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  • 30.11.2012 · IWW-Abrufnummer 123647

    Oberlandesgericht Koblenz: Urteil vom 15.10.2012 – 2 Ss 68/12

    1.

    Mit der wahrheitswidrigen Behauptung gegenüber dem Insolvenzgericht, ein Schuldner sei zahlungsunfähig, wird der Tatbestand der falschen Verdächtigung gem. § 164 Abs. 2 StGB erfüllt.
    2.

    Ein anderer im Sinne dieser Vorschrift kann auch eine juristische Person sein.
    3.

    Eine Verurteilung kann grundsätzlich nicht auf die Feststellungen eines freisprechenden Urteils gestützt werden, da dem Angeklagten mangels Beschwer die Möglichkeit fehlte, das Urteil insoweit im Revisionsverfahren überprüfen zu lassen.


    OLG Koblenz, 15.10.2012

    2 Ss 68/12

    In der Strafsache
    gegen
    D. G.
    - Verteidigerin: Rechtsanwältin Sch. -
    w e g e n falscher Verdächtigung
    hier: Revision der Staatsanwaltschaft
    hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz in der Hauptverhandlung vom 15. Oktober 2012, an der teilgenommen haben:
    Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Völpel,
    Richter am Oberlandesgericht Pott,
    Richter am Oberlandesgericht Dr. Leitges,
    Staatsanwalt T.
    als Beamter der Generalstaatsanwaltschaft,
    Rechtsanwältin Sch.
    als Verteidigerin des Angeklagten,
    Justizinspektor B.
    als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
    für R e c h t erkannt:
    Tenor:

    Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bad Kreuznach vom 15. März 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.

    Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bad Kreuznach zurückverwiesen.
    Gründe

    I.

    Gegen den Angeklagten erging am 1. Juli 2011 Strafbefehl wegen falscher Verdächtigung. Ihm wird zur Last gelegt, am 5. Juli 2010 beim Amtsgericht Bad Kreuznach als "Managing Direktor" der Gesellschaft C. E.., einer Gesellschaft nach luxemburgischem Recht, Insolvenzantrag über das Vermögen der X. Y. S.A. gestellt zu haben, wobei er wider besseres Wissen behauptet haben soll, die Insolvenzschuldnerin sei zur Rückzahlung eines ihr am 1. Januar 2009 gewährten Darlehens von 2,1 Millionen Euro nicht in der Lage und damit zahlungsunfähig. Tatsächlich soll das Darlehen zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits in Höhe von 1,35 Millionen Euro zurückgezahlt und im Übrigen die Rückzahlung noch nicht fällig gewesen sein.

    Auf den hiergegen gerichteten Einspruch sprach das Amtsgericht - Strafrichter - Bad Kreuznach den Angeklagten vom Vorwurf der falschen Verdächtigung frei. Die hiergegen gerichtete Berufung der Staatsanwaltschaft hat die 7. kleine Strafkammer des Landgerichts Bad Kreuznach als unbegründet verworfen. Hiergegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts.

    II.

    Die Revision ist zulässig, insbesondere in der gesetzlich vorgeschriebenen Form und Frist eingelegt und begründet worden; sie hat in der Sache Erfolg.

    Mit der Freisprechung des Angeklagten hat die Strafkammer § 164 Abs. 2 StGB verletzt. Nach dieser Vorschrift macht sich strafbar, wer über einen anderen wider besseres Wissen eine Behauptung tatsächlicher Art aufstellt, die geeignet ist, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen ihn herbeizuführen oder fortdauern zu lassen. Diese Voraussetzungen liegen nach dem Inhalt des Strafbefehls und den insoweit gleichlautenden Feststellungen der Strafkammer vor.

    1.

    Der Angeklagte hat mit der schriftlichen Mitteilung, die X. Y. S.A. sei zur Rückzahlung des gewährten Darlehens nicht in der Lage und daher zahlungsunfähig, eine (sonstige) Behauptung tatsächlicher Art aufgestellt. Von § 164 Abs. 2 StGB erfasst sind alle Tatsachenbehauptungen, die keine Bezichtigung einer rechtswidrigen Tat oder Dienstpflichtverletzung darstellen (Ruß in: Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl., Bd. 6, § 164 Rn. 21).

    Diese Behauptung hat der Angeklagte auch gegenüber einer Behörde abgegeben, was sich unmittelbar aus § 11 Abs. 1 Nr. 7 StGB ergibt, wonach Gerichte Behörden im Sinne des Strafgesetzbuches sind.

    Entgegen der Auffassung der Strafkammer war die Behauptung des Angeklagten auch geeignet, ein behördliches Verfahren gegen die X. Y. S.A. herbeizuführen. Der Begriff des behördlichen Verfahrens geht erkennbar vom Behördenbegriff des

    § 11 Abs. 1 Nr. 7 StGB aus. Grundsätzlich ist dieses Tatbestandsmerkmal daher dann erfüllt, wenn Adressat der Behauptung eine Behörde im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 7 StGB ist, in deren Kompetenzbereich es fällt, ein öffentlich-rechtliches Verfahren gegen die denunzierte Person durchzuführen. Kennzeichen behördlicher Verfahren ist, dass staatliche oder vom Staat abgeleitete Stellen dem Bürger als dem davon Betroffenen in Ausübung hoheitlicher Gewalt gegenübertreten (Lenckner/Bosch, in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 164 Rn. 13). Dies trifft auf das Insolvenzverfahren nach der Insolvenzordnung (InsO) zu. Das Insolvenzgericht wird nach Eingang des Antrags von Amts wegen tätig und führt seine Ermittlungen unabhängig von einer Kostendeckung (Uhlenbrock/Pape, InsO, 13. Aufl., § 5 Rn. 24), insbesondere ermittelt es von Amts wegen die Umstände, die für das Verfahren von Bedeutung sind (§ 5 Abs. 1 Satz 1 InsO). Es kann gegen den Willen des Insolvenzschuldners Sicherungsmaßnahmen anordnen, insbesondere diesem verbieten, über sein Vermögen zu verfügen (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Dem Schuldner obliegen weitreichende Auskunfts- und Mitwirkungsverpflichtungen (§ 97 InsO), bei deren Verletzung das Insolvenzgericht schwerwiegende Sanktionsmaßnahmen ergreifen kann bis hin zu seiner Vorführung oder Inhaftierung (§ 98 Abs. 2 InsO). Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht die Verwaltungs- und Verfügungsgewalt über das Vermögen des Insolvenzschuldners auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO).

    Aber auch gegenüber den Insolvenzgläubigern ist das Insolvenzverfahren - auch schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens - mit weitreichenden Eingriffen in deren Eigentumsrechte verbunden und damit hoheitlich ausgestaltet. So kann das Gericht gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO ihnen verbieten, die Zwangsvollstreckung gegen den Insolvenzschuldner durchzuführen. Es kann anordnen, dass bestimmte Gegenstände von den Insolvenzgläubigern nicht verwertet oder eingezogen werden dürfen

    (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO). Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist es den Gläubigern untersagt, in die Insolvenzmasse oder das Vermögen des Schuldners zwangsweise zu vollstrecken (§ 89 Abs. 1 InsO).

    Die Entscheidung des Reichsgerichts vom 9. August 1938 (Az. 4 D 470/38, JW 1938, 2733) gibt für die Behandlung des hier in Rede stehenden Sachverhalts nichts her. In dieser Entscheidung hat das Reichsgericht aus dem Schutzbereich des § 164 StGB die sich im Rahmen der Prozessgesetze bewegende Zivilrechtspflege heraus genommen. Dies überzeugt, weil der vom Beibringungsgrundsatz beherrschte Zivilprozess vor falschen Tatsachenbehauptungen bereits durch § 263 StGB (Prozessbetrug) hinreichend geschützt ist. Beim Insolvenzverfahren handelt es sich jedoch ersichtlich nicht um ein zivilprozessuales Verfahren, sondern - wie beim vormundschaftsgerichtlichen Verfahren (vgl. BayObLG, Urt. 4 St 37/58 v. 27.3.1958, NJW 1958, 1103) - um ein Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit mit eigenständiger Verfahrensordnung und hoheitlichen Eingriffsbefugnissen.

    Nach alledem handelt es sich bei dem Insolvenzverfahren um ein Verfahren, in dem eine staatliche Behörde in Gestalt eines Gerichts den Beteiligten unter Ausübung hoheitlicher Gewalt gegenübertritt. Dem steht nicht entgegen, dass der Insolvenzantrag gemäß § 13 Abs. 2 InsO bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder rechtskräftigen Abweisung des Antrags zurückgenommen werden kann. § 164 Abs. 2 StGB stellt nur darauf ab, dass die Behauptung geeignet ist, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen den Denunzierten herbeizuführen oder fortdauern zu lassen. Verfahrensrechtliche Einflussmöglichkeiten des Denunzianten, die wie die Antragsrücknahme im Insolvenzverfahren den weiteren Fortgang des Verfahrens hindern können, berühren aber die Eignung seiner Behauptung zur Herbeiführung oder Fortdauer des Verfahrens nicht. Dies zeigt ein Blick auf § 164 Abs. 1 StGB, wo es der Denunziant im Bereich der sog. absoluten Antragsdelikte ebenfalls in der Hand hat, den Strafantrag - sogar bis zur Rechtskraft des Urteils - zurückzunehmen und damit ein Verfahrenshindernis für die Verurteilung des Denunzierten zu begründen. Auch hier führt die Möglichkeit, dass der Denunziant den weiteren Fortgang des Verfahrens anhalten kann, nicht dazu, dass die entsprechenden Delikte vom Tatbestand ausgenommen sind.

    Der Angeklagte hat die falsche Tatsachenbehauptung darüber hinaus auch über einen anderen im Sinne von § 164 Abs. 2 StGB verbreitet. Im Gegensatz zu § 164 Abs. 1 StGB, wo nach dem Schutzbereich nur natürliche Personen als Denunzierte in Frage kommen (denn Täter einer Straftat oder Dienstpflichtverletzung können nur natürliche Personen sein, vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl., § 164 Rn. 7), ist auch für § 164 Abs. 2 StGB der Kreis der geschützten Personen vom Schutzzweck her zu bestimmen. § 164 StGB soll einerseits die staatliche Rechtspflege vor grundloser Inanspruchnahme schützen, andererseits aber auch den Betroffenen vor ungerechtfertigten Verfahren und anderen Maßnahmen irregeleiteter Behörden bewahren (Ruß, a.a.O. Rn. 1). Denunzierter Betroffener eines Insolvenzverfahrens kann daher auch eine juristische Person sein. Die Einleitung eines Insolvenzverfahrens gegen eine solche Gesellschaft kann - über die genannten Eingriffe in deren Vermögensverwaltung hinaus - mit erheblichen, wirtschaftlich nachteiligen Auswirkungen verbunden sein. Möglicherweise werden potentielle Vertragspartner, insbesondere Banken, von Geschäften mit dem vermeintlichen Insolvenzschuldner abgehalten, was gegebenenfalls den Ruin des Unternehmens bedeuten kann. Derjenige, der solche wirtschaftlichen Folgen wider besseres Wissen in Schädigungsabsicht verfolgt, hat sich daher nach § 164 Abs. 2 StGB strafrechtlich zu verantworten.

    2.

    Nach den Feststellungen des Landgerichts sind auch auf der inneren Tatseite des Angeklagten die Voraussetzungen für eine Strafbarkeit nach § 164 Abs. 2 StGB erfüllt. Der Angeklagte hat wider besseres Wissen behauptet, dass die Insolvenzschuldnerin zur Rückzahlung des Darlehens wegen Zahlungsunfähigkeit nicht in der Lage sei. Dass er dies tat, um ein behördliches Verfahren in Gestalt eines Insolvenzverfahrens gegen sie einzuleiten, liegt auf der Hand.

    Da dies auch rechtswidrig und schuldhaft erfolgte, hat sich der Angeklagte nach alledem auf Grundlage der Feststellungen des Landgerichts einer falschen Verdächtigung nach § 164 Abs. 2 StGB schuldig gemacht.

    III.

    Obwohl die getroffenen Feststellungen daher eine Verurteilung zu tragen im Stande wären, ist es dem Senat verwehrt, gemäß § 354 Abs. 1 StPO eine eigene Sachentscheidung zu treffen und den Angeklagten wegen falscher Verdächtigung schuldig zu sprechen. Eine Verurteilung kann grundsätzlich nicht auf die Feststellungen eines freisprechenden Urteils gestützt werden, da dem Angeklagten mangels Beschwer die Möglichkeit fehlte, das Urteil insoweit im Revisionsverfahren überprüfen zu lassen (OLG Koblenz, Urt. 1 Ss 267/07 v. 10.10.2007, NStZ-RR 2008, 120; Urt. 2 Ws 206/98 v. 10.08.1998; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl. § 354 Rn. 23 m.w.N.). Eine Ausnahme dergestalt, dass der Angeklagte den festgestellten Sachverhalt gestanden hätte, ist hier nicht gegeben. Zwar hat die Strafkammer angegeben, dass die getroffenen Feststellungen auch auf "den insoweit glaubhaften Einlassungen" des Angeklagten beruhen; wie sich der Angeklagte zu der ihm vorgeworfenen Straftat eingelassen hat, erschließt sich dem Senat aus dem angegriffenen Urteil jedoch nicht.

    Das angefochtene Urteil war demzufolge mit den Feststellungen aufzuheben (§ 353 Abs. 1 StPO) und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).