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  • 08.12.2016 · IWW-Abrufnummer 190439

    Amtsgericht Essen: Urteil vom 04.05.2016 – 15 C 82/16

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Amtsgericht Essen

    15 C 82/16

    Tenor:
    1. Der Beklagte wird verurteilt, an das klagende Land 222,87 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 05.12.2015 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
    2. Die Kosten des Rechtsstreits werden dem klagenden Land zu 64 % und dem Beklagten zu 36 % auferlegt.
    3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
    4. Die Berufung wird nicht zugelassen.

    1

    Tatbestand

    2

    Auf die Darstellung eines Tatbestandes wird gemäß § 313 a Abs. 1 ZPO verzichtet. Der Berufungsstreitwert liegt unter 600 Euro (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

    3

    Entscheidungsgründe

    4

    Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

    5

    I.

    6

    Das klagende Land hat gegen den Beklagten einen (nach Entreicherung verbleibenden) Anspruch in Höhe von 222,87 € aus § 812 Abs. 1 BGB.

    7

    1.

    8
    Der Beklagte hat 615,63 € durch eine Leistung des klagenden Landes ohne Rechtsgrund erlangt.

    9

    a.

    10

    Ein Rechtsgrund liegt nicht in einem deklaratorischen Schuldanerkenntnis durch das Schreiben vom 05.10.2015. Bei dem Schreiben handelt es sich nach dem maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) um eine bloße Zahlungsankündigung, mit der Einreden und Einwendungen gegen den angenommenen Anspruch nicht ausgeschlossen werden sollen.

    11

    b.

    12

    Auch ein Rechtsgrund in der Form eines Anspruches aus Insolvenzanfechtung nach §§ 129, 133 Abs. 1 InsO besteht mangels Rechtshandlung des Insolvenzschuldners nicht. Vorliegend erlangte das klagende Land aufgrund eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom 22.08.2013 von der Leiterin der Justizvollzugsanstalt Münster als Drittschuldnerin im Zeitraum vom 09.09.2016 bis 16.04.2015 Zahlungen in Höhe von insgesamt 1616,10 € (von denen die am 05.10.2015 zurückgezahlten 615,63 € streitgegenständlich sind) aus dem in der Haft durch Arbeitsleistung verdienten Eigengeld des Insolvenzschuldners.

    13

    Eine Rechtshandlung des Insolvenzschuldners kann bei Vollstreckungsmaßnahmen nur dann angenommen werden, wenn ein vom Schuldner gesteuertes Verhalten anzunehmen ist (vergleiche BGH, 10.02.2005, IX ZR 211/02 mit weiteren Nachweisen).

    14

    Fördert der Schuldner aktiv eine Vollstreckungsmaßnahme oder trägt er dazu bei, dass eine Situation entsteht, in der seine Leistung wegen des sonst erfolgenden Vollstreckungszugriffs als nicht selbstbestimmt zu werten ist, kann dies die Qualifizierung der Vermögensverlagerung als Rechtshandlung des Schuldners rechtfertigen. Eine durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen des Gläubigers erlangte Zahlung kann der Vorsatzanfechtung unterliegen, wenn eine Schuldnerhandlung oder eine dieser gleichstehende Unterlassung zum Erfolg der Vollstreckungsmaßnahme beigetragen hat. Ausreichend ist eine mitwirkende Rechtshandlung des Schuldners, ohne dass sie die einzige Ursache für die Gläubigerbenachteiligung bilden muss (BGH, 16. 01.2014, IX ZR 31/12 mit weiteren Nachweisen). Die Arbeitsleistungen in der JVA sind jedoch unabhängig von den Vollstreckungsmaßnahmen erbracht worden und können daher nach vorstehenden Maßstäben nicht als hinreichend eigenverantwortliche Förderung der Vollstreckungsmaßnahme angesehen werden. In der Erbringung der Arbeitsleistung ist vorliegend unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles kein (vom Vollstreckungserfolg) gesteuertes Verhalten des Insolvenzschuldners zu sehen, das einer Rechtshandlung gleichzusetzen ist. Dies gilt nach Auffassung des Gerichtes insbesondere deshalb, da pfändbaren Ansprüchen in der Regel ein Handeln des Insolvenzschuldners zu Grunde liegt (, das den Anspruch begründet) und so in fast allen Fällen eine anfechtbare Rechtshandlung anzunehmen wäre. Befriedigungen aufgrund von Zwangsvollstreckungen sind jedoch dem Grundsatz nach nicht anfechtbar, dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis würde konterkariert.

    15

    Insoweit der Beklagte sich darauf beruft, dass es durchaus Fälle gebe, in denen sich anfechtungsfeste Sicherungen/Befriedigungen zu Gunsten des Gläubigers, etwa bei einer Pfändung eines bestehenden Kontoguthabens, eines Darlehensauszahlungsanspruchs oder von vorhandenen pfändbaren beweglichen Sachen und Geld ergeben würden, in denen es an einer Rechtshandlung des Insolvenzschuldners fehle, führt dies nach Auffassung des Gerichts zu keiner anderen Bewertung.

    16

    Nach Auffassung des Gerichtes weicht der vorliegende Sachverhalt daher entscheidend von dem beklagtenseits angeführten Biersteuerfall (BGH, 09.07.2009, IX ZR 86/08) und den weiter zitierten Entscheidungen zu BGH, 27.05.2003, IX ZR 169/02 (Zahlung an anwesenden Gerichtsvollzieher), OLG Düsseldorf, 14.03.2013, 12 U 52/12 (Einzahlung von Bargeldbeträgen auf ein gepfändetes Konto) und BGH, 22.01.2004, IX ZR 39/03 (Abberufung von Darlehensmitteln) ab und ist nicht mit diesen gleichzusetzen.

    17

    2.

    18

    Der Anspruch ist auch nicht nach § 814 BGB ausgeschlossen, da der Kondiktionsausschluss nur bei positiver Kenntnis vom Fehlen der Leistungsverpflichtung eingreift.

    19

    a.

    20

    Dies ergibt sich aus dem beigezogenen Kassenvorgang nicht.

    21
    b.

    22

    Auch ist der Kenntnisstand der JVA ist dem klagenden Land nicht gemäß § 166 Abs. 1 BGB analog zuzurechnen. Eine Wissenszurechnung hat grundsätzlich nur dann zu erfolgen, wenn man sich zur Erledigung seiner eigenen Angelegenheiten Dritter bedient. Wissensvertreter ist jeder, der nach der Arbeitsorganisation des Geschäftsherrn dazu berufen ist, im Rechtsverkehr als dessen Repräsentant bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen und die dabei anfallenden Informationen zur Kenntnis zu nehmen und ggf. weiterzuleiten (vgl. BeckOK BGB/Valenthin BGB § 166 Rn. 17, beck-online). Auch Behörden haben die Obliegenheit, ihre Organisationsstruktur so zu gestalten, dass die Informationen, die mit den vorhandenen Entscheidungsgrundlagen in sachlichem Zusammenhang stehen, an die betroffenen Stellen weitergegeben werden (BeckOK BGB/Valenthin BGB § 166 Rn. 22-22a, beck-online). Dies gilt vorliegend jedoch nur innerhalb einer behördeninternen Struktur und nicht Behörden übergreifend, ohne dass dies, wie beklagtenseits argumentiert, zu einem Entzug der Wissenszurechnung durch Zersplitterung von Organisationseinheiten führen würde.

    23

    c.

    24

    Aus dem Schreiben vom 16.11.2015 ergibt sich keine positive Kenntnis zum maßgeblichen Zeitpunkt der Zahlung, da es sich um das Rückforderungschreiben nach der erfolgten Zahlung handelt.

    25

    3.

    26

    Der Beklagte ist jedoch i.H.v. 392,76 € nach § 818 Abs. 3 BGB entreichert. Zwar fällt Geld, das Drittschuldner auf ein Vollrechtstreuhandkonto einzahlen nicht in das Vermögen des späteren Insolvenzschuldners und nach Insolvenzeröffnung auch nicht in die Insolvenzmasse (vgl. BGH, 26.3.2015, IX ZR 302/13). Der Beklagte hat jedoch vorliegend unbestritten vorgetragen, dass er nur ein Treuhandkonto für den streitgegenständlichen Insolvenzvorgang habe, auf dem er die Insolvenzmasse sammele. Auf eben dieses Treuhandkonto ist die streitgegenständliche Zahlung des klagenden Landes erfolgt und direkt in die Insolvenzmasse geflossen. In diesem Fall ist das Guthaben auf dem Treuhandkonto sofort mit der Insolvenzmasse vermischt und der Insolvenzmasse zugeführt worden, so dass der Beklagte i.H.v. 392,76 € durch das Einstellen der Zahlung in die Insolvenzmasse aufgrund der erhöhten Berechnungsgrundlage entstandenen Mehrverfahrenskosten entreichert ist (vgl. hierzu BGH, 26.3.2015, IX ZR 302/13 Rn. 16; BGH, 05.03.2015, IX ZR 164/14 mit weiteren Nachweisen).

    27

    II.

    28

    Der Zinsanspruch ergibt sich ab dem 05.12.2015 aus §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1 S. 1 BGB, da das klagende Land den Beklagten mit Schreiben vom 16.11.2015 zur Zahlung bis zum 04.12.2015 aufgefordert hat.

    29

    III.

    30

    Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 11, 713 ZPO.

    31

    IV.

    32

    Die Berufung war nach § 511 Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 ZPO nicht zuzulassen. Der Rechtssache kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu, noch bietet der vorliegende Fall Veranlassung höchstrichterliche Leitsätze zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung aufzustellen. Die Beurteilung der vorliegenden Konstellation hängt von der dem Tatrichter obliegenden Würdigung der betroffenen Einzelfallumstände ab, für die der rechtliche Rahmen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bereits hinreichend abgesteckt ist und an dem sich das Gericht orientiert hat (vergleiche zu dieser Argumentation auch BGH, 31.01.2012, VIII ZR 277/11).

    33

    Zwar ist obergerichtlich noch nicht entschieden worden, ob in der den Vollstreckungsmaßnahmen bzw. den pfändbaren Ansprüchen zu Grunde liegenden Erbringung der Arbeitsleistung eine Rechtshandlung des Insolvenzschuldners zu sehen ist. Allerdings ist die Beantwortung der im Streitfall aufgeworfenen Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen eine Rechtshandlung des Insolvenzschuldners im Bereich der Vollstreckungsmaßnahmen anzunehmen ist, obergerichtlich schon ausreichend erörtert worden (vergleiche allein die bereits zitierten Fälle zu BGH, 27.05.2003, IX ZR 169/02; BGH, 22.01.2004, IX ZR 39/03; BGH, 10.02.2005, IX ZR 211/02; BGH, 09.07.2009, IX ZR 86/08).

    34

    V.

    35

    Der Streitwert des Rechtsstreits wird auf 615,63 € festgesetzt.

    36
    Rechtsbehelfsbelehrung:

    37
    A) Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,

    38
    1. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder

    39
    2. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden ist.

    40
    Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Landgericht Essen, Zweigertstr. 52, 45130 Essen, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.

    41
    Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Landgericht Essen zu begründen.

    42
    Die Parteien müssen sich vor dem Landgericht Essen durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.

    43
    Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

    44
    B) Gegen die Streitwertfestsetzung ist die Beschwerde an das Amtsgericht Essen statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt oder das Amtsgericht die Beschwerde zugelassen hat. Die Beschwerde ist spätestens innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Amtsgericht Essen, Zweigertstr. 52, 45130 Essen, schriftlich in deutscher Sprache oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerde kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichtes abgegeben werden.

    45
    Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.

    RechtsgebietInsolvenzVorschriften§ 133 InsO