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  • 16.03.2021 · IWW-Abrufnummer 221196

    Oberlandesgericht Düsseldorf: Urteil vom 21.01.2021 – 20 U 47/19

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Oberlandesgericht Düsseldorf

    20 U 47/19

    Tenor:

    Die Berufung der Beklagten gegen das am 8. Mai 2019 verkündete Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.

    Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

    1
    G r ü n d e:

    2
    A.

    3
    Der Kläger ist als qualifizierte Einrichtung im Sinne von § 4 UklaG anerkannt. Die Beklagte ist Mobilfunkanbieterin und erbringt Mobilfunkdienstleistungen unter der Bezeichnung „X 1“ auch gegenüber Endverbrauchern. Sie hat bis zum 18.10.2018 (vgl. Bl. 36 GA) Allgemeine Geschäftsbedingungen verwandt, in denen unter 7.7 für die Zurückgabe der SIM-Karte folgendes geregelt ist:

    4
    Der Kunde hat die SIM-Karte bei Beendigung des Vertragsverhältnisses an A. zurückzugeben. Er ist insofern vorleistungspflichtig im Verhältnis zu seinen etwaigen Ansprüchen gegen A. infolge der Beendigung des Vertrags.

    5
    Die Beklagte beruft sich auf diese Rückgabeklausel gegenüber ihren Kunden nicht (Bl. 36 GA), ist jedoch der Ansicht, die Klausel sei wirksam.

    6
    Mit seinem am 8. Mai 2019 verkündeten Urteil, auf das wegen der weiteren Sachdarstellung Bezug genommen wird (Bl. 66 GA), hat die 12. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf die Beklagte verurteilt, es zu unterlassen, die Klausel oder dieser inhaltsgleiche Bestimmungen in Bezug auf Telekommunikationsdienstleistungsverträgen mit Endverbrauchern zu verwenden. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt:

    7
    Dem Kläger stehe gegen die Beklagten ein Unterlassungsanspruch gem. der § 1, 3 Abs. 1 Satz 1 Nr.1, 4 UKlaG i.V.m. § 307 BGB zu. Die streitgegenständliche Klausel sei unwirksam, § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB; sie stelle einen unangemessenen Nachteil für den Verbraucher dar und verstoße mangels Vorliegen eines sachlichen Grundes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Durch die Begründung der Vorleistungspflicht verliere der Verbraucher ein Druckmittel zur Durchsetzung seiner Ansprüche, was ihn insbesondere davon abhalten könnte, sich ein nach Vertragsende zu seinen Gunsten bestehendes Restguthaben erstatten zu lassen. Ein sachlicher Grund für die Begründung der Vorleistungspflicht sei nicht ersichtlich. Das Risiko des Datenmissbrauchs sei einer SIM-Karte immanent, bestehe jedoch in erster Linie während der Zeit der aktiven Nutzung. Es sei nicht ersichtlich, dass sich dieses Risiko der aktiven Nutzung bei einer gesperrten oder deaktivierten SIM-Karte ausweite. Auch habe die Beklagte nicht vorgetragen, dass sich eine solche Gefahr tatsächlich je realisiert habe, es handele sich daher um eine nur theoretisch bestehende Gefahr. Soweit sich die Beklagte darauf berufe, die Rückgabe der SIM-Karten diene auch einer nachhaltigen Entsorgung, fehle es bereits an einer konkreten Darlegung, dass sie Verfahren zum Recycling der Wertstoffe gesperrter SIM-Karten eingeführt habe.

    8
    Die zwischenzeitliche Änderung der AGB und die Erklärung, sich gegenüber Bestandskunden nicht auf die angegriffene Klausel zu berufen, genüge für die Ausräumung der Wiederholungsgefahr nicht; eine strafbewehrte Unterlassungserklärung habe die Beklagte nicht abgegeben.

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    Der Beklagten stehe ein Kostenerstattungsanspruch im Hinblick auf das Abmahnschreiben aus § 5 UKlaG i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG in der damals geltenden Fassung zu, die Höhe der geltend gemachten Aufwendungen habe die Beklagte nicht bestritten.

    10
    Die Beklagte hat gegen das ihr am 08.05.2019 zugestellte Urteil mit einem beim Oberlandesgericht Düsseldorf am 15. Mai 2019 eingelegten Schriftsatz die Berufung eingelegt und sie nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 08.08.2019 sowie erneuter Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 09.09.2019 mit einem an diesem Tage eingegangenen Schriftsatz begründet. Mit der Berufung begehrt die Beklagte die Abweisung der Klage. Sie ist der Ansicht, es liege ein sachlicher Grund für die Begründung der Vorleistungspflicht vor. Der Verbraucher habe kein schützenswertes Interesse daran, weiter im Besitz der SIM-Karte zu verbleiben, die deaktiviert sei und daher - was das System erkenne - nicht mehr für Mobilfunkdienstleistungen genutzt werden könne. Die SIM-Karte stehe im Eigentum des Mobilfunkunternehmens und der Verbraucher sei zur Rückgabe verpflichtet. Ohne Vorleistungspflicht bestehe die naheliegende Gefahr, dass sich der Verbraucher seiner Verpflichtung zur Rückgabe der SIM-Karte entziehe, und sei es auch nur aus Bequemlichkeit, weil es für ihn einfacher sei, die Karte wegzuwerfen, als sie zurückzugeben. Es bestehe die Gefahr der Vereitelung des Rückgabeanspruchs, der zudem nur mit ganz erheblichem Aufwand durch Erhebung der Herausgabeklage durchgesetzt werden könne. Diese Aspekte habe das Landgericht bei seiner Entscheidung völlig unberücksichtigt gelassen.

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    Hinzu komme die latent bestehende Möglichkeit eines Missbrauchs der SIM-Karte, es sei technisch nicht unmöglich, die Sperrung der Karte zu umgehen und diese missbräuchlich einzusetzen. Nicht sachgerecht in die Interessenabwägung einbezogen habe das Landgericht auch die grundsätzlich bestehende Möglichkeit, die SIM-Karten nach Rückgabe zu sammeln und dem Wertstoffkreislauf zuzuführen, wobei es nicht darauf ankomme, ob sie bereits ein derartiges Verfahren zum Recycling der Wertstoffe gesperrter SIM-Karten eingeführt habe. Ausreichend sei, dass durch die Rückgabepflicht die Möglichkeit für die Rückführung der Karte in den Wertstoffkreislauf geschaffen und gesichert sei. Erst die Begründung der Rückgabeverpflichtung mit Vorleistungspflicht sei geeignet, aber auch erforderlich, das nötige Bewusstsein beim Verbraucher für eine ordnungsgemäßen Rückgabe und möglichst ordnungsgemäßen Entsorgung zu schaffen und aufrecht zu erhalten. Ein Interesse des Verbrauchers, ein Druckmittel zur Durchsetzung eigener Ansprüche zu behalten, sei nicht vorrangig, zudem rein theoretischer Natur angesichts der Wert- und Bedeutungslosigkeit, die der Kläger der SIM-Karte zukommen lasse. Auf die Idee, dass die SIM-Karte tatsächlich ein Druckmittel sein könne, komme der rechtlich maßgebliche Durchschnittsverbraucher nicht.

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    Die Beklagte beantragt,

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    das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 08.05.2019 abzuändern und die Klage abzuweisen.

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    Der Kläger beantragt,

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    die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

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    Unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Sachvortrags verteidigt er das landgerichtliche Urteil als zutreffend.

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    Insbesondere führe auch die Richtlinie EU/2019/770 zu keiner abweichenden Beurteilung der Rechtslage. Die Richtlinie sei erst ab dem 01.01.2022 inhaltlich anzuwenden, auch handele es sich bei der SIM-Karte nicht um einen körperlichen Datenträger im Sinne der Richtlinie.

    18
    Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die Berufungsbegründung der Beklagten vom 09.09.2019 (Bl. 101 ff. GA.) sowie auf die Berufungserwiderung des Klägers vom 05.11.2019 (Bl. 113 ff. GA.) Bezug genommen.

    19
    B.

    20
    Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.

    21
    I.

    22
    Dem Kläger steht gegen die Beklagte der vom Landgericht zuerkannte Unterlassungsanspruch aus den §§ 1, 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 4 UKlaG i.V.m. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB zu. Die beanstandete Klausel, die zu Lasten des Kunden eine Vorleistungspflicht regelt, ist mit § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unvereinbar, denn sie benachteiligt ihn entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen.

    23
    1.

    24
    Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass Eigentümer der SIM-Karte die Beklagte ist. Neben dem schuldrechtlichen Anspruch aus 7.7 Satz 1 der AGB hat sie daher auch aus § 985 BGB einen dinglichen Anspruch auf Herausgabe der Karte. Der Anspruch des Kunden auf Auszahlung des Restguthabens ergibt sich, soweit er nicht aus dem Abwicklungsverhältnis der Vertragsparteien bei Vertragsende abgeleitet wird, jedenfalls aus § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB. Grundsätzlich ‒ auch ohne gesonderte vertragliche Regelung ‒ ist es daher so, dass der Kunde, der sein Restguthaben geltend macht, einem Zurückbehaltungsrecht des Providers, gerichtet auf Herausgabe der SIM-Karte, ausgesetzt sein kann § 273 Abs. 1 BGB. Die Leistungen sind nach dem gesetzlichen Leitbild Zug-um-Zug auszutauschen.

    25
    2.

    26
    Die beanstandete Klausel beeinflusst den Leistungsaustausch zum Nachteil des Kunden, denn sein Anspruch auf Auszahlung des Restguthabens wird erst fällig, nachdem der Provider die SIM-Karte erhält. Eine solche Vorleistungspflicht des Kunden ist mit § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht vereinbar. Der Leistungsaustausch Zug-um-Zug gehört zu den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen des Vertragsrechts; durch sie ist gewährleistet, dass die Ansprüche beider Vertragsparteien gleichermaßen gesichert sind. Es bedarf daher eines sachlichen Grundes für die Verwendung einer Vorleistungsklausel (vgl. BGH NJW 2010, 1449, 1450, Rn. 12), insbesondere auch dann, wenn der Kunde ‒ wie hier ‒ kein Unternehmer ist. Ein solcher sachlicher Grund besteht nicht.

    27
    a)

    28
    Bei der Abwägung der gegenseitigen Interessen ist im Ausgangspunkt zu berücksichtigen, dass die Karte für den Provider keinen wirtschaftlichen Wert hat. Das zeigt sich ganz deutlich daran, dass die Beklagte ‒ unstreitig - die SIM-Karten nicht zurückfordert. Ebenso halten das auch sämtliche andere Provider in Deutschland. In der Praxis wird die SIM-Karte lediglich deaktiviert, was dazu führt, dass keine Mobilfunkdienstleistungen mehr genutzt werden können (Bl. 37 GA); zurückgefordert wird sie nicht.

    29
    b)

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    Kein sachlicher Grund für die Regelung in 7.7 der AGB ist auch die von der Beklagten angeführte Missbrauchsgefahr. Die Beklagte räumt selbst ein, dass es sich dabei lediglich um eine denkbare, theoretische Möglichkeit handelt. Sie hat nicht aufgezeigt, dass von dieser Möglichkeit tatsächlich jemals Gebrauch gemacht wurde. Nach ihrem eigenen Vortrag wird eine gesperrte Karte vom System erkannt, so dass Mobilfunkleistungen damit nicht nutzbar sind. Insbesondere zeigt aber auch hier der Umstand, dass die Karten regelmäßig nicht zurückgefordert werden, dass keine Missbrauchsgefahr in einem relevanten Umfang besteht. Es kann daher dahinstehen, ob die Missbrauchsgefahr bei einer aktiven Karte ggf. höher ist und ob das für die Abwägung von Relevanz ist, weil sie nach der eigenen Einschätzung der Beklagten bei einer deaktivierten Karte jedenfalls so gering ist, dass auf eine Rücksendung der Karte verzichtet wird. Im Übrigen ist es auch so, dass die kleinen Karten nicht leicht aufzufinden sind (vgl. hierzu auch BGH NJW 2015, 328, 329, Rn. 26) und damit ein wenig taugliches Entwendungsobjekt darstellen.

    31
    c)

    32
    Schließlich stellt der angeführte Gesichtspunkt, derartige Karten dem Wertstoffkreislauf zuführen zu können, keinen sachlichen Grund dar. Es ist unstreitig, dass die Beklagte keinen Wertstoffkreislauf unterhält und auch keine konkreten Planungen hat, einen solchen einzurichten. Die lediglich theoretische Option einer künftigen Verwertung von SIM-Karten genügt aber nicht als sachliche Rechtfertigung (so auch BGH NJW 2015, 328, 329, dort Rn. 23), zumal hier noch hinzukommt, dass überhaupt nicht ersichtlich ist, dass ein solches Recycling wirtschaftlichen Sinn machen kann.

    33
    Soweit die Beklagte andeuten will, dass unter Umweltschutzgesichtspunkten ein Interesse an einer geordneten Entsorgung bestehen könnte, ist zu berücksichtigen, dass grundsätzlich auch der Verbraucher verpflichtet ist, Elektroschrott ‒ soweit man die SIM-Karte überhaupt dazu zählt ‒ ordnungsgemäß zu entsorgen. Entscheidend ist aber, dass die Beklagte weder ein System unterhält noch konkret plant, das eine Zuführung verbrauchter SIM-Karten in den Wertstoffkreislauf ermöglicht.

    34
    d)

    35
    Zusammenfassend ergibt sich daraus, dass die Beklagte kein sachliches Interesse daran hat, dass der Verbraucher bei Vertragsbeendigung im Hinblick auf die Rückgabe der SIM-Karte vorleistungspflichtig ist. Die Klausel führt aber dazu, dass Kunden die Geltendmachung eines Restguthabens erschwert wird. Selbst wenn die Beklagte tatsächlich von der Klausel aktiv gar keinen Gebrauch macht, kommt ohne weiteres in Betracht, dass ein Verbraucher, der die Klausel zur Kenntnis nimmt, aufgrund der mit der Rücksendung der Karte verbundenen Kosten und Erschwernissen davon absieht, die Auszahlung eines Restguthabens zu verlangen.

    36
    3.

    37
    Dieses Auslegungsergebnis steht im Übrigen in Einklang mit dem Rechtsgedanken der noch nicht in nationales Recht umgesetzten Richtlinie (EU) 2019/770. Dabei kann dahinstehen, ob die Daten auf der SIM-Karte überhaupt ein digitaler Inhalt im Sinne der Richtlinien sind (vgl. auch Art. 3 Abs. 5 b) RL). Jedenfalls sieht Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie vor, dass eine Rückgabe von Datenträgern nur in Betracht kommt, wenn der Unternehmer zugleich die Kosten der Rücksendung übernimmt, was bei der hier streitigen Regelung in 7.7 der AGB nicht der Fall ist. Zudem bestimmt die Richtlinie in Art. 17 auch keine Vorleistungspflicht zu Lasten des Verbrauchers, sondern regelt zu Lasten des Unternehmers, dass sein Rückgabeanspruch aus Vertrag oder § 985 BGB überhaupt nur dann ausgeübt werden kann, wenn er ihn innerhalb von einer Frist von 14 Tagen geltend macht und auch noch die Kosten der Rücksendung des Datenträgers übernimmt.

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    Durch die Richtlinie wird ‒ anders als bei der hier streitgegenständliche Regelung ‒ insbesondere gewährleistet, dass der Verbraucher nicht aufgrund einer Kostenbelastung oder eines nur pro-forma ausgeübten, zudem der Vorleistung unterliegenden  Rückgabeanspruchs davon abgehalten wird, sein Restguthaben aus einem Mobilfunkvertrag geltend zu machen.

    39
    II.

    40
    Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

    41
    Die Revision ist nicht zuzulassen.

    42
    Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO rechtfertigen, sind nicht gegeben. Weder hat die Sache grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert der Aspekt der Fortbildung des Rechts der der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Die Entscheidung des Senats steht im Einklang mit den Rechtsgedanken, die sich in den Entscheidungen anderer Gerichte, insbesondere auch der des BGH zum Pfandrecht für SIM-Karten (BGH NJW 2015, 328) finden.

    43
    Der Streitwert für den Rechtsstreit wird ‒ insoweit die erstinstanzliche Streitwertfestsetzung abändernd ‒ auf

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    2.500 € festgesetzt.

    RechtsgebietTelekommunikationsvertragVorschriften§ 307 BGB