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  • · Fachbeitrag · Pflegekosten

    Schuldbeitritt des Sozialhilfeträgers gegenüber dem Leistungserbringer: Das sind die Folgen

    • 1. Indem der Sozialhilfeträger der Zahlungsverpflichtung des Hilfeempfängers gegenüber dem Leistungserbringer (hier: ambulanter Pflegedienst) durch Kostenübernahmebescheid beitritt, wandelt sich die zivilrechtliche Schuld aus dem zwischen dem Hilfeempfänger und dem Leistungserbringer geschlossenen Dienstleistungsvertrag nicht in eine öffentlich-rechtliche um. Der Schuldbeitritt teilt seinem Wesen nach die Rechtsnatur der Forderung, zu der er erklärt wird.
    • 2. Entsprechend der zivilrechtlichen Natur des Anspruchs, zu dem der Schuldbeitritt erklärt wird, sind die §§ 286 ff. BGB anwendbar, wenn der Sozialhilfeträger die übernommene Zahlungsverpflichtung verspätet erfüllt.
    • 3. Der Versuch einer außergerichtlichen Regulierung mit anwaltlicher Hilfe hat Aussicht auf Erfolg, wenn Einwendungen gegen die Forderungen bisher nicht erhoben wurden, sodass die entsprechende Beauftragung des Rechtsdienstleisters mit der vorgerichtlichen Forderungsbeitreibung erforderlich ist und die dadurch entstandene Geschäftsgebühr erstattungsfähig ist.

    (BGH 7.5.15, III ZR 304/14, Abruf-Nr. 177582)

     

    Sachverhalt

    Die Gläubigerin erbringt Leistungen als mobiler Pflegedienst. Das beklagte Land übernahm als Träger der Sozialhilfe jeweils durch Bescheid gegenüber den Pflegebedürftigen die Kosten für Pflegeleistungen und übersandte der Gläubigerin die entsprechenden Bescheide. 2003 trat die Gläubigerin der Vereinbarung nach § 93 Abs. 2 BSHG zwischen dem Beklagten und den Verbänden der Träger von ambulanten Pflegeeinrichtungen vom 4.10.96 über die Erbringung von Leistungen der Haushilfe und der Hauspflege nach § 11 Abs. 3, §§ 68 ff. BSHG bei. Auch ist sie Begünstige eines Rahmenvertrags mit den Pflegekassen und dem Land nach § 75 Abs. 1 und 2 SGB XI zur ambulanten Pflege. In beiden Vereinbarungen wird geregelt, wie Pflegeleistungen abzurechnen sind.

     

    Auf dieser Grundlage berechnete die Gläubigerin gegenüber dem beklagten Land Pflegeleistungen, die die Beklagte jedoch ‒ ohne Gründe anzugeben ‒ nicht innerhalb der in den o.g. Vereinbarungen vorgesehenen Frist ausglich. Nachdem die Gläubigerin zweimal erfolglos gemahnt hatte, beauftragte sie einen Rechtsanwalt damit, die Forderung beizutreiben und verlangte Verzugszinsen. Darauf beglich das beklagte Land nur die Hauptforderung, sodass sich die Parteien weiterhin über Rechtsverfolgungskosten und Zinsen auseinandergesetzt haben. Während das AG die Klage abwies, gab das LG ihr statt.

    Entscheidungsgründe/Praxishinweis

    Die BGH-Entscheidung betrifft einen immer wichtiger werdenden Bereich: Die Bevölkerung wird immer älter. Daher werden Pflegeleistungen vermehrt nachgefragt. Außerdem wird die Pflege häufiger auch zuhause und nicht stationär abverlangt, solange dies irgendwie vertretbar ist. In der Praxis rechnet dabei das Pflegeunternehmen diese Leistungen nicht immer selbst ab, sondern bedient sich dabei Abrechnungsstellen. Das gilt sowohl gegenüber den Pflegekassen, als auch dem Träger der Sozialhilfe oder den Privatpatienten.

     

    MERKE | Die Abrechnungsstelle zahlt dem Pflegedienst zu einem vereinbarten Zeitpunkt den gesamten Nennbetrag der Forderungen und macht diese gegenüber den Kostenträgern dann geltend. Für diese Dienstleistung und die Vorfinanzierung erhält die Abrechnungsstelle dann eine Verwaltungspauschale. Aufgrund von Spezialisierung, vieler Fälle und hohen technischen Standards kann die Abrechnungsstelle dabei regelmäßig deutlich kostengünstiger arbeiten, sodass die Verwaltungspauschalen meist niedriger liegen als die Eigenaufwendungen des Pflegedienstes für Personal und Sachmittel.

     

    Folglich möchte die Abrechnungsstelle die Verwaltungspauschale möglichst schnell erstattet bekommen, weil die Zwischenfinanzierung zu ihren Lasten geht. Vor diesem Hintergrund sind die Rechtsbeziehungen der Beteiligten und der richtige Anspruchsgegner von hoher praktischer Bedeutung. Die zivilrechtliche Orientierung der Ausführungen des BGH macht sie vor allem für Rechtsanwälte und Inkassounternehmen als Kooperationspartner von Abrechnungsstellen, selbst abrechnenden Pflegediensten oder sonstigen Erbringern ärztlicher Leistungen oder Heilmittel- und Hilfsberufe interessant.

     

    Der BGH sieht den Anspruch auf Zinsen im Verzug nach §§ 280, 286, 288 BGB begründet. Die Verzugsvorschriften gelten nach dem BGH auch, soweit das beklagte Land als Sozialhilfeträger der Zahlungsverpflichtung der Hilfeempfänger aus den privatrechtlichen Pflegeverträgen durch Bewilligungsbescheide beigetreten ist (kumulative Schuldübernahme).

     

    Leistungserbringungsrecht

    Das Leistungserbringungsrecht der Sozialhilfe ist bei der pflegerischen Versorgung durch das sog. sozialhilferechtliche Dreiecksverhältnis geprägt. Es stellt die wechselseitigen Rechtsbeziehungen zwischen dem Träger der Sozialhilfe, dem Leistungsberechtigten (Hilfeempfänger) und dem Leistungserbringer (Pflegedienst) sinnbildlich dar (grundlegend BSGE 102, 1):

     

    • Zwischen dem Bedürftigen und dem Sozialhilfeträger besteht ein öffentlich-rechtliches Leistungsverhältnis (Grundverhältnis), das sich nach dem SGB XII beurteilt. Es besteht eine durch Verwaltungsakt festzustellende Sachleistungsverschaffungspflicht in Form der Zahlung an den Leistungserbringer.

     

    • Die Sachleistungsverschaffungspflicht bezieht sich auf den allein privatrechtlich begründeten Vertrag zwischen dem Leistungserbringer und dem bedürftigen Hilfeempfänger. Hier entsteht der Vergütungsanspruch, den der Träger der Sozialhilfe erfüllen muss.

     

    • Grundlage der Rechtsbeziehung zwischen dem Leistungserbringer und dem Sozialhilfeträger sind zum einen öffentlich-rechtliche Vereinbarungen nach § 93 Abs. 2 BSHG bzw. § 75 Abs. 3 SGB XII, und zum anderen Rahmenverträge auf Landesebene.

     

    Die Konsequenz aus diesem Dreiecksverhältnis ist die Grundlage der zivilrechtlichen Forderungsbeitreibung: Nach § 93 Abs. 2 BSHG bzw. § 75 Abs. 3 SGB XII ist die „Übernahme" der dem Leistungserbringer zustehenden Vergütung untrennbarer Bestandteil der Sachleistungsverschaffungspflicht des Trägers der Sozialhilfe. Rechtlich geschieht dies ‒ bei fortbestehender Verpflichtung des Hilfeempfängers aus dem im Erfüllungsverhältnis geschlossenen privatrechtlichen Vertrag ‒ mittels Schuldbeitritt des Sozialhilfeträgers (kumulative Schuldübernahme) durch Verwaltungsakt mit Drittwirkung (BSGE 102, 1; BSG 18.3.14, B 8 SF 2/13). Daraus ergibt sich ein doppelter Leistungsanspruch:

     

    • Ein unmittelbarer Zahlungsanspruch des Leistungserbringers gegen den Sozialhilfeträger und
    • ein Anspruch des Hilfeempfängers gegen den Sozialhilfeträger auf Zahlung an den Leistungserbringer.

     

    Der Sozialhilfeträger tritt so als Gesamtschuldner im Sinne der §§ 421 ff. BGB in Höhe der bewilligten Leistung, wie sie in dem gegenüber dem Hilfsbedürftigen ergehenden Kostenübernahmebescheid ausgewiesen ist, an die Seite des Sozialhilfeempfängers. Am zivilrechtlichen Charakter der Forderung ändert sich dadurch nichts.

     

     

     

    Zwar können die zivilrechtlichen Beziehungen „sozialrechtlich überlagert" sein. Beim Verzugseintritt und den Verzugsfolgen sieht der BGH allerdings nicht, dass diese überlagert werden. Die Leistungszeit sei in den Vereinbarungen präzise bestimmt und nicht eingehalten worden. Eine einseitige Freizeichnung von einer vom Sozialhilfeträger zu vertretenden Leistungsstörung (hier: verzögerte Zahlung) komme nicht in Betracht.

     

    Rechtsverfolgungskosten!

    Für Inkassounternehmen und Rechtsanwälte gleichermaßen bedeutend ist das, was der BGH dazu ausführt, inwieweit die Rechtsverfolgungskosten erstattungsfähig sind: Sie sind gemäß §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB als adäquat verursachte Verzugsfolge zu erstatten, wenn sie ‒ nachdem Verzug eingetreten ist ‒ aus Sicht des Forderungsgläubigers dazu erforderlich und zweckmäßig waren seine Rechte wahrzunehmen und durchzusetzen (st. Rspr., BGH NJW 95, 446; NJW 04, 444). Das hat der BGH im konkreten Fall angenommen, da das beklagte Land auf mehrere Mahnungen nicht reagiert hatte.

     

    Auch für andere Fragestellungen relevant, hat der BGH ausgeführt: Der Gläubiger darf die weitere Rechtsverfolgung auf Kosten des Schuldners einem Rechtsanwalt übertragen, wenn der Schuldner auf die erste (!) Mahnung des Gläubigers nicht zahlt. Hierzu verweist er auf seine frühere Rechtsprechung (BGH NJW 95, 446).

     

    Die von der Klägerin geltend gemachte Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG ist auch entstanden. Es kommt hierfür darauf an, ob der Rechtsanwalt zunächst beauftragt war, die Ansprüche außergerichtlich geltend zu machen und der Prozessauftrag allenfalls bedingt erteilt worden ist oder ob ein unbedingter Klageauftrag vorliegt. Hat der Rechtsanwalt bereits von Anfang an einen unbedingten Klageauftrag erhalten, fallen auch die Tätigkeiten, bevor er klagt, allein unter die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG. Hier ergab die Auslegung aller Umstände einen bedingten Klageauftrag.

     

    MERKE | Was der BGH dazu ausführt, ob die außergerichtlichen Beauftragung erforderlich war, ist zu beachten: Ein unbedingter Prozessauftrag sei nach Sachlage noch nicht geboten gewesen, da der Versuch einer außergerichtlichen Regulierung mit anwaltlicher Hilfe ‒ Einwendungen gegen die Rechnungen wurden vom Beklagten nicht erhoben ‒ aussichtsreich war. Somit bestand Grund anzunehmen, sich nicht gerichtlich auseinandersetzen zu müssen.

     

    Der Rechtsanwalt profitierte im konkreten Fall auch von dem Verständnis des BGH zur Frage, wann eine einzige Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinn (§ 15 RVG) vorliegt. Um dieselbe Angelegenheit annehmen zu können, müssen drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein: Es muss ein einheitlicher Auftrag erteilt sein, der einen gleichen Tätigkeitsrahmen eröffnet und es muss zwischen den einzelnen Gegenständen ein innerer objektiver Zusammenhang bestehen, das heißt es muss sich um einen einheitlichen Lebensvorgang handeln.

     

    Letzteres war zu verneinen, weil drei verschiedene Sozialhilfeempfänger mit drei Rechnungen betroffen waren. Der Anwalt erhält also drei Geschäftsgebühren nach Nr. 2300 VV RVG aus dem jeweiligen Wert der Rechnung.

     

    Wie so häufig verkannt (vgl. Jäckle, NJW 13, 1393; dagegen Goebel ZfM 15, 22), lagen auch nicht die Voraussetzungen dafür vor, die Gebühren auf eine 0,3- Geschäftsgebühr nach Nr. 2301 VVRVG zu begrenzen. Das weist der BGH schon im Ansatz zurück. Der niedrigere Gebührenrahmen kommt nur in Betracht, wenn der erteilte Auftrag von vornherein keinen über Nr. 2302 VV RVG a.F. bzw. Nr. 2301 VV RVG n.F. hinausgehenden Inhalt hatte, sich also auf eine einfache Anfrage oder eine einfache Mahnung oder Zahlungsaufforderung beschränkte (Hartmann, Kostengesetze, 45. Aufl., VV RVG 2301 Rn. 2 f.; Goebel, a.a.O.). Das war hier nicht der Fall. Daher verwundert es nicht, dass der BGH keine Bedenken gegen eine 1,3-Geschäftsgebühr hatte und auch keinen Anlass sah, nur die untere Grenze der Rahmengebühr (0,5 bis 2,5) als angemessen anzusehen.

    Quelle: Ausgabe 09 / 2015 | Seite 150 | ID 43571689