerechnet, der Wert der abgerechneten, aber tatsächlich nicht erbrachten Mindermengen belaufe sich auf 30.961,91 €.

    37
    Für den Grundausbau sei nur der in die Schlussrechnung eingestellte Betrag abzurechnen.

    38
    Die Vergütung der Nachträge sei gemäß § 2.6 des Bauvertrags um 4,17 % zu kürzen.

    39
    Außerdem sei von der Rechnungssumme gemäß § 2.7 des Bauvertrags die Kostenpauschale von 1,8 % abzuziehen.

    40
    Die Schuldnerin habe die vereinbarte Vertragsstrafe im maximalen Umfang von 5 % verwirkt. Mit dieser Vertragsstrafe hat die Beklagte in der Klageerwiderung vom 25. April 2022 die Aufrechnung erklärt.

    41
    Die Beklagte habe die Leistung durch Drittunternehmen fertigstellen lassen, wodurch ihr Kosten in Höhe von 332.739,33 € entstanden seien. Mit dem hierauf gestützten Schadensersatzanspruch hat die Beklagte in der Klageerwiderung vom 25. April 2022 die Aufrechnung erklärt.

    42
    Die Beklagte sei weiterhin zu einem Gewährleistungseinbehalt von 5 % der Nettoabrechnungssumme berechtigt.

    43
    Die von ihr geleisteten Zahlungen seien um 50.000,00 € höher als vom Kläger berücksichtigt.

    44
    Der Kläger ist diesen Einwendungen entgegengetreten. Unter anderem meint er, die Beklagte sei nicht aus wichtigem Grund zur Kündigung des Bauvertrags berechtigt gewesen. Ferner weist er darauf hin, dass die von der Beklagten erklärte Aufrechnung gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig sei.

    45
    Mit Urteil vom 26. Juli 2023 hat das Landgericht die Beklagte zur Zahlung von 139.930,53 € nebst Zinsen an den Kläger verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Wegen der Begründung des Landgerichts wird auf dieses Urteil verwiesen.

    46
    Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit der Berufung, zu deren Begründung sie ihr erstinstanzliches Vorbringen vertieft.

    47
    Die Beklagte beantragt,

    48
    das Urteil des Landgerichts dahin abzuändern, dass die Klage vollständig abgewiesen wird.

    49
    Der Kläger beantragt,

    50
    die Berufung zurückzuweisen.

    51
    Im Wege der Anschlussberufung beantragt er,

    52
    das Urteil des Landgerichts dahin abzuändern, dass die Beklagte verurteilt wird, weitere 140.887,97 € nebst Zinsen in Höhe von neun Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie Zinsen in dieser Höhe aus 166.298,57 € vom 16. Dezember 2018 bis Rechtshängigkeit zu zahlen.

    53
    Die Beklagte beantragt,

    54
    die Anschlussberufung zurückzuweisen.

    B.

    55
    Die zulässige Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts vom 26. Juli 2023 ist insoweit begründet, als ihre Verurteilung zur Zahlung auf eine Hauptforderung von 81.380,68 € zu reduzieren ist.

    56
    Die ebenfalls zulässige Anschlussberufung des Klägers ist insoweit begründet, als die Verzinsung der Hauptforderung nicht wie vom Landgericht entschieden am 10. Februar 2022, sondern bereits am 19. Dezember 2018 einzusetzen hat.

    57
    Soweit sie darüber hinausgehen, haben beide Rechtsmittel keinen Erfolg.

    58
    I. Berufung der Beklagten

    59
    Die Berufung der Beklagten hat insoweit Erfolg, als sie nur zur Zahlung einer Hauptforderung von 81.380,68 € an den Kläger zu verurteilen ist. Soweit sie das Landgericht zu einer höheren Zahlung verurteilt hat, ist das Urteil dahin abzuändern, dass die Klage abgewiesen wird. Die darüber hinausgehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

    60
    Der Kläger hat einen Anspruch aus §§ 6 Abs. 5 S. 1, 8 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 VOB/B gegen die Beklagte in Höhe von 81.380,68 €. Weder aus dieser noch aus einer anderen Rechtsgrundlage steht dem Kläger ein höherer Anspruch gegen die Beklagte zu.

    61
    1. Kündigungsvergütung aus §§ 6 Abs. 5 S. 1, 8 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 VOB/B.

    62
    Der Schuldnerin steht nur die sich aus diesen Vorschriften ergebende Kündigungsvergütung gegen die Beklagte zu.

    63
    Die Beklagte hat durch ihr Schreiben vom 5. Oktober 2018 den Bauvertrag mit der Schuldnerin wirksam gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 VOB/B gekündigt. Damit hat sich der Vergütungsanspruch der Schuldnerin auf die um Aufwendungsersatz erhöhte "kleine" Kündigungsvergütung aus § 6 Abs. 5 S. 1 VOB/B abgesenkt (§ 8 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 VOB/B - "erhöhte kleine Kündigungsvergütung"), nicht aber auf die große Kündigungsvergütung aus § 648 BGB.

    64
    Die große Kündigungsvergütung könnte der Schuldnerin allenfalls dann zustehen, wenn sich die Beklagte bei ihrer Kündigung nicht auf das Kündigungsrecht aus § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 VOB/B hätte berufen können. Doch dem ist nicht so. Die Beklagte konnte ihre Kündigung vom 5. Oktober 2018 wirksam auf dieses Kündigungsrecht stützen.

    65
    a) Das Kündigungsrecht aus § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 VOB/B ist wirksam.

    66
    Die Parteien haben durch die Einbeziehung der VOB/B in ihren Bauvertrag das Kündigungsrecht aus § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 VOB/B wirksam vereinbart.

    67
    Zwar handelt es sich bei dieser Regelung um eine insolvenzabhängige Lösungsklausel, da sie dem Besteller eines Bauvertrags ein Kündigungsrecht zubilligt, wenn der Unternehmer einen Insolvenzantrag gestellt hat. Derartige Regelungen sind wegen Verstoßes gegen §§ 103, 119 InsO unwirksam, wenn der insolvenzabhängige Umstand für sich allein die Lösung vom Vertrag ermöglicht und die Lösungsklausel in Voraussetzungen oder Rechtsfolgen von gesetzlichen Lösungsmöglichkeiten abweicht, ohne dass für diese Abweichungen bei objektiver Betrachtung ex ante zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses auf der Grundlage der wechselseitigen Interessen der Parteien berechtigte Gründe bestehen (BGH, Urteil vom 27. Oktober 2022, IX ZR 213/21, Rn. 31).

    68
    Nach der Rechtsprechung des VII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs verstößt § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 VOB/B nicht in diesem Sinne gegen §§ 103, 119 InsO, da dieser Kündigungstatbestand nur ein bei einem Bauvertrag ohnehin kraft Gesetzes gegebenes Kündigungsrecht des Bestellers nachzeichne (BGH, Urteil vom 7. April 2016, VII ZR 56/15, Rn. 24 ff). Ebensowenig verstoße die Regelung gegen § 307 BGB (BGH, Urteil vom 7. April 2016, VII ZR 56/15, Rn. 51 ff).

    69
    Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs scheint dieser Sichtweise jedenfalls nicht zu widersprechen. Er hat für einen Werkvertrag in Form eines Schülerbeförderungsvertrags entschieden, dass eine Regelung, die bei einem Insolvenzantrag des Unternehmers die Kündigung des Vertrags aus wichtigem Grund durch den Besteller zulässt, jedenfalls dann wirksam ist, wenn der Besteller bei einer typisierten, objektiven Betrachtung ex ante zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ein berechtigtes Interesse daran hatte, durch diese Regelung Vorsorge für eine mit einem Insolvenzfall einhergehende besondere Risikoerhöhung zu treffen (BGH, Urteil vom 27. Oktober 2022, IX ZR 213/21). Ob der Insolvenzantrag im konkreten Fall eine besondere Risikoerhöhung darstellt, hat der IX. Zivilsenat in der genannten Entscheidung offenbar als Tatsachenfrage angesehen, zu der ein Gericht den Sachverhalt aufklären muss (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 2022, IX ZR 213/21, Rn. 64: Deshalb hat der BGH in jenem Fall den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen). Dies dürfte aber den Besonderheiten des dort in Rede stehenden Schülerbeförderungsvertrags geschuldet gewesen sein. Wenn der VII. Zivilsenat bei einem Bauvertrag demgegenüber generell und ohne nähere Aufklärung von Einzelheiten von einem berechtigten Interesse des Bestellers an der insolvenzbedingten Lösungsklausel in § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 VOB/B ausgeht (Urteil vom 7. April 2016, VII ZR 56/15, Rn. 35 ff), dürfte dies somit in Einklang mit der Sichtweise des IX. Zivilsenats stehen und überzeugt jedenfalls den hier erkennenden Senat des Kammergerichts, sodass er sich der Entscheidung des VII. Zivilsenats anschließt und den Kündigungstatbestand aus § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 VOB/B ebenfalls für wirksam erachtet.

    70
    b) Kündigungsvoraussetzung ist erfüllt.

    71
    Die Voraussetzung des Kündigungstatbestands gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 VOB/B war im Zeitpunkt der Kündigung am 5. Oktober 2018 erfüllt, da die Schuldnerin am 2. Oktober 2018 einen Insolvenzantrag gestellt hatte.

    72
    2. Gesamtvergütung der Schuldnerin vor Abzügen

    73
    Die Schuldnerin hat vor Abzügen eine Vergütung 1.105.204,35 verdient (§§ 6 Abs. 5 S. 1, 8 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 VOB/B).

    74
    Ausgehend von der Schlussrechnung K 4 ermittelt sich dieser Betrag wie folgt:

    75
    a) Titel 1 Elektroinstallationen Mieterausbau: 344.378,68 €

    76
    Für den Titel 1 - Elektroinstallationen Mieterausbau - steht dem Kläger eine Vergütung von 344.378,68 € zu.

    77
    aa) Ausgangspunkt: Titelsumme in der Schlussrechnung

    78
    Nach der Schlussrechnung errechnet sich für die unter diesem Titel zusammengefassten Leistungen zunächst eine Vergütung von 366.644,93 €.

    79
    Dieser Betrag ist um einen Korrekturbetrag von 22.266,25 € überhöht, da die Schuldnerin Leistungen in Ansatz gebracht hat, die sie tatsächlich nicht oder jedenfalls nicht in diesem Umfang erbracht hat.

    80
    Dieser Korrekturbetrag ermittelt sich wie folgt:

    81
    bb) Mindermengentabelle in der Klageerwiderung

    82
    Die Parteien sind sich in der ersten Instanz darin einig gewesen, dass der Umfang der Leistungen der Schuldnerin in dem offenbar gemeinsamen Aufmaß vom 11. Oktober 2018 (Anlage K 6) richtig wiedergegeben ist (vgl. Klageschrift, S. 5; Schriftsatz der Beklagten vom 25. April 2022, S. 7 f; Schriftsatz des Klägers vom 15. August 2022, S. 3).

    83
    Daraus folgt, dass der Schuldnerin keine Vergütung zusteht, soweit sie eine Teilleistung mit einer größeren Menge abrechnet, als im Aufmaß angegeben.

    84
    Dies hat die Beklagte für einzelne Positionen des Titels 1 in der Klageerwiderung unter "Mindermengen" behauptet. Dort hat sie in einer Tabelle Positionen der Schlussrechnung aufgeführt, bei denen die Schuldnerin höhere Mengen in Ansatz gebracht haben soll, als sich aus dem Aufmaß ergeben (Schriftsatz der Beklagten vom 25. April 2022, S. 7 f).

    85
    Gleicht man diese Tabelle mit einerseits dem gemeinsamen Aufmaß (Anlage K 6) und andererseits der Schlussrechnung (Anlage K 4) ab, so ergibt sich:

    86
    Hinsichtlich der Positionen 1.3.460, 1.4.110, 1.4.120, 1.4.220 und 1.4.320 hat die Beklagte in der Tat schlüssig überhöhte Mengenansätze und entsprechend überhöhte Teilvergütungen vorgetragen. Der Kläger hat keine erheblichen Einwände hiergegen vorgebracht.

    87
    Bei der Position 1.4.320 ist die Schlussrechnung ebenfalls überhöht. Aus dem handschriftlichen Zusatz im gemeinsamen Aufmaß ergibt sich aber, dass die Schuldnerin insoweit nicht die von der Beklagten aufgeführten 190 Stück, sondern gar keine Leistungen erbracht hat. Somit beträgt die Überhöhung an dieser Stelle nicht nur 6.389,28 € wie von der Beklagten angegeben, sondern 9.199,38 €.

    88
    Bei der Position 1.10.570 verhält es sich umgekehrt: Hier weist das Aufmaß 200 Stück aus, während die Schuldnerin nur 127 Stück in die Schlussrechnung eingestellt hat. Somit ist diese hier nicht überhöht, sondern um 73 Stück, also 1.481,90 €, zu gering ausgefallen, wodurch sich der Betrag der Gesamtüberhöhung entsprechend verringert.

    89
    Ab der Position 2.2.50 fallen die in der Tabelle aufgeführten Positionen in den Titel 2 (Elektroinstallationen Mieterausbau Nachträge) und haben an dieser Stelle außer Betracht zu bleiben.

    90
    Für die Positionen 1.3.460 bis 1.10.570 ergibt sich im Saldo eine um 22.266,25 € überhöhte Vergütung.

    91
    cc) Weiterer Vortrag zu Mindermengen in der Klageschrift

    92
    Soweit die Beklagte ebenfalls in der Klageerwiderung, aber in anderem Zusammenhang auf mehrere Positionen verweist, bei denen die Schuldnerin keine Leistungen erbracht habe (Schriftsatz der Beklagten vom 25. April 2022, S. 9), zeigen Stichproben, dass sie in der Schlussrechnung alle mit der Menge 0 in Ansatz gebracht worden sind. Sollte es hier vereinzelte Ausnahmen geben, hätte die Beklagte sie konkret bezeichnen müssen; es ist nicht die Aufgabe des Senats, für sie die Rechnungsprüfung zu übernehmen.

    93
    Somit hat die Beklagte an dieser Stelle keine unrichtigen Mengenansätze in der Schlussrechnung nachvollziehbar aufgezeigt.

    94
    dd) Vortrag zu Mindermengen in der Berufungsinstanz

    95
    In ihrem Schriftsatz vom 23. April 2024 an das Berufungsgericht behauptet die Beklagte erstmals, dass die Schlussrechnung in weiteren Positionen der Titel 1 und 2 überhöht sei, da die Schuldnerin auch dort nicht erbrachte Mengen in Ansatz bringe bzw. doppelt abrechne (a.a.O., S. 2 ff). Der Gesamtbetrag der insoweit überhöhten Vergütung soll sich auf 132.292,23 € belaufen.

    96
    Der Kläger hat diese angeblichen doppelten oder überhöhten Mengenansätze bestritten. Somit handelt es sich bei diesem Vorbringen um ein im Berufungsrechtzug neu vorgebrachtes streitiges Verteidigungsmittel. Mit diesem ist die Beklagte ausgeschlossen, da es nicht gemäß § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen ist.

    97
    Dass überhöhte oder doppelt abgerechnete Mengenansätze in der Schlussrechnung für die Entscheidung des Rechtsstreits bedeutsam sind, ist offenkundig. Das Landgericht hat diesen Punkt weder übersehen noch für unerheblich gehalten, § 531 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Dies zeigt sich beispielsweise daran, dass sich das Landgericht mit dem bereits erwähnten erstinstanzlichen Vortrag der Beklagten zu Mindermengen (Schriftsatz der Beklagten vom 25. April 2022, S. 7 f) in seinem Urteil auseinandersetzt und ihn zugunsten der Beklagten berücksichtigt (Urteil des Landgerichts, S. 5).

    98
    Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Beklagte durch einen Verfahrensfehler davon abgehalten worden wäre, ihr neues Vorbringen zu angeblichen weiteren überhöhten Mengenansätzen bereits in der ersten Instanz geltend zu machen, § 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

    99
    Schließlich beruht es auf einer Nachlässigkeit der Beklagten, dass sie dieses Vorbringen nicht bereits in der ersten Instanz geltend gemacht hat, § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO. Es ist offenkundig, dass die Überhöhung von Mengenansätzen in einer Vergütungsforderung bei der Verteidigung gegen eine hierauf gestützte Klage von Bedeutung ist. Die Beklagte hatte dies auch erkannt, denn sie hat bereits in ihrer Klageerwiderung solche überhöhten Positionen geltend gemacht (Schriftsatz der Beklagten vom 25. April 2022, S. 7 f). Dies hätte Anlass für sie sein müssen, die Abrechnung der Schuldnerin auf weitere überhöht oder doppelt abgerechnete Positionen hin zu überprüfen oder überprüfen zu lassen. Wenn sie damit angeblich bis zum 28. März 2024 gewartet hat (Schriftsatz der Beklagten vom 23. April 2024, S. 1), ist dies nachlässig.

    100
    Der Senat hat die Beklagte vor dem letzten Termin darauf hingewiesen, dass sie mit dem Ausschluss ihres Vorbringens zu rechnen hat (Schreiben vom 1. August 2024). Die Beklagte hat daraufhin keine Gesichtspunkte vorgetragen, die dem entgegenstehen können. Sie beschränkt sich auf die Behauptung, die doppelte Abrechnung von Leistungen sei treuwidrig, weshalb die Anwendung von § 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen sei. Dies ist nicht ausreichend. Denn die angebliche doppelte Abrechnung ist zwischen den Parteien umstritten und kann nicht ohne weitere Sachaufklärung anhand ihres Vorbringens überprüft werden. Folglich kann eine solche unbewiesene Behauptung auch nicht dem Ausschluss gemäß § 531 Abs. 2 ZPO entgegenstehen.

    101
    ee) Ergebnis: Berechtigte Vergütung für Titel 1

    102
    Es errechnet sich für den Titel 1 eine berechtigte Vergütung von 366.644,93 € - 22.266,25 € = 344.378,68 €.

    103
    b) Titel 2 - Elektroinstallationen Mieterausbau Nachträge 9.478,00 €

    104
    Unter dem Titel 2 - Elektroinstallationen Mieterausbau steht dem Kläger eine Vergütung von 9.478,00 € zu.

    105
    aa) Ausgangspunkt: Titelsumme in der Schlussrechnung

    106
    Ausgangspunkt ist hier zunächst der in der Schlussrechnung unter diesem Titel ermittelte Betrag von 15.249,35 €.

    107
    In diese Vergütung sind ebenfalls in einzelnen Positionen Mengenansätze eingeflossen, die gegenüber dem Aufmaß überhöht sind.

    108
    bb) Mindermengentabelle in der Klageerwiderung

    109
    Auch die Vergütung des Titels 2 ist auf Grundlage der von der Beklagten in der Klageerwiderung vorgetragenen Mindermengentabelle zu korrigieren (Schriftsatz der Beklagten vom 25. April 2022, S. 7 f).

    110
    Entsprechend den Ausführungen unter a) bb) errechnen sich für die Positionen, die unter den Titel 2 fallen (Positionen ab 2.2.50 in der Tabelle):

    111
    Hinsichtlich der Positionen 2.2.50, 2.2.60, 2.2.100 und 2.3.180 hat die Beklagte schlüssig überhöhte Teilvergütungen vorgetragen, gegen die der Kläger keine erheblichen Einwände vorbringt. Die beiden letzten angeblich überhöhten Positionen in der Mindermengentabelle, die die Beklagte jeweils mit "NA 25" bezeichnet hat, sind hingegen unverständlich und nicht nachprüfbar. Insoweit ist deshalb keine Überhöhung der Schlussrechnung festzustellen. Es ergibt sich, dass die Positionen um insgesamt 5.771,35 € überhöht sind. Unter dem Titel 2 hat die Schuldnerin somit eine Vergütung von 15.249,35 € - 5.771,35 € = 9.478,00 € verdient.

    112
    cc) Keine weiteren Abzüge

    113
    Weitere überhöhte Positionen des Titels werden von der Beklagten nicht bzw. nicht in zu berücksichtigender Form vorgetragen. Es gelten die Ausführungen unter a) bb) und cc) entsprechend.

    114
    dd) Ergebnis: Berechtigte Vergütung für Titel 2

    115
    Es errechnet sich für den Titel 2 eine berechtigte Vergütung von 15.249,35 € - 5.771,35 € = 9.478,00 €.

    116
    c) Titel 3 - Grundausbau

    117
    Unter dem Titel 3 steht der Schuldnerin eine Vergütung von 556.145,51 € zu.

    118
    Für die von den Parteien als Grundausbau bezeichneten Leistungen hat die Beklagte der Schuldnerin eine Pauschalvergütung in dieser Höhe zugesagt, vgl. § 2.1 des Bauvertrags.

    119
    Die Klägerin hat bereits in der Klageschrift vorgetragen, den Grundausbau vollständig erbracht zu haben.

    120
    Die Beklagte stellt dies lediglich abstrakt in Abrede, ohne auf nachvollziehbare Weise konkrete Leistungen des Grundausbaus zu nennen, die die Schuldnerin noch nicht erbracht haben soll: In der Klageerwiderung verweist die Beklagte auf mehrere Positionen, bei der die Schuldnerin keine oder jedenfalls keine vollständigen Leistungen erbracht habe, weshalb ihre Abrechnung zu kürzen sei (Schriftsatz vom 25. April 2024, S. 9 f), die aufgeführten Positionen betreffen aber alle den Mieterausbau bzw. die dazugehörigen Nachträge, also die Titel 1 und 2. Wenn die Schuldnerin sie nicht oder in geringerem Umfang erbracht haben sollte, ist dies innerhalb der Titel 1 und 2 bei den dortigen Mengenansätzen zu berücksichtigen. Aus solchen Minderleistungen folgt aber nicht, dass die Schuldnerin den als Titel 3 abgerechneten Grundausbau nicht in voller Höhe erbracht hätte, deshalb rechtfertigen sie entgegen der Ansicht der Beklagten (Schriftsatz vom 25. April 2024, S. 9 f) auch nicht die Kürzung der Grundausbaupauschale.

    121
    d) Titel 4 - Nachträge zum Grundausbau

    122
    Wegen der Nachträge zum Grundausbau stehen der Schuldnerin insgesamt 195.202,16 € zu.

    123
    Ausgangspunkt ist auch hier die Schlussrechnung. Die Schuldnerin hat dort für diesen Titel 332.435,78 € eingestellt. Allerdings hat der Kläger nicht dargelegt, dass die Schuldnerin tatsächlich Nachtragsleistungen in dieser Höhe erbracht hat. Vielmehr ist ihre Vergütung für die Nachträge 25, 26 und 27 um insgesamt 137.233,62 € zu mindern, sodass sich die erwähnten 195.202,16 € ergeben.

    124
    Der Minderungsbetrag von 137.233,62 € ergibt sich wie folgt:

    125
    aa) Nachtrag 25

    126
    Die abrechenbare Vergütung für den Nachtrag 25 ist um 60.087,36 € zu mindern.

    127
    Die Schuldnerin rechnet unter diesem Nachtrag die Lieferung und Montage einer Siedle Gegensprechanlage ab, wobei sie nur einzelne Positionen als vollständig erbracht in die Rechnung einstellt, für andere wird die Menge 0 angegeben und keine Vergütung angesetzt (vgl. Anlage K 4, S. 32).

    128
    (1) Diverse vollständig abgerechnete Positionen hat die Schuldnerin nur teilweise erbracht.

    129
    Die Beklagte hat bereits in ihrem Schriftsatz vom 25. April 2022 bestritten, dass die Schuldnerin die in voller Höhe abgerechneten Positionen auch vollständig erbracht hat. Sie habe teilweise falsche Komponenten geliefert, die wieder ausgetauscht werden mussten, außerdem habe sie sämtliche Komponenten nicht montiert (a.a.O. S. 13).

    130
    Es ist unschädlich, dass es der Beklagten in dieser Passage ihres Vorbringens primär nicht um das Bestreiten der Vergütungshöhe des Klägers, sondern um die Begründung eines eigenen Schadensersatzanspruchs wegen Fertigstellungsmehrkosten geht. Der Kläger hat das Vorbringen der Beklagten nicht in Abrede gestellt (vgl. Schriftsatz des Klägers vom 15. August 2022, S. 8), sodass es als unstreitig gilt.

    131
    (2) Keine Aufgliederung der betroffenen Positionen in der ersten Instanz

    132
    Da der Schuldnerin Vergütung nur für ihre erbrachten Leistungen zusteht (kleine Kündigungsvergütung, vgl. oben Ziff. 1.), hat sie nun darzulegen, inwieweit sie die als vollständig erbracht abgerechneten Positionen des Nachtrags 25 tatsächlich geleistet hat, inwieweit nicht, und welcher Anteil der jeweiligen Teilvergütung auf den erbrachten Teil entfällt bzw. welcher auf den nicht erbrachten Teil. Das ist unterblieben.

    133
    Da der Kläger seiner Darlegungslast somit nicht nachgekommen ist, müssen die betroffenen Positionen des Nachtrags 25 insgesamt mit 0 angesetzt werden, da der Vergütungsanteil, der auf den erbrachten Teil entfällt, nicht beziffert werden kann.

    134
    (3) Zubilligung von Teilvergütungen durch die Beklagte

    135
    Dieser Befund hat sich erst mit dem Schriftsatz der Beklagten vom 23. April 2024 geändert. Dort hat die Beklagte den aus ihrer Sicht erbrachten (Material-) Anteil der umstrittenen Nachtragspositionen beziffert und zwar bezogen auf alle problematischen Positionen des Nachtrags 25 mit insgesamt 10.603,65 € (a.a.O. S. 8 f).

    136
    Der Kläger hält diesen Betrag zwar für aus der Luft gegriffen und zu gering (Schriftsatz des Klägers vom 31. Juli 2024, S. 8 ff), dies ist aber nicht ausreichend, um seiner Darlegungslast für den Umfang der erbrachten Leistungen und deren preisliche Bewertung nachzukommen. Dazu müsste er näher vortragen, welche Teile der umstrittenen Positionen erbracht sind und welcher Vergütungsanteil hierauf entfällt unter Aufschlüsselung der jeweiligen Teilpauschale. Dies ist weiterhin nicht geschehen. Der pauschale Verweis auf ein Sachverständigengutachten (a.a.O.) ersetzt solchen Parteivortrag nicht.

    137
    (4) Ergebnis

    138
    Daraus folgt, dass diejenigen Positionen des Nachtrags 25, bei denen die Beklagte nur eine Teilleistung zugesteht, in Ermangelung näheren Klägervortrags nur mit dem von der Beklagten zugebilligten Teilbetrag abgerechnet werden können, also mit 10.603,65 €, während sie der Kläger mit 70.691,01 € in die Schlussrechnung eingestellt hat (vgl. Schriftsatz der Beklagten vom 23. April 2024, S. 8 f). Somit ergibt sich eine Überhöhung der Vergütung für den Nachtrag 25 gegenüber der Schlussrechnung um 70.691,01 € - 10.603,65 € = 60.087,36 €.

    139
    bb) Nachtrag 26

    140
    Insoweit ist die Vergütung der Schuldnerin um 44.860,95 € zu reduzieren.

    141
    Der Kläger rechnet hier Unterverteilungen ab. Es verhält sich hier entsprechend wie beim Nachtrag 25 (vgl. oben aa)): Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Kläger Leistungspositionen aus diesem Nachtrag in der Schlussrechnung in voller Höhe in Ansatz bringt, obgleich die Schuldnerin sie nicht vollständig erbracht hat (Schriftsatz der Beklagten vom 25. April 2022, S. 11 f; Schriftsatz des Klägers vom 15. August 2022, S. 7 f). Der Kläger hat nicht dargelegt, wie der erbrachte Leistungsteil genau zu umgrenzen und preislich zu bewerten ist, sodass die erbrachte Teilleistung nur mit dem von der Beklagten zugebilligten Betrag bewertet werden kann. Das sind im Fall des Nachtrags 26 unter Berücksichtigung des Schriftsatzes der Beklagten vom 23. April 2024 (a.a.O. S. 10 f) 7.916,64 €, sodass sich hier eine Überhöhung der Vergütung von 52.777,59 € - 7.916,64 € = 44.860,95 € ergibt.

    142
    cc) Nachtrag 27

    143
    Insoweit ist die Vergütung der Schuldnerin um 32.285,31 € zu reduzieren.

    144
    Dieser Nachtrag betrifft Leistungen für ein Datennetz. Es verhält sich hier wie bei den Nachträgen 25 und 26: Es ist unstreitig, dass der Kläger in der Schlussrechnung Leistungspositionen aus diesem Nachtrag in voller Höhe in Ansatz bringt, ohne sie vollständig erbracht zu haben (Schriftsatz der Beklagten vom 25. April 2022, S. 11 f; Schriftsatz des Klägers vom 15. August 2022, S. 7 f). Der Kläger hat nicht dargelegt, wie der erbrachte Leistungsteil genau zu umgrenzen und preislich zu bewerten ist, sodass die erbrachte Teilleistung nur mit dem von der Beklagten zugebilligten Betrag bewertet werden kann. Im Fall des Nachtrags 27 sind dies 8.721,41 €, sodass sich hier eine Überhöhung der Vergütung von 41.006,72 € - 8.721,41 € = 32.285,31 € ergibt.

    145
    dd) Keine weiteren Minderungsbeträge

    146
    Weitere Positionen des Titels 4, bei denen die Vergütung der Schuldnerin überhöht wäre, hat die Beklagte nicht aufgezeigt. Insbesondere ergibt sich derartiges nicht in verständlicher Form aus den Passagen in der Klageerwiderung mit den Überschriften "Position 01.10", "Position EMA und Kameras" oder "Regiestunden" (Schriftsatz der Beklagten vom 25. April 2022, S. 11 und 14 f).

    147
    ee) Berechnung der berechtigten Vergütung für den Titel 4

    148
    Die Vergütung von 195.202,16 €, die der Kläger für den Titel 4 in der Schlussrechnung in Ansatz bringen kann, ermittelt sich somit wie folgt:

    149

    Betrag in der Schlussrechnung Anlage K 4:    332.435,78 €
    Minderungsbetrag für Nachtrag 25:    - 60.087,36 €
    Minderungsbetrag für Nachtrag 26:    - 44.680,95 €
    Minderungsbetrag für Nachtrag 27:    - 32.285,31 €
    Maßgeblicher Betrag für Titel 4:    195.202,16 €
    150
    e) Berechnung der berechtigten Gesamtvergütung vor Abzügen

    151
    Somit errechnet sich die Gesamtvergütung der Schuldnerin unter Berücksichtigung der Korrekturbeträge und vor Abzügen wie folgt:

    152

    Titel 1:    344.378,68 €
    Titel 2:    9.478,00 €
    Titel 3:    556.145,51 €
    Titel 4:    195.202,16 €
    Summe:    1.105.204,35 €
    153
    3. Nachlass auf die Nachtragspreise in Höhe von 4,17 %

    154
    Von dieser Vergütung ist ein Nachlass von 8.535,16 € abzuziehen. Dies ergibt sich aus § 2.6 des Bauvertrags. Danach hat sich die Schuldnerin bei der Abrechnung von Einheitspreisen zu einem Nachlass von 4,17 % verpflichtet. Dies gilt ausdrücklich auch dann, wenn sich die Parteien auf die Abrechnung von Nachtragsleistungen nach Einheitspreisen einigen.

    155
    a) Die Nachlassklausel ist wirksam.

    156
    Diese Nachlassklausel ist wirksam, auch wenn sie unstreitig ein Bestandteil von Vertragsbedingungen ist, die die Beklagte vorformuliert und dem Kläger gestellt hat.

    157
    Insbesondere unterliegt die Klausel nicht einer Inhaltskontrolle gemäß § 307 BGB. Dieser Inhaltskontrolle sind Abreden entzogen, die Art und Umfang der vertraglichen Leistungspflichten unmittelbar regeln. Dies ist die Konsequenz aus dem im Bürgerlichen Rechtgeltenden Grundsatz der Vertragsfreiheit. Dieser umfasst das Recht der Parteien, den Preis für eine Ware oder Dienstleistung frei bestimmen zu können. Preisvereinbarungen für Hauptleistungen stellen deshalb im nicht preisregulierten Markt weder eine Abweichung noch eine Ergänzung von Rechtsvorschriften dar und unterliegen deshalb grundsätzlich nicht der Inhaltskontrolle. Zu solchen Preisvereinbarungen gehörten auch Klauseln, die den Preis bei Vertragsschluss zwar nicht unmittelbar beziffern, jedoch die für die Ermittlung des Preises maßgeblichen Bewertungsfaktoren und das hierbei einzuhaltende Verfahren festlegen. Denn auch die vertragliche Festlegung preisbildender Faktoren gehört zum Kernbereich privatautonomer Vertragsgestaltung (BGH, Urteil vom 8. Oktober 2009, III ZR 93/09, Rn. 22 m.w.N.; Urteil vom 24. März 2010, VIII ZR 178/08, Rn. 19 m.w.N.; Urteil vom 7. November 2014, V ZR 305/13; Grüneberg in: Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 84. Auflage, 2025, § 307, Rn. 46).

    158
    Bei der Nachlassvereinbarung in § 2.6 des Bauvertrags handelt es sich um eine solche Preisvereinbarung, da sie unmittelbar eine Reduktion der vom Kläger für Hauptvertragsleistungen und Nachträge angebotenen Preise um 4,17 % vorsieht.

    159
    b) Anwendung der Nachlassklausel

    160
    Somit ist diese Klausel auf die Preise anzuwenden, die in der Schlussrechnung in Ansatz gebracht werden. Bei den Einheitspreisen des Titels 1 ist dies bereits geschehen, vgl. § 2.3 des Bauvertrags, bei der Pauschale des Titels 3 ebenfalls, vgl. § 2.1 des Bauvertrags. Von den Einheitspreisen für Nachtragsleistungen, die Gegenstand der Titel 2 und 4 sind, ist in der Schlussrechnung indessen noch nicht der Abzug vorgenommen worden. Somit ist die Abrechnungssumme dieser Titel von 9.478,00 € (Titel 2) + 195.202,16 € (Titel 4) = 204.680,16 € um 4,17 % zu reduzieren. Das sind 8.535,16 €.

    161
    4. Kein Abzug der Kostenpauschale von 1,8 %

    162
    Hingegen ist von der Vergütung der Schuldnerin nicht die Kostenpauschale in Höhe von 1,8 % der Auftragssumme abzuziehen.

    163
    Die diesen Abzug regelnde Klausel in § 2.7 des Bauvertrags, bei der es sich unstreitig um eine allgemeine Geschäftsbedingung der Beklagten handelt, benachteiligt die Schuldnerin unangemessen gemäß § 307 BGB und ist somit gemäß § 306 Abs. 1 BGB unwirksam.

    164
    a) Die Klausel unterliegt der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB.

    165
    Eine Klausel, die eine solche Kostenpauschale vorsieht, unterliegt der Inhaltskontrolle. Sie stellt -anders als die Nachlassklausel in § 2.6 des Bauvertrags - keine Preisvereinbarung dar. Zwar wirkt sie rechnerisch wie eine solche, indem sie - genau wie die Nachlassklausel - einen prozentualen Abschlag von der Vergütung des Klägers vorsieht. Dieser Abschlag soll aber nicht ohne Begründung vorgenommen werden, sondern als pauschaler Ausgleich für tatsächliche oder angebliche Kosten, die der Beklagten entstehen. Ein prozentualer Abschlag auf eine Vergütung, der sachlich als pauschaler Abgleich mit einem Gegenanspruch begründet wird - etwa gerichtet auf Schadensersatz oder Kostenerstattung - wirkt sich nur mittelbar auf die Vergütung aus und stellt damit keine Preisvereinbarung, sondern allenfalls eine "Preisnebenabrede" dar, die - genau wie die Pauschalierung von Schadensersatz (§ 309 Nr. 5 BGB) - der Inhaltskontrolle unterfällt (vgl. BGH, Urteil vom 28. Juli 2015, XI ZR 434/14; Urteil vom 18. Januar 2022, XI ZR 505/21, Grüneberg in: Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 84. Auflage, 2025, § 307 Rn. 47 und 49 m.w.N.).

    166
    b) Sie erweist sich als unwirksam.

    167
    Bei der Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 1 BGB erweist sich die Kostenpauschale als unwirksam, da sie den Vertragspartner der Beklagten unangemessen benachteiligt. Der verbrauchsunabhängige Abzug in Höhe von 1,8 % der Auftragssumme wegen der Kosten von Versicherung, Strom und Wasser lässt weder einen Bezug zu der Höhe dieser Kosten erkennen, in der sie der Beklagten entstehen, noch zu der Höhe, in der sie durch die Schuldnerin - neben anderen auf dem Projekt tätigen Vertragspartnern der Beklagten - verursacht wird (ebenso: OLG Hamburg, Urteil vom 4. Dezember 2013, 13 U 1/09).

    168
    5. Keine Aufrechnung mit der Vertragsstrafe

    169
    Die Beklagte rechnet gegenüber der Vergütung der Schuldnerin nicht mit Erfolg mit einem Anspruch auf Vertragsstrafe auf (§ 389 BGB). Eine solche Gegenforderung steht der Beklagten nicht zu.

    170
    Es kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass die Regelung der Vertragsstrafe in § 6 des Bauvertrags wirksam ist und die Schuldnerin insbesondere nicht gemäß § 307 BGB unangemessen benachteiligt. Auch dann ergibt sich aus dem Wortlaut sämtlicher Absätze von § 6 des Bauvertrags, dass eine Vertragsstrafe nur bei der Nichteinhaltung von verbindlich vereinbarten Ausführungsfristen oder von verbindlichen Zwischenfristen verwirkt sein soll.

    171
    An der Vereinbarung solcher Fristen fehlt es im vorliegenden Fall. Dabei stellt sich nur die Frage der Vereinbarung verbindlicher Fertigstellungsfristen, denn auf die Nichteinhaltung von Zwischenfristen durch die Schuldnerin beruft sich die Beklagte nicht.

    172
    Dass die Parteien eine verbindliche Fertigstellungsfrist vereinbart hätten, ist nicht ersichtlich. Zwar ist in § 5.1 des Bauvertrags hinter den Worten "Gesamtfertigstellung der vertraglichen Leistung" "September 2016" eingetragen. Aus dem ersten Absatz derselben Bestimmung ergibt sich aber, dass dies keine verbindliche Frist sein kann. Denn dort heißt es, dass der Unternehmer für seine Leistung maximal sechs Monate benötigen darf, der Beginn der Arbeiten aber erst auf Anforderung der örtlichen Bauüberwachung erfolgt.

    173
    Damit ist die Verbindlichkeit des Gesamtfertigstellungstermins aufgehoben, denn wenn die Anforderung durch die Bauüberwachung später als zum 1. April 2016 erfolgen sollte, wäre der Kläger schon nicht mehr verpflichtet gewesen, die Arbeiten bis zum Ende September 2016 insgesamt fertigzustellen.

    174
    Es kommt hinzu, dass im Verhandlungsprotokoll zum Bauvertrag ein anderer Ausführungsbeginn (nämlich "September 2015") und ein anderer Gesamtfertigstellungstermin (nämlich "Frühjahr/Mitte 2016") eingetragen sind, aus denen auch die Zubilligung einer anderen Ausführungsdauer folgt als die sechs Monate in § 5.1 (nämlich ca. zehn Monate).

    175
    Da zudem unbekannt ist, wann die Anforderung des Arbeitsbeginns durch die örtliche Bauüberwachung gemäß § 5.1 erfolgt sein soll, und die Parteien auch nicht zu der nachträglichen Vereinbarung eines Fertigstellungstermins vortragen, sieht sich der Senat nicht in der Lage, eine dahingehende verbindliche Vereinbarung festzustellen.

    176
    Dass die Parteien - vermutlich aufgrund von Störungen aus dem Verantwortungsbereich der Beklagten - im Verlauf der Vertragsdurchführung dahin übereingekommen waren, an den im Bauvertrag widersprüchlich aufgeführten Fertigstellungsterminen im Jahr 2016 nicht festzuhalten, wird auch durch die Mail der Beklagten vom 29. Januar 2018 (Anlage B 1) belegt. Dort bittet die Beklagte bzw. der Geschäftsführer der mit ihr verbundenen W GmbH die Schuldnerin auffällig zurückhaltend um die Erhöhung der Arbeitskapazitäten auf der Baustelle. Hätte noch ein Gesamtfertigstellungstermin im Jahr 2016 gegolten, hätte es nahegelegen, auf die dann gegebene drastische Überschreitung durch die Schuldnerin zu verweisen. Stattdessen zitiert die Beklagte auch aus dem Bauvertrag, erwähnt aber nur die Arbeitsdauer von 8 Kalenderwochen für die Rohinstallation, die aber bei fortgeltender verbindlicher Ausführungsfristen schon längst obsolet geworden wäre.

    177
    6. Keine Aufrechnung mit Fertigstellungsmehrkosten

    178
    Der Vergütungsanspruch der Schuldnerin ist nicht, auch nicht teilweise, durch Aufrechnung mit einem Schadensersatzanspruch aus § 8 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 VOB/B bzw. § 281 Abs. 1 BGB erloschen (§ 389 BGB). Ein solcher Gegenanspruch steht der Beklagten nicht zu.

    179
    Sie macht insoweit einen Schadensersatzanspruch wegen der Mehrkosten geltend, die ihr dadurch entstanden seien, dass sie die bei der Schuldnerin beauftragten Bauleistungen nach der berechtigten Kündigung des Bauvertrags durch andere Unternehmer zu höheren Preisen habe fertigstellen lassen müssen (im Folgenden: Fertigstellungsmehrkosten).

    180
    Allerdings lässt sich ein solcher Schadensersatzanspruch aus dem eigenen Zahlenwerk der Beklagten nicht herleiten. Somit scheitert die Aufrechnung bereits an der schlüssigen Darlegung eines Gegenanspruchs. Auf die Frage, ob die Aufrechnung außerdem gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig wäre (offengelassen in BGH, Urteil vom 19. Oktober 2023, IX ZR 249/22, Rn. 15; abweichend zur Gesamtvollstreckungsordnung BGH, Urteil vom 23. Juni 2005, VII ZR 197/03), kommt es deshalb nicht an.

    181
    a) Ob Fertigstellungsmehrkosten entstanden sind, richtet sich nach der Schadensformel.

    182
    Die Beklagte beansprucht Schadensersatz, da sie nach der berechtigten Kündigung des Bauvertrags gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B die von der Schuldnerin nicht abgeschlossenen Leistungen durch andere Unternehmer fertigstellen lassen musste, wodurch ihr höhere Kosten entstanden seien als wenn die Schuldnerin sie zu den Vertragspreisen vollständig erbracht hätte.

    183
    Bei diesem berechtigten Anliegen beansprucht die Beklagte, hinsichtlich der Fertigstellungskosten des Bauwerks so gestellt zu werden, wie sie stünde, wenn die Schuldnerin den gekündigten Bauvertrag ordnungsgemäß erfüllt hätte. Dann hätte die Beklagte die Drittunternehmen, die die Leistungen fertigstellten, nicht beauftragen und bezahlen müssen, sodass deren Vergütung in der Tat einen ersatzfähigen Schaden der Beklagten darstellen.

    184
    Allerdings gilt auch: Hätte die Schuldnerin die Leistungen selbst fertiggestellt, hätte die Beklagte ihr dafür die volle vereinbarte Vergütung zahlen müssen.

    185
    Deshalb muss sich die Beklagte, wenn und soweit sie der Schuldnerin bis dato nicht die volle Vergütung für eine unfertige Leistung gezahlt hat, diese ersparte Restvergütung als Vorteil gegenüber den Kosten anrechnen lassen, die ihr durch die Bezahlung der Drittunternehmer entstanden sind. Nur ein nach dieser Saldierung verbleibender Restbetrag ist ein ersatzfähiger Schaden in Gestalt von Fertigstellungsmehrkosten.

    186
    b) Aus dem Zahlenwerk der Beklagten ergeben sich keine Fertigstellungsmehrkosten.

    187
    Aus dem eigenen Zahlenwerk der Beklagten ergibt sich, dass ihr nach dieser Vorteilsanrechnung kein Schaden in Form von Fertigstellungsmehrkosten entstanden ist.

    188
    Das zuletzt maßgebliche Vorbringen der Beklagten zur Höhe ihres Schadensersatzanspruchs ist in ihrem Schriftsatz vom 23. April 2024 (S. 15 ff) enthalten, nachdem es zuvor in weiten Teilen nicht nachvollziehbar gewesen ist. Nach diesem Schriftsatz stützt die Beklagte ihren Schadensersatzanspruch auf die Kosten, die ihr durch die Fertigstellung der Leistungen entstanden sind, die Gegenstand der Nachträge 25, 26 und 27 waren.

    189
    aa) Kosten der Fertigstellung durch Drittunternehmen

    190
    Danach hatte die Beklagte für die Fertigstellung dieser Leistungen die folgenden Beträge an Drittunternehmen zu zahlen:

    191
    Für den Nachtrag 25 waren es 29.545,76 € (a.a.O. S. 16).

    192
    Für den Nachtrag 26 waren es zunächst 56.248,70 € (a.a.O. S. 17). Außerdem wertet der Senat die unklare Passage auf S. 20 ihres Schriftsatzes vom 23. April 2024 zu ihren Gunsten dahin, dass der Beklagten durch die Fertigstellung der Leistungen des Nachtrags 26 weitere Stundenlöhne in Höhe von 18.730,95 € entstanden sein sollen.

    193
    Für den Nachtrag 27 belaufen sich die Kosten der Fertigstellung schließlich auf 19.004,38 € (a.a.O. S. 21).

    194
    Somit belaufen sich die Kosten der Fertigstellung durch Drittunternehmen auf die Summe dieser vier Beträge, mithin auf 123.529,79 €.

    195
    bb) Vorteilsanrechnung: Bis jetzt ersparte volle Vergütung der Schuldnerin

    196
    Diese Kosten wären der Beklagten nicht entstanden, hätte die Schuldnerin den Bauvertrag vollständig erfüllt. Allerdings hätte die Beklagte dann auch die volle Vergütung für die beauftragten Leistungen zahlen müssen.

    197
    Hinsichtlich der Nachträge 25, 26 und 27, auf die sich die Beklagte insoweit bezieht, wäre das eine weitere Vergütung von mindestens 137.233,62 € gewesen.

    198
    Dies ist der Minderungsbetrag des Titels 4, um den die Vergütung der Schuldnerin für diese Nachträge gemindert worden ist, da sie die entsprechenden Leistungen nicht vollständig erbrachte (vgl. oben 2.d)). Wenn die Beklagte so gestellt werden möchte, wie sie stünde, wenn die Schuldnerin ordnungsgemäß erfüllt hätte, dann hätte sie ihr diesen Minderungsbetrag entrichten müssen. Folglich ist diese Ersparnis von ihrem Schaden abzuziehen.

    199
    Es spricht sogar Einiges dafür, dass die von der Beklagten ersparte Vergütung noch höher ist als der Minderungsbetrag von 137.233,62 €. Denn dieser Minderungsbetrag baut auf der Schlussrechnung der Schuldnerin als Ausgangspunkt auf. In dieser Schlussrechnung hatte die Schuldnerin aber selbst bereits einige Positionen der Nachträge 25 und 26 mit 0 angesetzt hatte (vgl. Anlage K 4, S. 31 und 32), die sie möglicherweise ebenfalls verdient hätte, wenn sie den Vertrag vollständig ausgeführt hätte. Diese Nullpositionen in der Schlussrechnung schlagen sich in dem Minderungsbetrag von 137.233,62 € nicht nieder.

    200
    Zieht man von den Kosten der Drittunternehmen in Höhe von 123.529,79 € die kündigungsbedingt im Rahmen des Titels 4 ersparte Vergütung der Schuldnerin von 137.233,62 € ab, wird der Schaden vollständig ausgeglichen, sodass der Beklagten kein Ersatzanspruch zustehen kann.

    201
    cc) Anmerkungen zu diesem Ergebnis

    202
    Wenn die ersparte Vergütung die Drittunternehmerkosten der Beklagten übersteigt, deutet dies indiziell darauf hin, dass der Minderungsbetrag, der auf Grundlage des Vortrags der Beklagten ermittelt worden ist, zu hoch veranschlagt ist, denn grundsätzlich ist zu erwarten, dass die Kosten der Fertigstellung einer abgebrochenen Werkleistung durch Dritte höher sind. Aus dieser Überlegung lässt sich aber keine weitere Erkenntnis für den Rechtsstreit gewinnen. Im Rahmen des Vergütungsanspruchs bleibt es dabei, dass es der Kläger unterlassen hat, eine Vergütung nachvollziehbar darzulegen, die den ihm von der Beklagten zugebilligten Betrag übersteigt (vgl. Ziff. 2.d)).

    203
    Außerdem ist anzumerken, dass es sich bei dem auf Ausgleich der Fertigstellungsmehrkosten gerichteten Schadensersatzanspruch der Beklagten um einen einheitlichen Anspruch handelt, innerhalb dessen die Drittunternehmerkosten, die auf die Leistungen der Nachträge 25, 26 und 27 entfallen, nur unselbständige Rechnungsposten sind. Deshalb sind die Drittunternehmerkosten einerseits und die noch offenen Vergütungspositionen (d.h. der Minderungsbetrag zum Titel 4) andererseits nicht getrennt nach Nachträgen miteinander zu saldieren. Stattdessen ist die Summe dieser Kostenpositionen (= 123.529,79 €) mit der Summe der Vergütungsminderungen dieser Nachträge (= 137.233,62 €) insgesamt zu saldieren wie unter bb) geschehen. Bei isolierter Betrachtung errechneten sich beim Nachtrag 26 Fertigstellungsmehrkosten und somit ein Schadensersatzanspruch, denn bei getrennter Betrachtung übersteigen die Drittunternehmerkosten dort die noch offene Restvergütung. Ein solches Ergebnis wäre aber unrichtig.

    204
    7. Ergebnis: Gesamtvergütung der Schuldnerin nach Abzügen

    205
    Somit ist von der Gesamtvergütung der Schuldnerin für die Titel 1 bis 4 (1.105.204,35 €) nur der Nachlass gemäß § 2.6 des Bauvertrags (8.535,16 €) abzuziehen.

    206
    Durch weitere Abzüge oder durch die Aufrechnung mit Gegenforderungen (§ 389 BGB) mindert sich der Vergütungsanspruch nicht weiter.

    207
    Es errechnet sich ein Vergütungsanspruch mit einer Schlussrechnungssumme von 1.105.204,35 € - 8.535,16 € = 1.096.669,19 €.

    208
    8. Erfüllung durch Zahlung

    209
    Die Beklagte hat diese Vergütung durch Zahlungen in Höhe von 1.015.288,51 € erfüllt (§ 362 Abs. 1 BGB). Die Vergütungsforderung des Klägers ist somit noch in Höhe von 1.096.669,19 € - 1.015.288,51 € = 81.380,68 € offen.

    210
    Der Gesamtbetrag der Zahlungen errechnet sich wie folgt:

    211
    Der Kläger hat in seiner Klageschrift vom 29. Dezember 2021 (S. 4) selbst vorgetragen und somit zugestanden, dass die Beklagte die in der Anlage K 5 aufgeführten Zahlungen geleistet habe. Deren Gesamtbetrag beläuft sich auf 966.788,51 €. Zu keinem Zeitpunkt hat der Kläger dieses Vorbringen substanziiert korrigiert, indem er konkret vorgetragen hätte, sich bei einer der dort aufgeführten Zahlungen getäuscht und sie tatsächlich doch nicht erhalten zu haben.

    212
    Spätestens in ihrem Schriftsatz vom 7. Dezember 2022 hat die Beklagte unter Bezugnahme auf die Anlage B 19 vorgebracht, zumindest eine weitere Zahlung an die Schuldnerin geleistet zu haben, die der Kläger insbesondere in der Anlage K 5 nicht berücksichtigt habe, nämlich eine Zahlung in Höhe von 48.500,00 €, geleistet am 12. Juli 2018 auf die Rechnung Nr. 201800201 der Schuldnerin.

    213
    Der Kläger hat diesen Vorgang zu keinem Zeitpunkt konkret bestritten, weder im vorangegangenen Termin vor dem Landgericht am 18. November 2022, als die Beklagte diese Zahlung noch gar nicht näher präzisiert hatte (vgl. Terminsprotokoll des Landgerichts vom 18. November 2022, S. 2) noch nachdem der Senat darauf hingewiesen hatte, dass das Landgericht diese umstrittene Zahlung zu Unrecht nicht berücksichtigt haben dürfte (Terminsprotokoll vom 12. März 2024, S. 3).

    214
    Allerdings ist diese Zahlung nur in ihrer tatsächlichen Höhe, also mit 48.500,00 €, in Abzug zu bringen. Zwar behauptet die Beklagte, zum Abzug des Skontos von 3 % berechtigt gewesen zu sein, dies hat der Kläger aber nicht zugestanden. Die Beklagte hätte somit vortragen müssen, wann sie die Rechnung erhalten hatte. Dies ist nicht geschehen, sodass die Berechtigung des Skontos nicht nachvollzogen werden kann. Somit kann nur der tatsächlich geleistete Betrag von 48.500,00 € ohne Skontierwirkung in Ansatz gebracht werden.

    215
    Es ergeben sich Zahlungen in Höhe von 966.788,51 € + 48.500,00 € = 1.015.288,51 €.

    216
    9. Keine Verjährung

    217
    Dieser Anspruch ist nicht verjährt. Der Vergütungsanspruch der Schuldnerin ist aufgrund der Schlussrechnung vom 16. Oktober 2018 noch im Jahr 2018 fällig geworden, sodass die Verjährungsfrist mit dem 1. Januar 2019 anlief und mit dem 31. Dezember 2021 endete. Diese Verjährungsfrist ist durch die Einreichung der Klageschrift am 29. Dezember 2021 noch rechtzeitig gehemmt worden, § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Zwar ist die Klageschrift erst am 9. Februar 2022 der Beklagten zugestellt worden, allerdings hatte das Gericht den Kläger auch erst mit Schreiben vom 11. Januar 2022 zur Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses aufgefordert. Dem ist der Kläger noch am 21. Januar 2022, also innerhalb von weniger als zwei Wochen, mithin "demnächst" im Sinne von § 167 ZPO nachgekommen.

    218
    10. Die Beklagte ist nicht mehr zum Mängeleinbehalt berechtigt.

    219
    Die Beklagte ist auch nicht mehr berechtigt, von der Vergütungsforderung einen Mängeleinbehalt vorzunehmen. Sie war lediglich vorübergehend, nämlich bis zum 31. Dezember 2021, gemäß § 12.1 des Bauvertrags zu einem solchen Einbehalt in Höhe von 54.833,46 € (= 5 % der Schlussrechnungssumme von 1.096.669,19 €) berechtigt. Seitdem ist das Recht zum Sicherheitseinbehalt aber gemäß § 12.2. des Bauvertrags erloschen.

    220
    a) Die Vereinbarung der Mängelsicherheit ist wirksam.

    221
    Die Vereinbarung einer Mängelsicherheit in § 12.1 des Bauvertrags ist wirksam, auch wenn sie eine allgemeine Geschäftsbedingung der Beklagten darstellt. Die Klausel benachteiligt die Schuldnerin nicht unangemessen im Sinne von § 307 BGB und ist deshalb nicht nichtig gemäß § 306 Abs. 1 BGB.

    222
    Es ist unproblematisch, dass die Klausel einen Bareinbehalt in Höhe von 5 % der Schlussrechnungssumme vorsieht, den der Unternehmer lediglich durch eine Bürgschaft "gem. § 17 VOB/B" ablösen kann (vgl. BGH, Urteil vom 13. November 2003, VII ZR 57/02).

    223
    Ebenso begegnet es keinen Bedenken, wenn der Beklagten die Sicherheit nicht nur - wie in § 17 Abs. 8 Nr. 2 VOB/B vorgesehen - für zwei Jahre, sondern bis zum Ablauf der vereinbarten Gewährleistungsfrist zusteht (vgl. dazu BGH, Urteil vom 26. März 2015, VII ZR 92/14, Rn. 49 ff).

    224
    Ob § 12.3 des Bauvertrags über einen Anspruch der Beklagten auf Stellung einer Erfüllungssicherheit gemäß § 307 BGB unwirksam ist, kann dahinstehen. Selbst wenn dem so wäre, würde diese Unwirksamkeit nach § 306 Abs. 1 BGB und dem sog. Blue-Pencil-Test nur diese Klausel betreffen, nicht aber § 12.1 des Bauvertrags.

    225
    b) Der Anspruch auf vereinbarte Mängelsicherheit besteht auch nach Kündigung des Vertrags durch den Besteller.

    226
    Nachdem die Beklagte den Bauvertrag gekündigt und die Schuldnerin ihre Leistungen abgerechnet hatte, war die Beklagte ihr gegenüber gemäß § 12.1 des Bauvertrags zum Sicherheitseinbehalt berechtigt.

    227
    aa) Mängelsicherheit nicht nur nach Abnahme der Werkleistung durch den Besteller

    228
    Ist zugunsten des Bestellers eines Bauvertrags eine Sicherheit für Mängelansprüche vereinbart, kann er diese grundsätzlich immer dann geltend machen, wenn der Unternehmer seine Arbeiten abgeschlossen hat. Fordert der Unternehmer auf Basis einer Schlussrechnung eine Schlusszahlung auf seine Werklohnforderung, kann sich der Besteller diese Mängelsicherheit deshalb durch einen Einbehalt von dieser Forderung verschaffen, wenn die Vereinbarung der Mängelsicherheit dies - wie regelmäßig - vorsieht.

    229
    Der Anspruch des Bestellers auf eine Mängelsicherheit bzw. seine Berechtigung zu einem dazu dienenden Einbehalt von der Schlusszahlungsforderung des Unternehmers setzt grundsätzlich nicht voraus, dass der Besteller die Leistungen des Unternehmers abgenommen hat bzw. sie für im Wesentlichen vertragsgerecht hält.

    230
    Die Mängelsicherheit trägt dem Umstand Rechnung, dass die Mängel einer Bauleistung mitunter versteckt sind und erst nach einiger Zeit zutage treten, sodass der Besteller sie nicht immer entdecken kann, wenn er die Leistungen des Unternehmers beim Ende von dessen Arbeiten prüft. Zeigt sich ein Mangel zu einem späteren Zeitpunkt, stehen dem Besteller zwar grundsätzlich Ansprüche gegen den Unternehmer zu. Deren Durchsetzung kann im Einzelfall aber schwierig und langwierig sein. Aufgrund dieser Zeitdauer besteht zugleich das Risiko, dass der Unternehmer bei Durchsetzung dieser mängelbedingten Ansprüche des Bestellers wirtschaftlich nicht mehr in der Lage ist, sie zu erfüllen. Die Mängelsicherheit beantwortet somit das Bedürfnis des Auftraggebers nach einer begrenzten Absicherung gegen das Risiko versteckter Mängel.

    231
    Dieses Bedürfnis besteht für den Werkbesteller nicht nur, wenn der Unternehmer seine Leistungen im allseitigen Einvernehmen abgeschlossen und der Besteller die Abnahme erklärt hat. Auch wenn der Unternehmer seine Arbeiten abschließend eingestellt hat, ohne dass er sämtliche beauftragten Leistungen erbracht hätte, kann es beim Besteller ein Bedürfnis nach einer Mängelsicherheit geben.

    232
    Entscheidend ist, ob dem Unternehmer für seine Leistungen ein fälliger Schlusszahlungsanspruch zusteht. Das kommt auch dann in Betracht, wenn der Unternehmer die beauftragten Leistungen nicht vertragsgerecht erbracht hat und wenn der Besteller die weitere Vertragserfüllung durch den Unternehmer endgültig ablehnt (endgültige Erfüllungsverweigerung durch den Besteller, vgl. Retzlaff in: Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 84. Auflage, 2025, § 641 BGB, Rn. 6 m.w.N.). Nach einer solchen Erfüllungsverweigerung hat der Unternehmer nicht mehr die Möglichkeit, seine Leistungen vollständig zu erbringen und abnahmereif zu machen. Deshalb muss ihm für bereits erbrachte Leistungen eine fällige Vergütung zustehen, während der Besteller seinerseits wegen Mängeln an dieser Leistung und der Kosten der Fertigstellung durch Drittunternehmer Gegenansprüche geltend machen kann. Dieses Stadium der Vertragsdurchführung wird mitunter als Abrechnungsverhältnis bezeichnet. Die endgültige Erfüllungsverweigerung des Bestellers, die dieses Stadium herbeiführt, kann in einem Schadensersatzverlangen oder einer Minderungserklärung liegen (BGH, Urteil vom 19. Januar 2017, VII ZR 235/15), der Besteller kann diese Erklärung aber auch ausdrücklich oder konkludent zusammen mit der Anforderung eines Kostenvorschusses nach § 637 Abs. 3 BGB abgeben (BGH, Urteile vom 19 Januar 2017, VII ZR 193/15 und VII ZR 391/13).

    233
    Sobald der Vergütungsanspruch des Unternehmers für seine erbrachten Leistungen aufgrund der endgültigen Erfüllungsverweigerung durch den Besteller fällig geworden ist, kann es sein, dass der Besteller bei der Prüfung dieser Leistungen Mängel übersieht, die noch nicht zutage getreten sind. Die dann an den Unternehmer für erbrachte Leistungen zu zahlende oder zu seinen Gunsten in die Schlussabrechnung einzustellende Vergütung trägt dann solchen versteckten Mängeln keine Rechnung. Kommen sie dann nach einiger Zeit, zum Beispiel nach 1,5 Jahren zum Vorschein, ist die Lage des Bestellers nach (meist kündigungsbedingt) abgebrochener Werkherstellung die gleiche wie nach einer erklärten Abnahme: Ihm stehen wegen der neu aufgetretenen Mängel neu erkannte Sekundäransprüche gegen den Unternehmer zu. Die Mängelsicherheit dient der Absicherung des Bestellers für solche neu erkannten Mängelrechte.

    234
    Der Anspruch des Bestellers auf Mängelsicherheit bzw. sein Recht zum Mängeleinbehalt setzt somit nicht die Abnahme der Werkleistung des Unternehmers voraus, sondern nur, dass der Vergütungsanspruch des Unternehmers für seine erbrachten Leistungen abschließend fällig geworden ist und die erbrachten Leistungen unerkannte Mängel enthalten können. Hat der Unternehmer mit seinen erbrachten Leistungen einen geringeren Leistungsstand erreicht als vertraglich vereinbart (und resultiert die Fälligkeit seines Vergütungsanspruchs also nur auf der Erfüllungsverweigerung des Bestellers), beläuft sich sein Vergütungsanspruch der Höhe nach nur auf einen Anteil der vollen vereinbarten Vergütung. Ist der Sicherheitseinbehalt quotal festgelegt - im vorliegenden Fall beträgt diese Quote wie häufig 5 % - ist nur der auf erbrachte Leistungen entfallende Vergütungsteil die Bemessungsgrundlage für die Höhe der Sicherheit. Dies hat auch dann zu gelten, wenn der Besteller den Vertrag mit dem Unternehmer frei gemäß § 648 BGB gekündigt hat und dem Unternehmer neben der Vergütung für die erbrachten Leistungen auch eine Vergütung für seine nicht erbrachten Leistungen zusteht. Der letztgenannte Teil seines Vergütungsanspruchs fließt nicht in die Bemessung der Mängelsicherheit nach Kündigung ein.

    235
    bb) Ergänzende Überlegungen

    236
    Zur Vermeidung von Missverständnissen weist der Senat noch auf Folgendes hin:

    237
    (1) Nicht jede Kündigungserklärung des Bestellers stellt eine endgültige Erfüllungsverweigerung dar.

    238
    Hat der Unternehmer die Leistungen nicht vertragsgerecht erbracht und der Besteller sie nicht abgenommen, wird der Vergütungsanspruch des Unternehmers für seine erbrachten Leistungen fällig, wenn der Besteller die weitere Vertragserfüllung endgültig ablehnt (Retzlaff in: Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 84. Auflage, 2025, § 641 BGB, Rn. 6 m.w.N.). Die Kündigung des Vertrags durch den Besteller muss nicht zwangsläufig eine solche endgültige Erfüllungsverweigerung durch den Besteller enthalten (BGH, Urteil vom 11. Mai 2006, VII ZR 146/04), dies kann aber so sein und hängt von der Auslegung der Kündigungserklärung ab.

    239
    (2) Kein Anspruch auf Mängelsicherheit nach Vertragskündigung durch den Unternehmer aus wichtigem Grund

    240
    Die Ausführungen unter aa) gelten nicht, wenn der Unternehmer die vertraglichen Leistungen deshalb nicht mehr vollständig erbringen muss, weil er selbst den Vertrag aus wichtigem Grund gekündigt hat, etwa gemäß § 648a oder § 650f BGB. Wenn der Unternehmer zu einer solchen Kündigung berechtigt ist, dann kann er sich auf diesem Weg nicht nur von seiner Pflicht befreien, seine aktuell laufenden Arbeiten fortzuführen und abzuschließen, sondern auch von der Pflicht, etwaige in der Zukunft auftretenden Mängel beseitigen oder diesbezügliche Sekundäransprüche erfüllen zu müssen (weist sein unfertiges Werk Mängel auf, handelt es sich bei der ersparten Mängelbeseitigung lediglich um ersparte Aufwendungen im Rahmen der großen Kündigungsvergütung). In einem solchen Fall kann es also keine künftigen Ansprüche des Bestellers wegen jetzt noch unentdeckter versteckter Mängel geben. Deshalb gibt es für ihn auch kein berechtigtes Bedürfnis nach einer Mängelsicherheit.

    241
    (3) Kein Anspruch auf Mängelsicherheit ohne Abnahme bei entsprechendem Wortlaut der Klausel

    242
    Schließlich gelten die Ausführungen unter aa) auch dann nicht, wenn die Vereinbarung der Mängelsicherheit zugunsten des Bestellers im Einzelfall dahin auszulegen ist, dass sie dem Auftraggeber nur dann zustehen soll, wenn er die Werkleistung des Unternehmers auch abgenommen hat, hingegen nicht, wenn dessen Vergütungsanspruch ohne Abnahme fällig geworden ist. Ein solches Verständnis kann sich insbesondere aus der verwenderfeindlichen Auslegung (§ 305c Abs. 2 BGB) der Mängelsicherheit ergeben, bei der es sich typischerweise um eine allgemeine Geschäftsbedingung des Bestellers handelt.

    243
    c) Die Beklagte war zum Mängeleinbehalt berechtigt.

    244
    Aus den Ausführungen unter aa) und bb) folgt, dass die Beklagte gemäß § 12.1 des Bauvertrags berechtigt war, von der Schlussrechnung des Klägers 54.833,46 € als Mängelsicherheit einzubehalten.

    245
    Die Beklagte hatte den Bauvertrag mit der Schuldnerin am 5. Oktober 2018 gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B gekündigt. Sie hat zugleich zum Ausdruck gebracht, aktuell keine weiteren (Nacherfüllungs-) Leistungen von der Schuldnerin zu fordern, was sich unter anderem darin zeigt, dass die Parteien den von der Schuldnerin erreichten Leistungsstand abschließend festgestellt haben.

    246
    Somit ist die Kündigungsvergütung der Schuldnerin fällig geworden.

    247
    Hingegen ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte auch für den Fall des späteren Auftretens noch unentdeckter Mängel auf darauf gestützte Rechte verzichten wollte.

    248
    Somit bestand bei der Beklagten das Bedürfnis nach einer Mängelsicherheit fort.

    249
    Schließlich lässt die Formulierung der Mängelsicherheit in § 12.1 des Bauvertrags ihre Anwendung auch in dem Fall zu, dass die Fälligkeit der Schlusszahlung des Unternehmers nicht nach Abnahme der vollständig und im Wesentlichen vertragsgerecht erbrachten Leistungen eintritt, sondern auch nach vorzeitiger Kündigung.

    250
    d) Ablauf der Sicherungsdauer

    251
    Allerdings ist die Beklagte seit dem 1. Januar 2022 nicht mehr zum Sicherheitseinbehalt gegenüber dem Vergütungsanspruch des Klägers berechtigt.

    252
    aa) Der Sicherungsanspruch "bis zum Ablauf der vereinbarten Gewährleistungszeit" ist wirksam.

    253
    Nach § 12.2. des Bauvertrags steht der Beklagten die Sicherheitsleistung "bis zum Ablauf der vereinbarten Gewährleistungszeit" zu. Gegen die Wirksamkeit dieser Klausel hat der Senat keine Bedenken, auch wenn sie die Zeitdauer, für die der Kläger Sicherheit zu leisten hat, gegenüber § 17 Abs. 8 Nr. 2 VOB/B verlängert. Eine unangemessene Benachteiligung des Unternehmers liegt hierin nicht, denn die Sicherheitsleistung soll die Beklagte für ihre mängelbedingten Ansprüche gegen den Unternehmer absichern. Da diese jedenfalls nach erklärter Abnahme bis zum "Ablauf der vereinbarten Gewährleistungsfrist" fortbestehen, hat der Besteller bis dahin auch ein anerkennenswertes Sicherungsinteresse.

    254
    bb) Bestimmung der Sicherungsdauer

    255
    Der Zeitpunkt gemäß § 12.2, nach dessen Ablauf der Anspruch der Beklagten auf die Mangelsicherheit endet und sie nicht mehr zum Sicherheitseinbehalt berechtigt ist (im Folgenden: Sicherungszeitraum), ist wie folgt zu bestimmen:

    256
    Hätte die Beklagte die Abnahme der Werkleistung nach vollständiger Leistungserbringung durch den Unternehmer erklärt, wäre der Ablauf der vierjährigen Mängelhaftungsfrist (§ 10.1 des Bauvertrags) maßgeblich, der durch die Abnahme in Gang gesetzt wird (§ 634a Abs. 2 BGB).

    257
    Wenn innerhalb dieser Frist die Verjährung der Mängelansprüche des Bestellers aufgrund eines bestimmten Mangels M 1 gehemmt werden sollte - z.B. aufgrund von Verhandlungen oder durch eine Klageerhebung - wäre dies gleichgültig. Der Besteller würde dann zwar vier Jahre nach Abnahme noch über unverjährte Mängelansprüche wegen M 1 gegen den Unternehmer verfügen. Wegen solcher identifizierter Mängel - mögen sie auch streitig sein - kann der Besteller aber die Mangeleinrede aus §§ 320, 641 Abs. 3 BGB geltend machen oder kann einen hierauf gestützten Anspruch - etwa auf Vorschuss oder Schadensersatzanspruch - erheben. Ein Bedürfnis nach einer Mängelsicherheit begründen oder verlängern identifizierte Mängel deshalb nicht (vgl. BGH, Urteil vom 26. März 2015, VII ZR 92/14, Rn. 50 ff). Anspruch auf Mängelsicherheit kann der Besteller nur insoweit haben, wie er noch Mängelrechte wegen aktuell noch unentdeckter Mängel haben kann.

    258
    Wenn der Besteller die Werkleistung des Unternehmers nicht abgenommen hat, muss das Entsprechende gelten: Mit dem "Ablauf der vereinbarten Gewährleistungsfrist" ist der Zeitpunkt gemeint, in dem die mangelbedingten Ansprüche des Bestellers wegen noch unbekannter Mängel verjähren bzw. er mangelbedingte Gestaltungsrechte aufgrund von Verjährung nicht mehr ausüben kann (§ 218 BGB).

    259
    Somit kommt es auf die Verjährung der mangelbedingten Sekundäransprüche und Gestaltungsrechte des Bestellers ohne Abnahme an.

    260
    Diese in der Rechtsprechung noch nicht geklärte Rechtsfrage ist nach Meinung des Senats wie folgt zu beantworten, wobei zunächst die Verjährung mangelbedingten Schadensersatz-, Kostenerstattungs- und Vorschussansprüchen in den Blick genommen werden soll:

    261
    (1) Entscheidend ist die Verjährung der Ansprüche gemäß § 634 Nr. 2 und 4 BGB.

    262
    Die mängelbedingten Ansprüche des Bestellers, um deren Verjährung es geht, sind die- jenigen, die in §§ 634 Nr. 2 und 4 BGB aufgeführt sind, also Kostenerstattungs-, Vorschuss- Schadensersatz- und Aufwendungsersatzanspruch wegen eines bestimmten Mangels. Zwar kann der Besteller diese Ansprüche grundsätzlich erst nach der Abnahme des Werks erheben (BGH, Urteile vom 19. Januar 2017, VII ZR 193/15, 235/13 und 301/13), die er in der hier zu untersuchenden Konstellation gerade nicht erklärt hat.

    263
    Auch ohne Abnahmeerklärung kann der Besteller die Entstehung der Ansprüche aus § 634 Nr. 2 und 4 BGB aber herbeiführen, indem er gegenüber dem Unternehmer Mängel an der Werkleistung geltend macht. Dazu muss der Primäranspruch des Bestellers gegen den Unternehmer auf die Herstellung des Werks fällig geworden sein. Ist dem so und zeigt sich danach an dem Werk ein Mangel, stehen dem Besteller in jedem Fall zunächst die Rechtsbehelfe des allgemeinen Schuldrechts zu, sodass er dem Unternehmer nach § 281 Abs. 1 oder § 323 Abs. 1 BGB eine Frist zur Nacherfüllung setzen kann (BGH, Urteile vom 19. Januar 2017, VII ZR 301/13, Rn. 40; VII ZR 193/15, Rn. 3 und VII ZR 235/15, Rn. 41). Ist diese Frist fruchtlos verstrichen, kann der Besteller wegen des nicht beseitigten Mangels Schadensersatz gemäß § 281 Abs. 1 BGB beanspruchen. Durch das Schadensersatzverlangen erlischt sein Erfüllungsanspruch (§ 281 Abs. 4 BGB) - ob insgesamt oder nur hinsichtlich der Beseitigung des Mangels, kann hier dahinstehen - und es entstehen das "Abrechnungsverhältnis" und damit die Ansprüche des Bestellers aus § 634 Nr. 2 und 4 (BGH, Urteile vom 19. Januar 2017, VII ZR 301/13, Rn. 44; VII ZR 193/15, Rn. 38; VII ZR 235/15, Rn. 45). Dabei ist der Besteller nicht zwingend auf ein Schadensersatzverlangen mit der Wirkung des § 281 Abs. 4 BGB angewiesen. Dieses entsteht auch, wenn er nach dem fruchtlosen Ablauf der nach § 281 Abs. 1 oder § 323 Abs. 1 BGB gesetzten Frist stattdessen die Minderung wegen des Mangels erklärt oder Vorschuss beansprucht und zugleich ausdrücklich oder konkludent zum Ausdruck bringt, die Erfüllung durch den Unternehmer jedenfalls in Bezug auf den in Rede stehenden Mangel endgültig abzulehnen (BGH, Urteile vom 19. Januar 2017, VII ZR 301/13 und VII ZR 193/15).

    264
    Es mag sein, dass der mit dem fruchtlosen Ablauf der Nacherfüllungsfrist entstehende Schadensersatzanspruch des Bestellers aus § 281 Abs. 1 BGB neben den mängelbedingten Ansprüchen des Bestellers aus z.B. §§ 281, 634 Nr. 4 oder §§ 637, 634 Nr. 2 BGB fortbesteht, wenn diese durch die Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs aus dem allgemeinen Schuldrecht (§ 281 Abs. 4 BGB) entstehen. Für die hier zu untersuchende Frage, wann die mängelbedingten Ansprüche des Bestellers sämtlich verjährt sind, ist dieser Befund aber jedenfalls bei einem Bauvertrag ohne Belang, denn wie noch zu zeigen ist, verjähren die Ansprüche des Bestellers aus allgemeinem Schuldrecht nicht später als diejenigen, die ihm nach der Entstehung eines Abrechnungsverhältnisses aus § 634 Nr. 2 oder 4 BGB zustehen.

    265
    (2) Die Verjährung wird durch endgültige Erfüllungsverweigerung des Bestellers in Gang gesetzt.

    266
    Die Ausführungen unter (1) zeigen, dass es der Besteller nach Eintritt der Fälligkeit seines Herstellungsanspruchs aus § 631 Abs. 1 BGB und fruchtlosem Ablauf einer Nacherfüllungsfrist in der Hand hat, wegen eines nicht beseitigten Mangels einen Anspruch aus § 634 Nr. 2 oder Nr. 4 BGB entstehen zu lassen. Die Absicherung des Bestellers für solche Ansprüche wegen noch unentdeckter Mängel ist das Ziel einer Mängelsicherheit, wenn der Besteller sie ohne Abnahme der Werkleistung einbehält.

    267
    Für die Frage der Sicherungsdauer kommt es somit entscheidend darauf an, wann sich der Unternehmer gegenüber einem möglichen Anspruch des Bestellers aus § 634 Nr. 2 oder 4 BGB auf dessen Verjährung berufen kann.

    268
    Wenn der Besteller die Abnahme der Werkleistung erklärt hat, setzt diese wegen sämtlicher unentdeckter Mängel des Werks den Lauf der Verjährung in Gang (§ 634a Abs. 2 BGB), sodass nach deren Ablauf für den Besteller kein Bedürfnis nach einer allgemeinen Mängelsicherheit mehr besteht. Sollten seine Rechte wegen einzelner zwischenzeitlich zum Vorschein getretener Mängel noch nicht final geklärt sein, muss er insoweit die Mängeleinrede geltend machen (BGH, Urteil vom 26. März 2015, VII ZR 92/14),

    269
    Da die Ansprüche aus 634 Nr. 2 oder Nr. 4 BGB ohne Abnahmeerklärung des Bestellers aufgrund seiner endgültigen Erfüllungsverweigerung entstehen, die im Schadensersatzverlangen oder dem qualifizierten Vorschussverlangen liegt, muss auch die Verjährung dieser Ansprüche durch diese Erfüllungsverweigerung in Gang gesetzt werden.

    270
    (3) Die Verjährung der Mängelhaftung wird dadurch stark erschwert.

    271
    Dieser Befund hätte für sich genommen allerdings die Konsequenz, dass die Verjährung mangelbedingter Sekundäransprüche bei fehlender Abnahme gegenüber der Situation bei erklärter Abnahme stark erschwert wäre. Zwar würde die Erfüllungsverweigerung des Bestellers den Lauf der Frist in Gang setzen, wie es im regulären Fall des § 634a Abs. 2 BGB durch die Abnahme geschieht. Hat der Unternehmer seine Leistungen im Wesentlichen vertragsgerecht fertiggestellt, erklärt der Besteller die Abnahme aber in der Regel in zeitlichem Zusammenhang mit der Beendigung der Vertragserfüllung, und falls nicht, könnte der Unternehmer die Abnahme notfalls durch Klage erzwingen (wenn- gleich letzteres in der Praxis selten geschieht).

    272
    Nach Abnahme der Werkleistung läuft die Gewährleistungsfrist für unerkannte Mängel also in der Regel in zeitlichem Zusammenhang mit der Fertigstellung der Arbeiten durch den Unternehmer an.

    273
    In der vorliegend untersuchten Konstellation erklärt der Besteller bei Abschluss der Arbeiten durch den Unternehmer weder die Abnahme, noch wäre diese erzwingbar, da die Leistungen noch unfertig sind. Deshalb läuft die Verjährungsfrist für unerkannte Mängel nicht in Zusammenhang mit der Fertigstellung der Arbeiten an. Würde sich die Verjährung der Ansprüche aus § 634 Nr. 2 und Nr. 4 allein nach der endgültigen Erfüllungsverweigerung durch den Besteller richten, wären beispielsweise folgende Fälle denkbar:

    274
    Beispiel 1: Besteller B kündigt dem Unternehmer U im Jahr 2019 aus wichtigem Grund und nimmt seine Leistungen nicht ab. Es gilt die gesetzliche Gewährleistungsfrist von fünf Jahren. Im Jahr 2023 treten die Symptome eines bis dahin unerkannten Mangels M 1 an den Leistungen auf, die U im Zeitpunkt der Kündigung bereits erbracht hatte. B setzt U eine Nacherfüllungsfrist zur Beseitigung des Mangels M 1 bis zum 31. August 2024. Die Frist verstreicht fruchtlos. Am 10. September 2024 fordert B von U einen Vorschuss für die Kosten der Mangelbeseitigung und erklärt zugleich, die Beseitigung von M 1 durch U abzulehnen.

    275
    Selbst wenn B im Beispiel 1 zusammen mit seiner Kündigung die endgültige Erfüllungsverweigerung gegenüber U erklärt haben sollte, bezöge sich diese zunächst nur auf die von U damals noch nicht erbrachten Leistungen bzw. auf eventuelle damals bekannte Mängel, die Gegenstand einer etwaigen Nacherfüllungsfrist waren. Tritt der zunächst unerkannte Mangel M 1 an den von U erbrachten Leistungen auf, ist B weiterhin grundsätzlich berechtigt und verpflichtet, U zunächst eine erneute Nacherfüllungsfrist gemäß § 281 Abs. 1 BGB zu setzen (BGH, Urteil vom 25. Juni 1987, VII ZR 251/86; Urteil vom 8. Oktober 1987, VII ZR 45/87; Urteil vom 21. Dezember 2000, VII ZR 488/99). Die Ansprüche aus §§ 634 Nr. 2 und 4 BGB entstehen im Beispiel 1 erst am 10. September 2024 durch das qualifizierte Vorschussverlangen. Dann kann auch die Verjährung der auf M 1 gestützten Ansprüche von B aus § 634 Nr. 2 und 4 BGB (letzteres bei späterer Umstellung auf einen Schadensersatzanspruch) erst mit ihrer Entstehung am 10. September 2024 beginnen. Die Verjährung würde somit erst im Jahr 2029 eintreten, 10 Jahre nach Beendigung der Arbeiten durch den Unternehmer.

    276
    Beispiel 2: Wie Beispiel 1, allerdings lässt B nach fruchtlosem Verstreichen der Nacherfüllungsfrist erst M 1 durch ein Drittunternehmen beseitigen. Diese Arbeiten sind erst im März 2025 beendet. Im Juni 2025 fordert B von U Schadensersatz für die Kosten der Mängelbeseitigung.

    277
    Hier würde B erstmals im Juni 2025 durch sein Schadensersatzverlangen den Schadensersatzanspruch aus § 634 Nr. 4 BGB entstehen lassen und die Verjährung in Gang setzen, die folglich noch später als im Beispiel 1, nämlich im Juni 2030 einträte.

    278
    Beispiel 3: Wie Beispiel 1, allerdings treten die Symptome von M 1 erst im Jahr 2026 auf. B setzt eine Nacherfüllungsfrist, die am 31. Mai 2026 fruchtlos verstreicht.

    279
    In diesem Beispiel hätte es B in der Hand, durch eine endgültige Erfüllungsverweigerung noch im Jahr 2026, also sieben Jahre nach Beendigung der Vertragserfüllung durch U, Mängelansprüche gegen U entstehen zu lassen, deren Verjährung dann erst fünf Jahre später einträte.

    280
    Die Beispiele zeigen die Konsequenzen der fehlenden Abnahme für mangelbedingte Ansprüche des Bestellers: Die Verjährung der Haftung für unerkannte Mängel wird anders als bei einem regulär abgewickelten Bauvertrag nicht durch die Abnahme in Gang gesetzt. Da die Ansprüche aus § 634 Nr. 2 und 4 BGB durch die endgültige Erfüllungsverweigerung des Bestellers entstehen, kann ihre Verjährung nur durch diese Erklärung in Gang gesetzt werden. Der Besteller erklärt sie aber möglicherweise erst deutlich später als er bei ordnungsgemäßer Vertragserfüllung die Abnahme erklärt hätte, frühestens bei erstmaligem Auftreten des bis dahin unerkannten Mangels. Außerdem hat es der Besteller in der Hand, den Zeitpunkt der Erfüllungsverweigerung bezogen auf den neu aufgetretenen Mangel hinauszuzögern. Die Dauer, für die der Unternehmer nach Abschluss der Arbeiten noch mit einer Mängelhaftung rechnen muss, könnte sich somit bei einer Vertragsbeendigung ohne Abnahme gegenüber einer bei Fertigstellung erklärten Abnahme auf das Doppelte der Mängelhaftungsfrist oder auch noch längere Zeiträume ausdehnen (zu einer solchen Fallkonstellation vgl. z.B. BGH, Urteil vom 9. November 2023, VII ZR 241/22). .

    281
    Entscheidender Grund für dieses Ergebnis ist, dass es sich bei der Erfüllungsverweigerung des Bestellers, die die Verjährung in Gang setzt, um eine Gestaltungserklärung handelt, da sie den (Nach-) Erfüllungsanspruch des Bestellers erlöschen lässt und den Werkvertrag insoweit in ein Abrechnungsverhältnis umgestaltet. Als Gestaltungserklärung unterliegt die Erfüllungsverweigerung nicht selbst der Verjährung (vgl. § 194 Abs. 1 BGB), weshalb sie -vorbehaltlich einer abweichenden Regelung - ohne zeitliche Begrenzung abgegeben werden kann.

    282
    Somit gilt: Hängt die Entstehung eines Anspruchs von einer nicht verjährbaren Gestaltungserklärung ab, wird damit der Anspruch selbst potentiell unverjährbar.

    283
    (4) Analoge Anwendung von § 218 BGB

    284
    An dieser Stelle ist § 218 BGB in den Blick zu nehmen. Diese Norm will für den Fall einer bestimmten Gestaltungserklärung - nämlich des Rücktritts wegen nicht oder nicht vertragsgemäß erbrachter Leistung - vermeiden, dass Ansprüche, die durch eine Rücktrittserklärung geschaffen werden, aufgrund der Unverjährbarkeit von Gestaltungserklärung faktisch nicht oder erst sehr spät verjähren. Dazu regelt diese Norm, dass eine Rücktrittserklärung unwirksam ist, wenn der Anspruch auf die Leistung oder der Nacherfüllungsanspruch verjährt ist und die Gegenseite sich hierauf beruft.

    285
    (a) Folgen einer Analogie

    286
    Nach Meinung des Senats ist diese Norm auf die Verjährung mangelbedingter Ansprüche ohne Abnahme analog anzuwenden.

    287
    Dies bedeutet: Die in § 218 BGB geregelte Rechtsfolge gilt nicht nur für die Rücktrittserklärung eines Werkbestellers (und anderer Leistungsempfänger), die die Ansprüche des Rückgewährschuldverhältnisses generiert, sondern sie gilt auch für die Erklärung der endgültigen Erfüllungsverweigerung durch den Besteller, die (im Fall der Mängelhaftung ohne Abnahme) die Ansprüche aus § 632 Nr. 2 und Nr. 4 BGB hervorbringt.

    288
    In den Beispielen 1 bis 3 würde dies bedeuten: Der Primäranspruch des Bestellers auf Leistung aus § 631 Abs. 1 BGB ist im Zweifel (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 21. Oktober 2003, X ZR 218/01) im Jahr 2019 fällig geworden und, da er der regelmäßigen Verjährung gemäß §§ 195, 199 Abs. 1 BGB unterliegt, mit Ablauf des 31. Dezember 2022 verjährt. Sofern sich der Unternehmer auf die Verjährung beruft, könnte der Besteller folglich nur bis zu diesem Tag die endgültige Erfüllungsverweigerung erklären und dadurch einen durchsetzbaren Anspruch aus § 634 Nr. 2 oder Nr. 4 BGB entstehen lassen, der dann wiederum gemäß § 634a Abs. 2 BGB in einer sich anschließenden weiteren Frist von fünf Jahren verjährte. Erklärt B in den Beispielen 1 bis 3 erst nach dem 31. Dezember 2022 die Erfüllungsverweigerung wegen eines nachträglich aufgetretenen Mangels (Schadensersatzverlangen oder qualifizierte Vorschussforderung), könnte sich U analog § 218 BGB auf die Unwirksamkeit der Erfüllungsverweigerung berufen, sodass B von diesem Tag an keine Ansprüche gemäß § 634 Nr. 2 und 4 BGB mehr entstehen lassen kann.

    289
    (b) Die Voraussetzungen für die analoge Anwendung sind gegeben.

    290
    Die analoge Anwendung einer Norm auf einen Fall, den sie ihrem Wortlaut nach nicht regelt, hat zwei Voraussetzungen: Es muss eine planwidrige Regelungslücke bestehen und die Interessenlage des Falls, auf den sie analog angewendet werden soll, muss derjenigen vergleichbar sein, die bei den explizit geregelten Fällen besteht.

    291
    Beides ist hier der Fall. Das Gesetz weist insoweit eine planwidrige Regelungslücke auf. Die Frage unter welchen Voraussetzungen ein Werkunternehmer für Mängel haftet, wenn der Besteller keine Abnahme erklärt hat, ist im BGB in der Fassung nach dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz nicht klar geregelt (vgl. BGH, Urteile vom 19. Januar 2017, VII ZR 301/13, Rn. 25 ff; VII ZR 193/15, Rn. 19 ff; VII ZR 235/15, Rn. 25 ff). Nach dem vom BGH eingeschlagenen Lösungsweg ist insbesondere unklar, wie die mangelbedingten Ansprüche des Bestellers verjähren sollen, angesichts des Umstands, dass § 634a Abs. 2 BGB nicht wörtlich zur Anwendung kommen kann, weil es an einer Abnahme gerade fehlt.

    292
    Die Interessenlage, die sich bei der Frage der Verjährung von mangelbedingten Ansprüchen ohne Abnahme stellt, ist ebenfalls gleich mit derjenigen, die durch § 218 BGB geregelt wird. Dies zeigt sich auf zweifache Weise:

    293
    Einerseits geht es in beiden Fällen um die Frage, ob der Umstand, dass die Entstehung eines Anspruchs durch die Ausübung eines nicht verjährbaren Gestaltungsrechts bedingt ist, die Verjährung dieses Anspruchs erheblich erschweren soll.

    294
    Außerdem ist zu beachten, dass § 218 BGB auf Fälle der Mängelhaftung ohne Abnahme unter einer bestimmten Voraussetzung sowieso auch direkt angewendet werden muss. Hierzu das

    295
    Beispiel 4: Wie Beispiel 1. Nach dem fruchtlosen Verstreichen der Nacherfüllungsfrist fordert B am 10. September 2024 allerdings keinen Vorschuss, sondern erklärt den Rücktritt vom Bauvertrag.

    296
    Im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung ist der Primäranspruch des Bestellers aus § 631 Abs. 1 BGB im Zweifel verjährt (nämlich mit Ablauf des 31. Dezember 2022, vgl. oben). Wenn sich U hierauf beruft, wäre der am 10. September 2024 erklärte Rücktritt somit in direkter Anwendung von § 218 BGB unwirksam.

    297
    Würde § 218 BGB nicht analog auf die Ansprüche aus § 634 Nr. 2 und 4 bei fehlender Abnahme angewendet werden, hätte dies die folgende Konsequenz: Beim Auftreten bis dahin unentdeckter Mängel könnte der Besteller Ansprüche aus § 634 Nr. 2 und 4 BGB praktisch zeitlich unbegrenzt durch die endgültige Erfüllungsverweigerung entstehen lassen, Ansprüche aus einem Rückgewährschuldverhältnis nach mangelbedingtem Rücktritt hingegen nicht, weil sich der Unternehmer insoweit auf die Unwirksamkeit des Rücktritts berufen könnte. Solch ein unterschiedliches Verjährungsregime zwischen §§ 634 Nr. 2 und 4 BGB einerseits und § 634 Nr. 3 BGB andererseits soll durch § 218 BGB gerade vermieden werden.

    298
    Die analoge Anwendung von § 218 BGB dient hier dem Normzweck und hat die Folge eines weitgehenden Gleichlaufs der Verjährung sämtlicher Ansprüche, die aufgrund eines Mangels zugunsten des Bestellers gemäß § 634 Nr. 2 bis 4 BGB entstehen können (Anspruch auf Vorschuss, Anspruch aus Rückgewährschuldverhältnis, Anspruch auf Schadensersatz) nach Abnahme.

    299
    cc) Subsumtion

    300
    Aus diesen Überlegungen folgt, dass sämtliche mangelbedingten Ansprüche der Beklagten, die durch ihren Einbehalt gemäß § 12.1 des Bauvertrags besichert werden, verjährt sind, sodass dieser gemäß § 12.2. freizugeben ist:

    301
    Der Primäranspruch der Beklagten auf die Werkleistung war im Jahr 2018, als sie den Vertrag kündigte, im Zweifel fällig (BGH, Urteil vom 21. Oktober 2003, X ZR 218/01), zumal sie nach dem Bauvertrag sogar schon im Jahr 2016 hätten abgeschlossen sein sollen. Somit ist dieser Primäranspruch mit Ablauf des 31. Dezember 2021 verjährt. Wenn die Beklagte nach diesem Tag wegen eines Mangels noch Mängelansprüche aus § 634 Nr. 2 oder Nr. 4 BGB erheben oder gemäß § 634 Nr. 3 BGB den Rücktritt oder die Minderung erklären sollte, könnte die Schuldnerin bzw. der Kläger die hierin stets liegende endgültige Erfüllungsverweigerung gemäß § 218 BGB als unwirksam zurückweisen. Damit ist mit dem 31. Dezember 2021 die "vereinbarte Gewährleistungsfrist" im Sinne von § 12.2. des Bauvertrags abgelaufen.

    302
    II. Berufung des Klägers

    303
    Die Anschlussberufung des Klägers hat insoweit Erfolg, als die Klageforderung - die abweichend vom Urteil des Landgerichts nur in Höhe von 81.380,68 € besteht - nicht erst ab dem 10. Februar 2022, sondern bereits ab dem 16. Dezember 2018 zu verzinsen ist. Die darüber hinausgehende Anschlussberufung wird zurückgewiesen.

    304
    Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 280, 286, 288 Abs. 2 BGB. Die Beklagte befindet sich seit dem 19. November 2018 in Verzug. Da die Beklagte den Zugang der Schlussrechnung der Schuldnerin vom 16. Oktober 2018 entgegen dem Urteil des Landgerichts (S. 8) nicht bestritten hat, ist dieser im Zweifel drei Tage später erfolgt, also am 19. Oktober 2018. Soweit die Schlussrechnungsforderung begründet ist, ist der Verzug somit 30 Tage später eingetreten, bzw. am darauffolgenden Montag (§ 193 BGB), also am 19. November 2018. Da der Kläger die Verzinsung der Klageforderung lediglich ab dem 16. Dezember 2018 beantragt, ist der Senat hieran gebunden (§ 308 Abs.1 ZPO).

    305
    III. Nebenentscheidungen

    306
    Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs.1 ZPO, der Vollstreckungsausspruch auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

    307
    IV. Revision

    308
    Die Revision wird zugelassen.

    RechtsgebietBaurechtVorschriften§ 305 BGB, § 634 BGB, § 218 BGB, § 103 InsO, § 119 InsO