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  • · Fachbeitrag · Streitwert

    Was ist der vergleichsweise Verzicht auf Räumungsschutz wert?

    | Die Lage auf dem Wohnungsmarkt ist angespannt. Durch die COVID-19-Pandemie ist zusätzlich die Leistungsfähigkeit des Mieters beeinträchtigt. Im Rahmen der damit in Zusammenhang stehenden Streitigkeiten, insbesondere hinsichtlich der Räumungsklage, wird regelmäßig auch ein Räumungsschutzantrag nach § 721 ZPO gestellt. Oft fragt sich, ob in diesem Zusammenhang Räumungsvergleiche Sinn machen. |

    1. Ausgangslage

    Wird auf Räumung von Wohnraum erkannt, kann das Gericht dem Schuldner nach § 721 Abs. 1 ZPO auf Antrag oder von Amts wegen eine den Umständen nach angemessene Räumungsfrist gewähren. Der Antrag muss aber vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt werden, auf die das Urteil ergeht.

     

    PRAXISTIPP | Dem Grundsatz des sichersten Wegs folgend, wird der Bevollmächtigte des Mieters diesen zumindest hilfsweise stellen müssen. § 794a ZPO erweitert diese Antragsfrist bei Räumungsvergleichen. Der Antrag ist spätestens zwei Wochen vor dem Tag zu stellen, an dem nach dem Vergleich zu räumen ist.

     

    Dieses Begehren findet dann auch regelmäßig Eingang in Prozessvergleiche als Vollstreckungstitel nach § 794 Abs. 1 Nr. 1, 794a ZPO. Für den Vermieter ist es im Hinblick auf die Weitervermietung wichtig, dass er sich ‒ soweit wie möglich ‒ auf einen festen Räumungstermin verlassen kann. Deshalb wird in solchen Räumungsvergleichen jeweils eine Räumungsfrist festgelegt und zugleich auf einen weitergehenden Räumungsschutz, insbesondere nach § 794a ZPO verzichtet.

    2. Wie sieht es mit den anwaltlichen Gebühren aus?

    Für die Bevollmächtigten stellt sich die Frage, ob dieser Verzicht gebührenrechtlich im Hinblick auf den Gegenstandswert gesondert zu berücksichtigen ist, also ob sich beim Vergleich ein entsprechender Mehrwert findet. Die Frage ist umstritten.

     

    a) Das sagt die h. M.

    Die h. M. vertritt, dass einem Verzicht auf Räumungsschutzanträge ein eigener Mehrwert zukomme, da es sich bei dem Räumungsschutzantrag um einen werthaltigen, prozessualen Anspruch handele, der mithin bei der Bemessung des Streitwertes selbstständig in Ansatz zu bringen sei (OLG Düsseldorf 11.5.09, 24 W 16/09, Rn. 18; OLG Stuttgart JurBüro 12, 303; AG Saarbrücken 24.11.15, 7 C 151/15; Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 14. Aufl., Rn. 5863a).

     

    Neben der vollstreckbaren und zutreffend gemäß § 41 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 GKG zu bewerteten Verpflichtung, die Mietsache herauszugeben, ist nach dieser Ansicht auch der Verzicht auf den in bestimmten Fällen kraft Gesetzes (§ 794 Abs. 1 Nr. 1, § 794a Abs. 1 ZPO) eingeräumten Räumungsschutz (nicht Vollstreckungsschutz aus § 765a ZPO) zu bewerten.

     

    Ein solcher Verzicht, der im Gegensatz zum Verzicht auf Vollstreckungsschutz aus § 765a ZPO von der h. M. für zulässig gehalten wird (LG Heilbronn Rpfleger 92, 528 = DGVZ 92, 569; LG Aachen WuM 96, 568), ist danach ein selbstständiger und werthaltiger prozessualer Anspruch, der deshalb auch den Vergleichswert beeinflusst.

     

    Das Vollstreckungsschutzbegehren nach § 794a Abs. 1 ZPO ist nach dieser Ansicht gemäß § 3 ZPO in der Regel mit der vollen monatlichen Miete und entsprechend der beantragten Räumungsfristverlängerung bis zur Dauer von maximal einem Jahr, also mit einer bis zu zwölf Monatsmieten zu bewerten (OLG Stuttgart NZM 06, 880; OLG Zweibrücken MDR 92, 1081 jeweils zu § 721 ZPO). Teilweise (OLG Düsseldorf, a. a. O.; AG Saarbrücken, a. a. O.) wird dabei noch einmal ein Abschlag von bis zu 80 Prozent vorgenommen.

     

    Zu bewerten sei einerseits, ob der Mieter zugunsten des Vermieters auf die sich aus § 794a ZPO Abs. 1 ZPO ergebenden Rechte ohne Einschränkung verzichtet hat, andererseits mit welchem Grad von Wahrscheinlichkeit der Vermieter bei Vergleichsabschluss mit einem Räumungsschutzantrag rechnen muss. (OLG Düsseldorf 11.5.09, 24 W 16/09).

     

    b) Eine andere Auffassung vertritt aktuell das LG Lübeck

    Anderer Ansicht ist aktuell allerdings das LG Lübeck (28.2.20, 10 T 18/20, Abruf-Nr. 216875). Der Wert eines Vergleichs ergibt sich nach seiner Ansicht aus dem Wert der rechtshängigen und nichtrechtshängigen Ansprüche, die erledigt werden, nicht aber aus dem Wert dessen, was die Parteien durch den Vergleich erlangen oder welche Leistungen sie zum Zwecke der Erledigung der Streitpunkte übernehmen. Dabei müsse es sich nach dem LG, wie schon der Begriff „Streitgegenstand” nahelege ‒ bei den wertbestimmenden Gegenständen um „streitige Gegenstände” handeln.

     

    Es müsse sich ‒ was den Mehrwert anbelangt ‒ um die Ausdehnung des Vergleichs auf bereits rechtshängige oder „nichtrechtshängige Streitgegenstände” bzw. „die Miterledigung anderer Streitpunkte” handeln. Das sei bei einem Verzicht auf Räumungsschutz nicht gegeben.

     

    Da der Antrag auf Einräumung einer Räumungsschutzfrist bei der Bestimmung des Gegenstandswerts unberücksichtigt bleibe (AG Hamburg 7.6.16, 25a C 44/16; Lehmann-Richter in: Schmidt-Futterer, 14. Aufl., § 721 ZPO, Rn. 48; Ulrici in: Vorwerk/Wolf, BeckOK, 35. Edition (Stand: 1.1.20), § 721 ZPO, Rn. 21), könne bei einem Verzicht nichts anderes gelten (so auch AG Hamburg, a. a. O.).

    3. Daran sollten Sie sich halten

    Die Ansicht des LG Lübeck überzeugt allerdings nicht:

     

    • Der Begriff des Streitgegenstands ist schon deshalb nicht maßgeblich, weil er sich auf die Verfahrensart, mithin das streitige Verfahren und nicht die Einzelhandlung bezieht.

     

    • Ungeachtet dessen ist dieser Begriff deshalb nicht maßgeblich, weil hier um die anwaltlichen Gebühren gestritten wird. Deshalb ist Ausgangspunkt der Überlegung § 23 Abs. 1 S. 1 RVG. Und dort geht es um den „Gegenstandswert“.

     

    • Maßgeblich ist weiterhin allein, worüber sich die Parteien verglichen haben und nicht worauf. Danach haben sich die Parteien aber auch über die Frage der Räumungsfrist verglichen.
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    • Dass die Parteien insoweit eine Ungewissheit im Sinne des § 779 BGB gesehen haben, ergibt sich schlicht aus dem Umstand, dass sie eine Regelung darüber getroffen haben. Ohne Ungewissheit wäre dies nicht nur entbehrlich gewesen, sondern den Parteien nicht in den Sinn gekommen.
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    • Ob es außergerichtlich hierüber Streit gab, ist völlig unerheblich. Der Vermieter sieht regelmäßig die Möglichkeit, sein Nachgeben durch einen Räumungsschutzverzicht honorieren zu lassen. Das genügt für ein gegenseitiges Nachgeben.

     

    PRAXISTIPP | Weisen Sie also für die Festsetzung des Gegenstandswerts auf den Mehrwert hin. Wird dem keine Rechnung getragen, können Sie aus eigenem Recht das Ansinnen im Wege der Streitwertbeschwerde nach § 68 GKG binnen einer Frist von sechs Monaten geltend machen und so seinen betriebswirtschaftlichen Ertrag steigern.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Streitwert im selbständigen Beweisverfahren, FMP 20, 111
    • Hoher Streitwert bei Herausgabe des Leasingguts, FMP 20, 78
    • Ein Streit, der nichts wert ist, FMP 20, 23
    Quelle: Ausgabe 08 / 2020 | Seite 142 | ID 46712511