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  • · Fachbeitrag · Insolvenzrecht

    Alles zählt für die Quote: So lassen sich Steuererstattungsansprüche realisieren

    | Gerät der Schuldner in Insolvenz, sieht der Gläubiger oft „seine Felle davonschwimmen“. Ihm bleiben meist nur zwei Optionen: Handelt es sich um ein Verbraucherinsolvenzverfahren, muss der Fokus darauf gerichtet sein, zu überwachen, ob der Insolvenzschuldner Anlass gibt, die Versagung der Restschuldbefreiung zu beantragen. Im Übrigen ist zu prüfen, wo dem Insolvenzverwalter Hinweise gegeben werden können, um die Insolvenzmasse zu stärken. Im letztgenannten Kontext hat der BGH eine ‒ vielleicht ertragreiche ‒ Entscheidung zu der Frage getroffen, inwieweit nach der Insolvenz-eröffnung erstattete Steuern doch der Insolvenzmasse zuzuführen sind. |

     

    Sachverhalt

    Über das Vermögen der klagenden Insolvenzschuldnerin wurde am 19.9.12 das Insolvenzverfahren eröffnet. Ihre Steuererklärungen für die Jahre 2016 und 2017 hat sie erst nach der Eröffnung und auch erst nach dem Ende der Abtretungsfrist zum 19.9.18 eingereicht. Die Erklärungen für die Jahre 2012 bis 2015 und 2018 hat der Insolvenzverwalter nach Erteilung der Restschuldbefreiung abgegeben.

     

    Die Beteiligten streiten um die Frage, wem der Steuererstattungsbetrag zusteht. Die Klägerin reklamiert für sich, dass alle Steuererstattungen nach dem Ablauf der Abtretungsfrist als Neuerwerb zu behandeln sind und damit nicht vom Insolvenzbeschlag erfasst werden könnten. Der Beklagte ist demgegenüber der Ansicht, es komme nicht darauf an, wann die Steuererstattung erfolgt sei, sondern welchen Zeitraum sie betreffe.

     

    Entscheidungsgründe

    Der BGH folgt in differenzierter Weise der Argumentation des Insolvenz-verwalters.

    • Leitsatz: BGH 13.1.22, IX ZR 64/21

    Wird dem Schuldner im laufenden Insolvenzverfahren die Restschuldbefreiung erteilt, gehört der Anspruch auf Erstattung von Einkommensteuerzahlungen zur Insolvenzmasse und nicht zum insolvenzfreien Neuerwerb des Schuldners, wenn der die Erstattungsforderung begründende Sachverhalt vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder während des Verfahrens vor Ablauf der Abtretungsfrist verwirklicht worden ist (Abruf-Nr. 227321).

     

    Die Frage, ob ein Steuererstattungsanspruch dem freien Vermögen des Schuldners oder der Masse zuzuordnen ist, bestimmt sich für die Zwecke des Insolvenzverfahrens nicht nach Steuerrecht, sondern nach Insolvenzrecht. Maßgebend ist danach nicht der Zeitpunkt der Vollentstehung des Rechts, sondern der Zeitpunkt, in dem nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund für den Anspruch gelegt worden ist. Der Anspruch hängt in diesem Fall nur noch vom Zeitablauf ab. Nach diesen Grundsätzen bemisst sich auch, ob ein Steuererstattungsanspruch zur Masse oder zu dem insolvenzfreien Neuerwerb gehört, der nach Ablauf der Abtretungsfrist des § 287 Abs. 2 S. 1 InsO entsteht, wenn dem Schuldner während des laufenden Insolvenzverfahrens die Restschuldbefreiung erteilt wird (BGH 3.12.09, IX ZB 247/08, Abruf-Nr. 100037).

     

    PRAXISTIPP | Geht der Einkommensteuererstattungsanspruch auf die vom Arbeitslohn des Schuldners einbehaltene Lohnsteuer zurück, wird der Rechtsgrund für den Anspruch bereits mit Abführen der Lohnsteuer gelegt (BGH 12.1.06, IX ZB 239/04). Der Erstattungsanspruch steht dann nur unter der aufschiebenden Bedingung, dass die geschuldete Einkommensteuer am Jahresende geringer ist als die Summe der Anrechnungsbeträge, sodass sich nach § 36 Abs. 4 S. 2 EStG, § 37 Abs. 2 AO ein Erstattungsanspruch ergibt. Die Finanzbehörde ist bereits etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden, wenn der die Erstattungsforderung begründende Sachverhalt verwirklicht worden ist. Der Insolvenzschuldner erlangt mit der Vorauszahlung eine Anwartschaft auf den am Ende des Veranlagungszeitraums entstehenden Erstattungsanspruch, sodass dieser in die Masse fällt, wenn vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder während dessen Dauer der ihn begründende Sachverhalt verwirklicht ist.

     

    Relevanz für die Praxis

    Für den Gläubiger ergibt sich aus dieser Entscheidung noch eine ganz andere Option: Der Insolvenzverwalter muss aufgefordert werden, den Schuldner zur Abgabe seiner Steuererklärungen aufzufordern, soweit er dies für die Vergangenheit noch nicht getan hat. Die Abgabe der Steuererklärung muss über die gesamte Zeitdauer des Verbraucherinsolvenzverfahrens und der Wohlverhaltensphase geschehen.

     

    Kommt der Schuldner dem nach, ergeben sich hieraus gegebenenfalls Zuwächse der Insolvenzmasse, die über die Insolvenzquote dem Gläubiger zugutekommen. Kommt der Schuldner dagegen seiner Auskunfts- oder seiner Mitwirkungspflicht nicht nach, liegt ein Grund zur Versagung der Rechtsschutzbefreiung nach § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO vor.

     

    Musterformulierung / Schreiben an den Insolvenzverwalter

    Herrn Rechtsanwalt …

    als Insolvenzverwalter über das Vermögen des …

    Mustermannstraße 1

    12345 Musterstadt

     

    In dem Insolvenzverfahren über das Vermögen des … beim

    AG Musterstadt, Az. …

     

    wird um Mitteilung gebeten, ob der Schuldner seine Steuererklärungen für den Zeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens sowie für die Jahre nach Eröffnung des

    Insolvenzverfahrens bis einschließlich des Vorjahrs (§ 46 AO) abgegeben hat oder ob und inwieweit diese Steuererklärungen durch Sie abgegeben wurden.

     

    Soweit dies noch nicht geschehen ist, ist der Schuldner aufzufordern, die entsprechenden Steuererklärungen für den Zeitraum vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens abzugeben und den sich daraus ergebenden Steuererstattungsanspruch an die Insolvenzmasse abzuführen.

     

    Soweit keine Erkenntnisse zu der Frage vorliegen, ob der Schuldner die vorbezeichneten Steuererklärungen abgegeben hat, wird gebeten, den Schuldner zur entsprechenden Auskunft aufzufordern. Es wird um Mitteilung gebeten, wenn der Schuldner in angemessener Frist seiner Auskunftsverpflichtung nicht genügt. Gleiches gilt, soweit der Schuldner den sich aus der Auskunft ergebenden Mitwirkungspflichten nicht in angemessener Frist nachkommt. Er ist insoweit verpflichtet, die für die Abgabe der Steuererklärung notwendigen Unterlagen Ihnen als Insolvenzverwalter zur Verfügung zu stellen.

     

    Sollte der Schuldner die vorbezeichneten Steuererklärungen abgegeben haben, den sich daraus ergebenden Erstattungsanspruch allerdings nicht an die Insolvenzmasse abgeführt haben, wird über entsprechende Mitteilung gebeten.

     

    Soweit die Steuererstattungsansprüche auf Umständen beruhen, die vor oder während des Insolvenzverfahrens liegen, stehen nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Steuererstattungsansprüche der Insolvenzmasse zu. Es kommt nicht darauf an, wann die Ansprüche tatsächlich ausgezahlt werden (BGH 13.1.22, IX ZR 64/21).

     

    Rechtsanwalt

     
    Quelle: Ausgabe 08 / 2022 | Seite 140 | ID 48422438