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  • 21.04.2021 · IWW-Abrufnummer 221864

    Kammergericht Berlin: Urteil vom 02.03.2021 – 21 U 1098/20

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Kammergericht Berlin

    Urteil vom 02.03.2021


    In dem Rechtsstreit
    U GmbH, vertreten durch d. Geschäftsführer, Berlin
    - Verfügungsklägerin und Berufungsklägerin -
    Prozessbevollmächtigte:
    Rechtsanwälte
    gegen
    D GmbH, vertreten durch d. Geschäftsführer, Berlin
    - Verfügungsbeklagte und Berufungsbeklagte -
    Prozessbevollmächtigter:
    Rechtsanwalt

    hat das Kammergericht - 21. Zivilsenat - durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht xxx als Einzelrichter aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19.02.2021 für Recht erkannt:

    Tenor:

    I. Auf die Berufung der Verfügungsklägerin wird das Urteil des Landgerichts vom 16. Oktober 2020 unter Aufhebung der Kostenentscheidung wie folgt abgeändert:

    Die Verfügungsbeklagte wird verpflichtet, an die Verfügungsklägerin 59.500,00 € (einschließlich Umsatzsteuer) nebst Zinsen in Höhe von neun Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 24. Juni 2020 zu zahlen.

    Im Übrigen wird der Antrag der Verfügungsklägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.

    II. Im Übrigen wird die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil des Landgerichts zurückgewiesen.

    III. Die Kosten des Rechtsstreits über beide Instanzen tragen die Verfügungsklägerin zu 80 %, die Verfügungsbeklagte zu 20 %.

    Gründe

    A.

    Die Verfügungsklägerin (im Folgenden: Klägerin) nimmt die Verfügungsbeklagte (im Folgenden: Beklagten) im Wege einer einstweiligen Verfügung gemäß § 650d BGB auf Zahlung wegen umstrittener Vergütungsnachträge zu einem Bauvertrag in Anspruch.

    Die Klägerin ist ein Malerunternehmen, die Beklagte ein öffentliches Wohnungsunternehmen.

    Die Beklagte ließ in der L-Straße 56 bis 64 in Berlin-Marzahn fünf Gebäude mit insgesamt über 250 Wohnungen errichten. Sie führte eine öffentliche Ausschreibung für die Vergabe der Spachtel- und Malerarbeiten durch, wobei sie die in den einzelnen Gebäuden auszuführenden Arbeiten auf drei Lose mit unterschiedlichen Leistungsverzeichnissen aufteilte. Die Klägerin unterbreitete der Beklagten unter dem 18. März 2019 für jedes Los ein Angebot mit Einheitspreisen. Am 2. Mai 2019 beauftragte die Beklagte die Klägerin auf Grundlage dieser Angebote, wobei jeweils die Geltung der VOB/B vereinbart wurde. Die Auftragssummen belaufen sich auf die folgenden Beträge:

    Los 1 (Häuser 64 und 62): 366.482,73 € (einschließlich Umsatzsteuer)

    Los 2 (Haus 56): 277.498,48 € (einschließlich Umsatzsteuer)

    Los 3 (Häuser 58 und 60): 436.598,51 € (einschließlich Umsatzsteuer)

    Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlagen K 1 bis 3 verwiesen.

    Nach Beginn der Arbeiten kam es zu diversen Streitigkeiten zwischen den Parteien. In deren Verlauf kündigte die Beklagte den Vertrag über das Los 1.

    Hinsichtlich der Lose 2 und 3 vertrat die Klägerin die Auffassung, dass sie die folgenden Leistungen (im Folgenden zusammenfassend abgekürzt mit "NL" für "Nachtragsleistung") nicht in ihre Angebote hätte einkalkulieren müssen:

    NL 1: Doppelte Ausführung des Grundanstrichs

    NL 2: Zulage für quarzhaltigen Putzgrund

    NL 3.a): Bearbeitung der "Perifugen" an den Wänden

    NL 3.b): Mehrstärken der "Perifugen" an Decken und Wänden

    NL 4: Ausgleichender Haftputz an Decken und Wänden

    NL 5: Zusatzleistungen wegen nicht glatter Betonflächen

    NL 6: Zulage Glasvlies

    Die Klägerin ist weiter der Ansicht, dass ihr, nachdem sie diese Leistungen, wenn auch in umstrittenen Mengen, erbrachte, hierfür eine Mehrvergütung zustehe.

    Wegen der Einzelheiten zu den Nachträgen NL 1 bis 6 wird auf die Antragsschrift der Klägerin vom 18. Juni 2020, S. 6 ff verwiesen.

    Nachdem die Klägerin bereits mehrere Abschlagsrechnungen erteilt hatte, die die Beklagte zumindest teilweise bezahlt hatte, legte sie am 29. April 2020 ihre 7. Abschlagsrechnung für das Los 2 (Anlage K 4) und ihre 7. Abschlagsrechnung für das Los 3 (Anlage K 5). In diesen beiden Rechnungen stellte sie auch die unter NL 1 bis 6 aufgeführten Leistungen ein. Dabei ist die Klägerin wie folgt vorgegangen:

    In den meisten Fällen der Nachträge NL 1 bis 6 bildete sie Teilleistungen mit Einheitspreisen, die sie mit einer neuen Positionsnummer versah (z.B. N1.02, N2.02, etc.). Sodann stellte sie diese Nachtragspositionen mit den aus ihrer Sicht erbrachten Mengen in die Rechnungen ein, allerdings nur in Höhe von 80 % des sich aus Mengenvordersatz und Einheitspreis errechnenden Betrages. Bei den Nachträgen NL 1 und 3 vertrat die Klägerin die Auffassung, sie könne zur Bepreisung auf Einheitspreise aus dem vertraglichen Leistungsverzeichnis zurückgreifen (z.B. die Positionen 1.6.2 oder 1.10.3a), die sie dann ebenfalls in die 7. Abschlagsrechnung einstellte. In diesem Fall hat die Klägerin die jeweilige Position nur teilweise mit 80 % des Produkts aus Mengenvordersatz und Einheitspreis in Ansatz gebracht, teilweise auch in voller Höhe.

    Da in der 7. Abschlagsrechnung die abgerechneten Leistungen nach Räumen (Wohnungen, Abstellräume etc.) und Bauteilen (Decken, Wänden etc.) aufgeteilt sind, kommen die von der Klägerin für die NL 1 bis 6 gebildeten Einheitspreise mehrfach zur Anwendung.

    Die Gesamtsumme der Vergütung für die NL 1 bis 6, die die Klägerin in der 7. Abschlagsrechnung verteilt auf zahlreiche Teilleistungen eingestellt hat, soll sich laut der Antragsschrift auf 259.586,77 € belaufen, was zuzüglich 19 % Umsatzsteuer 308.908,19 € entspricht (vgl. S. 35). Bei der Ermittlung des Ausgangsbetrags scheinen der Klägerin Rechenfehler unterlaufen sein, deren genaue Bezifferung aber unverhältnismäßig aufwändig ist.

    Die Beklagte prüfte die beiden Abschlagsrechnungen und strich sämtliche Einzelpositionen, mit denen die Klägerin die NL 1 bis 6 geltend machte - wie erwähnt überwiegend nur in Höhe von 80 % ihrer Eigenberechnung - vollständig. Die einzelnen Streichungen der Beklagten hat die Klägerin in der Anlage K 12 zusammengestellt.

    Die Klägerin setzte ihre Leistungen fort, auch nachdem sie die 7. Abschlagsrechnung gelegt hatte. Mit Schreiben vom 14. August 2020 kündigte die Beklagte weitere Teilleistungen der Klägerin aus den Losen 2 und 3.

    Soweit die Verträge nicht gekündigt sind, erbrachte die Klägerin mittlerweile sämtliche Leistungen der Lose 2 und 3. Die Beklagte nahm diese Leistungen ab.

    Nach den beiden 7. Abschlagsrechnungen legte die Klägerin noch weitere Abschlagsrechnungen und mittlerweile auch die Schlussrechnungen der Lose 2 und 3. Die Beklagte leistete auf diese weiteren Rechnungen teilweise Zahlungen, aber nur, soweit Hauptvertragsleistungen in Ansatz gebracht wurden. Die Leistungen NL 1 bis 6 strich die Beklagte auch in den nachfolgenden Rechnungen jeweils vollständig.

    Bereits mit Schriftsatz vom 18. Juni 2020 hat die Klägerin vor dem Landgericht Berlin den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt, mit der die Beklagte zur Zahlung von 308.908,19 € (einschließlich Umsatzsteuer) zuzüglich Zinsen verpflichtet wird. Hilfsweise hat die Klägerin die Feststellung beantragt, dass die Beklagte verpflichtet sei, diesen Betrag wegen der NL 1 bis 6 an sie zu zahlen.

    Mit Urteil vom 16. Oktober 2020 hat das Landgericht den Hauptantrag als unbegründet, den Hilfsantrag als unzulässig zurückgewiesen. Die Zurückweisung des Hauptantrags hat es im Wesentlichen damit begründet, dass die Klägerin nach dem Abschluss ihrer Leistungen und dem Eintritt der Schlussrechnungsreife, keine Abschlagsrechnung mehr geltend machen könne und sich damit auch nicht mehr auf § 650c Abs. 3 BGB berufen könne.

    Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Gerichts und des Parteivorbringens wird auf dieses Urteil verwiesen.

    Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, mit der sie ihren erstinstanzlichen Hauptantrag und den Hilfsantrag weiterverfolgt. Zur Begründung bezieht sie sich im Wesentlichen auf ihr erstinstanzliches Vorbringen. Die Beklagte verteidigt die Entscheidung des Landgerichts.

    B.

    Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg. Das Urteil des Landgerichts ist dahin abzuändern, dass die Beklagte zu verpflichten ist, der Klägerin auf die Positionen N1.02 und N2.02 ihrer Abrechnung, also den Nachtrag NL 4: Ausgleichender Haftputz an Decken und Wänden, einstweilen einen Betrag von 59.500,00 € (einschließlich Umsatzsteuer) zu zahlen. Dies gilt bis zum einvernehmlichen oder rechtskräftigen Abschluss des Abrechnungsstreits zwischen den Parteien.

    Soweit die Klägerin eine höhere Zahlung beansprucht und hilfsweise die Feststellung der Zahlungspflicht der Beklagten beantragt, hat ihr Rechtsmittel gegen die abweisende Entscheidung des Landgerichts keinen Erfolg.

    I. Anspruch auf Erlass einer auf Zahlung gerichteten einstweiligen Verfügung

    Die Berufung der Klägerin hat teilweise Erfolg, da nach Meinung des Senats eine einstweilige Zahlungsverfügung gegen die Beklagte zu erlassen ist, wenngleich nicht in der von der Klägerin beantragten Höhe.

    Die Klägerin hat glaubhaft gemacht, dass ihr ein Verfügungsanspruch in Form einer Werklohnvergütung aus § 631 Abs. 1 BGB zusteht, der sich aus einer Mehrvergütung aus § 650c Abs. 1 BGB i.V.m. § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B speist, dazu unten 2.

    Zudem besteht gemäß § 650d BGB ein Verfügungsgrund zum Erlass einer einstweiligen Verfügung, dazu unten 1.

    Sein damit eröffnetes Anordnungsermessen (§ 938 Abs. 1 ZPO) übt der Senat in der Form aus, dass er die Beklagte zur einstweiligen Zahlung 59.500,00 € (einschließlich Umsatzsteuer) an die Klägerin verpflichtet, dazu unten 3.

    1. Verfügungsgrund gemäß § 650d BGB

    Soweit die Klägerin glaubhaft gemacht hat, dass ihr aufgrund einer Mehrvergütung aus § 650c Abs. 1 BGB i.V.m. § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B ein offener Vergütungsanspruch gegen die Beklagte zusteht (dazu unten 2.), besteht ein Grund zum Erlass einer einstweiligen Verfügung zugunsten der Klägerin. Dies ergibt sich aus der gesetzlichen Dringlichkeitsvermutung in § 650d BGB. Die Klägerin hat diese Vermutung nicht widerlegt.

    a) Anwendbarkeit von § 650d BGB auf das vorliegende Verfahren

    Die Vermutung des § 650d BGB ist auf das vorliegende Verfügungsverfahren anwendbar, denn die Parteien streiten um eine Vergütungsanpassung aus § 650c Abs. 1 BGB zugunsten der Klägerin aufgrund ihrer streitgegenständlichen Bauverträge mit der Beklagten.

    aa) Anwendungsbereich von § 650d BGB eröffnet

    Soweit der Klägerin die umstrittene Mehrvergütung zusteht, ergibt sich diese aus § 650c Abs. 1 BGB. Denn die streitgegenständlichen Bauverträge kamen am 2. Mai 2019 zustande, somit sind §§ 650b und 650c BGB auf sie anwendbar (Art. 229 § 39 EGBGB).

    Dies ändert sich nicht dadurch, dass die Parteien die Geltung der VOB/B für diese Verträge vereinbart haben. Zwar enthält die VOB/B für Einheitspreisverträge in § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B Regeln zur Anpassung der Unternehmervergütung nach Leistungsänderungen durch den Besteller. Werden diese Regelungen in ab dem 1. Januar 2018 geschlossene Verträge einbezogen, handelt es sich bei ihnen aber lediglich um vertragliche Ausgestaltungen der nun geltenden gesetzlichen Regelung in § 650c Abs. 1 und 2 BGB, sodass auch ein Streit um eine nach § 2 Abs. 5 bis 7 VOB/B zu bestimmende Mehrvergütung von den in § 650d BGB erwähnten "Streitigkeiten über die Vergütungsanpassung gemäß § 650c BGB" mitumfasst ist (Retzlaff in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Auflage, 2021, § 650d BGB, Rn. 1; BauR 2017, 1821; Sacher in: Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Auflage, 2020, Teil 12, Rn. 112).

    bb) § 650d BGB ist nicht abbedungen

    Die von ihrem Tatbestand her für den Rechtsstreit einschlägige Regelung des § 650d BGB ist auch nicht durch eine Vereinbarung der Parteien von der Anwendung ausgeschlossen. Weder die streitgegenständlichen Verträge noch die in sie einbezogene VOB/B enthalten soweit ersichtlich eine Bestimmung, die den Ausschluss von § 650d BGB zum Gegenstand hat. Somit stellt sich die Frage nicht, ob eine solche Regelung überhaupt wirksam wäre (vgl. hierzu Sacher in: Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Auflage, 2020, Teil 12, Rn. 118).

    b) Anwendbarkeit von § 650d BGB trotz Schlussrechnungsreife

    Soweit die Klägerin eine Mehrvergütung aus § 650c Abs. 1 BGB, § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B glaubhaft gemacht hat (dazu unten 2.), kann sie sich weiter auf die Dringlichkeitsvermutung in § 650d BGB berufen. Es ist hierfür unerheblich, dass mittlerweile bei allen streitgegenständlichen Bauverträgen Schlussrechnungsreife eingetreten ist, nachdem die Beklagte die Verträge teilweise gekündigt und die nicht gekündigten Leistungen der Klägerin abgenommen hat.

    aa) Zweck von § 650d BGB: Liquidität für den Unternehmer bei umstrittener Mehrvergütung

    Nach dem Willen des Gesetzgebers soll § 650d BGB einem Bauunternehmer die Möglichkeit eröffnen, wegen eines umstrittenen Mehrvergütungsanspruchs eine auf Zahlung gerichtete einstweilige Verfügung (im Folgenden auch kurz "Zahlungsverfügung") gegen den Besteller zu erwirken (BT-Drs. 18/8486, S. 58).

    Der Grund für derartige auf Zahlung gerichtete einstweilige Verfügungen liegt in dem "erhöhten Vorleistungsrisiko" eines Bauunternehmers im Fall von aufwandserhöhenden Leistungsänderungen durch den Besteller (BT-Drs. 18/11437, S 44). Erzielen die Parteien hierüber keine Einigung, ist der Unternehmer ohne eine einvernehmlich bezifferte Vergütung zur Vorleistung verpflichtet. Ohne eine einvernehmliche Bepreisung ist es schwieriger für den Unternehmer, dem Besteller einen Zahlungsrückstand vor Augen führen oder eine Sicherheit nach § 650f BGB zu erwirken. Zugleich wird es für ihn riskanter, auf eine Nichterfüllung des Bestellers mit Leistungseinstellung oder Kündigung zu reagieren bzw. dies effektiv anzudrohen. Damit steigt im Ergebnis die Wahrscheinlichkeit, dass der Unternehmer eine umstrittene Mehrvergütung, auch wenn sie berechtigt ist, erst nach einem Jahre dauernden Rechtsstreit durchsetzen kann.

    Mit der Einführung von § 650d BGB wollte der Gesetzgeber einem von einer Leistungsänderung betroffenen Unternehmer die Möglichkeit eröffnen, im Wege der einstweiligen Verfügung in der Zwischenphase bis zur abschließenden Klärung seiner Mehrvergütung hierfür Liquidität im Wege der einstweiligen Verfügung zu erstreiten.

    bb) Einstweilig zugesprochene Liquidität muss dem Unternehmer über den Abschluss des Bauvorhabens hinaus zustehen

    (1) Zahlungsverfügung während der Bauausführung

    Ein Unternehmer kann eine Zahlungsverfügung nach § 650d BGB bereits während der Bauausführung erwirken, also für eine Mehrvergütung, die er im Rahmen einer Abschlagsrechnung geltend gemacht hat.

    Beispiel 1: Unternehmer U macht einen umstrittenen Mehrvergütungsanspruch, den Nachtrag N 1, über 120.000,00 € (im Folgenden kurz: 120 t €) mit der Abschlagsrechnung A 7 geltend. Besteller B verweigert die Zahlung. U erwirkt eine einstweilige Zahlungsverfügung über 50 t € (Reduzierung wegen Risikoabschlägen) für den in der Abschlagsrechnung A 7 eingestellten N 1. Noch während der Bauarbeiten zahlt B die 50 t € an U.

    Diese im Wege der Zahlungsverfügung erwirkte Liquidität im Beispiel 1 in Höhe von 50 t € muss dem Unternehmer nicht nur bis zum Abschluss seiner Leistungen zustehen, sondern, sofern sich die Parteien nicht anderweitig einigen, bis zum abschließenden Urteil in einem Hauptsacheverfahren. Erst dann bedarf der Unternehmer im Beispiel 1 der Wirkung der Zahlungsverfügung nicht mehr. Denn entweder ergibt sich aus dem Urteil, dass ihm die Mehrvergütung zusteht, dann kann er aus der Hauptsacheentscheidung vorgehen. Oder es ergibt sich entgegen der vorläufigen Einschätzung des Gerichts bei Erlass der einstweiligen Verfügung, dass die Mehrvergütung doch nicht besteht. Dann, aber auch erst dann, hat U die vorübergehend erhaltene Liquidität zurückzugeben.

    (2) Erlass einer Zahlungsverfügung muss auch nach Abschluss der Leistungen möglich sein

    Wenn § 650d BGB so verstanden werden muss, dass der Unternehmer über die im Wege einer Zahlungsverfügung während der Bauarbeiten erstrittene Liquidität bis zur abschließenden Klärung seines Mehrvergütungsanspruchs verfügen darf, dann folgt hieraus:

    Wenn der Besteller bei der Prüfung und Bezahlung späterer Abschlags- oder Schlussrechnungen dem Unternehmer die für die für die Mehrvergütung erhaltene Liquidität wieder entzieht durch Verrechnung mit einem sich aus unstreitigen Positionen speisenden positiven Vergütungssaldo, muss der Unternehmer berechtigt sein, eine erneute Zahlungsverfügung gegen den Besteller zu erwirken, ggf. nach Schlussrechnungsreife (dazu unten 3.).

    Ebenso muss es dem Unternehmer aber möglich sein, eine einstweilige Zahlungsverfügung nach Abschluss seiner Leistungen, also bei Schlussrechnungsreife erstmalig zu erwirken. Zwar mag es sein, dass der Unternehmer dann nicht mehr berechtigt ist, Vergütungsforderungen aus Abschlagsrechnungen geltend zu machen, sondern eine Schlussrechnung legen muss (BGH, Urteil vom 20. August 2009, VII ZR 205/07, BGHZ 182, 158). Dies hat aber nichts mit dem Bedürfnis des Unternehmers zu tun, für eine umstrittene Mehrvergütung durch ein Gericht vorübergehend Liquidität zugesprochen zu bekommen, dessen Berechtigung der Gesetzgeber in § 650d BGB anerkannt hat. Dieses Bedürfnis besteht über die Schlussrechnungsreife hinaus bis zur abschließenden Klärung des Vergütungsanspruchs fort.

    (3) Bedeutungslosigkeit der 80-Prozent-Regelung nach Abschluss der Leistungen ist unerheblich

    Für dieses berechtigte Liquiditätsbedürfnis des Unternehmers und somit die Vermutung des § 650d BGB ist es ebenfalls unerheblich, dass mit dem Abschluss der Arbeiten die in § 650c Abs. 3 BGB geregelte 80-Prozent-Regelung weitgehend funktionslos geworden ist. Der in diesem Punkt abweichenden Auffassung des Landgerichts vermag sich der Senat nicht anzuschließen.

    § 650c Abs. 3 BGB sieht vor, dass der Unternehmer einen der Höhe nach umstrittenen Mehrvergütungsanspruch in einer Abschlagsrechnung mit 80 % ansetzen kann und dies bis zu einer anderslautenden gerichtlichen Entscheidung als richtig gilt. Damit regelt diese Vorschrift ein vorläufiges einseitiges Preisbestimmungsrecht des Unternehmers (Retzlaff in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Auflage, 2021, § 650c BGB, Rn. 11; BauR 2017, 1806 ff; Kniffka in: Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Auflage, 2020, Teil 4, Rn. 327 ff; von Rintelen in: Kniffka, Bauvertragsrecht, 3. Auflage, 2018, § 650c BGB, Rn. 132). Zahlt der Besteller nicht, ohne eine solche Entscheidung erwirkt zu haben, befindet er sich folglich auch dann im Zahlungsverzug, wenn sich im Nachhinein herausstellen sollte, dass die vom Unternehmer erhobene Forderung überhöht war. Der Unternehmer kann somit unbeschadet der Möglichkeit einer späteren abweichenden gerichtlichen Entscheidung die Nichtzahlung des Bestellers mit Leistungseinstellung oder Kündigung sanktionieren.

    Die Funktion der 80-Prozent-Regelung besteht somit darin, dem Unternehmer den Einsatz seiner Druckmittel Leistungseinstellung und Kündigung risikofreier zu gestalten. Wenn diese Druckmittel ihre Bedeutung weitgehend verloren haben, weil der Unternehmer seine Leistungen abgeschlossen hat, dann gilt dies somit auch für die 80-Prozent-Regelung. Dieser faktische Befund hat aber nichts mit der Dringlichkeitsvermutung des § 650d BGB zu tun. Für diese kommt es allein auf das Liquiditätsbedürfnis des Unternehmers an. Insoweit ist der Unternehmer, gerade weil er seine Leistungen abgeschlossen hat und nicht mehr über die von § 650c Abs. 3 BGB begünstigten Druckmittel Leistungseinstellung und Kündigung verfügt, sogar verstärkt auf gerichtliche Hilfe bei seinen berechtigten Forderungen und somit die Vermutung des § 650d BGB angewiesen.

    Auch der Wortlaut von § 650d BGB gibt keinen Anlass für die Annahme, die Dringlichkeitsvermutung sei an die Anwendung der 80-Prozent-Regelung gekoppelt. Danach besteht ein Verfügungsgrund allgemein für Streitigkeiten über § 650b oder 650c BGB. Er ist keineswegs beschränkt auf Streitigkeiten um Nachträge aus Abschlagsrechnungen, die auf die 80-Prozent-Regelung gestützt werden.

    cc) Das Vorleistungsrisiko des Unternehmers entfällt nicht bei Abschluss der Arbeiten

    Schließlich führt der Abschluss der Leistungen des Unternehmers auch nicht deshalb zur Unanwendbarkeit von § 650d BGB, weil sich dann sein Vorleistungsrisiko nicht weiter erhöhen kann. Zwar soll durch diese Regelung in der Tat ein Ausgleich für das Vorleistungsrisiko des Bauunternehmers geschaffen werden. Dieser Regelungszweck kommt aber bereits dann zum Tragen, wenn sich das Vorleistungsrisiko im Zeitpunkt der Anwendung von § 650d BGB bereits realisiert hat; es ist nicht erforderlich, dass sich dies noch weiter verschärfen kann. Die Vermutung des § 650d BGB kommt deshalb zur Anwendung, wenn der Unternehmer glaubhaft macht, aufgrund einer Änderungsanordnung des Bestellers Leistungen an diesen erbracht und dafür eine Mehrvergütung erwirtschaftet zu haben, die von diesem nicht bezahlt wird. Diese unbezahlte Vorleistung ist Rechtfertigung genug, damit die Dringlichkeitsvermutung zur Anwendung kommen kann.

    Beim Anspruch des Unternehmers auf Sicherheit aus § 650f Abs. 1 BGB, der ebenfalls einen Ausgleich für sein Vorleistungsrisiko darstellt, verhält es sich genauso. Diesen Anspruch kann der Unternehmer ebenfalls auch dann noch gegen den Besteller durchsetzen, wenn der Bauvertrag gekündigt oder Schlussrechnungsreife eingetreten ist (vgl. BGH, Urteil vom 6. März 2014, VII ZR 349/12, BGHZ 200, 274). Auch dort genügt es, dass sich das Vorleistungsrisiko für den Unternehmer realisiert hat, indem der Besteller im Zahlungsrückstand ist; dass es sich aufgrund der Einstellung der Arbeiten nicht mehr weiter verschärfen kann, ist unerheblich.

    2. Verfügungsanspruch

    Die Klägerin hat einen Verfügungsanspruch gegen die Beklagte glaubhaft gemacht, den der Senat nach der summarischen Prüfung, die im vorliegenden Eilverfahren allein möglich ist, gemäß § 287 Abs. 1 ZPO mit 50.000,00 € zuzüglich 19 % Umsatzsteuer also mit 59.500,00 € veranschlagt.

    a) Allgemein: Maßgeblich ist offener Vergütungssaldo nach Schlussrechnung, der sich aus Mehrvergütung speist

    In dieser Höhe ist die Mehrvergütung berechtigt, die die Klägerin im vorliegenden Verfahren als NL 4 (ausgleichender Haftputz an Decken und Wänden, Bezeichnung aufgrund der Nummerierung in der Antragsschrift) geltend macht, wobei diese Vergütung unter den Positionen N1.02 und N2.02 an mehreren Stellen in die beiden 7. Abschlagsrechnung eingestellt ist.

    Die Mehrvergütung NL 4, die der Senat mit 50.000,00 € (netto) veranschlagt, ergibt sich aus § 650c Abs. 1 BGB, §§ 2 Abs. 5 und 6 VOB/B. Allerdings stellen diese Normen genaugenommen keine Anspruchsgrundlage dar, sondern regeln nur die Anpassung der Vergütungsanspruchs, der sich aus § 631 Abs. 1 BGB ergibt, wie der Wortlaut von § 650c Abs. 1 BGB zutreffend zum Ausdruck bringt. Für sich genommen, ist die Mehrvergütung, die einem Unternehmer für eine geänderte oder zusätzliche Leistung zusteht, nur ein unselbständiger Rechnungsposten. Daher genügt der Befund, dass der Klägerin für den Nachtrag NL 4 eine Mehrvergütung zusteht, für sich genommen nicht für die Glaubhaftmachung eines Verfügungsanspruchs. Dieser ist erst gegeben, wenn ihr im Gesamtsaldo ein offener Vergütungsanspruch aus § 631 Abs. 1 BGB gegen die Beklagte zusteht, der sich aus der umstrittenen Mehrvergütung speist. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall aber erfüllt. Die Klägerin hat nicht nur eine Mehrvergütung in Höhe von 50.000,00 € (netto) für den Nachtrag NL 4 glaubhaft gemacht, sondern es steht außerdem fest, dass diese Mehrvergütung ihren positiven Rechnungssaldo gegenüber der Beklagten - da Schlussrechnungsreife eingetreten ist, handelt es sich hier um den Schlussrechnungssaldo - um diesen Betrag zugunsten der Klägerin erhöht.

    b) NL 4: Ausgleichender Haftputz an Decken und Wänden

    Die Klägerin hat glaubhaft gemacht, dass ihr für den Nachtrag NL 4 eine Mehrvergütung aus § 650c Abs. 1, § 2 Abs. 5, 6 VOB/B zusteht, die der Senat mit 50.000,00 € (zuzüglich 19 % Umsatzsteuer) veranschlagt.

    aa) Leistungsänderung

    Die Klägerin hat nachvollziehbar dargelegt, dass die Decken- und Wandflächen aus Beton, auf die sie Putz aufzutragen hatte, nicht die Beschaffenheit aufwiesen, die sie nach dem Leistungsverzeichnis voraussetzen durfte. Dort sind sie als "glatte Betonflächen" beschrieben, während sie tatsächlich deutliche Kanten und Unebenheiten aufwiesen infolge ungleichmäßig aufgesetzter Schalungsplatten (Antragssschrift vom 18. Juni 2020, S. 17 f). Zum Beleg, dass die tatsächlich von ihr vorgefundenen Verhältnisse nicht dem Leistungsverzeichnis entsprechen, hat die Klägerin die Auskunft dreier Sachverständiger vorgelegt, die diese Einschätzung in nachvollziehbarer Weise bestätigen (Anlagen K 24 bis 26). Dass die Klägerin vor der Abgabe ihres Angebots die Baustelle besichtigen konnte, worauf die Beklagte hinweist, ist aus Sicht des Senats kein zwingendes Gegenargument. Dem Vortrag der Parteien ist nicht klar zu entnehmen, ob und inwieweit die Klägerin bei dieser Besichtigung Wand- und Deckenflächen aus Beton besichtigen konnte und ob sie davon ausgehen musste, dass diese bereits den von ihr zu bearbeitenden Endzustand aufwiesen. Dem Senat erscheint es nicht als ausgeschlossen, dass die Klägerin noch mit einer Nachbearbeitung der Flächen durch das Rohbauunternehmen, rechnen durfte, damit die "glatten" Flächen hergestellt werden, von denen das Leistungsverzeichnis spricht.

    Die im Leistungsverzeichnis enthaltene Position "Grate entfernen", auf die die Beklagte ebenfalls hinweist, ist ebenfalls kein zwingendes Argument dafür, dass die Klägerin nicht mit glatten Betonflächen rechnen durfte. Vielmehr gilt umgekehrt: Gerade weil das Entfernen von Schalungsgraten für die Herstellung glatter Betonflächen erforderlich ist und explizit im Leistungsverzeichnis aufgeführt ist, dabei aber keinesfalls auf der gesamten Fläche abgerechnet werden sollte, sondern nur nach Bedarf (daher die Abrechnung nach laufenden Metern), geht das Leistungsverzeichnis offenbar grundsätzlich von Betonflächen aus, auf denen solche Grate nicht zu entfernen, sondern die "glatt" sind. Zugleich ist das von der Klägerin mit dem Nachtrag NL 4 geltend gemachte Ausgleichen von Kanten und Unebenheiten mit dieser Zusatzposition nicht abgegolten, da sich Kanten und Unebenheiten anders als Schalungsgrate nicht ohne Weiteres durch Abschlagen beseitigen lassen.

    Die Klägerin hat weiter dargelegt, dass ihr ein signifikanter Mehrbedarf dadurch entsteht, wenn sie die vereinbarten Leistungen auf einem Betonuntergrund zu erbringen hat, der sich von der vertraglichen Vorgabe "glatt" unterscheidet. Somit ordnet die Beklagte eine notwendige Leistungsänderung gemäß § 650b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB an, wenn sie unter diesen geänderten Umständen auf der Durchführung der vertraglichen Leistungen besteht.

    Ob es sich dabei aus Sicht der VOB/B, deren Geltung die Parteien vereinbart haben, um eine geänderte Leistung gemäß § 2 Abs. 5 VOB/B oder eine zusätzliche Leistung gemäß § 2 Abs. 6 VOB/B handelt, kann dahinstehen. Denn die Mehrvergütung ist in all diesen Fällen, also im Fall einer Leistungsänderung gemäß § 650b BGB oder einer solchen nach § 2 Abs. 5 oder Abs. 6 VOB/B im Grundsatz auf die gleiche Weise zu berechnen, nämlich anhand der tatsächlich erforderlichen Mehrkosten zuzüglich eines angemessenen Zuschlags für allgemeine Geschäftskosten und Gewinn (§ 650c Abs. 1 BGB; vgl. KG, Urteil vom 27. August 2019, 21 U 160/18; Urteil vom 10. Juli 2018, 21 U 30/17; OLG Düsseldorf, Urteil vom 19. Dezember 2019, 5 U 52/19; OLG Brandenburg, Urteil vom 22. April 2020, 11 U 153/18; zur verwandten Vorschrift des § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B vgl. BGH, Urteil vom 8. August 2019, VII ZR 34/18).

    bb) Höhe des Mehrvergütungsanspruchs

    Der Senat veranschlagt den Mehrvergütungsanspruch, der der Klägerin aufgrund der Leistungsänderung gemäß § 650c Abs. 1 BGB zusteht, bei der im einstweiligen Rechtsschutz allein möglichen summarischen Prüfung mit 50.000,00 € (zuzüglich 19 % Umsatzsteuer).

    (1) Klägerin kann sich nicht auf 80-Prozent-Regelung berufen

    Zur Darlegung der Höhe ihres Mehrvergütungsanspruchs kann sich die Klägerin nicht darauf beschränken, 80 % des Preises aus ihrem Angebot über den Nachtrag NL 4 anzusetzen. Weder in einem Hauptsacherechtsstreit noch in einem einstweiligen Verfügungsverfahren über einen Nachtrag folgt aus § 650c Abs. 3 S. 1 BGB eine das Gericht bindende gesetzliche Vermutung, wonach die vom Unternehmer in seinem Nachtragsangebot aufgerufene Preis in Höhe von 80 Prozent im Zweifel zutreffend ist. Eine solche Vermutung ergibt sich insbesondere nicht aus § 650c Abs. 3 BGB (a.A. wohl Sacher in: Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Auflage, 2020, Teil 12, Rn. 159).

    Die in § 650c Abs. 3 BGB enthaltene 80-Prozent-Regelung schafft lediglich ein vorläufiges einseitiges Preisbestimmungsrecht für den Unternehmer im Fall einer geänderten Leistung (vgl. oben 1.b) bb) (3)). Damit verteilt sie das Irrtumsrisiko zwischen den Vertragsparteien, die sich über die preisliche Bewertung nicht einig sind, und zwar zugunsten des Unternehmers um den "Preis" eines Abschlags von 20 % von seinem Angebot. Eine weitergehende rechtliche Bedeutung hat die 80-Prozent-Regelung aber nicht. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 650c Abs. 3 BGB, dem eine Richtigkeitsvermutung des 80-Prozent-Vergütungsansatzes, die in jedem Kontext gilt - also auch für gerichtliche Entscheidungen -, nicht entnommen werden kann. Dies zeigt insbesondere der Wortlautvergleich mit § 650c Abs. 2 S. 2 BGB, wo eine solche Vermutung hinsichtlich der Urkalkulation des Unternehmers geregelt ist.

    Es kommt hinzu, dass eine auch für gerichtliche Entscheidungen geltende Richtigkeitsvermutung der 80-Prozent-Regelung eine zu weitgehende Bevorzugung des Unternehmers darstellte und deshalb ein dahingehender Wille des Gesetzgebers nicht anzunehmen ist. Die 80-Prozent-Regelung eröffnet dem Unternehmer die Möglichkeit, die Höhe einer Mehrvergütung einseitig und ohne Berücksichtigung der Interessen des Bestellers festzusetzen. Eine solche einseitige Kompetenz, die große monetäre Auswirkungen haben kann, kann es bei einem gegenseitigen Vertrag nur ausnahmsweise geben und somit nur in der Phase eines Mehrvergütungsstreits, bevor eine Partei ein Gericht angerufen hat. Ist dies geschehen, ist es die Aufgabe des Gerichts, den Vergütungsanspruch des Unternehmers so gut wie möglich preislich zu bewerten. Es kann nicht sein, dass es der Unternehmer durch die Gestaltung seines Angebots in der Hand hat, auch die Entscheidung des Gerichts in eine ihm genehme Richtung zu lenken, indem er sein Nachtragsangebot und somit die Bemessungsgrundlage der 80-Prozent-Regelung überhöht ansetzt.

    (2) Ermittlung des Mehrvergütungsanspruchs durch die Klägerin

    Die Klägerin hat ihren Mehrvergütungsanspruch wie folgt ermittelt: Als Einheitspreis für Decken- und Wandflächen hat sie einen Betrag von 12,80 € pro m2 berechnet, der sich aus Arbeitskosten von 8,84 € und Materialkosten von 3,96 € zusammensetzt. Die Arbeitskosten hat die Klägerin auf Grundlage eines Kalkulationslohns von 40,80 € pro Stunde, also 0,68 € pro Minute und einer Arbeitszeit von 13 Minuten pro m2 ermittelt (Anlage K 31), wobei sie den Kalkulationslohn dem EFB-Blatt entnommen hat, das sie bei Abgabe ihres Angebots der Beklagten offenbar vorgelegt hat.

    Diesen Einheitspreis hat die Klägerin mit der Gesamtfläche der von ihr bearbeiteten Decken und Wände multipliziert. Sie macht somit geltend, dass ihr diese Zulageposition an sämtlichen Wänden und Decken entstanden ist.

    (3) Summarische Bewertung der Vergütungsermittlung der Klägerin

    Diese Berechnung ist für sich genommen nachvollziehbar. Allerdings bestreitet die Beklagte sowohl die Herleitung des Einheitspreises wie auch die Mengenermittlung. Um die Mehrvergütung der Klägerin für den Nachtrag NL 4 abschließend zu klären, müssten in einem Hauptsacheprozess folglich beide Werte überprüft werden.

    (a) Klägerin profitiert nur in geringem Umfang von § 650c Abs. 2 S. 2 BGB

    Bei dieser Nachprüfung könnte die Klägerin nur in geringem Umfang von der Vermutung in § 650c Abs. 2 S. 2 BGB profitieren.

    (aa) Anwendbarkeit

    Die Vermutung von § 650c Abs. 2 S. 2 BGB ist, sofern ihre Voraussetzungen erfüllt sind, auf den Vertrag anwendbar. Der Vertrag ist nach dem 31. Dezember 2017 geschlossen worden, also nach dem Inkrafttreten dieser Norm. Im Übrigen gelten die Ausführungen zur Geltung von § 650d BGB entsprechend. Dass die Parteien die Geltung der VOB/B vereinbart haben, ist unerheblich. Die VOB/B enthält keinen Ausschluss von § 650c Abs. 2 BGB, schon weil dies dem Wortlaut der VOB/B nicht zu entnehmen ist. Es kann somit dahinstehen, ob ein solcher Ausschluss rechtlich überhaupt möglich wäre.

    (bb) Keine wesentliche Bedeutung für den vorliegenden Fall

    Allerdings hat § 650c Abs. 2 S. 2 BGB beim aktuellen Streitstand keine wesentliche Bedeutung für den vorliegenden Fall. Dies gilt auch dann, wenn zugunsten der Klägerin unterstellt wird, dass es sich bei dem EFB-Blatt, das sie der Beklagten übergeben haben will, um eine hinterlegte Urkalkulation handelt. Von vornherein kann die Richtigkeitsvermutung des § 650c Abs. 2 S. 2 BGB nur die Preisermittlung, nicht aber die Mengenermittlung für die geänderte Leistung umfassen. Doch auch der von ihr mit 12,80 € pro m2 ermittelten Einheitspreis hat nicht als solcher die Vermutung der Richtigkeit gemäß § 650c Abs. 2 S. 2 BGB für sich, selbst wenn ihn die Klägerin unter Verwendung der Angaben in ihrem EFB-Blatt berechnet hat. Denn entgegen dem zu weitgehenden Wortlaut von § 650c Abs. 2 S. 2 BGB gilt bei der Preisermittlung aufgrund einer hinterlegten Urkalkulation nicht das Endergebnis der Preisfortschreibung als richtig im Sinne von § 650c Abs. 1 BGB, sondern nur die in der hinterlegten Urkalkulation enthaltenen Ansätze (Retzlaff in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Auflage, 2021, § 650c BGB, Rn. 9).

    Im vorliegenden Fall bedeutet das: Es würde gemäß § 650c Abs. 2 S. 2 BGB vermutet, dass der von der Klägerin in dem EFB-Blatt eingetragene Kalkulationslohn den Arbeitskosten entspricht, die ihr tatsächlich für den Einsatz eines Arbeitnehmers entsteht. Dies hat keine große Relevanz für den Rechtsstreit, da sich der Betrag 40,80 € pro Stunde, der sich bei einem Minutenansatz von 0,68 € errechnet, nach Einschätzung des Senats noch im Rahmen des Üblichen bewegt. Daneben hängt der Einheitspreis für die Mehrvergütung ganz entscheidend von der Dauer des Arbeitskrafteinsatzes pro Mengeneinheit und den Kosten des Materials für die geänderte Leistung ab. Hierzu finden sich in dem von der Klägerin vorgelegten EFB-Blatt keine Angaben. Deshalb kann sich die Richtigkeitsvermutung des § 650c Abs. 2 S. 2 BGB nicht auf diese Ansätze beziehen.

    (b) Schätzung der Mehrvergütung

    Der Senat schätzt die Mehrvergütung der Klägerin für den Nachtrag NL 4 auf insgesamt 50.000,00 € (zuzüglich 19 % Umsatzsteuer).

    Dabei sind die folgenden Unwägbarkeiten eingeflossen: Es kann sich in einem Hauptsacheverfahren entgegen der aktuellen Annahme des Senats noch herausstellen, dass der von der Klägerin hier abgerechnete ausgleichende Haftputz schon dem Grunde nach keine geänderte Leistung darstellt. Dann entfiele die Mehrvergütung der Klägerin vollständig. Selbst wenn der Anspruch dem Grunde nach besteht, kann sich ein geringerer Einheitspreis als die von der Klägerin angesetzten 12,80 € pro m2 ergeben. Schließlich kann sich herausstellen, dass die Mengenansätze der Klägerin für die geänderte Leistung überhöht sind. Insbesondere kann sich in einem Hauptsacheverfahren herausstellen, dass es nicht gerechtfertigt ist, die gesamten Flächen von Decken und Wänden anzusetzen, wenn nur in einzelnen Bereichen Spachtelarbeiten erforderlich waren. Allerdings ist in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen, dass der Vertrag bei dem Verschließen von Fugen - eine weitere Leistung, die nur Teilbereiche einer Fläche betrifft - ebenfalls eine Abrechnung nach Flächen vorsieht.

    In der Gesamtbewertung dieser Umstände hält es der Senat für angemessen, im vorliegenden Verfahren die Mehrvergütung NL 4 mit einer Quote von 30 Prozent des von der Klägerin insgesamt hierfür geltend gemachten Betrages anzusetzen.

    Bei der Berechnung ist zu beachten, dass die Klägerin die Positionen N1.02 und N2.02, mit denen sie die Mehrvergütung NL 4 in ihren Abschlagsrechnungen geltend macht, nur mit 80 Prozent in Ansatz gebracht hat. Die Summe dieser Positionen in den Abschlagsrechnungen, die die Beklagte vollständig gestrichen hat, beläuft sich auf 133.266,85 € (vgl. die Zusammenstellung auf S. 24 der Antragsschrift, näher aufgegliedert in Anlage K 12). Der volle Betrag der Mehrvergütung NL 4, den die Klägerin geltend macht, beträgt somit 133.266,85 x 5/4 = 166.583,56 €. 30 % hiervon betragen gerundet von 50.000,00 €.

    Soweit die Klägerin eine höhere Mehrvergütung für den Nachtrag NL 4 beansprucht, hat ihr Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung keinen Erfolg.

    c) Keine weitere Mehrvergütung

    Die Klägerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihr neben dem Nachtrag NL 4 weitere Mehrvergütungen aus § 650c Abs. 1 BGB, § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B gegen die Beklagte zustehen könnten. Im Einzelnen:

    aa) NL 1: Doppelte Ausführung des Grundanstrichs

    Hier soll die Beklagte den Grundanstrich mit einem anderen Material als der von der Klägerin vorgesehenen Grundierfarbe "Bito GR 326" verlangt haben. Die Klägerin hätte deshalb bereits gestrichene Flächen mit einem anderen Produkt erneut anstreichen müssen. Demgegenüber macht die Beklagte geltend, der ursprünglich von der Klägerin gewählte Anstrich weise nicht die erforderlichen Produkteigenschaften auf, sodass die Klägerin ihn gar nicht hätte verwenden dürfen. Diesen Einwand hat die Klägerin nicht widerlegt, sodass sie die für einen Mehrvergütungsanspruch erforderliche Leistungsänderung dem Grunde nach nicht glaubhaft gemacht hat.

    bb) NL 2: Zulage für quarzhaltigen Putzgrund

    Mit dieser Mehrvergütung macht die Klägerin die Mehrkosten geltend, die ihr durch die Verwendung von quarzhaltigem Putzgrund anstelle der von ihr ursprünglich vorgesehenen Grundierfarbe "Bito GR 326" entstanden seien. Dieser Nachtrag ist aus demselben Grund wie NL 1 unbegründet, nämlich weil die Klägerin nicht glaubhaft gemacht hat, dass sie mit der Verwendbarkeit der von ihr ursprünglich vorgesehenen Grundierfarbe hätte rechnen dürfen.

    cc) NL 3: Bearbeitung und Mehrstärken von Perifugen an Decken und Wänden

    Hier beansprucht die Klägerin einen Nachtrag für den Mehraufwand bei der Bearbeitung von Perifugen, die durch Schalungsplatten im Beton der Decken und Wände entstehen und die tiefer ausgefallen sein sollen, als im Leistungsverzeichnis vorgesehen. Insoweit kann zu ihren Gunsten unterstellt werden, dass die Beklagte eine Leistungsänderung angeordnet hat, indem sie das ordnungsgemäße Verschließen der tieferen Fugen verlangt hat. Denn jedenfalls kann dem Vortrag der Klägerin nicht entnommen werden, in welchem Umfang die von ihr bearbeiteten Fugen von den Vorgaben des Leistungsverzeichnisses, insbesondere der Tiefe von "ca. 3 mm", abwichen. Die Anlage K 23, auf die sich die Klägerin hier bezieht und die aus unleserlichen Plänen besteht, ist nicht weiterführend. Damit kann dieser Mehrvergütungsanspruch nicht, auch nicht teilweise der Höhe nach quantifiziert werden.

    Der Unterschied des Nachtrags NL 3 zum teilweise begründeten Nachtrag NL 4 besteht darin, dass es bei NL 4 um eine zusätzliche Leistung geht, deren Abrechnung auf der gesamten Deckenfläche nach dem System des Vertrages zumindest in Betracht kommt.

    Unter dieser Prämisse ist beim Nachtrag NL 4 eine Quantifizierung möglich und zwar in der Form, dass der Mengenvordersatz dem Gesamtumfang der bearbeiteten Flächen entspricht.

    Bei der Mehrvergütung NL 3 verhält es sich anders. Diese Leistung soll nach dem eigenen Vortrag der Klägerin nur auf den Flächen angefallen sein, auf denen Fugen auftraten, die tiefer als "ca. 3 mm" waren, für die nicht tieferen Fugen hingegen gibt es eine Position im Leistungsverzeichnis des Vertrages. Damit kann der Mengenvordersatz von NL 3 anders als im Fall von NL 4 nicht mit der gesamten Decken- und Wandfläche gleichgesetzt werden, sondern nur mit einer Teilfläche davon, nämlich derjenigen, auf der die Fugen tiefer als 3mm gewesen sein sollen. Zur Quantifizierung dieser Teilfläche vermag der Senat dem Vortrag der Klägerin keine tragfähigen Angaben entnehmen.

    dd) NL 5: Zusatzleistungen wegen nicht glatter Betonflächen

    Auch diese Mehrvergütung, bei dem es im Wesentlichen um das Schleifen von gespachtelten Flächen geht, hat die Klägerin nicht schlüssig dargelegt. Der Fall liegt hier ähnlich wie bei NL 3. Die Klägerin trägt selbst vor, nach dem Vertrag jedenfalls zum Schleifen von Teilflächen verpflichtet gewesen zu sein. Ein Nachtrag kommt deshalb nur insoweit in Betracht, wie sich der Umfang der zu spachtelnden Fläche gegenüber den ursprünglichen Annahmen vergrößert hat. Die Klägerin hat keine Angaben geliefert, die diese Quantifizierung zuließen.

    ee) NL 6: Zulage Glasvlies

    Auch diese Mehrvergütung ist unbegründet. Der Senat sieht nicht, dass die Beklagte eine Leistungsänderung anordnete, indem sie von der Klägerin die Verlegung eines Vlieses mit einem Gewicht von 150 g pro m2 verlangte, denn die Klägerin war dazu aufgrund des Leistungsverzeichnisses verpflichtet. Das sich die dortige Gewichtsangabe nicht auf das Vlies, sondern den Verbund von Vlies und Kleber bezieht hält der Senat jedenfalls bei summarischer Prüfung schon deshalb nicht für überzeugend, weil dieser Verbund erst an der Wand hergestellt wird, wo sein Gewicht nicht mehr ohne Weiteres ermittelt werden kann. Da außerdem die Überschrift der betreffenden Position "Glattvlies" lautet, muss sich die Gewichtangabe isoliert auf das Vlies beziehen.

    c) Mehrvergütung für NL 4 führt zu offenem Zahlungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte

    Hat der Senat die Mehrvergütung der Klägerin für den Nachtrag NL 4 mit 50.000,00 € zuzüglich (zuzüglich 19 % Umsatzsteuer) angesetzt, folgt hieraus im vorliegenden Fall weiter, dass der Klägerin auch ein Zahlungsanspruch in dieser Höhe, mithin ein Verfügungsanspruch gegen die Beklagte zusteht.

    aa) Der Vergütungssaldo ist entscheidend, nicht die Mehrvergütung

    Dieser Befund ist keine Selbstverständlichkeit. Steht einem Unternehmer wegen einer Leistungsänderung eine Mehrvergütung zu, dann stellt diese keinen eigenen Zahlungsanspruch, sondern lediglich einen unselbständigen Rechnungsposten dar, der in die Abschlags- oder Schlussrechnung des Unternehmers einzustellen ist. Eine auf Zahlung gerichtete einstweilige Verfügung zugunsten des Unternehmers kann nur gerechtfertigt sein, wenn ihm unter Berücksichtigung des von ihm insgesamt im Abrechnungszeitpunkt erreichten Leistungsstand unter Berücksichtigung der geleisteten Zahlungen ein offener Anspruch zusteht (Retzlaff in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Auflage, 2021, § 650d BGB, Rn. 3; BauR 2017, 1816; Sacher in: Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Auflage, 2020, Teil 12, Rn. 161; Jansen in: Kniffka, Bauvertragsrecht, 3. Auflage, 2018, § 650d BGB, Rn. 23 f). Geht es um die Schlusszahlung auf einen Vergütungsanspruch folgt dies aus der Natur der Schlussabrechnung, bei Abschlagszahlungen ergibt sich das Erfordernis einer Zwischensaldierung unter Berücksichtigung sämtlicher Zahlungen aus dem Wortlaut von § 632a Abs. 1 und § 650c Abs. 3 S. 1 BGB.

    Könnte ein Unternehmer eine einstweilige Zahlungsverfügung für eine Mehrvergütung unter Außerachtlassung des Leistungsstands bei seinen sonstigen Leistungen erwirken, widerspräche dies nicht nur der Abrechnungssystematik eines Werkvertrags, sondern es würde den Unternehmer auch unangemessen bevorteilen. Über § 650d BGB soll er vorübergehend Liquidität für eine streitige Mehrvergütung erstreiten können. Wäre hier der sonstige Leistungsstand unerheblich, könnte der Unternehmer auf diesem Weg auch einen Streit um erbrachte Mengen für Hauptvertragsleistungen oder um einen Mängeleinbehalt des Bestellers indirekt für sich entscheiden. Dies entspricht nach Meinung des Senats nicht dem Willen des Gesetzgebers.

    bb) Positiver Zwischensaldo zugunsten der Klägerin aus der Abschlagsrechnung 7

    Im vorliegenden Fall führt die Mehrvergütung von 50.000,00 € (netto) für den Nachtrag NL 4 aber dazu, dass sich auch der Vergütungssaldo aus der Abschlagsrechnung 7 für die Lose 2 und 3 um den entsprechenden Betrag zugunsten der Klägerin erhöht.

    Die Beklagte hat sämtliche Einzelpositionen des Nachtrags NL 4 neben weiteren Positionen vollständig gestrichen und keine Zahlungen geleistet, die den sich nach ihrer Rechnungsprüfung ergebenden offenen Forderungssaldo übersteigen. Zudem macht die Beklagte nicht geltend, dass der Leistungsstand der Klägerin bei den nicht gestrichenen und also bezahlten Teilleistungen etwa wegen Mindermengen oder Mängeln geringer wäre als abgerechnet.

    Damit kann ausgeschlossen werden, dass die Klägerin unter Außerachtlassung des umstrittenen Nachtrags NL 4 überzahlt ist. Deshalb führt eine Erhöhung der aktiven Rechnungsposten in der Abschlagsrechnung 7 um 50.000,00 € für NL 4 dazu, dass sich auch der berechtigte offene Saldo aus dieser Rechnung um diesen Betrag erhöht.

    cc) Es bleibt bei Zahlungsanspruch trotz Schlussrechnungsreife

    An diesem positiven Vergütungssaldo der Klägerin aus der 7. Abschlagsrechnung ändert sich nichts aufgrund der zwischenzeitlichen Beendigung der Bauarbeiten und der damit eingetretenen Schlussrechnungsreife. Zwar gilt für Hauptsacheverfahren, dass ein Werkunternehmer nach eingetretener Schlussrechnungsreife grundsätzlich nicht mehr aus einer Abschlagsrechnung vorgehen darf, sondern Schlussrechnung legen muss (BGH, Urteil vom 20. August 2009, VII ZR 205/07, BGHZ 182, 158). Hintergrund dieser Rechtsprechung ist aber nach dem Verständnis des Senats, dass der durch eine Abschlagsrechnung ausgewiesene Zahlungssaldo im Zeitpunkt der Schlussrechnungsreife beispielsweise durch zwischenzeitlich aufgetretene Mengendiskrepanzen oder geleistete Zahlungen überholt sein kann und es dem Unternehmer deshalb obliegt, durch die von ihm ohnehin vertraglich geschuldete Endabrechnung (vgl. § 14 Abs. 3 VOB/B) die Möglichkeit einer überhöhten Forderung auszuschließen.

    Von diesem Grundsatz ist aber eine Ausnahme zu machen, wenn feststeht, dass der offene Saldo der Schlussrechnung nicht geringer ist als der Saldo der Abschlagsrechnung die zur Begründung einer Klage bzw. einer Zahlungsverfügung vorgelegt wird. Denn die Formalien der Abrechnung sind kein Selbstzweck, sondern am berechtigten Informationsbedürfnis des Bestellers auszurichten. Steht fest, dass dem Unternehmer der Forderungssaldo aus einer Abschlagsrechnung auch noch nach Schlussrechnungsreife zusteht, besteht kein Grund, ihm die Durchsetzung dieses berechtigten (bzw. hier: vorläufig berechtigten) Anspruchs zu verweigern. Wer gegen diese Sichtweise Bedenken hat, müsste das Vorbringen des Unternehmers dahin auszulegen, dass die vorgelegte Abschlagsrechnung hilfsweise als (Teil-) Schlussrechnung zu verstehen ist, denn es gibt keinen Grund, der gegen diese Annahme spricht. Wer auch dies nicht für möglich erachtet, müsste den Unternehmer jedenfalls auf diese Punkte hinweisen, worauf hin jedenfalls nach Einschätzung des Senats jeder Unternehmer seine Abschlagsrechnung zur (Teil-) Schlussrechnung umwidmen wird. Der Senat sieht hierfür indessen keine Notwendigkeit, da er diese formalen Bedenken nicht teilt.

    Im vorliegenden Fall kann die Schlussrechnungsreife dem auf eine Abschlagsrechnung gestützten Zahlungsbegehren der Klägerin auch deshalb nicht entgegenstehen, weil der Klägerin ohnehin nur eine einstweilige Zahlung zugesprochen wird und die Endabrechnung noch aussteht - notfalls bis zu einem Hauptsacheprozess.

    Zudem ist zu beachten, dass sich die Klägerin offenbar keineswegs ihrer Pflicht zur Schlussrechnungslegung zu entziehen sucht, denn sie hat der Beklagten unstreitig Schlussrechnungen erteilt. Im Termin vor dem Senat hat sie angegeben, diese Schlussrechnungen nur deshalb nicht im vorliegenden Verfahren eingereicht zu haben, um es nicht weiter zu befrachten. Angesichts des umfangreichen und sehr in die Einzelheiten gehenden Parteivortrags ist dies nachvollziehbar.

    3. Entscheidung des Senats

    a) Verpflichtung zu einer Zahlung

    Der Senat hält es für geboten, die Beklagte im Wege der einstweiligen Verfügung wegen der Erhöhung des Vergütungssaldos um die Mehrvergütung NL 4, also die Positionen N1.02 und N2.02 zu einer einstweiligen Zahlung in Höhe von 50.000,00 € zuzüglich 19 % Umsatzsteuer zu verpflichten. Alternativ käme gemäß § 938 Abs. 1 ZPO auch die Verpflichtung der Beklagten zu einer Sicherheitsleistung in Betracht. Der Senat meint aber den Interessen der Beklagten bereits dadurch hinreichend Rechnung getragen zu haben, dass er die Mehrvergütung NL 4 wegen der bestehenden Prozessrisiken mit lediglich 30 % des von der Klägerin errechneten Betrages in Ansatz gebracht hat.

    b) Einstweilige Zahlungsverfügung ist effektiver Rechtsschutz

    Es spricht nicht gegen den Erlass einer einstweiligen Zahlungsverfügung, dass der Verpflichtete, hier die Beklagte, sie mittelbar umgehen kann. Auch wenn die Klägerin hiergegen nicht im Wege der Vollziehung des gerichtlichen Titels vorgehen kann, könnte sie die mittelbare Nichtbefolgung durch die Beklagte im Ergebnis unterbinden. Die einstweilige Zahlungsverfügung ist somit kein ineffektives Mittel der Rechtsdurchsetzung für die Klägerin.

    aa) "Mittelbare Nichtbefolgung" einer einstweiligen Zahlungsverfügung

    Mit § 650d BGB hat der Gesetzgeber die Möglichkeit eröffnet, den Besteller eines Bauvertrags wegen der umstrittenen Mehrvergütung des Unternehmers zu einer Zahlung zu verpflichten, noch bevor der Vertrag abschließend abgerechnet ist, also noch nicht alle Rechnungen des Unternehmers - Abschlagsrechnungen oder die Schlussrechnung - geprüft und bezahlt sind. Dies eröffnet die Möglichkeit für den Besteller, nach Erfüllung der einstweiligen Verfügung den gezahlten Betrag in einer nachfolgenden Rechnung mit einem neu erwirtschafteten positiven Forderungssaldo des Unternehmers zu verrechnen, und sich so die Liquidität wieder "zurückzuholen", die nach der Entscheidung des Gerichts bis zur abschließenden Klärung des Vergütungsstreits dem Unternehmer zusteht.

    Hierzu die folgenden Beispiele:

    Beispiel 2: Unternehmer U macht einen umstrittenen Mehrvergütungsanspruch, den Nachtrag N 1, über 60 t € mit der Abschlagsrechnung A 7 geltend. Besteller B verweigert die Zahlung. U erwirkt eine einstweilige Zahlungsverfügung über 60 t € für den in der Abschlagsrechnung A 7 eingestellten N 1. Auf diese einstweilige Verfügung leistet B eine Zahlung an U. U arbeitet weiter. In seiner Abschlagsrechnung 9 rechnet er erbrachte Hauptvertragsleistungen über 100 t € ab. B bestreitet diese Leistungen nicht, zahlt aber gleichwohl nur 40 t € an U.

    Beispiel 3: Wie Beispiel 2. Nach Erhalt der Zahlung auf die einstweilige Verfügung beendet U seine Arbeiten und legt Schlussrechnung. Diese weist einen offenen Saldo von 200 t € aus, der sich aus weiteren mittlerweile erbrachten Hauptvertragsleistungen speist. B bestreitet diese weiteren Leistungen nicht, zahlt aber dennoch nur 140 t € an U.

    In diesen Beispielen entzieht der Besteller dem Unternehmer wieder die ihm zugesprochene Liquidität im Rahmen der Erfüllung einer Folgerechnung. Ähnlich verhält es sich, wenn der Besteller eine Abschlagsrechnung bezahlt, in die eine Nachtragsforderung gemäß § 650c Abs. 3 BGB in Höhe von 80 Prozent des Unternehmerangebots eingestellt ist, und bei einer späteren Rechnung über Hauptvertragsleistungen den 80-Prozent-Abschlag wieder abzieht. Der Senat bezeichnet eine solche Zahlungsverrechnung, die der gerichtlichen Entscheidung widerspricht, als mittelbare Nichtbefolgung einer Zahlungsverfügung.

    bb) Konsequenz: Erneute einstweilige Verfügung auch durch § 650d BGB begünstigt

    Die Möglichkeit der mittelbaren Nichtbefolgung einer Zahlungsverfügung kann nach Meinung des Senats kein Argument gegen ihren Erlass sein. Zwar mag es vielleicht sein, dass es ein Gericht unterlassen sollte, eine von vornherein als ineffektiv erkennbare Maßnahme anzuordnen. Es ist wohl auch so, dass der Unternehmer in den Beispielen 2 und 3 seine Zahlungsverfügung nach der fehlerhaften Verrechnung des Bestellers nicht durch Zwangsvollstreckung vollziehen kann. Denn der Titel dürfte durch die Zahlung von B bereits erfüllt sein. Der Unternehmer muss aber gemäß § 650d BGB berechtigt sein, eine erneute einstweilige Verfügung gegen den Besteller zu erwirken. Dies muss auch dann gelten, wenn sich der vom Besteller nicht vollständig beglichene Saldo der letzten Rechnung (im Beispiel 2 die letzte Abschlagsrechnung, im Beispiel 3 die Schlussrechnung) aus Hauptvertragsleistungen speist, also nicht auf eine Mehrvergütung aus § 650c Abs. 1 BGB zurückgeht. Denn wenn sich herausstellt, dass es für den Besteller keinen Grund gibt, die letzte Rechnung zu kürzen, muss es sich bei seinem Einbehalt um einen mittelbaren Verstoß gegen die Zahlungsverfügung handeln. In der Sache streiten die Parteien damit auch im Rahmen der Folgeverfügung weiter um eine Vergütungsanpassung gemäß § 650c BGB, sodass die Dringlichkeitsvermutung des § 650d BGB erneut eingreift (noch unklar: Retzlaff, BauR 2017, 1819 f). Dies muss auch dann gelten, wenn der Umfang der abrechenbaren Hauptvertragsleistungen, anders als in den Beispielen 2 und 3, zwischen den Parteien streitig ist.

    Die Vorgehensweise einer erneuten einstweiligen Verfügung mag auf den ersten Blick kompliziert erscheinen, das Bedürfnis resultiert aber aus der gesetzlichen Konstruktion einer Zahlungsverfügung, die vor der abschließenden Abrechnung eines Bauvertrags ergeht und erfüllt wird. Natürlich steht zu hoffen, dass bereits das kostenträchtige Verfahrensrisiko der erneut von § 650d BGB begünstigten Zweitverfügung genügt, um den Besteller von der mittelbaren Nichtbefolgung der ersten Verfügung durch fehlerhafte Verrechnung abzuhalten.

    cc) Zahlungsverfügung trotz Möglichkeit zur mittelbaren Nichtbefolgung effektiv

    Im vorliegenden Fall muss der Erlass einer einstweiligen Zahlungsverfügung somit nicht deshalb unterbleiben, weil sie der Klägerin ohnehin keinen sinnvollen Liquiditätsvorteil zu verschaffen vermag. Zwar eröffnet sich der Beklagten auch hier die Möglichkeit der mittelbaren Nichtbefolgung, da die Schlussrechnungen der Klägerin auch unter Außerachtlassung der Mehrvergütung NL 4 noch nicht abschließend gezahlt sind. Die Klägerin könnte gegen eine liquiditätsschädliche Verrechnung aber notfalls durch Beantragung einer erneuten einstweiligen Verfügung gemäß § 650d BGB vorgehen.

    4. Zinsanspruch

    Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 2 BGB.

    II. Feststellungsantrag ist unzulässig

    Der hilfsweise gestellte Feststellungsantrag ist unzulässig. Neben ihrem vorrangigen Zahlungsantrag hat die Klägerin kein rechtliches Interesse an der Feststellung der Berechtigung der umstrittenen Mehrvergütungen (§ 256 Abs. 1 ZPO). Denn soweit diese im einstweiligen Rechtsschutz überprüft werden können, also nur summarisch, geschieht dies bereits im Rahmen der Prüfung ihres Zahlungsantrags. Wenn dieser keinen Erfolg hat, liegt dies daran, dass die Mehrvergütung nicht glaubhaft gemacht ist. Der Feststellungsantrag hätte dann aus dem gleichen Grund ebenfalls keinen Erfolg, der Senat müsste seine rechtliche Bewertung also lediglich wiederholen. An einer solchen Entscheidung ist ein rechtliches Interesse nicht erkennbar.

    III. Nebenentscheidungen

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

    Ein Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit entfällt, da die Entscheidung rechtskräftig ist (§ 542 Abs. 2 ZPO).

    RechtsgebietAbschlagszahlungVorschriften§ 631 Abs. 1 BGB; § 650c Abs. 2 S. 2 BGB; § 650c Abs. 3 BGB; § 650d BGB