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  • · Fachbeitrag · Verbraucherdarlehen

    Und wieder lockt der Widerrufsjoker

    | Nach § 495 BGB steht dem Darlehensnehmer bei einem Verbraucherdarlehensvertrag ein Widerrufsrecht nach § 355 BGB zu. Die Widerrufsfrist beträgt gemäß § 355 Abs. 2 BGB grundsätzlich 14 Tage nach Vertragsschluss, soweit nichts anderes bestimmt ist. Bei einem Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag beginnt die Frist nach § 356b Abs. 2 S. 1 BGB jedoch erst, wenn die dem Darlehensnehmer zur Verfügung gestellte Vertragsurkunde die Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB i. V. m. Art. 247 §§ 6 bis 13 EGBGB enthält oder diese später nachgereicht werden. Dabei wird immer wieder darum gestritten, wie diese Pflichtangaben auszulegen sind und ob die konkreten Angaben in den Verbraucherdarlehensverträgen diesen Anforderungen genügen. Der EuGH (9.9.21, C-33/30, C-155/20 und C-187/20, Abruf-Nr. 224680 ) hat auf eine Vorlage des LG Ravensburg verschiedene Angaben in Verbraucherdarlehensverträgen für unzureichend erklärt. Fraglich ist nun, ob Verbraucher wieder den „Widerrufsjoker“ ziehen und Verträge auch noch langfristig widerrufen können. |

     

     

    1. EuGH entscheidet drei Fälle gleichzeitig

    Der EuGH hat drei gleichgelagerte Fälle zu einem Verfahren zusammengefasst. Dabei schlossen die Käufer mit der Bank jeweils einen Verbraucherdarlehensvertrag, der dem Kauf eines für eine private Nutzung bestimmten Kraftfahrzeugs diente. Die in Rede stehenden Verträge enthielten u.a. folgende Angaben:

     

    • „Nach einer Vertragskündigung werden wir Ihnen den gesetzlichen Verzugszinssatz in Rechnung stellen. Der jährliche Verzugszinssatz beträgt 5 Prozentpunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz.“ Ferner wurde den Käufern ein Dokument mit dem Titel „Europäische Standardinformationen für Verbraucherkredite“ zur Verfügung gestellt. Darin hieß es: „Der jährliche Verzugszinssatz beträgt 5 Prozentpunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz. Der Basiszinssatz wird von der Deutschen Bundesbank ermittelt und jeweils zum 1. Januar und 1. Juli eines jeden Jahres festgesetzt.“

     

    • „Für den unmittelbar mit der vorzeitigen Rückzahlung zusammenhängenden Schaden kann die Bank eine angemessene Vorfälligkeitsentschädigung verlangen. Den Schaden wird die Bank nach den vom Bundesgerichtshof vorgeschriebenen finanzmathematischen Rahmenbedingungen berechnen, die insbesondere ein zwischenzeitlich verändertes Zinsniveau, die für das Darlehen ursprünglich vereinbarten Zahlungsströme, den der Bank entgangenen Gewinn, den mit der vorzeitigen Rückzahlung verbundenen Verwaltungsaufwand (Bearbeitungsentgelt) sowie die infolge der vorzeitigen Rückzahlung ersparten Risiko- und Verwaltungskosten berücksichtigen.“

     

    • „Für ein außergerichtliches Beschwerdeverfahren wird auf die „Verfahrensordnung für die Schlichtung von Kundenbeschwerden im Deutschen Bankgewerbe“ verwiesen, die auf Wunsch zur Verfügung gestellt werden oder auf der Internetseite des Bundesverbands der Deutschen Banken e. V. eingesehen werden kann.“

     

    Vier Jahre nach Abschluss des Vertrags widerriefen die Käufer gegenüber der Bank die Verbraucherdarlehensverträge. Die B-Bank wies den Widerruf als verspätet zurück, das Widerrufsrecht sei aber auch auf jeden Fall durch Verwirkung und rechtsmissbräuchliche Ausübung erloschen. Mit der Klage beantragen die Käufer die Feststellung, dass sie seit dem erklärten Widerruf nicht mehr zur Zahlung der monatlichen Raten verpflichtet sind bzw. von der Bank die Rückzahlung der bereits gezahlten Monatsraten Zug um Zug gegen die Rückgabe des gekauften Fahrzeugs verlangen können.

    2. EuGH gibt die Richtung vor

    Auf die entsprechenden Vorlagefragen des LG Ravensburg hat der EuGH im Wesentlichen festgestellt:

     

    a) Angabe des Verzugszinssatzes

    Nach Art. 247, § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 11 EGBGB muss der Verbraucherdarlehensvertrag klar und verständlich Angaben über den Verzugszinssatz und die Art und Weise seiner etwaigen Anpassung sowie gegebenenfalls anfallende Verzugskosten enthalten. Diese gesetzliche Regelung basiert auf den Vorgaben von Art. 10 der EU-Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48.

     

    Der Wortlaut in Art. 10 Abs. 2 Buchst. l legt nach Auffassung des EuGH fest, dass in dem Kreditvertrag der im Fall des Zahlungsverzugs zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltende Zinssatz konkret in Form eines Prozentsatzes anzugeben sei, und nicht nur die Definition dieses Zinssatzes oder die verwendete Berechnungsformel.

     

    Verweise aber ein Verbrauchervertrag hinsichtlich der Informationen, die nach Art. 10 der Richtlinie 2008/48 anzugeben sind, auf bestimmte Vorschriften des nationalen Rechts, könne der Verbraucher auf der Grundlage des Vertrags den Umfang seiner vertraglichen Verpflichtung nicht bestimmen. Daher müsse der Verzugszinssatz im Kreditvertrag konkret in Form eines Prozentsatzes angegeben werden und der Mechanismus der Anpassung des Verzugszinssatzes sei konkret zu beschreiben.

     

    Haben die Parteien des betreffenden Kreditvertrags vereinbart, dass der Verzugszinssatz nach Maßgabe des von der Zentralbank eines Mitgliedsstaats festgelegten und in einem für jedermann leicht zugänglichen Amtsblatt bekannt gegebenen Änderung des Basiszinssatzes geändert wird, reicht ein Verweis im Kreditvertrag auf diesen Basiszinssatz aus, sofern die Methode zur Berechnung des Satzes der Verzugszinsen nach Maßgabe des Basiszinssatzes in diesem Vertrag beschrieben wird. Insoweit sind zwei Voraussetzungen zu beachten:

     

    • Erstens müsse die Darstellung dieser Berechnungsmethode für einen Durchschnittsverbraucher, der nicht über Fachkenntnisse im Finanzbereich verfügt, leicht verständlich sein und es ihm ermöglichen, den Verzugszinssatz auf der Grundlage der Angaben im Kreditvertrag zu berechnen.
    • Zweitens müsse auch die Häufigkeit der Änderung dieses Basiszinssatzes, die sich nach den nationalen Bestimmungen richtet, in dem fraglichen Kreditvertrag angegeben werden.

     

    Beachten Sie | Um die Anforderungen der EuGH-Rechtsprechung zu erfüllen, müssen daher folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

     

    • Angabe des aktuellen Verzugszinssatzes,
    • Darstellung, wie sich der Zinssatz verändern kann, und
    • Darstellung der konkreten Berechnungsmethode.

     

    Musterformulierung / So kann die Vereinbarung aussehen

    Der jährliche Verzugszinssatz beträgt 5 Prozentpunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz. Der Basiszinssatz beträgt derzeit -0,88 Prozentpunkte (Stand 1.7.21). Somit ist der Verzugszinssatz aktuell mit 4,12 Prozent zu bemessen. Der Basiszinssatz wird von der Deutschen Bundesbank ermittelt und jeweils zum 1. Januar und 1. Juli eines jeden Jahres festgesetzt.

     

    Der jeweils aktuelle Basiszinssatz wird im Bundesanzeiger bekannt gemacht und auch auf www.basiszinssatz.de veröffentlicht. Soweit sich der Basiszinssatz verändert, wird auch der Verzugszinssatz entsprechend angepasst.

     

     

    b) Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung

    Nach § 502 Abs. 1 S. 1 BGB kann der Darlehensgeber im Fall der vorzeitigen Rückzahlung eine angemessene Vorfälligkeitsentschädigung für den unmittelbar mit der vorzeitigen Rückzahlung zusammenhängenden Schaden verlangen, wenn der Darlehensnehmer zum Zeitpunkt der Rückzahlung Zinsen zu einem gebundenen Sollzinssatz schuldet. Nach Art. 10 Abs. 2 r der EU-Richtlinie und Art. 247 § 7 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB muss im Kreditvertrag die Methode für die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung in einer konkreten und für einen Durchschnittsverbraucher leicht nachvollziehbaren Weise angegeben werden, sodass dieser die Höhe der Vorfälligkeitsentschädigung anhand der Vertragsinformationen bestimmen kann.

     

    Dabei ist es nach Auffassung des EuGH zwar nicht erforderlich, dass der Kreditvertrag die mathematische Formel nennt, mit der diese Entschädigung berechnet wird, doch muss er die Methode zur Berechnung dieser Entschädigung in einer konkreten und für einen Durchschnittsverbraucher leicht nachvollziehbaren Weise angeben. Ein bloßer Verweis auf die von einem nationalen Gericht vorgeschriebenen finanzmathematischen Rahmenbedingungen genügt nach Auffassung des EuHG jedoch nicht. Die im vorliegenden Fall vereinbarte vertragliche Regelung erfülle daher nicht diese Anforderungen.

     

    c) Außergerichtliches Beschwerde- oder Rechtsbehelfsverfahren

    Art. 10 Abs. 2 t der EU-Richtlinie und Art. 247 § 7 Abs. 1 Nr. 4 EGBGB schreiben auch vor, dass im Kreditvertrag die wesentlichen Informationen über außergerichtliche Beschwerde- oder Rechtsbehelfsverfahren zu erläutern sind. Dabei sind Informationen über die mit diesen Verfahren verbundenen Kosten, sowie darüber, ob Beschwerde oder Rechtsbehelf per Post oder elektronisch einzureichen sind, über die physische oder elektronische Beschwerdeadresse und über die sonstigen formalen Beschwerdevoraussetzungen zu erteilen.

     

    Nach Auffassung des EuGH reicht dabei ein bloßer Verweis auf eine im Internet abrufbare Verfahrensordnung oder auf ein anderes Schriftstück bzw. Dokument nicht aus. Daher sei auch die in Rede stehende vertragliche Vereinbarung nicht ausreichend.

     

    FAZIT | Danach entsprechen die o. g. Vertragsinhalte nicht den Vorgaben der EU-Richtlinie und den entsprechenden Vorschriften in Art. 247 EGBG. Somit wurden den Darlehensnehmern die Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB nicht in ausreichendem Umfang zur Verfügung gestellt. Nach § 356b BGB kann die Frist zur Ausübung des Widerrufsrechts daher erst mit Nachholung dieser Angaben gemäß § 492 Abs. 6 BGB beginnen.

     

    d) Verwirkung

    Schließlich ist es nach Auffassung des EuGH aufgrund von Art. 14 Abs. 1 der EU-Richtlinie dem Kreditgeber auch verwehrt, sich gegenüber der Ausübung des Widerrufsrechts durch den Verbraucher auf den Einwand der Verwirkung oder des Rechtsmissbrauchs zu berufen, wenn eine der in Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie vorgesehenen zwingenden Angaben im Kreditvertrag nicht enthalten ist und auch nicht nachträglich ordnungsgemäß mitgeteilt wurde, unabhängig davon, ob der Verbraucher von seinem Widerrufsrecht Kenntnis hatte, ohne dass er diese Unkenntnis zu vertreten hat.

     

    • Leitsätze: EuGH 9.9.21, C-33/30, C-155/20 und C-187/20
    • 1. In einem Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag sind der zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Vertrags geltende Verzugszinssatz in Form eines konkreten Prozentsatzes anzugeben und der Mechanismus der Anpassung des Verzugszinssatzes konkret zu beschreiben. Dabei muss die Darstellung dieser Berechnungsmethode für einen Durchschnittsverbraucher leicht verständlich sein und es ihm ermöglichen, den Verzugszinssatz auf der Grundlage der Angaben im Kreditvertrag zu berechnen. Ferner muss die Häufigkeit der Änderung dieses Basiszinssatzes, die sich nach den nationalen Bestimmungen richtet, in dem fraglichen Kreditvertrag angegeben werden.
    • 2. Für die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung ist es erforderlich, dass in einer für einen Durchschnittsverbraucher leicht nachvollziehbaren Weise die Berechnungsgrundlagen genannt werden, sodass dieser die Höhe der Vorfälligkeitsentschädigung anhand der Vertragsinformationen bestimmen kann.
    • 3. Die wesentlichen Informationen über außergerichtliche Beschwerde- oder Rechtsbehelfsverfahren müssen im Vertragstext erschöpfend erläutert werden.
    • 4. Dem Kreditgeber ist es grundsätzlich verwehrt, sich gegenüber der Ausübung des Widerrufsrechts durch den Verbraucher auf den Einwand der Verwirkung oder des Rechtsmissbrauchs zu berufen.
     

    3. Das muss die Rechtspraxis jetzt beachten

    Die aktuelle EuGH-Entscheidung lässt erwarten, dass erneut zahlreiche Darlehensnehmer ihre Darlehensverträge mit dem Verweis auf die fehlenden bzw. unzureichenden Pflichtangaben widerrufen werden. Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass die EuGH-Entscheidung zunächst keine unmittelbaren Auswirkungen erzeugen kann. Es obliegt nun insbesondere dem BGH, darüber zu entscheiden, ob und inwieweit das nationale Recht richtlinienkonform ausgelegt werden kann. Bislang hatte der BGH die Pflichtangaben zum Verzugszinssatz, der Vorfälligkeitsentschädigungsberechnung und dem Beschwerdeverfahren nicht beanstandet (BGH 23.2.21, XI ZR 73/20; 5.11.19, XI ZR 650/18).

     

    Im Übrigen kann das Urteil nur Auswirkungen für Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge haben, da die Verbraucherkreditrichtlinie für grundpfandrechtlich besicherte Darlehen nicht gilt und der BGH es bislang abgelehnt hat, die Normen des nationalen Darlehensrechts einheitlich im Sinne der Verbraucherkreditrichtlinie auszulegen (BGH 7.5.20, XI ZR 581/18, Abruf-Nr. 216424).

     

    Zudem hat der BGH bislang den Verwirkungseinwand und den Rechtsmissbrauchseinwand für bestimmte Einzelfälle bejaht, z. B. den Verwirkungseinwand bei vollständig zurückgeführten Darlehen und der Freigabe von Sicherheiten durch das Kreditinstitut (BGH 23.1.18, XI ZR 298/17, Abruf-Nr. 200306).

     

    Jedenfalls wird aus der Entscheidung deutlich, dass sich die Diskussionen um das Widerrufsrecht des Verbrauchers nicht mehr auf die Widerrufsinformation selbst beschränken, sondern nun auch auf die übrigen Pflichtangaben im Darlehensvertrag ausweiten. Daher ist es für den Unternehmer von Bedeutung, die inhaltlichen Vorgaben zu beachten und auszufüllen, um Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden.

    Quelle: Ausgabe 11 / 2021 | Seite 193 | ID 47714142